Die Phasenphrase

‚Ein großer Wein ist in jeder Phase seines Daseins groß‘ ist eine gern verwandte Phrase in Weintrinkerkreisen – und auch in jenen wäre ich sehr für die Einführung eines ‚Phrasenschweins‘ also eines Sparschweins, in das jeder, der bei einem solchen Allgemeinplatz erwischt wird, ein paar Euro Bußgeld stecken muss. Solcherlei Brauch bewahrt die Zuschauer einer bekannten sonntäglichen Fußballtalkshow vor übermäßigem Phrasengedresche seitens der Diskussionsteilnehmer.

Wein kann eine Schwächephase haben

Außerdem: Die Behauptung, dass ein großer Wein zu jeder Zeit groß sei, ist meiner bescheidenen Meinung nach genauso falsch wie die Fußballweisheit, der ‚Pokal‘ habe ‚seine eigenen Gesetze‘. Zu viele tolle Weine habe ich schon weit jenseits ihrer Bestform getrunken (in ‚Verschlussphasen‘ oder schlicht zu früh) und was die angebliche Singularität des Pokalwettbewerbs angeht: auch im Pokal ist  der Ball rund und der nächste Gegner immer der schwerste.

Das Gegenteil ist allerdings auch nicht der Fall: so wie im Pokal nicht alle Gesetze der Liga gelten (beispielsweise dauert ein Spiel nicht unbedingt 90 Minuten) muss ein großer Wein nicht zwangsweise durch eine ungenießbare Phase gehen. Der folgende Wein hat mir zu jeder Zeit unglaublich gut gefallen. Bei Erscheinen wie im ersten, im zweiten und jetzt im vierten Jahr danach. Verlängerung und Elfmeterschießen überdauerte er bestimmt auch noch, aber eigentlich muss man darauf nicht warten. Meine letzte Flasche werde ich demnächst köpfen, getreu einer anderen populären Phrase: ‚Was man hat, das hat man‘.

Markus Molitor, Wehlener Klosterberg Weißburgunder ‚*‘ (QbA), 2005, Mosel. In der Nase immer noch der gleiche, recht intensive Holzton wie vor Jahren, dazu Rauch, Grapefruit und Joghurt. Am Gaumen wahnsinnig saftig durch eine schöne Kombination aus frischer Säure, Aromen von Mandarine und Grapefruit mit einem buttrigen Schmelz und Aromen von Haselnuss, Holz und Muskat. Eine feine Mineralik geht im recht üppigen Volumen nicht unter, 14,5% Alkohol sind so gut es geht integriert. Kein Leichtgewicht aber ein Wein, der ein Essen begleitet, ohne es zu erschlagen (naja, Spargel natur wäre vermutlich chancenlos). Extrem langer Abgang. 93 Punkte

2 Gedanken zu „Die Phasenphrase“

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