Wein Ioga

Wein-Ioga

Mein Weinleben kann ich in Dimensionen einteilen. Über die Webweinschule habe ich viel Kontakt mit Einsteigern. Bei Live-Veranstaltungen (zuletzt eher Videokonferenzen) unter anderem für Unternehmen treffe ich auch auf zum Wein gezwungene Biertrinker. Kernzielgruppe des Blogs sind Weinfreaks. Nur mit einer Zielgruppe komme ich mittlerweile eher selten in Kontakt: den Interessierten ohne große Ambitionen, die man hübsch als Ioga (oder Mehrzahl Iogas) abkürzen kann.

Wein-Iogas sind Besseresser, die sich gerne etwas gönnen, im Restaurant auch bereit sind, Weine von der Flaschenkarte zu ordern, auf dem Wochenmarkt einkaufen gehen und, wenn sie dann zuhause gut kochen, im Weingeschäft ohne Klagen 15 Euro für eine passende Flasche Wein bezahlen. Iogas haben nur nicht den Anspruch, alles über den Wein zu wissen. Sie notieren sich nicht, was sie getrunken haben und sie fachsimpeln wenig bis gar nicht. Was sie über Wein wissen, haben sie eher beiläufig aufgeschnappt. Je nach befragter Studie haben wir in Deutschland ein bis anderthalb Millionen Iogas (von rund 46 Millionen Menschen, die wenigstens gelegentlich eine Flasche Wein kaufen; die Zahl der Freaks dürfte sich im unteren sechsstelligen Bereich bewegen).

Benefiz aus großen Flaschen

Dieser Tage hatte ich mal wieder die Gelegenheit zur intensiven Beobachtung eines Rudels Iogas in freier Wildbahn. Anlass war ein von mir moderiertes Dinner zur Unterstützung meines Lieblingsrestaurants. Sie wissen schon: Corona ist ein A******ch. Die Gastronomie leidet besonders. Also haben mein Podcast-Partner Sascha und ich Wein aus unseren Kellern geholt und unserem Lieblingswirt kostenlos für ein Menü zur Verfügung gestellt. Um den Corona-Auflagen zu genügen, war die Zahl der Gäste inklusive uns auf 23 begrenzt, der Inhaber speiste am Katzentisch. Die Teilnehmer setzten sich aus sechs Freaks und 18 Iogas zusammen. Alle hatten immerhin 200 Euro bezahlt, um dabei zu sein.

Wein Großflaschen

Die einzigen extern eingeworbenen Flaschen war der Sekt zum Start. Es handelte sich um eine freundliche Stiftung der Sektmanufaktur Strauch, zwei Magnumflaschen des Rosé Prestige, den ich hier kennengelernt hatte. Danach gab es Rieslinge, Pinot, Rhone, Priorat und Bordeaux. Ich übernahm die Moderation, während Co-Star Sascha vor allem Feedback einholte. Am Schluss baten wir um eine Einschätzung der gereichten Weine. Die Ergebnisse waren überwiegend vorhersagbar. Es hat sich wenig geändert, allein mir fiel auf, dass ich noch nie drüber geschrieben habe. Also ein Mischbericht: Gute Weine – und was Iogas davon halten.

Bubbles beurteilen? Grob gerastert!

Sektmanufaktur Strauch

Meiner Erfahrung nach lassen sich Qualitätsunterschiede bei Rotwein am einfachsten erschmecken. Weißweine erschließen sich schon weniger Menschen. Bei Schaumwein ist die Zahl der Kenner winzig, die gute Weine von großen unterscheiden können. Den qualitativen Unterschied zwischen Massenware aus Tankverfahren einerseits und Premiumprodukt aus Flaschengärung andererseits mögen zwar die meisten erkennen, aber den Unterschied zwischen gutem Handarbeits-Sekt und einer Prestige-Cuvée erkennen selbst viele Freaks nur selten. Aber bei Bubbles gilt: Alle schauen auf die Champagne. Wer eine schöne Geschichte zu einem Sekt erzählt, in der die Champagne vorkommt, dem ist Aufmerksamkeit gewiss.

Strauchs Rosé ist einer der ganz wenigen deutschen Rosé-Sekte bei dem ein sortenreiner Grundwein aus Chardonnay versektet und dann erst in der Versand-Dosage mit einer kleinen Portion Rotwein (Pinot Noir und Meunier) gefärbt wird. Diese Vorgehen findet vor allem in der Champagne Anwendung (und bei Tankware, da aber mit anderer Motivation). Diese Geschichte fanden meine Iogas hochspannend. Der Sekt wurde anschließend mit größtem Vergnügen vertilgt. Einen wunderbaren Sekt zum Wein des Abends zu erklären, käme einem Ioga aber wohl nicht in den Sinn. Ich fand die Perlage enorm stark für ‚nur‘ 20 Monate Hefelager und den moderaten Preis.

Zucker geht nur verdeckt oder edel

Die beiden dann gereichten Rieslinge ergänzte eine Magnum ‚Alte Reben‘ 2009 vom Weingut Thanisch als Tischwein, bei dem derjenige zugriff, der mehr Durst hatte, als die Menüweine stillen konnten. Zu Lardo mit Schafgarbe und grünem Spargel war Emrich-Schönlebers A d.L. 2008 für mich gigantisch. Diese Frische! Dazu eine Zartheit, die man am besten mit ‚feine Klinge‘ umschreibt. Eleganz in gereiften Weißweinen ist auch so ein Freak-Thema. Für Iogas ist das einfach ein sehr guter Wein. Ganz anders der Uhlen-R 2008 von Heymann-Löwenstein. Ich fand den für H-L ganz stark, aber das ist ein vergiftetes Lob, denn die zweite Hälfte der Nullerjahre hat überwiegend Uhlen-Rieslinge hervorgebracht, die im Alter aberwitzig fett wurden. Dieser hier war vergleichsweise schlank, damit aber immer noch üppiger als der Thanisch aus warmem Jahr. Beide waren klassische ‚Blockbuster‘.

Riesling Spitzenweine

Iogas werden gerne als Pseudo-Trockentrinker verächtlich gemacht, also Menschen, die erklären, sie tränken nur trockene Weine um dann Primitivo, Amarone und Co. mit reichlich undeklariertem Restzucker zu loben. Das halte ich in der Pauschalität für ein Klischee, es gilt aber sicher für einzelne Weintrinker. Doch höchstwertigen Moselrieslingen, wie den hier gereichten, verzeiht jeder den Zucker, vor allem wenn sie als feinherbe Spezialitäten angekündigt werden. Wie populär die Weine am Ende waren, überraschte mich dann aber doch. Während sämtliche Freaks den A.d.L. als besten Weißwein sahen, kürten die meisten Iogas den Uhlen zum Wein des Abends – und zwar in der Gesamtbetrachtung von Rot und Weiß. Die Paarung zur Hummersuppe war zwar perfekt, aber das allein war es nicht, denn auch der Thanisch stach in der Zielgruppe den A.d.L. noch aus.

Pinot: schmier’s Dir in die Haare

Die Dramaturgie sah zum fünften Wein einen Mikro-Burger aus Kalb vor, damit endlich Grundlage in den Magen käme. Friedrich Beckers Spätburgunder Kammerberg GG 2008 zeigte eine zurückhaltende Frucht, Bleistift-Mineralik und deutliches Tannin der Kategorie ‚feinstes Teer‘ und hätte – uneingeschränkt positiv gemeint – auch als edler Barolo durchgehen können. Ein Freak war aus dem Häuschen, die anderen hoben anerkennend eine Augenbraue. Die Iogas leerten den Thanisch. Ich habe es nie anders erlebt: Pinot ist für Freaks. Normalweintrinker können damit seltenst etwas anfangen. Die meisten Teilnehmer mochten den Wein richtiggehend nicht.

Nach einem puristischen Sorbet wollten wir zurück auf Weiß. Zum Wels mit Vanille in der Sauce hatten wir einen 2012er Schlossberg Chardonnay von Huber ausgewählt. Wels gehört neben Schwertfisch für mich zu den Fischen, die entweder Holz im weißen oder sogar zarten Rotwein vertragen. Zum Glück kann ich frühe Zeugnisse dieser Behauptung beibringen.

Der nicht gefälschte falsche Huber

Huber Chardonnay falsch etikettiert

Denn aus der Magnumflasche Huber-Chardonnay ergoss sich ein Rotwein. Das war ziemlich sicher ein Pinot, sehr wahrscheinlich von höchster Güte, aber was es war, wissen wir bis heute nicht. Den Weg der Flasche in Saschas Keller konnten wir zwischenzeitlich nachvollziehen, der ursprüngliche Käufer ist am Weingut bekannt und über jeden Zweifel erhaben. Allein die naheliegendste Lösung fällt aus: es kann kein Schlossberg Pinot statt Chardonnay gewesen sein, da Hubers 2012 den Schlossberg Pinot nicht in Magnums füllten. Allein die Tatsache, dass die Iogas schon wieder nichts damit anfangen konnten, sollte aber als Beweis ausreichen, dass es wohl ein Pinot war.

Hermitage La Chapelle Jaboulet Ainé

Das brandenburger Reh gab es dann als zweigeteilten Gang: medium gebraten der Rücken, geschmort die Keule. Als Tischwein für Durstige gab es den ‚einfachen‘ Côte-Rôtie 2012 von Guigal, zum Rosa gebratenen den Hermitage ‚La Chapelle‘ 1996 von Jaboulet Ainé und zum geschmorten einen Chateau Beau-Séjour Bécot 2005. Von letzterem gab es drei Eintel, da ich keine Magnum Bordeaux besitze. Der La Chapelle war auf den Punkt reif, sehr nobles Tannin, elegante Frucht und im Druck nicht zu klotzig, ein feiner Wein, der uns Freaks viel besser gefiel, als 93 Parker-Punkte erwarten ließen. Für die Mehrheit der Iogas der Rotwein des Abends, aber lange nicht so populär wie Heymann-Löwenstein. Die Freaks verteilten sich recht gleichmäßig auf die Pinots und den La Chapelle.

Bdx 2005 – ran an den Speck

Dessert

Der Saint-Èmilion Premier Grand Cru Classé B war ein wunderbarer ‚Männerwein‘: satte Frucht und deutliches Tannin. Als die 2005er Subskriptionskampagne damals lief, sprach ich mit mehreren Mitt-Fünfzigern, die überlegten, den Jahrgang auszulassen, da sie fürchteten, die Trinkreife dieser Wuchtbrummen nicht mehr zu erleben. Die Sorge scheint unbegründet, der Beau-Séjour Bécot 2005 hat sicherlich noch ewig Reserven, ist aber jetzt durchaus trinkbar. Ähnliches hört man von vergleichbaren 2005ern. Ein erstes Heranwagen an etwaige Bestände des Jahrgangs erscheint mir sehr lohnenswert. Der Côte-Rôtie 2012 von Guigal wirkte im übrigen gegen diese beiden Weine wie der leicht prollige Cousin, der gerade aufgepumpt aus dem Fitness-Studio kommt. Sehr laut in der Frucht, bisschen zu alkoholisch, sicher ganz schön, aber selbst ohne die starke Konkurrenz wäre mir der Wein viel zu teuer.

ÜrzWürz – Erdbeeren mit Sahne

Weil wir Freaks ja nie genug kriegen, gab es außerplanmäßig dann noch zwei Flaschen La Basseta 2004 aus dem Priorat. Der kam höchst unterschiedlich an. Auf meiner Seite des Raumes hielt sich die Begeisterung in Grenzen, es gab vom anderen Ende des Speisesaales aber auch sehr positive Stimmen, die zweite Flasche war wohl besser. Unsere war schon sehr weit in Reife und Oxidation.

Eiswein-Roulette

Zum Dessert gab es eine Magnum 2012 Ürziger Würzgarten Riesling Spätlese von Jos. Christoffel jr.. Die war wahnsinnig typisch, was heißt, dass sie tatsächlich nach Erdbeeren mit Schlagsahne schmeckte, wie man das Rieslingen aus der Lage gelegentlich nachsagt. Hier war das extrem und passte perfekt zum Dessert, das ebenfalls Erdbeeren enthielt. Wir ließen den Abend dann mit Eiswein-Roulette ausklingen. Mit verschlossenen Augen wählte ich für die verschiedenen Tische einen Eiswein aus. Die gingen von 25 bis 80 Euro, stammten vierfach vom Eisweinpapst Harald Hexamer, einmal von Martin Korrell und einmal von Jakob Schneider. Die Augen leuchteten, aber die Flaschen wurden nicht leer, da waren Iogas und Freaks dann einmal uneingeschränkt einer Meinung. 

9 Gedanken zu „Wein-Ioga“

  1. Mit Aufmerksamkeit habe ich den Artikel gelesen, weil ich eure Aktion sehr spannend fand, auch wenn Berlin für mich leider viel zu weit weg ist. Beim Lesen hatte ich allerdings ein mulmiges Gefühl im Bauch. Irgendwie empfinde ich die Einteilung und vor allem die Begrifflichkeiten als nicht sonderlich passend.
    Vor allem „ohne große Ambitionen“ hat für mich einen negativen Beigeschmack. Abgesehen davon finde ich die binäre Gegenüberstellung von Freak und Ioga zu stark vereinfachend. Das ist in Bernhard Fiedlers Blog deutlich differenzierter und amüsanter gelungen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die „Iogas“ bei eurem Dinner einfach nur Interessierte waren, die ab und an mal 15€ für einen Wein ausgeben und Infos über Wein nur beiläufig aufschnappen. Zumindest vermute ich, dass
    Bisher habe ich alle eure Folgen Blindflug gehört, viele Artikel hier im Blog und auch dein Buch gelesen, lieber Felix. Daher weiß ich, dass das definitiv nicht so gemeint ist, wie ich es empfand. Aus deinem Kommentar vom 16.06.2020 um 12:23 Uhr geht bereits deutlich hervor, dass das nicht deine Absicht war. Dennoch wollte ich kurz anmerken, wie die Geschichte – zumindest bei mir persönlich – rüberkam. Bitte nimm mir die Kritik nicht böse. Ich freue mich auf weitere Blogeinträge und viele Folgen Blindflug mit dem lieben Sascha.

    1. Naja, das ganze steht und fällt damit, dass Du mir glaubst. Doch, die Mehrheit hat das Ticket aus Solidarität mit dem Parkstern gelöst (okay, genau so hätte ich das vielleicht einfach formulieren sollen) und ja, zwei oder drei der Iogas standen vielleicht an der Grenze zum Freak (andererseits gab es auch ein paar eher desinteressierte Ehefrauen, die ich aus Gründen nicht weiter besprochen habe). Am Ende ist es immer das Gleiche: vereinfachen heißt verdeutlichen und dieses Blog zählt seit elf Jahren auf ein gewisses Wohlwollen seiner Leser.

  2. Die unterschiedlichen Weintrinkertypen kann man auch gut auf jeder anspruchsvollen Weinmesse beobachten und in Aktion erleben. Mich würde interessieren, in welche Kategorie sich die beiden Blindflieger einordnen.

    1. Bernhard Fiedler hat mal eine ganz wunderbare Einteilung von Weinmesse-Teilnehmern (Besucher wie Aussteller!) geschrieben und da kommen die Iogas durchaus auch vor, es gibt aber mehr als drei Kategorien und andere Unterscheidungsmerkmale: http://www.bernhard-fiedler.at/weblog/?p=5248. Wie schon auf George geantwortet: das Wort Kenner taucht hier absichtlich nicht auf. Es gibt vier Gruppen: Biertrinker, Weinanfänger (die können sich zu Freaks oder Iogas entwickeln), Interessierte mit eher geringen Ambitionen und Hochinteressierte/Freaks. Sascha sieht sich als Weinanfänger, ich mich als Biertrinker, als was auch sonst 😉

  3. Super Bericht welchen ich absolut nachvollziehen kann. Bei einigen 75cl Flaschen sehe ich aber nur eine Flasche auf dem Bild, wie soll das gehen für 23 Teilnehmer. Probeschluck und eventuell etwas Satz muss man ja auch noch einbeziehen.

    1. Schauen Sie einfach noch mal genau hin, die Einzelflaschen sind sämtlichst Magnums, ganz einfach zu erkennen, wenn Sie rechts im Bild die drei Eintel Bordeaux und zwei Eintel Priorat sehen. Burgunder-Magnums sehen immer ein bisschen mickrig aus, besonders neben Schlegel-Magnums.

  4. Nicht alle Weintrinker sind gleich aber manche sind gleicher. Ich mag Pinot zum Glück und zähle mich daher zu den Kennern.

    1. Das Wort Kenner habe ich ganz bewusst vermieden. Ich kenne Freaks, die haben mittelmäßig viel Ahnung und Iogas mit fotografischem Gedächtnis, die über viel Wissen verfügen.

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