Kellerleiche (4)

Jeder hat irgendwelche Leichen im Keller...Ein nützlicher Nebeneffekt des Bloggens ist, dass ich mich regelmäßig mit dem Inhalt meines Kellers auseinandersetze und so die übermäßige Ansammlung vergessener (und überlagerter) Weine vermeide. Zugegeben, auch mir ist das Verdrängen nicht fremd. Und so stellte ich nach dem Schreiben der Geschichte über meinen missglückten Ausflug in die Welt der italienischen Weine fest, dass ich noch ein paar mehr Flaschen als gedacht aus Bella Italia im Keller hatte. Das habe ich prompt unter Zuhilfenahme von ebay korrigiert. Zwei Flaschen fand ich jedoch, die ich nicht einmal mehr bei ebay anbieten mochte, darunter ein neun Jahre alter 7-Euro-Riserva aus der autochtonen Rebsorte Nero di Troia.

Solche Weine verwende ich für gewöhnlich nur noch zum Marinieren von Fleisch. Doch einem Impuls folgend zog ich bei dieser Flasche den Korken und probierte. Ich landete einen Glückstreffer. Das war keine Kellerleiche, das war ein richtig ordentlicher Rotwein – und zwar nicht aus der Kategorie ‚Erstaunlich für sein Alter‘. Ich denke, der war vor vier Jahren nicht besser. Man kann den Inhalt einer Weinflasche halt nur auf eine Art beurteilen: probieren.

Torrevento, Vigna Pedale Riserva, 2003, Apulien, Italien. In der Nase zeigt sich immer noch Holz, dazu Pflaume, Blaubeere und Tabak. Der Alkohol liegt bei entspannten 13% und fällt in der Nase und am Gaumen nicht weiter auf. Das reife, griffige Tannin und die frische Säure bilden ein wunderbares Gerüst, in dem die Fruchtaromen von Kirsche und Pflaume sehr saftig wirken. Mit dem aromatischen Einfluss des Holzes ergibt sich ein stimmiges Gesamtpaket mit erstaunlich langem Abgang – sehr lebendig.

Auf in den Rheingau

Am 17. Und 18. März 2012 treffen sich in Geisenheim über 100 Menschen, die die Lust an Wein und dem Austausch darüber unter Zuhilfenahme elektronischer Medien eint. Wir (ich bin auch dabei) werden ein Barcamp veranstalten, eine sogenannte Unkonferenz. Das ist eine Art Präsentationsringelpiez bei dem jeder angehalten ist, nicht nur zu konsumieren, sondern auch aktiv beizutragen. Wem das jetzt zu sehr nach ‚Alles kann, nichts muss‘ klingt, dem sei versichert: die Klamotten bleiben an. Auf in den Rheingau weiterlesen

Wie legt man einen Weinkeller an? (2)

Sechs Jahre ist es her, dass ich anfing, mir einen eigenen Weinkeller einzurichten. Und es wird Zeit einzugestehen, dass ich genügend Unsinn bei der Anlage gemacht habe, dass man durch bloßes Vermeiden meiner Fehler einen prima Keller hinbekommen sollte. Heute geht es um ein Problem, von dem ich vermute, dass ihm ein spezifisch männliches Verhaltensmuster zugrunde liegt.

Als ich meinen Keller in Besitz nahm, war er, wie in Teil 1 beschrieben, weitestgehend leer. Zur fachgerechten Lagerung von Flaschen bedurfte es noch geeigneter Vorrichtungen. Unter Zuhilfenahme von Weinlagersteinen baute ich mir Regale an alle Wände und einen tischähnlichen Block in die Mitte des Gewölbes. Da ich ein eher unwilliger Heimwerker bin, erledigte ich das in einem Aufwasch. Das Ergebnis war zweckdienlich und verbreitete den Charmes des enthusiastischen Amateurs – sowie zunächst gähnende Leere.

Leider ließ mich das nicht kalt. Ich kam mir vor wie ein Hochstapler, wenn ich das Wort Weinkeller in den Mund nahm. Wie einer, der zwei VW Käfer in einen leeren Flugzeughangar stellt und stolz von seiner Oldtimersammlung‘ schwadroniert. Abhilfe musste her in Form von möglichst vielen Flaschen Wein, die die Bude mit Leben füllen. Da ich aber nicht über großes Wissen verfügte, ging die Einkaufsliste eher in die Tiefe als in die Breite. Was irgendwie kaufenswert erschien, schaffte ich im Dutzend an. Das ist per se nicht verdammenswert. Zigtausende deutsche Studienräte halten jedes Jahr auf dem Rückweg aus dem Italienurlaub beim Winzer ihres Vertrauens an der Mosel und machen den Kofferraum ihrer C-Klasse mit einhundert Flaschen ihres Lieblingsrivaners voll (plus 18 Flaschen Riesling Spätlese trocken für die besonderen Momente im Leben), auf das das Weinthema bis zum nächsten Jahr erledigt ist. Mein Zugang zum Wein lebt aber eher von der Vielfalt und auch das Bloggen über Wein setzt voraus, dass ich eher viele unterschiedliche Weine ins Glas bekomme.

Nicht einen der im Dutzend angeschafften Weine habe ich tatsächlich zwölf Mal ins Glas bekommen. In einem regelrechten Kaufrausch hatte ich binnen drei Jahren den Keller voll und wie schon bei den Italienern habe ich einen Teil der Flaschen verschenkt oder seltener auch getauscht. Den folgenden Wein habe ich allerdings bis auf zwei Flaschen für mich behalten, weil er so gut ist und weil ich ihm zutraue, in Würde zu reifen. Hier ein Zwischenstand:

Einer von ZwölfBassermann-Jordan, ‚Auf der Mauer‘ Riesling trocken, 2007, Pfalz. In der Nase ist der Wein sehr viel reifer als bei meinem letzten Bericht, mollig, mit Aprikose, Rhabarber und Malz. Ich glaube nicht wirklich an riechbare Mineralik aber der Bassermann-Jordan riecht für mich auch leicht kreidig/staubig. Am Gaumen zeigt er eine schöne Struktur: mitteldick, nicht zu mollig aber leicht ölig, straffe Säure, relativ trocken, druckvoll, Aprikose, Birne, Bratapfel, Kemm‘sche Kuchen, feine Mineralik, die vor allem den Abgang bestimmt, der sehr lang ist. Trotzdem er zunächst sehr reif wirkt, baut er mit Luft nicht ab, sondern wird besser. Er hat am zweiten Tag für mich die Qualität eines starken GG erreicht. Der hält noch ein paar Jahre und ich werde weiter berichten.

Mein Fazit und Regel Nummer zwei: Es geht nicht darum wie viel, sonder was im Keller liegt. Je länger man durchhält, bis der Keller voll ist, desto mehr Vielfalt bringt man darin unter. Große Kunst ist es, den Keller dauerhaft halbleer zu halten, statt ihn mit Massen von Flaschen zu bestücken. Letzeres kann jeder Depp mit Dispo.

Sportgesang

Am Freitag ging ‚The Voice of Germany‘ zu Ende, die erste Castingshow, bei der ich nicht fluchtartig den Raum verließ, wenn meine Frau sie einschaltete. Das Finale habe ich zwar gerne verpasst, lockte doch zeitgleich eine spannende Probe südfranzösischer Weißweine, doch so manche Folge habe ich mit Vergnügen geschaut. Das lag daran, dass erstens alle Kandidaten Talent hatten und zweitens der Umgang aller Beteiligten miteinander erfrischend unaufgeregt war.

Eine Szene bleibt mir nachhaltig in Erinnerung. Zwei Kandidatinnen hatten gerade in einem ‚Battle‘ genannten Duett den Song ‚Survivor‘ von Destiny’s Child gesungen, als ein Juror, auf seine Einschätzung des Gebotenen angesprochen, mit entwaffnender Ehrlichkeit zu Protokoll gab, er könne mit dem Song nichts anfangen, für ihn sei das Sportgesang. Den Begriff kannte ich noch nicht und fand ihn so anschaulich – er geht in meinem Wortschatz ein. (Wer den Song nicht kennt, hier gibt es eine Kostprobe).

Leider nicht 'The Riesling of Germany'

Es war kaum eine Woche nach der Sendung, als mich ein Wein an diese Episode erinnerte. Beim Sportgesang versucht ein Virtuose, das gesamte Spektrum seines Könnens in möglichst kurzer Zeit zu präsentieren, was schnell anstrengend wird. Bei meinem Wein hatte ich den Eindruck, dass der Erzeuger unbedingt zeigen wollte, wie viel Kraft, Reife, Aromatik und Fülle in einen einzigen Riesling passt. Ich nennen sowas für mich in Zukunft ‚Sportwinzerei‘. Der Winzer ist Wiederholungstäter. Meine Liebe zum Johannishof erkaltet deswegen langsam – wie zu einem Castingkandidaten, der mich beim ersten Auftritt aus den Socken haut, um danach nie mehr an die erste Leistung anzuknüpfen.

Johannishof (Eser), ‚Retro Domos‘, Rüdesheim Berg Rottland, Riesling Spätlese trocken, 2007, Rheingau. In der Nase schwer, leicht alkoholisch und mit viel vollreifem Apfel, Dörraprikose und Aloe Vera – die Konzentration springt mir ins Gesicht. Am Gaumen ist der Wein irgendwo zwischen dem tollen 2005er und grausamen 2006er Erstem Gewächs aus gleicher Lage und Hause einzuordnen: schwer, die 13,5% Alkohol nur knapp verkraftend, weil noch spürbarer Restzucker dazu kommt. Viel süße Aprikose und Boskopapfel, feine Mineralik – die aromatische Tiefe will ich nicht schlechtreden, aber zu viel Wucht verhindert, dass ich mich dauerhaft an diesem Wein erfreuen kann. Der Abgang ist lang. Ich rätsele, wie da noch ein Erstes Gewächs drüber passen soll. Wahrscheinlich sollte ich dieser Frage gar nicht nachgehen.

Wie legt man einen Weinkeller an? (1)

Ratgeber-Artikel verkneife ich mir für gewöhnlich. Ich glaube nicht, über so fundiertes Wissen zu verfügen, dass ich meinen Lesern (allesamt in Weindingen ziemlich beschlagen, wie ich den Kommentaren entnehme) noch viel beibringen kann. Heute mache ich eine Ausnahme. Meine Lieblingsaphoristikerin Eleanor Roosevelt hat dereinst einen Satz geprägt, dessen universelle Gültigkeit mich zum Abfassen einer Anleitung veranlasst hat. Sie schrieb: ‚Learn from the mistakes of others. You can’t live long enough to make them all yourself‘.

Sechs Jahre ist es her, dass ich anfing, mir einen eigenen Weinkeller einzurichten. Und es wird Zeit einzugestehen, dass ich so viel Unsinn bei der Anlage gemacht habe, dass man durch bloßes Vermeiden meiner Fehler einen prima Keller hinbekommen sollte. Dabei geht es nicht um die technische Anlage, das ist ein individuelles Problem und eher eine Frage für Architekten und Klimatechniker. Mein Keller ist ausreichend kühl und temperaturbeständig um Weine zu lagern, wenn die nicht älter als 20 Jahre werden sollen. Ich habe mich mit technischen Fragen rund um die Weinlagerung also nie beschäftigt. Die Fehler, von denen ich berichten will, hängen mit der Befüllung des Gewölbes zusammen. Fangen wir also an mit den Geständnissen.

Mangels geeignetem Keller belief sich mein Bestand zu Beginn meines Abenteuers auf weniger als 50 Flaschen, meine Interessen waren vielfältig – was mein Lieblings-Euphemismus für ‚ich hatte keine Ahnung‘ ist. Ein normaler Weinkeller dürfte über vier Wände verfügen, die sich eventuell in sechs Abschnitte einteilen lassen, da je eine Wand von einer Tür und einem Fenster geteilt werden. Ähnlich sieht das auch bei mir aus, nur dass meine Tür tatsächlich in einer Ecke liegt, dafür aber einige fest eingebaute Regale als Trennelement fungieren. Also schritt ich mein leeres neues Reich ab, deutete auf eine Wand und sprach zu mir: ‚Da kommt Frankreich hin‘. Einer anderen Wand teilte ich ‚Deutschland normal‘ zu, ein Teilstück war für Übersee vorgesehen, eines für ‚Deutschland GGs‘ und die fest eingebauten Regale schließlich für Italien. Das war also der Schlacht- und Einkaufsplan. Dass ich wenig Erfahrung mit französischen Weinen hatte, störte mich nicht; auch meine Begeisterung für Italien bedurfte eigentlich noch einer genaueren Prüfung.

Den Einkauf für mein Italienregal nahm ich anhand der gängigen Literatur und unter Berücksichtigung aktueller Schnäppchengelegenheien vor. Proben gab es in meiner Gegend nicht sehr viele. Ich hielt mich an die üblichen Verdächtigen – ein paar Barolos, Brunellos, Mehr-oder-weniger-Supertoskaner und für den frühzeitigeren Genuss einige Chiantis, Primitivos und Negro Amaros.

Das ominöse Regal...
Der Rest von Italien

Kaum hatte ich um die 70 Flaschen zusammen und die Italien-Baustelle vorerst abgearbeitet, lernte ich, wie großartig deutscher Spätburgunder sein kann. Ich hatte ein erstes Thema gefunden, dass meiner Weinliebhaberei als Leitmotiv dienen sollte (und bis zum letzten Atemzug wird, da möchte ich mittlerweile drauf wetten). Es gab natürlich keine passende Wand dafür. Meine Italiener mussten enger zusammenrücken (wie auch die Franzosen, doch dazu ein andern mal mehr) und weitere kamen nicht hinzu. Im Gegenteil: etliche günstige Weine verschenkte ich schon wenige Monate nach ihrer Anschaffung. Ich hatte gar keine Lust mehr, sie zu trinken.

Brunellos kommen seitdem im Familienkreis bei der Anti-Spätburgunderfraktion zum Einsatz. Doch wenn ich heute einen Weinkeller einrichten würde, er käme ohne eine einzige Flasche aus Bella Italia aus. Das heißt nicht, dass ich Barolos und Brunellos grausam finde, sie stehen nur nicht im Mittelpunkt meines Interesses. Bis meine letzten Flaschen weg sind, werde ich so manchen in meinem Keller gereiften Wein mit Vergnügen trinken, danach wird das Regal einer neuen Bestimmung zugeführt. Das mit den Schnäppchen von damals relativiert sich dabei heute, wenn man bedenkt, dass ich mir manchmal einen 30-Euro-Brunello öffne, wo mir ein 15-Euro-Spätburgunder genauso viel Freude bereiten würde.

Caparzo, Brunello di Montalcino, 1998, Toskana, Italien. Die Nase ist typisch und schön: Kirsche, Tabak, Pferdestall, Schuhcreme und etwas Holz – das volle Programm. Auch am Gaumen zeigt sich Kirsche, dazu reifes Tannin, Holz, ordentliche Säure; der Abgang ist lang. Das ist elegant und gut strukturiert, mäßig druckvoll und etwas langweilig – bis der Caparzo nach zwei Stunden den Frucht-Turbo zuschaltet und den Suchtfaktor deutlich erhöht. Dann vermag der Brunello zu begeistern. Leider macht der Wein am zweiten Tag schlapp. Aber das ist bei einem 13 Jahre alten Wein in Ordnung.

Marchese di Frescobaldi, Tenuta di Castiglioni, 2003, Toskana, Italien. Der Wein ist eine Cuvée aus Sangiovese, Cabernet Sauvignon, Merlot und Petit Verdot. Die Frucht in der Nase kommt etwas dumpf daher, am ehesten erinnert das an Pflaume, dazu Tabak und Stall. Am Gaumen ebenfalls Pflaume, Kirsche, Blaubeere, Rosmarin und ein sehr trockenes Geschmacksbild, herbes Tannin, mittelkräftige Säure. Das passt alles zusammen, ist mittelkräftig und durchaus elegant. Der Abgang ist lang, der Wein eher süffig als komplex aber trotzdem hervorragend.

Fazit (und Regel Nummer eins): Ein Weinkeller ist ein Aufbewahrungsraum für Deinen Wein, kein Weltweinbaumuseum, in dem alle Anbaugebiete des Planeten mit einigen Flaschen Vertreten sein müssen. Der beste Keller ist der, der sich den Vorlieben seines Besitzers widmet. Und der kluge Weinkellerbesitzer lässt sich mit dem Befüllen seines Kellers Zeit, bis er seine Vorlieben kennt.