Linke Klebe

Ich weiß, ich weiß. Die WM ist lange vorbei, die Bundesliga pausiert noch eine Weile und überhaupt ist es allmählich gut mit der Anwendung von Fußball-Phrasen auf die Weinwelt. Aber wenn ich vielleicht noch einmal, also… so ein bisschen – wo mich der Gedanke doch schon so lange beschäftigt – und danach ist dann auch wirklich Schluss?!

Es geht um diesen wundervollen – eigentlich vernichtenden – Satz aus des Fernsehreporters Mund, gesprochen, nachdem ein Stürmer, der bekanntermaßen ein reiner Rechtsfuß ist, den Ball nicht mehr für einen Schuss mit selbigem vorlegen könnend, aus aussichtsreicher Position mit dem ‚falschen‘ Fuß kläglich scheitert:

Den linken Fuß hat er nur, damit er beim Schießen nicht umfällt.

In meinem bevorzugten Riesling-Anbaugebiet, an der Mosel, gibt es diverse Winzer, bei denen ich nach wiederholtem Probieren zu einem Fazit komme, das mich immer an diese Reporterfloskel erinnert: die trockenen Rieslinge macht der nur, damit die erste Spalte seiner Preisliste nicht leer bleibt. Das ist unlogisch, denn wenn der Winzer keine trockenen machte, könnte er die Weinliste ja in der ersten Spalte mit süßen Weinen beginnen, aber die Logik und ich, wir führen eine offene Ehe.

Einer dieser Kandidaten ist das Weingut Max Ferd. Richter aus Mülheim. Bei den süßen Rieslingen eine Bank, konnten mich die trockenen noch nie überzeugen. Doch wenn man seine Urteile nicht regelmäßig überprüft, werden sie zu Vorurteilen, selbst wenn sie ursprünglich richtig waren. Also habe ich es wieder getan. Ich bestellte mir von einer Restpostenliste einen trockenen Wein. Und was soll ich sagen? Die haben heimlich geübt. Das Ding sitzt – mit Links fulminant in den Winkel gehämmert.

Max Ferd. Richter, Mülheimer Sonnenlay, Riesling Auslese trocken, 2007, Mosel. In der Nase nicht ganz sauber: sehr süß, sehr fruchtig mit Rhabarber, Grapefruit, Zitrus,  Aloe Vera aber auch mit einem kleinen Azeton-/Essigstich. Am Gaumen ist der Wein fulminant und druckvoll, mundfüllend aber nicht zu fett, denn er zeigt einige Gerb- und Bitterstoffe, die zusammen mit einem tollen Süße-Säure-Spiel einen großartigen Spannungsbogen erzeugen. Aromen von Grapefruit, grünem Apfel und einem Hauch Erdbeere geben dem Wein eine Finesse, die ich bei 13,5% Alkohol nicht unbedingt erwartet hatte. Der Abgang ist sehr lang und von Mineralik aber auch von Gerbstoffen getragen. Ein sehr interessanter Wein auf dem Niveau eines Grossen Gewächses.

Meine erste ’76er Juffer-Sonnenuhr TBA

Die Aussicht auf den Genuss absoluter Weinikonen löst zuweilen zwiespältige Gefühle in mir aus. Ich halte es für – sagen wir mal ‚problematisch‘ – für Wein Summen auszugeben, die sich im hohen dreistelligen Euro-Bereich bewegen, solange so viel Not auf der Welt herrscht. Gleichzeitig ist es keine Lösung, die exaltierten Genüsse kategorisch zu verweigern. Das Problem ist auch nicht dadurch gelöst, dass jemand anderes die nötigen Gelder aufbringt und mich dann einlädt, kostenlos mitzutrinken.

Wenn ich jedoch jemandem begegne, der qua Geburt, Alter, Beruf oder Erbschaft im Besitz eines solchen Tropfens ist, ohne Hunderte von Euro berappt zu haben, dann lasse ich mich ohne Skrupel einladen und einem großen Tag in meiner Weintrinkerkarriere steht nichts mehr im Wege. In diesem Fall waren es sogar zwei große Tage, denn ich durfte die angebrochene Flasche mitnehmen und am zweiten Tag zuhause nachverkosten.

Die Eckdaten sind schnell zusammengefast: Die Brauneberger Juffer-Sonnenuhr ist eine der besten Lagen für Riesling Süßweine auf der Welt. 1976 gilt sogar 30 Jahre danach noch als Jahrhundertjahrgang und der Erzeuger gehörte damals mit zur Spitze des Gebietes. Die beiden VDP-Weingüter Willi Haag und Fritz Haag entspringen einer Erbteilung (irgendwann in den 60ern, wenn ich es richtig erinnere) und hatten in den 70ern noch einen ähnlich guten Ruf.

Willi Haag, Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Riesling Trockenbeerenauslese, 1976, Mosel. Der Wein hat eine Farbe, die man als Blümchenkaffee bezeichnen könnte oder – moderner – als MezzoMix. Vielleicht inspiriert mich diese dazu, dass ich im Wein Kaffee rieche, auch Kakao aber vor allem Sherry. Die Nase ist nicht berauschend und lässt keine große Vorfreude aufkommen. Am Gaumen ist der Wein richtig groß. Eine feine Süße trifft auf eine immer noch mächtige Säure, Pflaume, Dörraprikose und eine große Portion Malz dominieren. Der Wein hat überhaupt nichts Austrocknendes nach hinten raus, was bei den meisten Weinen dieses Alters, die ich getrunken habe, das Vergnügen mindert. Im Abgang fast frisch und unendlich lang. Das ist großer Stoff.

Aber es ist nur ein Wein.

Kreismeister

Ich verkneife mir für gewöhnlich Superlative. Das liegt daran, dass ich nicht genügend Zeit für Wein aufwände, um Deutungshoheit zu beanspruchen. Heute mache ich eine Ausnahme. Das fällt nicht schwer, weil im betreffenden Anbaugebiet wenige Winzer Weißburgunder der Premiumqualität produzieren. Also: Markus Molitors besternte Weißburgunder sind die Gebietsspitze, niemand an der Mosel kommt auch nur in die Nähe dieser Qualitäten. (Bei den häufig heftig spontanstinkenden Rieslingen hingegen, und erst recht bei den Spätburgundern, kann man ganz anderer Meinung sein.)

Markus Molitor, Wehlener Klosterberg *, Weißburgunder QbA, 2006, Mosel. In der Nase und am Gaumen fruchtiger als der 2005er im gleichen Reifestadium. Als wären die verwendeten Holzfässer weniger stark getoastet, ist der Wein in der Nase frei von Raucharomen jedoch mit einer guten Portion Vanille, dazu viel Birne und etwas Grapefruit. Auch fehlen Butter und Nüsse im Bouquet, werden durch eine Blütennote ersetzt. Am Gaumen weist er deutlich weniger Säure auf als seine Brüder aus 2005 und 2007, ist aber trotzdem noch recht spielerisch, was auch an vergleichsweise moderaten 13% Alkohol liegen mag. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist immer noch ein kräftiger, druckvoller und voluminöser Wein, aber keine Wuchtbrumme mit Dampfwalzenstruktur. Eine feine Mineralik trägt einen fruchtig-süßen nach Mandarine und Marzipan schmeckenden, sehr langen Abgang. Für mich nicht als 2006er zu erkennen und ein herausragender Wein.

Füllwein (16)

Nicht nur die Deutsche Nationalmannschaft hat mal einen schlechten Tag. Auch zwei meiner erklärten Lieblingswinzer ziehen mal was auf die Flasche, was mich nicht von den Socken haut. Das sind immer noch exzellente Weine aber nicht von der Brillianz, die ich von ihnen gewohnt bin. Ein relativer Nobody (hier im Schnutentunker aber schon mehrfach vertreten) konnte hingegen bezaubern.

Knipser, Kalkmergel, Chardonnay & Weissburgunder, 2004, Pfalz. In der Nase stören zunächst deutliche Alterstöne, regelrecht muffig ist der Wein. Nach einiger Zeit verfliegen diese Aromen. Der Wein verträgt noch einige Stunden Luft, ist eigentlich erst am zweiten Tag ein echtes Vergnügen. Dann in der Nase noch recht viel Holz, etwas Nuss, ein bisschen Birne aber insgesamt wenig Frucht. Am Gaumen ebenfalls noch spürbare Holzprägung, dazu buttrig, ziemlich mild in der Säure, typische Chardonnay-Aromen. Das ist ein angenehm gereifter holzlastiger Weißwein, der viel Genuss bietet aber nicht an Knipsers reinsortige Chardonnay-Auslesen heranreicht.

R.&C. Schneider, Sauvignon Blanc Spätlese ***, 2008, Baden. In der Nase buttrig und leicht böcksrig (also mit einem leichten Schwefelwasserstoffstinker), Jogurt, Grapefruit, minimal grüne Noten. Am Gaumen zeigt sich eine pikante Säure, die aber nicht zu dominant daherkommt. Der Wein ist relativ stoffig, cremig, mit Aromen von Grapefruit und brauner Butter, etwas eindimensional. Langer Abgang aber der Wein lässt mich etwas ratlos zurück. War er für kurze Zeit im Holzfass? Oder ist es lediglich ein langes Hefelager, das ihn prägt? Richtige Begeisterung kommt nicht auf.

Agritiushof, Oberemmeler Agritiusberg, Riesling Spätlese feinherb, 2005, Mosel (Saar). In gewisser Weise ist der Wein eine Mogelpackung: Winzer Alfred Kirchen bezeichnet als feinherb, was gesetzlich halbtrocken ist, und 13,5 Gramm Restzucker ergeben häufig einen sensorisch trockenen Wein, wenn man sie mit 8,2 Promill Säure verheiratet und fünf Jahre auf der Flasche reifen lässt. Doch der Wein ist saftig und kommt mit so viel süßer Pfirsichfrucht daher, dass er immer noch als nicht ganz trockener Riesling erkennbar ist. In der Nase noch frisch, kein Petrol, keine Firne, dafür Quitte und Aprikose etwas vollreife Ananas, ist der Agritiusberg am Gaumen ein voluminöser, saftiger Riesling, der seiner feinen Mineralik und der kräftigen aber nicht dominanten Säure verdankt, dass er die Balance hält. Nicht zu fett, nicht anstrengend – eher raffiniert und mit Spiel sorgt der Wein für jenen magischen Moment im Glas, der bei mir die 90 Punkte definiert.

Flasche leer (2)

Die Frage, was man bei 28 Grad Abendtemperatur auf der Terrasse zum Grillgut trinkt, beantworten gesundheitsbewusste Menschen zu Recht mit Wasser (oder Apfelschorle). Ich bin nur mäßig gesundheitsbewusst und deshalb greife ich gerne zu Wein, wenngleich in sehr geringen Dosen. Aus zwei Gründen ist es meist ein etwas rustikaler Rotwein: ich kühle sie wie einen Weißwein und es bleibt immer eine größere Menge übrig, so dass der Wein Tage im Kühlschrank überdauern können oder reuelos im Essigfass entsorgbar sein muss.

Trotzdem sollen meine Grillweine nichts weniger als großartig sein. Einen solchen zu finden, ist kein einfaches Unterfangen; bei Erfolg lagere ich daher ein paar Flaschen mehr ein. Von einem meiner beiden treuen Grillbegleiter der letzten Jahre habe ich mich gestern verabschiedet.

Knipser, Blauer Spätburgunder QbA, 2002, Pfalz. Der Wein schimmert im Glas schon eher rostbraun als rot. In der Nase etwas Vanille und Erdbeermarmelade, Kirsche und auch Marzipan. Am Gaumen ein bisschen Kirsche und nur noch wenig Tannin, immer noch spürbarer Einfluss vom Holz, eine eher milde Säure (was auch an der vergleichsweise kühlen Serviertemperatur liegen mag), leichte Mineralik und gut integrierter aber spürbarer Alkohol (13,5%). Der Wein zeigt eine stimmige Balance aus Saftigkeit und Holzausbau. Der Abgang ist mittellang. Nach hinten heraus gibt es erste Ermüdungserscheinungen, weshalb der Abschied zwar schmerzt aber keine Sekunde zu früh kommt. Mach’s gut, blauer Kamerad.

Vom anderen ist auch nur noch eine Flasche da. Die vorletzte konnte letzte Woche restlos überzeugen, wie alle Vorgänger seit 2007.

Günther Steinmetz, Pinot Meunier * (im Barrique gereift), 2005, Mosel. In der Nase vermutet man eine Hochzeit von Gamay und Nebbiolo: Lavendel und Veilchen mit einer teerigen Note, dazu Kirsche, Zwetschge und Lakritz. Am Gaumen präsentiert der Rotwein sich mit der Struktur eines großen Weißweines: ein Gerüst aus Säure und Mineralik trägt die Aromen von Pflaume und Wacholder. Eine Kombination aus Röstaromen und zurückhaltendem Tannin runden den Wein ab. Sehr langer von Mineralik geprägter Abgang. Trotz eines Verkaufspreises von viel zu billigen 6 Euro konnte Steinmetz den Wein nicht recht verkaufen, es gab ihn jahrelang auf der Weinliste. Kein Wunder also, dass der Schwarzriesling mittlerweile als Blanc de Noir gekeltert wird. So bleibt es bei diesem einmaligen Geniestreich und mir noch eine letzte Flasche davon.