Die Mainzer Weinbörse gestattete einen ersten Blick auf den Jahrgang 2022 und löste in mir vor allem ein Gefühl aus: nackte Angst!
Sind Sie auch so genervt von den vielen kleinen Anzeigen im Netz: ‚Sie werden nie glauben, in was für einem Haus Mehmet Scholl mit 48 wohnt‘…(klick)? Man nennt das Clickbait. Ich wollte immer mal ausprobieren, ob das nur mit Mehment Scholl oder auch mit Riesling funktioniert. Wenn Sie jetzt hier sind, weil Sie eine Horrormeldung zum neuen Jahrgang erwarten, hat’s wohl geklappt. Ich gestehe also lieber gleich: alles gut mit 2022. Angst habe ich aber tatsächlich bekommen. Und wo sie schon mal hier sind, können Sie eigentlich auch meinen Bericht lesen…
2022 – der vielseitige Jahrgang
2022 ist ein in vielerlei Hinsicht besonderer Wein-Jahrgang. Vor allem ist er maximal divers. Wir sind zuletzt so regelmäßig mit stabilen, deutschlandweiten Großwetterlagen konfrontiert gewesen, dass wir ganz verlernt haben, Jahrgänge nach Anbaugebieten zu differenzieren. 2022 unterscheidet sich auf einmal nicht nur nach Regionen (16 Regentage im September in Rheinhessen!), sondern sogar nach Unterregionen. Einige hatten offensichtlich hervorragende Bedingungen. Richtig schlechte hatte keiner.
Dazu war das Jahr warm und außerordentlich trocken. Das Alter der Reben und die Tiefe ihrer Wurzeln hat enormen Einfluss auf die Traubengesundheit gehabt. Der Herbst ließ aufgrund verhaltenerer Temperaturen einigen Spielraum, was die Wahl des Lesezeitpunkts angeht. Wir haben viel und wenig Säure – im gleichen Betrieb auf der gleichen Qualitätsstufe. Doch am Ende war es ein warmes Jahr, die Gesamtwärmemenge wird prägende Kraft entwickeln, bei einigen Weinen zeigt sie sich schon jetzt, andere wirken, als seien sie für die Ewigkeit bestimmt. Dieser Eindruck wird sich oft genug als falsche Fährte entpuppen. Womit wir bei meiner Angst wären. Es ist die Angst sich zu blamieren. Denn beim Verkosten von gut 300 Weinen reifte in mir die unangenehme Erkenntnis: Du wirst dich irren. Häufig. Vermutlich häufiger als je zuvor. Du kannst Dich mit diesem Jahrgang so richtig zum Löffel machen. Rosige Aussichten.
Verkosten im Galopp
Aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, kann ich auch direkt damit anfangen. Die Relativierungen am Beginn meines Verkostungsbericht haben nichts mit meiner Angst zu tun, mit der komme ich zurecht. Es wäre einfach unredlich die folgenden Eindrücke als bedeutender darzustellen, als sie sind. In Mainz wird im Schlendern verkostet. 3000 Leute sind da und deswegen schenken die Winzer meist nur einen Probeschluck aus, Betonung auf EINEN, oft genug 15 Milliliter. Lange schwenken und riechen verdirbt nur die Temperatur, also schnell Sniffisniff und dann rein in den Mund, gar zu lange gurgeln macht keinen Sinn, bringt das Speichel-Weinverhältnis nur gefährlich nahe an fiftyfifty.
Den Winzern wird 2022 ähnlich viel Spaß machen wie der Jahrgang 2018 (mit dem wir Freaks ja etwas hadern). Denn die Weine sind zugänglich, in der Säure nie extrem, schmelzig und lecker. Tatsächlich war Wittmanns Gundersheimer Ortsriesling wohl das trinkreifste Fassmuster, das ich je probieren durfte. Könnte er so ohne weitere Behandlung als 5-Liter Bag-in-Box füllen und wir würden uns alle als erste Handlung nach Feierabend unter den Zapfhahn hängen, Gläser unnötig. Was für ein Sommer stünde bevor.
Andererseits hatte ich Weine im Glas, bei denen ich an meinen Freund Charlie denken musste. Der prägte einst im Scherz den Terminus ‚negatives Trinkzeitfenster‘. Das beschreibt einen Reifeverlauf, bei dem man eine ganze Zeit wartet, weil der Wein zu jung ist, um auf einmal statt optimaler Reife einen Wein zu finden, der wirkt, als hätte man ihn vor einiger Zeit austrinken sollen. Dieser Scherz ist längst von der Wirklichkeit überholt worden. 2018 ‚schenkte‘ uns etliche solcher Weine. Und auch in Mainz hatte ich ein paar Weine im Glas, die einerseits verschlossen wirkten, noch unter dem Schleier der Füllung und frischen Schwefelgabe lagen, darunter aber schon Noten andeuteten, die man üblicherweise im vierten Jahr der Flaschenreife erwartet. Mehr Parallelen zu 2018 gab es nicht. Trockenstress, womöglich gar UTA, Bittertöne, Karamell, alles zum Glück nicht (in nennenswertem Maße) auffindbar. Und nun zu ein paar Empfehlungen
2022 beim Weißwein und 2021 beim Spätburgunder, wenn nicht durch eine andere Angabe in Klammern angegeben
Mosel
Van Volxems Saar Riesling ist sehr schön! Frisch, würzig, etwas verschlossen, deutliche Mineralik/Phenolik im Abgang. Ockfen Geisberg Kabi zeigt etwas feine Phenolik und schöne Struktur. Das ist spannend. Dr. Wagners Saarburg Alte Reben trocken (21) hat tierisch Grip und ein feines Bitterl, tolle Säure, schöne Frucht, nicht zu fett, elegant. Kupp Kabi feinherb (21) zeigt tolles Spiel, schöne Frucht, leicht würzig, feine Mineralik/Phenolik.
Fritz Haag zeigt starke Weine: Der Gutsriesling startet fruchtig, wird schnell würzig, kräftig, aber nicht schwer, tolle phenolische Länge. Beim Brauneberger Riesling ‚J‘ wird’s richtig streng, für Fortgeschrittene, karger in der Frucht, würziger, phenolischer, toll. Juffer Sonnenuhr Spätlese ist etwas wild, aber auch fruchtig. Würzige Nase, schöne Säure, tolles Spiel, etwas Schmelz, wow! Auslese Goldkapsel aus gleicher Lage ist schwer auszuspucken, hat alles was man von einer Haag GK erwartet. Heymann-Löwensteins ‚vom blauen Schiefer‘ (21) ist zupackend, leicht rauchig, spannend.
So riecht die Mosel!, denke ich bei Knebels ‚von den Terrassen’ (21). Am Gaumen dann zurückhaltende Frucht, elegant und eher leicht. Von den Terrassen -R- Reserve (21) zeigt ein Plus an Power, das dem Wein sehr gut steht. Röttgen Spätlese (21): tolle Frische, schöner Schmelz, ganz viel Erdbeeren mit Schlagsahne. Mjamjam. Bei Schloss Lieser zeigen sich die Weine teils sehr verschlossen, teils liegen sie unter einem Schleier, den ich manchmal so empfinde, als hätte ich eine Wolldecke im Mund (freies Spiel der Assoziationen!). Beim Gutsriesling SL trocken finde ich trotzdem ordentliches Spiel und einiges an Potential. Beim Heldenstück zur schönen Säure erheblich Substanz, die nicht zu süß daher kommt. Ganz ohne Wolldecke dann der Ortsriesling Piesporter Goldstück trocken: gebirgsbachklar, hell, feine Frucht, sehr verführerisch. Die fruchtsüßen Weine allesamt noch mit einem ziemlich wilden Stinker in der Nase. Die Goldtröpfchen Spätlese vereint viel Spiel mit einer feinen Cremigkeit. Tolle Spätlese! Getoppt wird das von Joh. Jos. Prüm mit einer Himmelreich Spätlese aus 2015, die mich in eben jenes Himmelreich versetzt, wo ich nur noch Halleluja! rufen kann.
Rheingau
Bei Freimuth gibt es einen interessanten Riesling Ortswein Geisenheim Zero mit 0,3 Gramm Restzucker und 12 Prozent Alkohol: mittlerer Druck, angenehm leicht. Der Riesling Sekt brut (20) hat eine ‚natural‘ Nase, am Gaumen wild, hat was von PetNat, dann leicht cremig, angenehm trocken, gut. Auch der mittelgewichtige Spätburgunder ‚Lignum‘ (20) gefällt mir mit seiner mühelosen Reife gut. Von Achim von Oetinger werden Sie sicher noch viel lesen, der hat die meisten Kollegen umgehauen (also seine Weine, Ö selbst ist friedlich). Den Auftakt machte der Müller-Thurgau ‚Jott‘ (alle Weine Jahrgang 21): in der Nase leichter Most-Ton, am Gaumen wenig Frucht, viel Biss, tolle Phenolik, uiuiui. Beim Riesling Lösslehm findet sich eine typische, leicht würzige Riesling-Nase, am Gaumen angenehm balanciert. Sehr schön. Der Mineral ist etwas zugänglicher, fruchtiger (aber 0 Gramm Restzucker), das läuft!. Beim Siegelsberg GG wieder ganz viel Frucht-Säure-Spiel trotz 0 Gramm Zucker und dazu das typische Siegelsberg-Strahlen. Wunderbar!
Sachsen & Saale-Unstrut
Böhme & Töchter zeigt ein Fassmuster vom Freyburger Chardonnay Ortswein, das noch ein ganz wenig belegt ist, mit seinem Säurebiss und tollen Holz aber Herzklopfen hervorruft. Das könnte bockstark sein. Bei Hey ist es der Naumburger Weissburgunder, der etwas verschlossen und karg ist, aber sehr gute Anlagen zeigt. Bei Martin Schwarz werde ich ausgerechnet mit den Rieslingen noch nicht warm, die muss ich mir mal in Ruhe vornehmen. Die anderen Weine allerdings sind unglaublich, wie ich ja schon im Podcast mit dem Nebbiolo erfahren durfte. Das wirkt auf mich, als sei da ein genialer Tüftler am Werk, der gerne Sachen macht, die kaum ein anderer macht (auch weil kaum ein anderer das kann?!?).
Sein ertragsreduzierter Müller-Thurgau aus alten Reben in guter Lage (die beim Gutswein nicht auf dem Etikett steht), ausgebaut im Tonneau mit Batonnage hat eine angenehm dezente Muskat-Nase, einen wilden Gaumen, der dann von viel Schmelz eingefangen wird – Trinkgenuss und Fortbildung in einem, denn so haben Sie M-T noch nie getrunken. Sein Blanc de Noirs ‚Weiss von Schwarz‘ vom Spätburgunder mit neuem Holz bietet Schmelz und Säure und Holz und Frucht in perfekter Balance. Was für ein toller Wein! Sein einfacher Spätburgunder (18) ist kräftig, würzig, dunkel, aber nicht sperrig. Sehr schön. Der Friedstein (20) ist das künftige GG: 30% handverlesene Rappen zugegeben, tolle deutsche Pinot-Nase, schönes, röstiges Holz, tief, würzig, wunderbar.
Nahe
An der Nahe ist das Wetter irgendwie immer 15 Prozent besser als im Rest der Republik. Das liegt vermutlich am überdurchschnittlich hohen Anteil biodynamisch arbeitender VDP-Betriebe (Achtung, Ironie). Dönnhoffs Tonschiefer ist ein gutes Beispiel für die Stärke des Jahrgangs: eher mittlere Säure, zugänglich, aber auch mit etwas Tiefgang, genau richtig in dieser Gewichtsklasse. Etwas karger, mit etwas mehr Säure und feinem Gerbstoff der Kahlenberg Erste Lage, ein Wein zum Kauen. Leistenberg Kabi: frische Nase, saftiger Antrunk, dann etwas verschlossen, aber ich glaube, der wird richtig gut. Klamm Kabi: ähnliche Nase, mehr Frucht-Säure-Spiel, weniger Phenolik, nicht schlechter, sondern anders. Emrich-Schönleber zeigt einen wild-würzigen Gutsriesling, einen leicht kreidigen, feinherben Lenz, der bei 13 Gramm Restzucker formidabel mit 8 Gramm Säure spielt und einen Mineral, der noch sehr bunt wirkt, aber auch sehr balanciert. Und dann kommt der Frühtau, der strahlt jetzt schon, hat Biss ohne Ende, noch leicht adstringierend, wird aber vermutlich zum Giganten reifen – vielleicht der schönste Wein des ersten Tages. Halgans gut, kommt da aber nicht mit. Der Niederberg Erste Lage ist einer von vielleicht drei Weinen in diesen beiden Tagen, bei dem ich denke: direkt mindestens zwei Jahre im Keller verstecken, dann wird der toll. Der Halenberg -R- (19) zeigt eine sehr flaschenreife Nase. Am Gaumen spielt das noch sehr frisch. Ich würde mit dem (großen) Genuss aber nicht zu lange warten, obwohl ich daheim gerade den 2008er trinke. 2019 war halt ganz schön warm.
Weissburgunder Gutswein von Kruger-Rumpf startet schmelzig, wird dann bissig, das ist schon sehr gut. Der Riesling ‚Zweistrom‘ ist staubtrocken mit 1,4 Gramm Restzucker, würzig, rauchig (ist aber Edelstahl), tief, spannend, toll. Der Kabi Im Pitterberg ist eine gute Mischung aus lecker und Anspruch. Überhaupt standen in Wiesbaden erheblich mehr gute Kabis auf den Tischen, als ich nach der Papierform des Jahrgangs erwartet hätte. Ganz vorne dabei Joh. Bapt. Schäfer sowohl mit dem lagenlosen – würzig-brotige Nase, am Gaumen sehr reife Frucht und ganz viel Säurebiss, zu jung, super – als auch mit dem Pittermännchen: in der Nase zusätzlich eine leichte Reduktion, die auch auf den Gaumen ausstrahlt. Aber die Säure, die Phenolik, die Balance, das Potential… Was für eine Granate!!! Ähnlich begeisternd der Rümmelsheimer Ortsriesling ‚Kieselstein‘: kräftige Säure, etwas Malz, reifer Apfel und ganz viel Stein!
Rheinhessen
Battenfeld Spaniers Weissburgunder Reserve ist eine ziemliche Granate: tolles Holz, schöner Schmelz, feine Säure. Beim Schwester-Weingut Kühling-Gillot stach die Qvinterra Scheurebe heraus: sehr würzig, Säurebiss, Tiefgang. Der Oppenheimer Ortsriesling hat gefühlt eine eher milde Säure, aber viel steinige Tiefe. Das ist gut. Gunderloch hat bei seinem Gutswein Grauburgunder ‚vom Löss‘ ein paar Beeren mitvergoren und das hat Wunder gewirkt – leicht nussige Würze in der Nase, feine Struktur am Gaumen. Im Gutsriesling ‚vom roten Schiefer‘ stammen die Trauben überwiegend aus dem Rothenberg und das schmeckt man: etwas rauchig, offene, typische Nase, sehr zugänglich, 11,5% Alk und ordentliche Säure, dezent schmelzig, trinkreif, sehr schön. Der Niersteiner Ortsriesling hat dafür einen hohen Pettenthal-Anteil: startet ordentlich und fängt mich dann mit festem Biss und Zitrusfrische ein. Ich mag das! Beim feinherben Kabi ‚Jean Baptiste‘ schmecken die 25 Gramm Restzucker nach der Hälfte, tolles Spiel!.
Knewitz mit starker Kollektion, die zwei Gutsweine mit viel Qualität eröffnen: würziger Silvaner mit angenehmen Schmelz und ein weich startender Gutsriesling der in der enormen Länge kräftig Biss entwickelt. Zwei sehr unterschiedliche Ortsrieslinge schließen sich an, Nieder Hilbesheimer startet hell und zitrisch, wird dann schwerer, Appenheimer wild am Gaumen, mit feiner Phenolik im Abgang. Die Erste Lage aus dem Goldberg ist sehr apfelfruchtig und dreht dann ins Malzige, hält aber die Frische. ‚Weth & Welz‘ heißt Knewitz Cuvée aus Weissburgunder und Chardonnay (21) und die zeigt schönes Holz und gute Länge – sehr elegant. Zum (sehr) guten Schluss noch der Brut Nature Jahrgangssekt (18) vom Chardonnay: 32 Monate Hefelager, tolle, komplexe Schaumweinnase, schöne Säure, Typizität, ganz wunderbar.
Zur Erfrischung zwischendurch ein Schlückchen Blanc de Blancs Reserve Pinot Blanc Extra Brut 2014 von Raumland: großartige Reife, SEHR komplex, will ich mich reinlegen! Die drei Ortsrieslinge bei Wagner-Stempel sind wunderbar vielfältig. Porphyr (Siefersheim) zeigt eine sehr süße, verführerische Nase, startet fruchtig, wird malzig und enorm tief, wow! Rotliegend (Neu-Bamberg) hat viel Holz in der Nase, am Gaumen dann zum Glück weniger, muss man abwarten, vielversprechend. Melaphyr (Fürfeld) ist der kompakteste und zugänglichste der drei, sehr schön. Die Sylvaner Reserve (21) in der Nase mit viel Holz, am Gaumen mit Schmelz, dann Grip und viel Typizität, ganz toll. Und dann ein Wein speziell für mich: Ausbau in relativ altem Akazienholz, das noch einen winzigen geschmacklichen Eindruck hinterlässt, vom Lesezeitpunkt ‚spot on‘ jenseits von grasig und diesseits von tropisch, viel Grip am Gaumen. Wir reden vom Sauvignon Blanc Reserve und ich bin sehr glücklich.
Wittmanns ‚einfacher‘ Gutsriesling Estate ist schon schön (offen wie ein Scheunentor, alles drin und dran), aber der Gutsriesling vom Kalkstein ist der Knaller: etwas Zündplättchen, zitrisch, kreidig, großartig. Auch hier drei wunderbar differenzierte Ortsrieslinge (Fassmuster), von denen mir der Westhofener (typische Rieslingfrucht, feinste Phenolik) am besten gefällt, der Gundersheimer (gehaltvoller Gaumen, ordentliche Frische) zum sofortigen Genuss (siehe oben) verführt und der Niersteiner (hefig, zitrisch, verschlossen) das größte Potential andeutet. Die Gutsweine von Grau- und Weißburgunder sind unerhört fein und der Weißer Burgunder Reserve (21) setzt ein letztes Ausrufezeichen mit feinem Zug und großer Länge. Das ist eine bockstarke Kollektion.
Franken
Max Müller I mit schönem Silvaner Gutswein: supertypische Nase; am Gaumen verhaltene Frucht, saftig, würzig. Bei Rudolf May nasche ich im Vorbeigehen vom Langenberg Silvaner Sekt brut nature (18) und habe sofort wieder Kraft für die weitere Verkostung. May habe ich ansonsten ausgelassen, was mir vielfach von Kollegen als absurdes Versäumnis vorgeworfen wurde. Bei Schmitt’s Kinder will ich eigentlich nur einen Spätburgunder probieren, doch unterm Tisch steht der neue Jahrgang, also gibt es warmes und kühles Jahr im Vergleich: Randersacker Sonnenstuhl EL ‚Tradition‘. 2020 mit ein paar Rappen vergoren, gediegenere Nase als 2021, viel Frucht, zupackende Säure, rohes Fleisch, toll! 2021 hat eine typisch deutsche Ziegelstein-Nase, fängt einfach an und schiebt dann mit viel Komplexität nach. Frisch gefüllt und schwer zu beurteilen, ich bin aber sehr optimistisch.
Auch bei Rainer Sauer gibt es viel Gutes zu probieren. Silvaner Ortswein ‚Muschelkalk‘: typische Nase, und dann ist da reichlich was los am Gaumen, toll. Escherndorfer Ortsriesling: straff, karg, zitrisch, frisch, phenolische Länge. Und dann – wie eigentlich immer – das Freiraum-Paradox: Fünf Tage Maischestandzeit führen zu einer Tuttifrutti-Gummibärchen-Nase wie aus dem Lehrbuch für blanke, kaltvergorene, gemachte Weinchen. Ist in der Jugend bei diesem Silvaner oft so. Noch sehr verhalten am Gaumen, zu jung, aber schon so viel phenolische Spannung, wow! Auch der Silvaner Lump Erste Lage mit eher fruchtiger Nase, am Gaumen noch karg, schöne Säure, passender Körper, balanciert, gut. Bei Gregor Schwab mag ich den Thüngersheimer Weissburgunder. Stahl und Stückfass, Ersteres mit schöne Säure, Letzteres mit gutem Schmelz, das passt. Der Thüngersheimer Riesling ist schlank, straff, trocken, leise, fein. Und 2022 ist ein Scheurebe-Jahr: Johannisberg EL aus vier Jahre altem Tonneau, in der Frucht reduziert, tolle Säure, sehr interessant. Gleiche Lage Silvaner stammt aus Holz in 2.-,3.-und 4.-Belegung und das passt: voll, rund, tief. Auch Wirschings Scheurebe EL Kronsberg ist betörend: in der Nase typisch, aber nicht zu laut, am Gaumen mit irrem Punch, ohne übertrieben zu wirken.
Pfalz
Ich starte bei Bürklin-Wolf und da gibt es was Besonderes zu naschen: Wachenheimer Rechbächel Riesling EL (Fassprobe) ist hell, frisch, hat Spannung, dass das Glas vibriert und ich nur Wow! brabbeln kann. Christmanns Riesling ‚Aus den Lagen‘ ist auch noch eine Fassprobe, die mich mit ganz viel würzigem Potential im Abgang abholt. Die restlichen Weißweine bilden eine seltene Ausnahme in diesem Jahr, sie sind so deutlich als unfertige Fassproben erkennbar, dass ich mir kein Urteil erlaube. Bei den Spätburgundern gefallen mir beide gezeigten Weine, der Schlössel EL (20) mit saftiger Frucht, schöner Säure und feinem Gerbstoff lässt mich ‚super‘ murmeln. Dezent Holz in der Nase, Zug am Gaumen, sehr spannend, notiere ich mir, während ich den Pinot Gris Fumé (21) von Knipser probiere. Auch für Grauburgunder-Skeptiker ist das ein feiner Wein. Highlight an diesem Stand ist die Cuvée X (18): fantastisch süße Nase, tief, satt, warm, aber nicht übertrieben, noch mächtig Holz, großartig. Wieder Scheurebe, wieder nicht übertrieben laut, sondern mit feiner Spannung – Theo Minges Gleisweiler Ortswein ist Werbung für die Rebsorte. Dann eine Ausnahme auf dieser Veranstaltung, ein Orange-Wein. Natural-Nase, am Gaumen sehr sauber mit viel Rosenholz und angenehmen Gerbstoff; toller ‚Wurzelfieber‘ Gewürztraminer (20).
Es folgt die beste aller von mir verkosteter Kollektionen: Rebholz. Ich mach’ mich frisch mit dem Sekt π No. Gold 2014. Ultrakomplexe Nase, weiches Mundgefühl und dann phenolische Spannung im langen Abgang – ein Träumchen-Schäumchen! Dann der wirklich trockene Muskateller Gutswein: laute Nase, expressiv auch am Gaumen, mächtig Punch. Muss ich nicht flaschenweise trinken, aber zwei Gläser lang ist das eine Sensation. Der Gutsriesling hat eine leicht würzige, eher strenge Nase und ist am Gaumen trocken, straff, aber nicht harsch. Super! Vier Ortsrieslinge und für jeden (wirklich jeden) ist was dabei. Der ‚vom Buntsandstein‘ zitrusfrisch, druckvoll aber nicht breit, mit Potential; ‚vom Schiefer‘ mit deutlichem Stinker, fruchtigem Gaumen, sehr offen, eingefangen von guter Frische; ‚vom Rotliegenden‘ hat die bunteste Frucht, auch schöne Säure, leicht verschlossen, ist so vielversprechend; ‚vom Muschelkalk‘ hat eine etwas schweißige Nase, grünen Apfel am Gaumen, ist trocken und kreidig. Das ist toll, toll, toll und nochmal toll.
Aber das ist nicht alles: Weißburgunder Gutswein: verhaltene Nase, startet einfach, entwickelt dann Tiefe, sehr gut. Weißburgunder Ortswein ‚vom Muschelkalk‘: blonder Tabak in der Nase, viel Schmelz am Gaumen, aber auch Spannung. Fein! Chardonnay ‚R‘ (20) zeigt in der Nase feines Holz. Am Gaumen ist das Holz noch viel feiner, die Frucht ganz klar, oh wow! Beim Spätburgunder ‚R‘ (19) gesellt sich in der Nase wieder Tabak zum Holz. Am Gaumen finde ich viel süße Frucht, schöne Säure, feinen Gerbstoff. Hammerwein! Siebeldinger Spätburgunder ‚R‘ ‚vom Muschelkalk‘ (19) ist ähnlich, aber verhaltener in der Nase, auch am Gaumen etwas weniger von allem, aber das muss auf Sicht nicht schwächer sein. Wenn das für sie inflationär begeistert klingt, dann bedenken Sie, dass es bereits Sonntag nachmittag und ich ziemlich müde war. Sie dürfen also noch 50 Prozent aufschlagen. Karl Schäfer hatte es danach sehr schwer. Immerhin der ‚Sonnentropfen‘ Ortsriesling konnte mich ins Hier und Jetzt zurückholen: hell, frisch, vibrierend, spannend, super.
Baden & Württemberg
Kurz vor Schluss traf ich auf Hegers Ausnahme-Ortswein (ich bin an beiden Tagen die letzten 45 Minuten noch einmal zu den besuchten Ständen gegangen, um die im ersten Durchgang ausgelassenen Rotweine zu verkosten). Ihringer Spätburgunder (19) hat eine ‚typisch deutsche‘ Nase, ist am Gaumen sehr offen, feinfruchtig, harmonisch, lang, einfach wow! Das ist einer dieser Weine, bei denen die Begeisterung sich ganzheitlich einstellt, was sich dann immer schwer in eine Beschreibung gießen lässt. Einfacher geht das bei Heitlingers Chardonnay Reserve (21): Es ist die feine Kräuternote in diesem eleganten Wein mit balanciertem Biss, in die ich mich schockverliebte. Gleiche Rebsorte von Aldinger als Gips EL (21): schmelzig und druckvoll, aber irgendwie auch leise und elegant – beeindruckend. Bei Drautz-Abele gerät man ja eigentlich immer ins Staunen: Thema der Fortbildung dieses Mal: Eine Cuvée aus Sauvignon Blanc und Riesling ‚Drei Trauben‘ als Ortswein und eine Sauvignon Blanc Auslese mit 95 Gramm Restzucker. Klingt vielleicht wie eine Drohung, aber ich sage Ihnen, beide sind mindestens so gelungen, dass Ihr Weinleben ärmer ist, wenn Sie diese Weine nie probieren – Liebe ist auch im Bereich des möglichen. Die Sauvignon Blanc Reserve »R« H.A.D.E.S. hatte der Winzer gleich als Jahrgangsvertikale (18, 20, 21) im Gepäck und ich habe den Stift beiseite gelegt. Fazit: 21 ist mein Favorit. Nach dieser eigentlich viel zu anspruchsvollen Session schlich ich noch zu Schnaitmann: Bergmandel Grau.Weiss (21): Sehr fruchtige Nase, toller Biss am Gaumen, sehr trocken, fein! Bergmandel Sauvignon Blanc (21) eher leise Nase, frisch, aber nicht grasig, Was für ein Brett! Bergmandel Riesling (21) das hat auch so viel Zug. Toll!
Nach 309 Weinen war ich der Meinung, dass ein Bier jetzt eine gute Idee wäre. Für Steady-Unterstützer gibt es hier im Anhang noch meine vollständige Verkostungsliste.
Sie enthält die Notizen zu allen Weinen, weil eben auch etliche gute dabei waren, die es nicht in diese Auswahl geschafft haben. Aber es sind auch die Weine dabei, die mich nicht überzeugt haben. Dabei werden etliche sein, die ich vielleicht nur auf dem falschen Fuß erwischte (oder sie mich). Daher möchte ich ein paar Spielregeln einführen.
- Diese Liste ist for your eyes only. Bitte nicht teilen, weiterleiten, zitieren, oder in irgendwelchen Diskussionsrunden hochladen
- Rückfragen zu Weinen nur per Mail oder DM auf Insta. Eine Frage wie: was genau hat Dir denn an Wein xy nicht gefallen? hier in den öffentlich zugänglichen Kommentaren möchte ich vermeiden.
- Haut mir diesen ersten Eindruck nicht um die Ohren, wenn ich später Weine nach gründlicher Prüfung anders bewerte
- Die sprachliche Form hat kein Veröffentlichungsniveau, das ist wirklich nur ein kleines Goodie. Immerhin die allermeisten Tippfehler sollte ich bei meiner Überarbeitung für Euch …
Hi Felix,
ich möchte nächste Woche die VDP Franken Jahrgangspräsentation in Nürnberg besuchen.
Das wird für mich die erste Veranstaltung dieser Art.
Hast du ein paar Tipps, wie ich vorgehen soll?
Ein Weinliste habe ich noch nicht gefunden. Es soll ca. 150 Weine von allen fränkischen VDP Winzer geben.
Soll ich mich nur an Silvaner halten oder auch Riesling?
Dann parallel an jedem Stand oder hintereinander?
Später dann noch Spätburgunder?
Freue mich auf deine Antwort.
Viele Grüße
Rene
Tipp Nummer 1: konsequent ausspucken 😉
Fange bei Stand 1 an, Riesling und Silvaner und auch Scheu (sonst verpasst Du was), nur trocken, Spätlesen und co. erst mal auslassen. Ob Du M-T und weiße Burgundersorten machen willst, musst Du davon abhängig machen, wie voll es ist. Dann die gleiche Runde noch mal in Rot und schließlich, wenn noch Zeit ist, eine dritte Runde für süß (oder weiße Burgundersorten, Bacchus, M-T).
Vielen Dank für die Impressionen. Habe es dieses Jahr leider nicht geschafft hinzugehen. Deine Eindrücke helfen mir da sehr gut weiter! Kommst du dieses Jahr zur Rohkost?
Das muss ich noch mal schauen. Der Terminplan ist relativ voll.