Simple Genüsse (9)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Notizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für besonders befunden habe.

Markus Molitor, Erdener Treppchen, Riesling Kabinett trocken, 2007, Mosel. In der Nase immer noch ein rechter Spontistinker dazu Apfel und Waldmeister. Am Gaumen cremig, die Säure ist erstaunlich mild. Aromen von Sahne, Grapefruit und Erdbeere vermengen sich mit leichter Mineralik und dezenten Gerbstoffen. Der Wein ist nicht besonders trocken, das Spiel verhalten, der Alkohol mit 11,5% erfreulich unauffällig. Den Abgang fand ich extrem lang und wiederum cremig, aufgepeppt von etwas Mineralik. Mit Luft verliert der sehr ansprechende Kabinett die Spannung und wird am zweiten Tag ein wenig banal. Am ersten fand ich ihn hervorragend.

Kees-Kieren, Graacher Himmelreich, Riesling Spätlese *, 2009, Mosel. Der Wein ist noch sehr jung, was sich vor allem auf die Nase auswirkt, denn neben jeder Menge süßer Frucht, Litschi, Erd- und Himbeere sowie Mandarine zeigt sich ein leichter Stinker und Hefe. Am Gaumen ist der Wein cremig, sehr süß und dick aber glücklicherweise auch mit straffer Säure – das ergibt ein tolles Spiel. Die Fruchtaromen sind komplex und vielleicht nicht jedermanns Sache, neben Mandarine findet sich da eine Beerenaromatik, die meine Frau zum spontanen Ausruf ‚Campino!‘ veranlasste – stimmt: Erdbeer-Joghurt-Campino trifft‘s am besten. Dazu satte Mineralik und ein sehr langer Abgang. Die Spätlese hat einen wichtigen Preis gewonnen. Ich habe mir nicht gemerkt welchen, verstehe aber warum. Ich finde den Wein grandios.

Manz, Riesling Spätlese trocken
Riesling, wie er im Buche steht

Manz, Riesling Spätlese ‚Am Turm‘, 2007, Rheinhessen. Man nehme ein allgemeines Weinbuch und lese die Beschreibung des Rieslings. Da steht in der Regel etwas über Aromen von Aprikose und Zitrus, vibrierende Säure und (bei entsprechender Herkunft) spürbare Mineralik – und genau solche archetypischen Rieslinge macht das Weingut Manz meiner Meinung und Erfahrung nach. Beim ‚Am Turm‘ kommt Zitrus als Grapefruit daher, was nichts Ungewöhnliches ist. 13% Alkohol verleihen dem Wein etwas mehr Druck, ohne ihn zu fett oder scharf zu machen und 4 Jahre Lagerung fügen etwas Würze und Tiefe hinzu. Jung war dieser Riesling‘ ein Spaßwein, jetzt ist er einfach ein archetypischer trockener deutscher Riesling der mittleren Gewichtsklasse. Mir macht er Freude, auch wenn er etwas wenig Ecken und Kanten hat.

R. & C. Schneider, Weißer Burgunder Spätlese ‚Trio‘, 2008, Baden. Lieblingsweingut (oder so ähnlich), Lieblingswein (einer von mehreren) und ein ordentlicher Jahrgang – da kann nix schiefgehen. Der 2008er ist klarer und straffer als beispielsweise der 2006er und im Keller wurde ihm dazu passend weniger Holz anerzogen. Mandarine, Birne, Quitte und Apfel sowie nur etwas Holz in der Nase, am Gaumen eher saftig als cremig, wunderbar klar und mitteldick, überzeugt der Wein mit einem harmonischen Mix aus Frucht, Säure und nur etwas Holz bei unauffälligen 13% Alkohol. Der Abgang ist sehr lang und dank leichter Gerbstoffe animierend. Passt alles bestens zusammen!

Braune Lage

Für mich schmecken Rieslinge aus dem Graacher Domprobst irgendwie immer ‚braun‘. Ich weiß, dass das eine sehr persönliche Assoziation ist, eine Eselsbrücke ohne Wert für irgendjemand anderen als mich. Die beiden Graacher Steillagen Domprobst und Himmelreich sind keine reinrassigen Schieferlagen sondern zusätzlich mit relativ fetten Böden durchzogen (was auch immer das heißen mag). So lernte ich einmal beim Besuch eines Weingutes, das Parzellen in diesen beiden Lagen bewirtschaftet. Leider erinnere ich nicht mehr, was zuerst da war: die farbliche Assoziation beim Genuss der Weine oder die Information über den vergleichsweise hohen Erdanteil. Glauben will ich ersteres, wahrscheinlich ist wohl letzteres.

Es ist aber kein erdbraun, was ich da im Glas wähne, es sind wiederkehrende Aromen von Karamell, Malz sowie Kemm‘schen Kuchen und die sind tatsächlich farblich alle eines: braun (naja, sagen wir bräunlich). Und ich finde diese Aromen in Weinen von Molitor, Kees-Kieren oder Pohl-Botzet – der Winzerstil scheidet als Ursache also aus. Dieser Tage habe ich zwei Weine aus dem Domprobst parallel offen gehabt.

Kees-Kieren, Graacher Domprobst Riesling Spätlese trocken, 2009, Mosel. In der Nase zeigt der Wein einen leichten Spontistinker und eine grasige Note neben sortentypischen Düften von Aprikose, Zitrus und Mandarine. Am Gaumen zeigt der Wein bei mittlere Volumen ziemlich viel Druck. Ich finde der Wein hat schönes Spiel. Die recht straffe Säure wird von viel Frucht gepuffert aber auch von fast 8 Gramm Zucker. Ein Korb von Früchten (Mango, Banane, Aprikose und Mandarine) trifft auf eine prickelnde Mineralik und deutliche Karamelltöne nebst etwas Malz. Der Abgang ist sehr lang, der Alkohol sehr zurückhaltend (12%). Wenn man diesen nicht knochentrockenen Stil mag, ist das eine wunderbare Spätlese der etwas kräftigeren Art.

Kees-Kieren, Graacher Domprobst Riesling Kabinett feinherb, 2009, Mosel. In der Nase ist er reiner, mit einer Spur Hefe und ansonsten klarer Frucht von Apfel, Birne und Banane sowie Pistazie. Am Gaumen zeigt er deutlich mehr Süße und ansonsten ein vergleichbares Bild. Schönes Spiel, noch mehr Mineralik aber auch noch mehr Karamell und Malz. Der Abgang ist etwas kürzer, die qualitative und preisliche Abstufung zum Kabinett ist gerechtfertigt. Ein süffiger feinherber Wein, wie ich ihn mag.

Und heißt das nun, dass ich Graacher Weine blind zu identifizieren wüsste? Wohl eher nicht. Manchmal, wenn ich nachts auf der Suche nach Ruhe meinen unsteten Geist in seichte Gedanken schicke, sitze ich in einer illustren Runde und es wird blind ein Riesling kredenzt, der mir eine Fülle von braunen Aromen offenbart. Doch bevor ich meine Mitstreiter mit einem nonchalant hingeworfenen ‚Ah, ein Graacher Domprobst‘ beeindrucken kann, bin ich schon eingeschlafen.

Dementia praecox

Dieser Tage hatte ich Lust auf einen besonderen Riesling aus dem hervorragenden Jahrgang 2005. Meine Wahl fiel auf eine Auslese ** trocken aus dem Graacher Domprobst vom Weingut Kees-Kieren. Doch schon unmittelbar nach dem ersten Schluck hatte ich keine Lust mehr auf den Wein: so fett, so mächtig und mastig kam der Bolide daher. 13,5% Alkohol, überreife Frucht, Karamell bis zum Abwinken und eine Säure, die mir zu mild war, um all das ansprechend zu strukturieren. Tagelang versuchte ich mich nippend an dieser Interpretation eines Moselrieslings, die meines Erachtens unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fiel.

Nach Tagen kamen ein paar Freunde vorbei, denen ich den Wein präsentierte. Meine parteiische Vorstellung des Tropfens hatte keinen Effekt. Ich war der einzige im Raum, der den Wein nicht gut fand. Alle anderen waren angetan und die noch fast volle Flasche rasch leer.

Trotziges Kind, das ich manchmal sein kann, holte ich einen Tag später den ‚kleinen Bruder‘ des Gewächses aus dem Keller, um ganz alleine einen Wein zu genießen, der Mosel noch so interpretiert, wie Mosel sein soll:

Kees Kieren, Graacher Domprobst, Riesling Spätlese trocken, 2005, Mosel. In der Nase dominieren Fruchtaromen, vor allem Rhabarber und Pfirsich, dazu immer noch leicht blumig aber auch erste Reifenoten. Am Gaumen ist der Riesling sehr balanciert: milde aber präsente Säure, volle Schiefermineralik mit leicht malziger Note, saftig, Mandarine, Aprikose, ziemlich voll aber nicht fett mit 12,5% Alkohol perfekt im Gleichgewicht. Relativ langer Abgang. Kratzt an 90 Punkten.

Unterstützung für meine Meinung, dass ein Moselriesling so zu sein hat, suchte ich auch im Netz, wo ich rasch eine Verkostungsnotiz zur Auslese fand, die ebenfalls auf die extreme Karamell-Aromatik abhob. Sie endete allerdings im begeisterten Fazit: ‚ Kein filigraner Moseltänzer – dieser Wein stampft eher eine herzhafte Polka im 95-Punkte-Takt.‘  Das Problem an dieser VKN war ihr Autor: sie stammt von mir. Ich habe sie letztes Jahr hier in meinem Blog veröffentlicht.

Ich würde gerne etwas Kluges zur Erklärung oder meiner Verteidigung schreiben, allein mir fällt nichts ein. Außer der hier vielleicht: Kommt ein Mann zum Arzt: ‚Herr Doktor, Herr Doktor, ich bin schizophren, brauche ich da zwei Lohnsteuerkarten?‘ – ‚Nur wenn Sie beide arbeiten wollen!‘.

Der gute Vorsatz zum neuen Jahr

Glücklicherweise bewegt sich mein Körpergewicht in halbwegs normalen Dimensionen, Sport zu treiben kostet mich keine große Überwindung und Rauchen gehört nicht zu meinen Lastern. So kann ich mir zum neuen Jahr einen ganz banalen Vorsatz wählen.

Ich will in 2010 meinen Bestand an trockenen 2005er Rieslingen erheblich reduzieren.

Denn anders als ich das einmal erwartet hatte, scheinen diese Weine ziemlich schnell zu reifen. Teilweise haben einige trockene Grosse Gewächse des Jahres schon deutlichere Reifenoten als manches aus dem Jahr 2004, was ich in letzter Zeit trinken durfte. Dabei halte ich den Jahrgang immer noch für in weiten Teilen großartig – aber eben nicht so langlebig wie ursprünglich von mir einmal angenommen. Da ich fast alles, was ich noch habe in zweifacher Ausfertigung besitze, kann ich im Einzelfall immer noch entscheiden eine Flasche weiter reifen zu lassen. Ich werde über die Ergebnisse berichten und fange mit diesem hier an:

Kees-Kieren, Graacher Domprobst, Riesling Spätlese trocken ‚S‘, 2005, Mosel. In der Nase ist der Wein eher karg: etwas Pfirsich, viel Grapefruit, wenig Marzipan, angeschlagener Feuerstein. Am Gaumen voll, saftig, mürber Apfel, Grapefruit, gutes Spiel von Süße und Säure, geschmacklich nicht sehr trocken, eher die moderne Stilistik mit starker Ertragsbegrenzung, sehr später Lese und relativ hohem Restzucker. Die Mineralik geht eher ins rauchig-dunkle, der Abgang ist sehr lang. Ich finde den Wein trinkreif und werde auch die zweite Flasche dieses Jahr ihrer Bestimmung zuführen.

Ich wünsche allen Lesern ein glückliches neues Jahr.

Großes Gelage (3)

Graacher Domprobst Riesling ** Großes Gewächs, Mosel, 2005, Kees-Kieren. Mit 13,5% Alkohol ist dieser Riesling jahrgangsbedingt ein richtig fetter Brummer. In der Nase Pfirsich, Maracuja, Honigmelone, Mango und überreife Ananas gepaart mit einer leicht karamelligen Note. Am Gaumen dann sehr viel mehr Sahnekaramell, Schiefermineralik, Großes Gelage (3) weiterlesen