Verdächtiges Verhalten

Die erste Station meines Berufslebens war im positiven Sinne ein Irrenhaus. Lauter junge Leute, überwiegend mit technischem Hintergrund aber deutlich extrovertierter als der durchschnittliche ‚Nerd‘, arbeiteten mit viel Elan an spannenden Zeitschriften. Eines Morgens jedoch kam ich ins Büro, um einen entsetzten Kollegenkreis vorzufinden. An Arbeit war nicht zu denken. Stattdessen diskutierte die Runde über einen Zettel, welcher an jenem Morgen an der Spülmaschine klebte: ‚Liebe Leute, es sollte jedem klar sein, dass Klobürsten nicht in die Geschirrspülmaschine gehören.‘

Ekel und Fassungslosigkeit bestimmten die allgemeine Diskussion, bis endlich am Nachmittag einer der Unternehmensältesten, studierter Philosoph mit Ironie im Blut und Schalk im Nacken, kundtat, er habe den Zettel aufgehängt, jedoch nicht, weil er ein Corpus Delicti in der Spülmaschine vorgefunden hätte, sondern als erkenntnistheoretisches Experiment. Er wollte wissen, ob die Botschaft auf seinem Zettel im Rezipienten zwangsweise die Gewissheit hervorrufen würde, jemand habe eine Klobürste maschinengespült. Genau genommen stand das schließlich nicht auf seinem Zettel.

Was das mit Wein zu tun hat? In letzter Zeit bin ich gleich mehrfach über Artikel in Weinblogs, Diskussionen auf facebook und Berichte zu einer Session auf dem Vinocamp Deutschland gestoßen, die alle zum Inhalt hatten, dass sich Weinblogger, die Artikel aufgrund von wirtschaftlichen Verbindungen zum Produzenten des besprochenen Weines erstellten, doch bitte auch in diesen Artikeln dazu bekennen sollten. In zugehörigen Kommentaren wurde verschiedentlich um konkrete Beispiele ersucht. Die jedoch konnte keiner benennen.

Ist der gesponserte Weinblogartikel am Ende das Wein-Web-Äquivalent der Klobürste im Geschirrspüler? Fast alle privaten Weinblogs, die ich verfolge, beschäftigen sich mit Weinen, die man nicht mehr kaufen kann. Die meisten erwähnen keine Verkaufspreise oder geben Bezugsquellen an, und die Aufforderung zum Kauf eines Weines lese ich selten.

Thanischs 2010er Spätlese feinherb
Verdächtige Glasgravur: Sponsorenvertrag oder Verkostungsdiebstahl?

Ich finde, es wird Zeit, sich verdächtig zu machen. Gerade habe ich einen Wein im Glas, den es noch zu kaufen gibt. Er stammt vom Weingut Thanisch an der Mosel (großartiger Erzeuger) aus der Lage Lieserer Niederberg Helden (was für ein Filetstück!) und kostet keine zehn Euro (fast geschenkt!!). Es ist die feinherbe Spätlese, die ich in feinherbem Deutsch mal als ‚Signature Wein‘ (muss man getrunken haben!!!) bezeichnen möchte. Auch in diesem Jahr setzt der Wein Maßstäbe in seiner Kategorie. Also: kaufen, kaufen, kaufen!!!!

Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Lieserer Niederberg Helden, Riesling Spätlese feinherb, 2010, Mosel. In der Nase ein typischer junger Thanisch: Eisbonbon, Litschi, Hefe, Blüten und Apfelshampoo. Obwohl spontan vergoren, wirkt der Wein immens klar. Am Gaumen ist er erstaunlich cremig, was ein Glück ist, denn wenn er bei dieser heftigen Säure stahlig schmeckte, wäre das des Guten zu viel. Er verfügt über reichlich Restzucker, schmeckt aber nicht wie Hühnchen süß-sauer, weil er einige Gerbstoffe und eine kräftige Mineralik mitbringt (allerdings erst mit einer Stunde Luft, vorher finde ich ihn limonadig). Das Mundgefühl wird von einer stoffigen Hefetextur dominiert, gepaart mit Aromen von Grapefruit und Elstar Apfel. Der Abgang ist sehr von der Säure dominiert. Das darf man wohl rassig nennen. Ein wunderbar klassischer Moselriesling.

Es bleibt in der Familie

Die beiden ersten ernsthafte Flaschen meiner Weinkarriere waren ein Geschenk meines Vaters: ein Achat von Laible und eine trockene ‚S‘-Klasse vom Karthäuserhof. Eine würdigere Inauguration in die Rieslingwelt Es bleibt in der Familie weiterlesen

Simple Genüsse (4) – lecker Wein

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für besonders befunden habe – und lecker.

Chateau Ste Michelle, Stimson Estate Cellars, Chardonnay, 2007, Washington State (USA). Da war doch was: die derzeit an vielen Stellen des Weinwebs geführte Diskussion, ob man Weine ‘lecker’ nennen darf. Jetzt wird es kompliziert: Dieser Chardonnay ist enorm lecker, fand ich. Meine Frau nahm einen Schluck und sagte: ‚Wenn ich flüssige Butter trinken will, dann mach ich Butter flüssig (und nicht eine Flasche Wein auf).‘ In der Nase ist der Stimson nicht besonders typisch, er riecht unendlich süß, mit Vanille und viel Honigmelone. Am Gaumen ist er deutlich typischer: cremig, weich, buttrig. Er hat Stärken: nicht so aufgesetzt laktisch wie viele Holz-Weißweine, schöne Mandarinen-Frucht, einen sehr animierenden Bitterton (wie in Bitter-Lemon) und hervorragend integrierte 13,5% Alkohol. Aber er hat auch Schwächen: er ist reichlich süß, säurearm und es fehlt an Tiefe. Er begleitet gegrilltes, mit Chili mariniertes Huhn bestens. Ich wollte ein Glas trinken und es wurde die halbe Flasche. An jenem Abend war er einfach lecker. Ist das jetzt ein Lob?

Landart, Riesling trocken, 2009, Rheinhessen. Es ist vielleicht das Newcomer-Weingut des Jahres in Rheinhessen, auch wenn der große ‚Buzzwein‘ ein Silvaner (der wirklich umwerfende ‚Erdrauch‘) ist. Zu dem habe ich mir neulich keine Notizen machen können, aber er ist wirklich so extraordinär wie alle schreiben. Der Gutswein fand nur Einzug in meinen Keller, weil noch ein Platz im Probepaket frei war. Aber dieser erste Gutswein, den ich seit gefühlten zwei Jahren in mein Weinglas ließ, hat es in sich. Die goldene Farbe und die Nase deuten es an: ein konzentrierter Riesling, mit Aloe Vera und Aprikose durchaus fett, mit Grapefruit und noch etwas Hefe aber auch sehr frisch in der Nase. Am Gaumen ist er voluminös aber nicht besonders dicht, fruchtig mit Mandarine und Ananas, nur verhaltene Säure, wenig Mineralik, ein leichtes Zuckerschwänzchen, ordentliches Spiel, unauffällige 12% Alkohol und ein langer Abgang. Ein sehr leckerer Gutsriesling weit über dem Durchschnitt – und das ist ein Lob.

Josef Rosch, Trittenheimer Apotheke 1.Lage, Riesling Auslese trocken, 2006, Mosel. In der Nase ist der Wein üppig mit Honig, Melone, (Dörr-)Aprikose und Aloe Vera. Das klingt ein wenig uniform verglichen mit dem, was ich zuletzt über diverse 2006er schrieb, aber das liegt vielleicht wirklich am Jahrgang und nicht an meiner mangelnden Fantasie. Am Gaumen bemerke ich eine leichte Botrytis-Schärfe, mürber Apfel, Aprikose, spürbare Säure; 13% Alkohol sind recht ordentlich eingebunden. Dazu kommt eine schöne Mineralik. Geschmacklich ist der Wein am oberen Limit von trocken. Der Abgang ist sehr lang, der Wein sehr lecker aber die letzte innere Spannung fehlt.

Die Wuchtbrumme

Die Welt ist voller Weine, die schmecken, als hätte der Winzer ganz viel gewollt. Erschreckend wenige Weine schmecken so, als hätte der Winzer erreicht, was er wollte. Ich freue mich immer besonders, so einen Wein im Glas zu haben, es kommt schließlich selten genug vor.

Es sei so reifes und gesundes Lesegut gewesen, wie man es vielleicht im ganzen Leben nicht mehr in die Finger kriegt, beschrieb Stefan Steinmetz vor einigen Jahren die Situation bei der Ernte seines Spätburgunders 2003. Der Wein war damals bei einer Probe ziemlich mächtig und mächtig zugeholzt. Da hatte der Winzer eine bewußte Entscheidung getroffen. Er wollte dem besonderen Ausgangsmaterial eine besondere Behandlung angedeihen lassen.

Es waren nicht mehr viele Flaschen da, also wanderte nur eine in meinen Keller. Jetzt ein paar Jahre später, kam die Probe aufs Exempel. Und der mächtige Wein hat sich mit dem mächtigen Holz vertragen. Ich wiederhole mich vorsichtshalber: ich habe ein rechtes Bibergebiss und bin wenig empfindlich bei Holzeinsatz – aber das bedeutet nicht, dass ich keinen Wert auf Balance lege.

Günther Steinmetz, Spätburgunder Auslese trocken **, 2003, Mosel. Unmittelbar nach dem Öffnen verströmt der Wein eine unglaubliche Frucht, das quillt aus dem Glas, füllt den ganzen Raum und erinnert mich an meine Begegnung mit Gajas Barbaresco – auch weil der Spätburgunder wenig typisch nach italienischem Kirschkitsch duftet. Der erste Schluck ist furztrocken, etwas karg und endet in einer Wand aus Holz und Teer. Mit einer Stunde Luft wird die Nase leiser, Blaubeere und Marzipan sowie ein wenig Joghurt tauchen auf. Am Gaumen fächert der Spätburgunder ebenfalls auf, er wird fruchtiger, süßer, schmeckt nach Kirsche und Pflaume, brennt ganz leicht, obwohl er 14,5% Alkohol gut integriert. Ein ganz strammer Wein mit Kraft, einem ordentlichen Säuregerüst, Mineralik und Tiefgang. Im Abgang zeigt sich reichlich Tannin, dass über die nächsten drei Tage gelegentlich die Oberhand gewinnt und dann austrocknend wirkt. Ein oder zwei Jahre weiterer Reife bedeuten für diesen Wein sicher einen Fortschritt. Der Abgang ist unendlich lang. Was für ein Tier!

Ganz eigennützig wünsche ich dem Winzer, dass er noch oft solches Lesegut in die Finger bekommt.

Völker der Welt, schaut auf diesen Wein!

Weinbau ist die einzige mir bekannte Branche in der Konsumenten Produzenten dafür beschimpfen, dass sie ihre Bedürfnisse befriedigen. ‚Gefällig‘ ist in den Kreisen der Weinverrückten, von denen ich mich nicht einmal halbherzig zu distanzieren vermag, alles andere als ein Lob für einen Wein. Hierbei finden wir uns in seltener Übereinstimmung mit unseren angelsächsischen Vettern, bei denen der ‚Crowd Pleaser‘ auch kein Ausdruck uneingeschränkter Begeisterung ist.

Die erfolgreichsten Produzenten sind diejenigen, welche aktuelle Verbraucherbedürfnisse mit Weinen befriedigen, die sie zusätzlich mit hochtrabenden Geschichten zu nonkonformistischen Heldentaten aufzujazzen vermögen. Einen Penfolds Grange würde niemand von der Bettkante schubsen, egal ob Profi oder Gelegenheitsweintrinker. Und vollreife Rieslinge trumpfen ob des späten Lesezeitpunktes regelmäßig mit jener milden Säure auf, die auch Rieslingskeptiker befriedet, wenngleich niemand zugeben würde, dass das ein Beweggrund für die Wahl des Erntetermins ist.

Ich bin kein Deut besser. Auch wenn ich das plötzlich allgegenwärtige Attribut ‚salzig‘ für einen Ausdruck kollektiver winzerlateininduzierter Autosuggestion halte, bin ich gegen ‚abgrundtiefe Mineralik‘ nicht immun. Ich mag‘s komplex und kompliziert, falle aber trotzdem auf dienende Restsüße herein. Nur manchmal setzt sich mein Massengeschmacks-Gen durch und der Uhlen R 2006 geht mir ob mastiger Reife und massiven Restzuckers beim vierten Schluck gegen den Strich, wie im vorrangegangenen Artikel beschrieben. Bei aller Tiefe wär‘s mir dann etwas flacher und trockener lieber.

Es war ein Zufall, dass der nächste Wein nach dem Uhlen ein ‚Basiswein‘ vom gleichen Erzeuger war. Der Riesling ‚vom blauen Schiefer‘ aus dem Jahr 2007 bietet von allem etwas weniger. Er ist auch aus hochreifem Traubenmaterial gekeltert aber eben weniger dick, mit weniger (gar keiner?) Botrytis, und viel weniger Restzucker. Ich fand den Wein deutlich besser – fast groß. Es ist ein ‚Crowd Pleaser‘ – aber was sagt das schon? Vielleicht bin ich bekloppt aber nicht bekloppt genug? So sei es. Mein Bankkonto dankt!

Heymann-Löwenstein, Riesling ‚vom blauen Schiefer‘, 2007, Mosel. In der Nase reifer Apfel und Aprikose aber vor allem ganz ganz viel Sahnekaramell; am Gaumen saftig, mit vollreifer Frucht (Ananas), milder Säure aber abgrundtiefer (haha!) Mineralik. Was an Säure fehlt, wird durch die Mineralik ausgeglichen, so dass der ‚vom blauen Schiefer‘ ein schönes Spiel zeigt. Der Wein ist vollmundig aber nicht fett, halbtrocken aber nicht zu süß und im Abgang wahnsinnig lang. Ich fand ihn zum Niederknien.

Und neben mir knien die Massen – stört mich nicht.