Punkteschleudern im Messlabor

Manchmal ist die Online-Weinszene ein schrulliger Haufen. Als dieses Jahr die Diskussion über die neuesten Ausgaben der gängigen Weinführer trotz mehrfacher Versuche nicht in Gang kommen wollte, versammelte man sich schließlich auf verschiedenen Webseiten, um episch darüber zu diskutieren, warum dieses Jahr denn nicht über den ,Gault Millau‘ diskutiert wurde. Wer da auf die Idee kommt, dem einen oder anderen fehlte es an sinnvollem Zeitvertreib, der liegt so falsch vermutlich nicht.
Ich hatte zu viel zu tun und muss mich deswegen wieder mit Verspätung äußern, dafür stellt mein Beitrag gleichzeitig eine Art Jahresrückblick dar – und da bin ich mal einer der ersten.
Die fehlende Reaktion auf die gedruckten Weinführer ist für mich die logische Konsequenz aus einem Trend, den ich seit einigen Jahren eher spüre als messe und dessen Manifestationen 2012 so vielfältig waren, dass ich vom Beginn eines Paradigmenwechsels sprechen will.
Punkte verlieren an Bedeutung. Und mit ihnen büßen diejenigen an Bedeutung ein, die sich vor allem über die Vergabe von Punkten definieren.
Punkte, wie sie Gault Millau, Eichelmann oder Wein Plus vergeben, sind viel mehr als Punkte. Sie sind Ausdruck einer Einstellung: Die Qualität von Wein ist messbar und wir haben die sensorischen Fähigkeiten dazu. Wir vom Weinführer haben keinen Gaumen, wir haben ein kleines Messlabor zwischen den Kiefern und 89 Punkte heißen nicht ,wir finden den Wein 89 Punkte‘, sondern ,der Wein ist 89 Punkte‘. Doch dieser Aussage schenken immer weniger Menschen Glauben. Nachdem sich alle bedeutenden Weinführer in den letzten Jahren teils massiv widersprochen haben und vor allem nachdem jetzt deutlich wird, dass kaum eine Prognose der optimalen Trinkreife aus den Führern richtig ist, wackeln die Throne.
Zugegeben: Punkte sind allgegenwärtig, kaum ein Mailing oder Prospekt kommt ohne aus. Ich könnte mir vorstellen, mindestens jede zweite Kaufentscheidung im gehobenen Segment ist irgendwie mit Punkten unterfüttert. Aber in der öffentlichen Diskussion spielen sie eine geringere Rolle. Es ist gängige Praxis guter Händler, alle Führer auszuwerten – irgendeine überdurchschnittliche Bewertung hat jeder Wein. Aber die Zahl der Konsumenten, die die Weinführer kaufen, um sie zu lesen, wird immer geringer, wenn ich den Stichproben im eigenen Freundeskreis vertrauen darf. Man braucht sie nicht mehr, denn der Handel bombardiert einen kostenlos mit den hohen Bewertungen.
Gleichzeitig war 2012 ein Jahr, in dem ich mehr und mehr Berichten begegnet bin, die sich nur der Begeisterung rund um Wein widmeten. Zum einen gibt es neue Formate wie Wein am Limit von Hendrik Thoma, in denen mit Begriffen wie ,Soulfaktor‘ für die Qualität eines Weines deutlich gemacht wird, dass diese eher empfunden als gemessen ist – Soulfaktor klingt nicht nach Labor. Stuart Piggot macht auch mit, turnt in seiner schon in die zweite Verlängerung gehenden Sendereihe Weinwunder Deutschland durch die Republik, um Subjektivität und Begeisterung zu versprühen. Seinen Weinführer hingegen hat er eingestellt. Jüngst veröffentlichte er in seinem Weinhier-Newsletter einen Bericht zu einer Silvanerprobe, bei dem er sich gewissermaßen entschuldigte, dass er in Probensituationen zur Differenzierung Punkte verwendet.
Carsten Henns Weinentdeckungsgesellschaft und das von ihm betriebene Vinum-Blog sprühen vor Liebe zum Wein und kommen ohne Punkte aus, in seinem Webprojekt ,Missionswerk Öxle‘ präsentiert er die Spassguerilla-Variante eines Wein-Kreuzzugs, ohne das Wort Punkte auch nur in den Mund zu nehmen – die Information, dass er als leitender Mitarbeiter auch eine Funktion bei der Punkteschleuder Gault Millau hat, muss man auf seiner Homepage lange suchen.
Stephan Reinhardt hat als Chefredaktor erst dem ,Weinwisser‘ (ein Einkaufsführer für besserverdienende Eidgenossen, die eine Anleitung zum Kauf von Weinen jenseits der 70 Franken benötigen) ein Social-Media-Event zum Thema Gewürztraminer angetan und ihn dann verlassen (ob es einen Zusammenhang gibt, weiss ich nicht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das Wort ,Missverständnis‘ zu dieser Liaison besser passte als ,Liebesheirat‘). Reinhardt übernimmt jetzt die Vinum und die Reaktionen der Weinwelt auf diese Personalie war vor allem die Formulierung von Hoffnungen, die Vinum könnte wieder zu einem sinnlichen Leitmedium für wahre Weinfreunde werden – eine Sehnsucht, der ich mich anschließe.
Die Reaktion des konservativen Teils der Weinwelt fällt wütend aus. Ein bekannter Verkoster eines Internetportals spricht beinahe wöchentlich Menschen (die er allerdings nie namentlich nennt) die Verkostungsbefugnis ab, weil sie ,Fruchtsüße nicht von Restzucker‘ oder ,Mineralik nicht von Phenolen‘ unterscheiden können, als käme es darauf an. Ein gelernter Journalist erklärte neulich auf Facebook, dass bloggende Weinhändler oder Sommeliers in etwa so problematisch seien, wie eine Nachrichtensendungen produzierende Bundesregierung – die Nerven scheinen blank zu liegen bei denen, die ihre Bedeutung schwinden sehen. Dazu zoffte sich die Weinwelt gleich mehrfach in diesem Jahr, ob die Verwendung des Begriffes ,lecker‘ dem Untergang der Weinkultur Vorschub leiste.
Die Demarkationslinie verläuft im Zickzack. Das präzise Messlabor findet sich im Mund von Profis wie Amateuren. Es gibt auch Hobby-Blogger die nicht müde werden zu erklären, wie ausgeprägt fein ihre Sensorik und unbestechlich ihre Punkteskala sei. Die von Dirk Würtz in seinem Blog und an anderer Stelle wiederholt ausgesprochene Einladung zu einer Blindverkostung zwecks Erbringung des Nachweises dieser herausragenden Fähigkeiten wird auch 2013 nicht angenommen werden, da wette ich eine der Flaschen Rüdesheimer Berg Rottland 2011, die der Würtz mir noch für meine zahlreichen Gastbeiträge auf seinem Blog schuldet (Achtung, Dirk: Zaunpfahl!).
Einer solchen öffentlichen Entzauberung bedarf es auch nicht mehr. Ich glaube, der Bann ist gebrochen. Gehört wird verstärkt derjenige, der auf ansteckende Art und Weise Gründe für seine Begeisterung liefert und nicht, wer am schneidigsten Verkosterfähigkeiten proklamiert oder Deutungshoheit beansprucht. Ich folge dem Weinzirkus jetzt gute sieben Jahre und es ist das erste Mal, dass ich den Eindruck gewinne, der Trend sei unumkehrbar. Darüber freue ich mich. Noch schöner wäre es, wenn die Entwicklung so von allen Teilnehmern aufgegriffen wird, dass alle Weinführer eine Zukunft haben und keine Arbeitsplätze verloren gehen. Aber damit das möglich wird, müsste der Gault Millau Markus Molitor erst mal die fünfte Traube verleihen…
Molitor_ZEltinger_SonnenuhrMarkus Molitor, Zeltinger Sonnenuhr, Riesling Kabinett trocken, 2007, Mosel. In der Nase mürber Apfel, etwas Aprikose, eine zarte Reifenote und Hefe, keine störenden Spontitöne. Am Gaumen zart, leicht aber nicht dünn, feine Säure, Apfel und Melone, ziemlich trocken, enorm mineralisch, leicht malzig, etwas kräutrig, mit viel Tiefe und sehr langen Abgang. 11,5% Alkohol sind völlig unauffällig.
Ich versuche mal, meine Begeisterung zu begründen: Dieser Wein ist leicht und verspielt aber dennoch von berauschender Intensität. Ihm mangels Konzentration die Größe abzusprechen, wäre wie Lionel Messi mangels Körpergewicht aus der Champions League auszuschließen. Vielleicht holen sich die Gault-Millau-Verkoster bei der nächsten Molitor-Probe Unterstützung aus der Redaktion des kicker. Dann klappt‘s auch mit der fünften Traube.

Hirn aus!

Manchmal kann es ganz schön nerven, ein Weinblogger zu sein. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema steht dem Genuss schon gelegentlich im Weg. Mache ich mir nach sieben Jahren Teilnahme an Internetdiskussionen heute einen Wein auf, dann läuft ganz ohne mein Zutun eine kleine Checkliste durch meinen Kopf. Diskussionen der Vergangenheit erzwingen die Fragestellungen der Gegenwart. Trinke ich ein Großes Gewächs, sieht die Checkliste beispielsweise so aus:

  • Ist dieser Wein mastig, auf Show getrimmt, nur für Verkostungen und Etikettentrinker – oder kann man den auch gemütlich süppeln?
  • Wäre eine trockene Spätlese nicht die bessere Alternative?
  • Ist der vergleichsweise hohe Preis gerechtfertigt?
  • Wie ist er vergoren (oder zumindest: wonach schmeckt und riecht das)?

Dazu kommen dann die jahrgangsspezifischen Fragen wie ,Schmeckt man die fehlende Säure?‘ (2009, 20011) oder ,Bestätigt er das Vorurteil, der Jahrgang reife schlechter als erwartet?‘ (2007). Auch Fragen nach der Herkunft programmieren sich von selbst. Manchmal möchte ich in solchen Situationen mein Hirn ausschalten oder wünsche mir einen Mann mit schwarzem Anzug und einem ,Blitzdings‘.

Zwei Mittel zur Abhilfe gibt es für mich. Entweder ich trinke einen Wein, über den ich schon gebloggt habe. Dann ist alles gesagt, das Hirn macht Pause und ich genieße reuelos. Oder ich mache mir etwas auf, wozu ich absolut keine Meinung habe – einen Österreicher zum Beispiel. Ich bin mir zwar bewusst, dass auch in Österreich darüber diskutiert wird, ob Smaragde zu dick sind, die Wachau auf einem Irrweg wandelt, der Grüne Veltliner schwer sein darf oder Botrytis im trockenen Riesling in dem Himmel oder die Hölle führt – allein: es ist mir völlig Schnuppe. Und es ist mir dann auch völlig egal, ob ich gerade einen Wein liebe, der in unserem Nachbarland als Beispiel des Niedergangs der Weinkultur gilt oder etwas nur passabel finde, wofür sie in Österreich die Gebetsteppiche ausrollen. Ich denke, man muss sich nie dafür schämen, was einem schmeckt.

Ein lecker ÖsiNeulich war es mal wieder so weit. Nach einer Woche voller Meinungen musste ich das Hirn abschalten, die Gurgel in den reinen Konsumentenmodus schalten und etwas trinken, wovon ich keine Ahnung habe. Ich hatte den Wein auf ebay ersteigert und weiß noch nicht mal ob der gezahlte Preis teuer, angemessen oder günstig war. Aber ich fand ihn so gut, dass ich am zweiten Tag, als der Forscherdrang wieder erstarkte, Stift und Zettel holen und ein paar Notizen machen musste.

Domäne Wachau, Terrassen, Grüner Veltliner Smaragd, 2007, Wachau, Österreich. In der Nase sehr angenehm, ziemlich reif mit Birne, Melone und Krokant. Am Gaumen relativ wuchtig, cremig aber auch mit frischer Säure, schöner Struktur, eher wenig Frucht (Apfel, Quitte) und reichlich weißem Pfeffer. Der Wein ist ziemlich trocken, mineralisch und intensiv in seiner Aromatik – ein Maul voll Wein. Der Abgang ist sehr lang und harmonisch, 13% Alkohol verleihen Kraft, ohne unangenehm aufzufallen. Macht enorm viel Spaß.

Rufverwaltung

Seit einiger Zeit beginne ich meinen Arbeitstag mit immer dem gleichen Ritual. Ich werfe meinen Browser an und suche mit Tante Google das Web ab, was in den vergangenen 24 Stunden über unsere Firma geschrieben wurde. Desweiteren unterhalte ich offizielle Accounts bei den wichtigsten Internetforen, in denen regelmäßig unsere Dienstleistung besprochen wird. Dort logge ich mich ein und beantworte Fragen, kläre Missverständnisse und beziehe Stellung zu Kritik oder sage einfach einmal Danke für positive Meinungsäußerungen zu unserem Unternehmen. ,Reputation Management‘ ist der altdeutsche Fachbegriff für solcherlei Tun und es gehört als wiederkehrende Maßnahme mittlerweile zum kleinen Einmaleins des Marketing.

Wie hier schon verschiedentlich thematisiert, finden die meisten Winzer Marketing so hilfreich wie Zahnweh und so verwundert es nicht, dass in den dreieinhalb Jahren, die ich den Schnutentunker mit Inhalten befülle, nur ein einziger Winzer seinen Weg zu diesem Blog gefunden und einen Text in einem Kommentarfeld hinterlassen hat. Die Herren Würtz, Lippert oder Fiedler zähle ich nicht mit, die habe ich schließlich hinreichend provoziert, damit sie sich äußern.

Der Vollständigkeit halber: es war Stefan Steinmetz vom Weingut Günther Steinmetz, der seiner Freude darüber Ausdruck verlieh, dass neben ihm noch ein zweiter Mensch auf diesem Planeten seinen Schwarzriesling für unbedingt trinkenswert hält (und das sind hunderttausend zu wenig, wie ich nicht müde werde zu predigen).

Vorletzte Woche kam fast ein weiterer Fall dazu und die Parallelen sind bemerkenswert. Wieder geht es um einen Rotwein aus einem Riesling-lastigen Betrieb und der liegt Luftlinie gerade mal 900 Meter entfernt auf der anderen Seite des Flusses. Allerdings reichte es nur zu einer E-Mail. Frau Grumbach vom gleichnamigen Weingut meldete sich per Mail, um für die Besprechung des sehr schönen 2005er Spätburgunders zu danken. Parallel unterbreitete sie mir das Subskriptionsangebot für den 2011er aus ihrem Hause.

Wir hatten die Diskussion über ,Push-Angebote‘ (um bei den altdeutschen Begriffen zu bleiben) bereits hier und ich wiederhole mich: Ich empfinde Anrufe und Mails aus den Häusern Molitor, Emrich-Schönleber oder Heymann-Löwenstein als kundenfreundlich, auch wenn ich mir im Klaren bin, dass sie nicht nur aus altruistischen Motiven erfolgen. Auch beim Grumbachschen Spätburgunder ,R‘ aus 2011 vermute ich mehr als Gewinnmaximierungsintention. Das Gut hat massiv an der Selektion und Qualität gefeilt und füllt gerade einmal 900 Flaschen. Dazu hat Mario Scheuermann dem Wein 93 Punkte gegeben. Das dürfte reichen, um das bisschen Wein auch ohne aktive Ansprache von Kunden zu verkaufen. Ich unterstelle Frau Grumbach also, dass sie mich auch kontaktierte, weil sie denjenigen, die Verbundenheit mit diesem Produkt geäußert haben, die Gelegenheit zur Bevorratung geben will.

Ich habe trotzdem Nein gesagt. Aber nur, weil ich nicht mehr weiß, wie ich all den Wein in meinem Keller jemals trinken soll. Was da auch noch liegt, sind sechs Flaschen vom 2007er Spätburgunder ,R‘ aus – wer errät es? – dem Hause Grumbach. Womit habe ich da wohl dieses Jahr die Rotweinsaison eröffnet…

Ein toller Spätburgunder von der MoselGrumbach, Spätburgunder -R-, 2007, Mosel. In der Nase fruchtig, Kirsche, Himbeere und gekochte Erdbeere, viel Holz, das sich mit zunehmender Belüftung zum Glück verflüchtigt, etwas kräutrig und dezent fleischig – insgesamt würde ich die Nase durchaus als ,typisch deutsch‘ bezeichnen. Am Gaumen ist der Wein ein Schmeichler: süß, Himbeere, prägnante aber nicht dominante Säure, ein bisschen rohes Fleisch, ein bisschen Speck, dezent mineralisch, noch einiges an Holz. Ich und mein Mainstream-Gaumen finden den Wein großartig. Ich glaube aber, dass auch anspruchsvolle Weinfreunde hier auf ihre Kosten kommen. Langes Finale und der Wein zeigt Potential für weitere Jahre. Ich freue mich richtig darüber, dass ich noch ein paar Flaschen davon habe.

Ich sprech‘ Weinisch

,Spiele sind Snacks für‘s Gehirn‘ schrieb ein weiser Soziologe aus Amerika, als in den 90ern das Phänomen der Computerspiele die breiten Massen (und Büros) erreichten. Der Gehirn-Snack des 21. Jahrhunderts ist für mich facebook. Immer, wenn ich im Büro eine Arbeit erledigt habe, gönne ich mir zwei Minuten Zerstreuung mit den sozialen Medien. Leider reicht die Zeit selten um mit zu diskutieren. Das könnte ich dann am Wochenende, aber da sind die meisten Diskussionen schon gelaufen.

Also schreibe ich meine Beiträge hier ins Blog. Das hat den Vorteil, dass ich aktuelle Themen mit aktuellen Weinen verknüpfen kann – und die Beiträge bleiben mir erhalten und verschwinden nicht in den undurchsuchbaren Archiven facebooks. Einziger Nachteil ist, dass ich etwas spät bin mit meinen Thesen, sozusagen den kalten Kaffee noch mal aufwärme.

Vergangene Woche drehte sich viel um Sprache. Das Weinportal Wein Plus hatte zum ersten Mal seit langer Zeit von sich reden gemacht, indem es ein Konsensgespräch (denn so richtig gestritten wurde nicht) veröffentlichte, in dem sich Weinkritiker und -händler darauf einigten, dass Wein eine neue Sprache benötige, um die breite Masse zu erreichen.

Viel Richtiges und Wichtiges wurde dazu gesagt in diversen Weingruppen auf facebook und auch im Blog vom Würtz. Doch einen Aspekt habe ich so ein bisschen vermisst, der zwar hier und da angedeutet aber nie auf den Punkt gebracht wurde.

Sprache ist ein Kode, der von einer Gruppe von Personen zur Kommunikation genutzt werden kann, die gemein haben, dass sie den Kode beherrschen. Jede Weinsprache, egal ob alt oder neu, grenzt mithin jene aus, die sie nicht kennen. Wein den Massen näher bringen kann man  einzig, indem man die Sprache der Massen verwendet, in diesem Fall also Deutsch.

Das klingt banal, ist es aber nicht. Ich glaube fest, dass Wein eine eigene Sprache verdient, zumindest da, wo allgemeines Deutsch nicht ausreicht. Für den einen bitzelt es auf der Zunge, für den anderen kratzt es, dann hat sich das Deutsch auch schon erschöpft – wo Weintrinker mit begriffen wie mineralisch, grün, phenolisch oder schlicht ,von (zuviel) Gährkohlensäure geprägt‘ für sehr unterschiedliche Formen des Bitzeln und Kratzens erhellende Formulierungen finden. Die häufig geäußerte Forderung, sich kurz zu fassen bei den Weinbeschreibungen, haut mit Fachvokabular vermutlich besser hin.

Aber es kommt auf einen Versuch an. Also beschreibe ich heute mal zwei Weine mit Worten, die jeder kennt und beschränke mich auch auf Aromen, die jeder identifizieren kann, der älter als 12 Jahre und schon einmal in einer Küche gewesen ist.

Wein 1. In der Nase ist der Wein intensiv, er wirkt regelrecht parfümiert oder duftig. Eine bestimmte Frucht lässt sich schwer benennen, vielleicht Birne. Vor allem riecht er nach Heu und ein wenig nach Nuss, außerdem blumig und zu einem erheblichen Teil nach Trauben (was bei Wein ja witzigerweise eher selten vorkommt). Im Mund ist der Wein viel leichter, als man dem Geruch nach vermutet hätte. Er schmeckt mild, hat keinen sehr intensiven Eigengeschmack und wirkt sehr leicht, auch weil er nur 11,5% Alkohol hat. Das ist ein Wein für warme Abende, den man auch zur Schorle verdünnen kann, wenngleich er dafür vielleicht zu gut ist. Er hat sehr wenig Säure, ist überhaupt nicht kratzig oder anstrengend. Der Geschmack erinnert mich sehr an den Saft von Dosenmandarinen, wenn man sich nur das Aroma vorstellt und jegliche Süße wegdenkt, denn der Wein ist absolut trocken. Der Nachhall dauert mittelmäßig lang. Ich finde den Wein sehr gut, weil er ausgesprochen süffig und sommertauglich ist, ohne banal zu sein – einfach und lecker. Eine echte Granate ist er, wenn man bedenkt, dass der Wein gerade einmal 5,20€ kostet.

Zwei mal gelesen und über drei Tage mit dem Wein verglichen, finde ich das Ergebnis dieser Beschreibung sehr nah an den Sinneseindrücken. Ich habe nicht dazu geschrieben, welcher Wein es war. Wer Lust hat zu raten, hinterlässt einen Kommentar. Irgendwann im Laufe der Woche kommt die Auflösung. Hier noch ein zweiter:

Wein 2. Steckt man die Nase ins Glas, dann riecht das, als beuge man sich in der Küche über eine Arbeitsplatte, auf der gerade jemand zweieinhalb Kilo rohes Rinderfilet zu Tournedos geschnitten hat. Ein Zweig Thymian und Rosmarin liegen auch schon bereit. Leider hat sich der Koch heftig in den Finger gechnitten, denn es riecht nach Blut. Frucht hingegen ist Mangelware. Wenn man sich ganz doll einbildet, da müsse auch Frucht zu erschnuppern sein, findet man vielleicht Himbeeren. Im Mund entsteht dann der Eindruck, man sei selber der Koch gewesen und stecke sich zwischendurch immer mal den blutenden Daumen in den Mund, aber das ist nur ein Aspekt. Es fällt zunächst auf, dass der Wein einiges an Säure besitzt, er ist nicht besonders dick und dieses schöne (oder furchtbare) pelzige Mundgefühl, dass der leckere Australier immer macht, das sucht man hier vergebens. Er wirkt kühl und frisch, wie ein Mentholbonbon (aber nicht so extrem), schneckt auch ein bisschen fruchtig süß (da ist tatsächlich Himbeere). Im Nachhall ist der Wein von der Säure geprägt und von einem leichten Kratzen. Der Wein hat 13% Alkohol aber das merkt man nicht. Er wirkt sehr lange nach und zieht die Säfte im Mund zusammen, so dass man immer mehr davon trinken möchte. Den findet man entweder schrecklich oder wird süchtig davon. Nennt mich Junkie!

Der erste Wein war eher einfach zu beschreiben. Beim zweiten musste ich zumindest auf Aromen zurück greifen, die ein Mensch ohne Weinerfahrung vermutlich nicht sofort assoziiert. Aber wenn der Wein für jemanden mit einer gewissen Trinkerfahrung doch so schmeckt? Man kann versuchen, das Wort ,Abseits‘ durch den Terminus ,Wenn der Schiri pfeift und die Frauen verstehen nicht warum‘ zu ersetzen (da geht sie hin, meine weibliche Leserschaft), aber würden sich dann mehr Damen für Fussball interessieren? Dazu müsste man das Abseits an sich abschaffen, was vermutlich den Fußball ruinierte. Was ich sagen will: Wir lieben doch komplexe Weine. Und solange diese so schmecken, wie sie schmecken, benötigt man ein wenig Vokabular, das zumindest nicht alltäglich ist. Dieses auf ein Minimum zu reduzieren, ist vornehme Pflicht jedes Weintrinkers, der sich öffentlich dazu äußert. Oder auf Deutsch: weniger wichtig machen, niemals Leute mit weniger Ahnung ausgrenzen, dann darf man Wein auch mineralisch nennen.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Als ich vor Jahren das Internet als Quelle des Weinwissens entdeckte, tobten in den einschlägigen Foren Diskussionen, die erbittert zu nennen mir noch untertrieben scheint. Zum einen ging es dabei um die Frage, ob man Moste irgendwie anders als spontan vergären sollte (eine Diskussion, der ich mich hier gewidmet habe und die ich jetzt nicht wieder hervorholen will), zum anderen um die Deutungshoheit bei der Gärunterbrechung. Zur Erklärung: bei der alkoholischen Gärung wird Zucker in Alkohol gewandelt und dieser Prozess setzt sich theoretisch fort, bis kein Zucker mehr übrig ist. Um einen Wein mit gewünschtem Restzucker zu erhalten, kann der Winzer den Wein machen lassen, bis er fertig ist und dann mit der sogenannten Süßreserve (unvergorener Most, der vorher beiseite gestellt wurde) wieder Zucker in den Wein füllen oder er unterbricht die Gärung an dem Punkt, an dem noch so viel Zucker unvergoren ist, wie er gerne in seinem fertigen Wein sehen würde. Letzteres führt zu deutlich weniger Alkohol im fertigen Wein als ersteres und wird daher gerne bei hochwertigen Ausgangsmosten angewendet. Die Gärunterbrechung erfolgt zum Beispiel durch starke Kühlung und anschließende Filtration. Dass die Gärung später nicht von allein wieder startet, verhindert dem Wein zugesetzter Schwefel.

Diese von Kritikern verächtlich ,gestopptes Zeug‘ genannten Weine erleben derzeit eine Renaissance und werden von Befürwortern als die Krone Deutschen Weinschaffens angesehen. Fragt man einen beliebigen Winzer, wie sein restsüßer Wein zustande kommt, geben meiner Erfahrung nach keine zwanzig Prozent zu Protokoll, sie hätten ihn abgestoppt. Über 80% erzählen, man sei so glücklich, dass die Gärung ganz spontan bei diesem Zuckerwert zum erliegen gekommen sei.

Schwefel macht Weine nicht nur mikrobiologisch stabil, sondern auch haltbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob er dem Wein abschließend zugesetzt wird, oder sich auf natürliche – aber unerwünschte – Weise während der Gärung im Wein konzentriert. Viele spontan vergorenen Weine entwickeln nämlich während der Gärung einen dem Weinfehler Böckser sehr ähnlichen Schwefelwasserstoffton, den Weinfreunde gerne verharmlosend einen ,Sponti-Stinker‘ nennen und dem gerade Deutsche Rieslingtrinker erstaunlich tolerant gegenüber sind. Die Kombination aus Spontangärung, Abstoppen und Schwefeln ist eine weit verbreitete Produktionsmethode bei Spitzenbetrieben. Die so entstehenden Weine glänzen mit Langlebigkeit.

Ich hatte vorletzte Woche Besuch von Menschen, die einiges von Wein verstehen. Wir tranken diverse blind servierte Weine und meine Gäste lagen meist nicht weit daneben, wenn es darum ging zu bestimmen, was ich ihnen da kredenzte. Nur einmal musste ich innerlich schmunzeln, als die Runde darüber diskutierte, ob ein nicht ganz trockener Riesling in ihrem Glas aus dem Jahr 2009 oder 2011 stammt, der tatsächlich schon 1993 seinen Weg in die Flasche fand. Es handelte sich um eine hier bereits ausführlich besprochene 1993er Auslese aus dem Hause Thanisch, bei der die Spontangärung zu einem schweren Böckser geführt hatte, weswegen es schlappe 18 Jahre dauerte, bis er reuelos genießbar war. So frisch kann Schwefel halten.

Wie der Zufall es will, hat mein vinophiler Internetfreundeskreis diese Woche die zu diesem Erlebnis passende Sau durchs Dorf getrieben. Auf facebook und später auch in einem Blog ging es unter anderem um die Frage, wie viel Schwefel der Wein braucht und ob die oft recht schwefelhaltigen Deutschen Rieslinge überhaupt noch zeitgemäß sind. Dabei bekamen sowohl die ,Spontis‘ ihr Fett weg als auch restsüße Rieslinge im Allgemeinen.

Nun sind es die ganz trockenen Weine häufig aus südlichen Gefilden, die entsprechend nicht noch einmal zu gären anfangen und von einigen Extremwinzern gänzlich ohne Schwefel gefüllt werden, die eine Gruppe vorwiegend junger Weinenthusiasten aufs Schild hebt. Die Revolution frisst Ihre Kinder stelle ich fest, wenn ich lese, wie diejenigen unter Feuer genommen werden, die damals noch junge Weinfreunde vor zehn Jahren als revolutionäre Avantgarde feierten. Und noch etwas kommt mir in den Sinn: Es ist eigentlich die gleiche Diskussion wie vor zehn Jahren, nichts hat sich verändert, nur das Spielfeld ist breiter geworden. Der Eine publiziert auf der Website der Süddeutschen Zeitung sein Loblied auf das ,gestoppte Zeugs‘, der Andere schreibt in einer facebook-Gruppe, der Dritte antwortet in seinem Blog und ich versuche mich an einer Zusammenfassung in meinem. Hätte man alle Protagonisten wie vor zehn Jahren in ein Forum gesperrt, wären zünftig die Fetzen geflogen. Ob das jetzt einen Fortschritt darstellt, ist genau so Geschmacksache wie spontan vergorener Riesling.

Markus Molitor, Bernkasteler Lay, Riesling Spätlese trocken, 2007, Mosel. In der Nase am ersten Tag ein hoffnungsloser Stinker, einer von der Sorte, bei dem ich die Nase nicht mehr tief ins Glas stecken mag, um darunter liegende Aromen zu erschnüffeln. Am zweiten Tag ist der zumindest ein wenig verdampft und es zeigt sich Aprikose, Grapefruit und angeschlagener Feuerstein (was ja irgendwie auch in die Stinker-Richtung geht). Am Gaumen ist der Wein sehr frisch, wird am zweiten Tag cremig, zeigt über die gesamte Zeit wenig Frucht, extreme, kalkige Mineralik, Pistazie, Holunder. Der Riesling ist von mittlerem Volumen, wirkt sehr trocken, was er vermutlich gar nicht ist, denn irgendwo muss der Zucker bleiben und der Wein hat gerade mal 12% Alkohol (die zu keiner Zeit dominieren). Der Abgang ist nur mittellang, sonst wäre er eine Granate – so ist er ein sehr guter Wein.