Wein vom trüben Wasser

Einen Tag nach dem Treffen mit den Geschwistern aus Franken bot sich mir ein absolutes Kontrastprogramm. Moët Hennessy Deutschland hatte mich eingeladen, im Rahmen eines Dinners im Berliner Restaurant ,The Grand‘ die aktuellen Weine der Cloudy Bay Winery zu trinken (Spucknäpfe waren keine da, was bei dem edlen Essen auch unangebracht gewesen wäre). Wein vom trüben Wasser weiterlesen

Barfuß in Berlin

Wie vor kurzem schon berichtet, hat sich meine Begeisterung für Weingutsbesuche merklich abgekühlt. Die Geschichten, die man hört, sind immer die gleichen und orientieren sich eher daran, was der Kunde hören will als an der tatsächlichen Entstehung des Weines der jeweiligen Produzenten – Ausnahmen bestätigen die Regel. Glücklicherweise lebe ich in Berlin und da gibt es reichlich Veranstaltungen, bei denen man in einem Rahmen auf Winzer trifft, der zu mehr Offenheit und echtem Informationsgehalt einlädt. Gleich zwei durfte ich letzte Woche besuchen. Als jeweils einziger geladener Amateur profitierte ich dabei von der Atmosphäre, die die ebenfalls geladenen Sommeliers und Weinhändler im Handumdrehen erzeugen, sobald sie unter sich sind. Das Gefühl mich bei einer Veranstaltung eingeschlichen zu haben, bei der ich eigentlich nix zu suchen habe, kann ich mittlerweile ganz gut unterdrücken.

Den Anfang machte eine kleine Soiree beim Berliner Weinenthusiasten Martin Zwick, bei der die Geschwister Melanie Stumpf-Kröger und Matthias Stumpf vom Weingut Bickel-Stumpf gleich 18 Weine aus verschiedenen Jahrgängen und Qualitätsstufen präsentierten – bis auf den Pinot-Sekt zum Start und den Fränkischen Gemischten Satz zum Abschluss samt und sonders aus der Silvaner-Traube gekeltert. Die kleine Runde von sieben Personen erlaubte intensive Gespräche und konzentriertes Kosten. Da durfte ich einiges lernen, etwa dass mir Silvaner vom Buntsandtsein deutlich besser gefällt als vom Muschelkalk. Die Unterschiede zwischen den Standorten waren über mehrere Jahrgänge so deutlich schmeckbar, dass ich glauben will, der Silvaner kann seine Herkunft ebenso gut abbilden wie der Riesling (dem man gemeinhin nachsagt, er könne das besser als irgendeine andere Rebe). Und eine Erkenntnis, an der ich schon lange nage, wird allmählich zur Gewissheit: Alles, was nicht Riesling oder Sauvignon Blanc ist, darf für mich gerne in ein Eichenfass gefüllt werden – nicht unbedingt ein kleines französisches aber irgendein leicht aromatisierendes bitte.

Die knackigen Guts- und Ortssilvaner der Geschwister finde ich zwar mehr (Muschelkalk) oder weniger (Buntsandtsein) begeisternd, die Lagenweine aus dem Kapellenberg (VDP Erste Lage) und Mönchshof (VDP Grosse Lage, also GG) mit ihren teils intensiven Eichenholzaromen sind für mich aber Weißweine zum Niederknien, insbesondere das 2012er GG. Die geringe Größe der Runde ermutigte mich wieder zum Reste-Schnorren, weswegen ich letzteren in der angebrochenen Flasche mit nach Hause nehmen durfte. Interessanterweise haben die Geschwister Stumpf mit ihrem Stil regelmäßig Probleme bei den sensorischen Prüfungen für das GG. Ich behaupte ja, wir Deutschen werden als Volk immer lockerer und liebenswürdiger, unsere Unart, jede Form von Eigenwilligkeit erst nach mehreren Jahren zu akzeptieren, sollten wir aber dringend noch ablegen.

Bickel-Stumpf in BerlinBleibt die Frage nach den Insiderinformationen: Manches, was besprochen wurde, verbuchte ich sofort in der Kategorie ,What happens in Vegas, stays in Vegas‘. Denn ein bisschen verstehe ich die Winzer, die in der Öffentlichkeit nur Geschichten vom perfekten Wein erzählen: die wahren Berichte von kleinen und großen Reparaturmaßnahmen verselbständigen sich im Zeitalter von Facebook zu leicht und mutieren zum veritablen Chemie-Unglück. Dass die Stumpfs vielfach auf Reinzuchthefen zurückgreifen, 2010 entsäuert haben oder bei nur 1000 produzierten GG-Flaschen den Ausstattungsrichtlinien des VDP nicht zu akzeptablen Kosten nachkommen können, sind sicher zitierfähige Anekdoten. Und dann gibt es da noch eine trinkbare: der Silvaner, der spontan vergoren aber leider nicht durchgehalten hat. Bei 12 Gramm Restzucker blieb er stehen. Also füllten ihn die Geschwister separat, nannten ihn ,Barfuß‘ und schickten Dirk Würtz eine Probeflasche. Der bekämpfte damit seinen Politfrust und machte eine schöne Geschichte für sein Blog draus. Die Stumpfs freuten sich über die positive Resonanz und ich über die Headline (ich schnorre nicht nur angebrochene Flaschen, sondern gelegentlich auch Überschriften). Der Barfuß festigte eine andere sich entwickelnde Erkenntnis bei mir: Halbtrocken und Holz geht auch – wenn ein Könner und/oder der Zufall am Werk ist.

Doch über allem schwebt der Mönchshof. Das ist große Kunst – ganz ohne Zufall.

Bickel-Stumpf, Mönchshof GG, Silvaner, 2012, Franken. In der Nase Eichenholz, Rauch, Quitte, Kräuter und Stroh. Am Gaumen zeigt der Wein Aromen von Nashi-Birne, ist würzig, kommt mit relativ viel Holz daher ohne buttrig zu sein. Der schönen Säure hat der Fass-Aufenthalt nicht geschadet. So erzeugt der Silvaner ein sehr volles aber nicht breites Mundgefühl mit Druck und Wucht aber trotzdem saftig. Etwas Gerbstoff, feine Mineralik, spürbarer aber passender Alkohol (13,5 %): das ist schon jetzt perfekte Balance, wenn man Holz mag und wenn nicht, deutet sich an, dass die Barrique-Noten nicht auf ewig die erste Geige spielen werden.

Der kälteste Weinberg Afrikas

Südafrika ist ein Weinland, dem ich mich seit Jahren widmen wollte, allein mir fehlte die Zeit. Ich war einmal dort und habe auch zwei Weingüter besucht, aber intensive Beschäftigung sieht anders aus. Nun hatte ich die Gelegenheit zwei ganze Tage Weine vom Kap zu probieren und ihre Macher zu interviewen. Ich war zu einer Fachmesse der Weinbauverbände von Südafrika, Chile und Argentinien in London eingeladen. Mein Fokus lag auf der Verkostung südafrikanischer Weine, da mir das vor der Reise vom südafrikanischen Verband zugesandte Material eine gute Vorbereitung ermöglichte – und eine solide Vorbereitung auch anhand des Südafrika-Weinführers ,Platter‘ erschien mir dringend erforderlich.

Die Bezeichnung der Weine Südafrikas ist erstaunlich uniform: viele Weingüter machen einen Sauvignon Blanc (=Stahltank), einen Sauvignon Blanc Reserve (=mit ein bisschen Holz), einen Chardonnay ,unoaked‘ (=Stahltank), ,Barrel Fermented‘ (Mischung aus altem und neuen Holz), ,Reserve‘ (=mehr Holz) und oben drüber einen ,Single Vineyard‘ (=richtig viel Holz). Ulkigerweise wird der Single Vineyard zwingend aus einer einzelnen Lage gelesen, der Name der Lage aber oft nicht erwähnt. Analog zum Chardonnay erscheint auch der Chenin Blanc in bis zu vier Variationen. Manche Weingüter machen dann noch eine weiße Cuvée aus den drei Rebsorten, die häufig einfach den Weingutsnamen mit dem Zusatz ,White‘ trägt. Dazu heißt jeder dritte Winzer Finlayson oder die Weingüter tragen Adjektive wie kleine oder groote im Namen. Erstmals konnte ich mir vorstellen, wie sich ein Ausländer beim Versuch die Mosel zu durchdringen vorkommen muss: Tausend Spätlesen aus irgendwelchen Sonnenuhren und die Winzer heißen entweder Thanisch (Witwe, Erben, Ludwig etc.) oder Prüm (J.J., Studert-, Christoffel-, S.A. etc.).

Chris Alheit: Ein Jungwinzer mit Vollenweider als Vorbild
Chris Alheit: Ein Jungwinzer mit Vollenweider als Vorbild

Dies war meine erste Weinmesse im Ausland und ich war gespannt, was mich erwarten würde. Beeindruckend war, dass die meisten Weingüter 10.000 Kilometer fern der Heimat durch ihre Gutsverwalter oder Kellermeister persönlich repräsentiert wurden (oft auch im Doppelpack). Da die Verkostung für Fachpublikum und nicht überlaufen war, konnte ich mich in Ruhe mit Menschen wie Ken Forrester vom gleichnamigen Weingut unterhalten, der mir einiges über Südafrika und seine Weinstile erzählen mochte. Spannend auch ein Gespräch mit Chris Alheit, einem jungen Winzer, der in seinem vor zwei Jahren gegründeten Weingut Erkenntnisse umsetzt, die er in seinem Jahr bei Daniel Vollenweider an der Mosel gesammelt hat. Es war überhaupt erfrischend zu erleben, wie etliche Winzer anfingen von der Mosel und ihren Rieslingen zu schwärmen, sobald sie hörten, dass ihr gegenüber aus Deutschland kam.

Eine Erkenntnis gewann ich schon nach wenigen Gesprächen: Winzerlatein ist auch für Südafrikaner keine Fremdsprache. Der meist gehörte Satz der Show war: ,unsere Weinberge sind besonders kühl‘ gefolgt von Erläuterungen, dass dies wahlweise der Frische, der Mineralik oder dem Säuregerüst zugute käme. Die Bemerkung kam so gebetsmühlenartig und wurde dermaßen betont, dass vor meinem geistigen Auge Legionen farbiger Erntehelfer in Rentierpullovern durch Stellenboschs Weingärten zogen. Dabei war ich selber schon einmal im Spätsommer vor Ort und konnte beobachten, wie die gnadenlose Sonne so manche Traube noch am Stock zu Marmelade verkocht.

Die Verkostung Dutzender Weine in kurzer Zeit ist eine Herausforderung, der ich mich mit gemischten Gefühlen stelle. Insbesondere die Weine aus der Sauvignon Blanc Traube im klassischen Neue-Welt-Stil mit aus dem Glas springenden Fruchtaromen, gepaart mit grün-grasiger-Frische schmecken für mich nach dem vierten Wein alle gleich. Auch der Chardonnay ,unoaked‘ bietet mir wenig Differenzierungsmöglichkeiten. Beim Holz haben die Südafrikaner keine Berührungsängste. Mein Bibergebiss kam bei den ,Reserves‘ vom Chardonnays und auch bei etlichen Chenin Blancs voll auf seine Kosten. Nicht selten ist das für zarter besaitete Gaumen aber deutlich zu viel Barrique.

The FMC: Spitzen-Chenin mit internationaler Fangemeinde
The FMC: Spitzen-Chenin mit internationaler Fangemeinde

Die spannendsten Weißweine der Show waren für mich allesamt Chenin Blancs. Diese Traube ist eine heimliche Liebe von mir, seit ich einmal einen gereiften Vouvray in Bestform erleben durfte. Chenin kann ganz trocken sein oder auch feinherb, mit gar keinem bis viel Holz, jung oder zehn Jahre gereift und – das kann er besser als der Riesling – er kann auch Holz und Restsüße miteinander kombinieren und dabei altern. Ein zehn Jahre alter halbtrockener Riesling mit 50% neuem Holz ist für mich eine Drohung, das Gleiche vom Chenin ist eine Offenbarung. Leider sind die Südafrikaner feige, was Restzucker angeht, die Weine sind fast alle sehr trocken. Einzig der bereits erwähnte Ken Forrester schenkte mir einen Wein mit 15 Gramm Restzucker und viel neuem Holz ein: Sein Premiumwein ,FMC‘ ist große Winzerkunst für einen, wie er mit breitem Grinsen zu Protokoll gibt, kleinen Käuferkreis. ,Wer ihn nicht versteht, der soll ihn nicht kaufen‘ lautet sein Credo.

Der trockene Chenin Blanc von Botanica ist für mich ein weiterer Ausnahmewein. 50% des Mostes sind im Stahltank ausgebaut und auf Klarheit und Frucht (ganz viel Limone) getrimmt, während die andere Hälfte in alten und neuen Fässern vergärt. Die Mischung ist nachher ein Best-of beider Weinstile, die so miteinander harmonieren, dass ich versucht war, die Probeflasche zu klauen.

Mit südafrikanischen Rotweinen tue ich mich schwerer. Pinotage erinnert mich zu sehr an Dornfelder, außer er kommt als so unglaublich guter Wein daher wie der Greywacke von Chamonix – die einen Teil der Trauben nach dem Ripasso-Verfahren ausbauen, weswegen der Wein auch nicht mehr sortentypisch schmeckt. Die mächtigen Höher-Schneller-Weiter-Bordeaux-Cuvées, die vor Kraft kaum laufen können, sind nichts für mich. Unglaublich elegant und im Alkohol vergleichsweise zurückhaltend sind hier die Weine von Vergelegen, auch Mullineux oder Tokara sah ich eher auf der eleganten Seite. Meine geliebten Spätburgunder gelingen in Teilen Südafrikas auch sehr gut, zum Beispiel im ,eiskalten‘ Elgin Tal, aus dem ich mit dem Rockview Ridge von Shannon Vineyards einen Vertreter mit nur 13% Alkohol und nobler Eleganz fand.

Vergelegen: Rot oder weiß, Eleganz auf breiter Front
Vergelegen: Rot oder weiß, Eleganz auf breiter Front

Experimentalweine, die Europa derzeit so beschäftigen, sind des Südafrikaners Sache nicht. Ein einziger ungeschwefelter Zurück-zu-den-Wurzeln-Wein schwappte mir ins Glas. ,Nudity‘ heißt der Syrah vielsagend und stammt von der Winery of Good Hope (aus deren Radford Dale Serie). Er vereint bei nur 13% Alkohol eine gewisse Wildheit mit viel Frucht und Eleganz. Die 1900 produzierten Flaschen reichen aber gerade einmal für den Inlandsbedarf und ein paar internationale Weinshows.

Das tolle an Südafrikas Weinszene ist, dass sie nur 500 Winzer zählt (auf einer Rebfläche von ähnlichem Ausmaß wie die Deutsche). Der Rest macht Fassweine. Da könnte man sich mit vertretbarem Aufwand zum Experten fortbilden, wenn die guten Winzer denn einen deutschen Importeur hätten. Doch leider ist genau dies das Problem: Die Hälfte der hier erwähnten Weine sind in Deutschland nicht erhältlich. What a shame!

Und hier geht es zum Bericht des mitgereisten Direttore Breitenfeld

Schammes für dreifuffzich

Ich war im Urlaub. Deswegen gab es eine Weile keinen neuen Artikel. Ich wollte einmal Pause machen vom Bloggen und den täglichen Social Media Diskussionen. Keine künstliche Askese, ich habe gelegentlich bei Facebook hineingeschaut, die Frequenz war nur sehr bescheiden. Eine Diskussion in meiner Lieblingsfacebookgruppe ,Hauptsache Wein‘ habe ich am Rande mitbekommen: die handelte davon, dass Spaniens Weinwirtschaft in der Krise (vorsichtig ausgedrückt) steckt. Daran musste ich denken, als ich mir Wein kaufte, denn Spanien war mein Aufenthaltsort in diesem Urlaub. Schammes für dreifuffzich weiterlesen

Selber fälschen

In meinem linkskonservativen Facebook-Freundeskreis herrscht in politischen Dingen große Einigkeit. Nur eine Frage spaltet die Gemeinde: wer eher den Ehrenplatz in der Hölle verdient, Lobbyisten oder FDP-Wähler. Ich sehe das anders. In meinen Augen hat alles seine Berechtigung, Freidemokraten ebenso wie Lobbyisten – und die Hölle sowieso.

Lobbyisten sind es allerdings, die einen großen Teil der Diskussionen prägen, die meine Freunde rund um Wein betreiben. Es geht um die Geiz-ist-Geil-Mentalität und die Tatsache, dass deutsche Konsumenten jede zweite Flasche Wein beim Discounter kaufen. Ich glaube an den mündigen Verbraucher und ich konnte mir nie vorstellen, dass wir wirklich ein Volk von Weinbanausen sind. Also habe ich etwas getan, was ich eigentlich nie tue: ich habe recherchiert.

Ich habe keinen journalistischen Anspruch und schaue mir im Internet lieber Weindiskussionen an, als mich auf Faktensuche zu begeben. Da traf es sich gut, dass Recherche zum deutschen Weinmarkt kein komplexes Unterfangen ist. Das Deutsche Wein Institut (DWI) veröffentlicht regelmäßig Informationen. Die Statistik 2012-2013 steht als PDF bereit. Und siehe da: auf Seite 31 stehen Zahlen. Knapp 2 Milliarden Liter Wein kaufen die Deutschen jedes Jahr, 550 Millionen davon beim Discounter. Das ist weit weg von ,jede zweite Flasche‘. Surft man durchs Netz findet man den Fehler. Von den 1,17 Milliarden Litern, die der Deutsche im Handel kauft, sind die 550 Millionen Lidl-Liter tatsächlich fast die Hälfte. Da hat dann einer vom anderen abgeschrieben und langsam verflüchtigten sich die Spezifizierungen, bis aus jeder zweiten Handelsflasche jede zweite Flasche wurde.

Wir Weinfreaks repräsentierten gerade einmal 2% des Marktes, heißt es immer wieder in Diskussionen. Auch dazu finden sich Zahlen. 260 Millionen Liter kaufen die Deutschen direkt bei Winzern und Genossenschaften. Das sind 18%. Nimmt man den Fachhandel mit seinen 120 Millionen Litern dazu, fließt sogar ein Viertel des daheim genossenen Weines durch die Kehlen von Liebhabern. Das ist eine erhebliche Größe.

Wieso reden dann alle nur über Discounterweine? Wieso kommt keine öffentlich-rechtliche Magazinsendung mehr ohne Discounterwein-Blindverkostung aus? Der Grund ist einfach: die Lobbyisten vom DWI. Tatsächlich kostet Wein unendlich wenig Geld. Nur Bier ist – gemessen am Preis pro Gramm enthaltenen Alkohols – marginal billiger. Das billigste Bier kostet rund 50 cent pro Liter und enthält 5 % Alkohol. Der billigste Liter Wein mit etwas über 10% kostet 1,29 Euro – im Tetra Pak. Man kann in Deutschland ein Leben im permanenten Vollrausch für weniger als Hundert Euro pro Monat führen, vorausgesetzt man hält sich an Bier und Wein. Schnaps ist erheblich teurer.

Bier und Wein müssen teurer werden, notfalls über steuerliche Maßnahmen, schrieb denn auch die damalige Drogenbeauftragte Sabine Bätzing 2008 in ihr nationales Aktionsprogramm gegen Alkoholmissbrauch. Zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Deutsche sind alkoholabhängig, etwa genau so viele Personen betreiben Alkoholmissbrauch, ohne im medizinischen Sinne abhängig zu sein. Zehn Prozent der trinkfähigen Bevölkerung kippen sich mehr als die Hälfte des hierzulande verkauften Alkohols hinter die Binde. 200 Millionen Liter Wein wechseln im Tetra Pak den Besitzer, 100 Millionen davon bei Aldi und Co, schrieb die WELT in einem Artikel von 2007. Und auch die Flasche 1,39 Euro Pinot Grigio von Netto dürfte zur ,Grundversorgung für Vieltrinker‘ zählen, wie Michael Willkomm, Chef der Großkellerei Peter Mertes im Gespräch mit der Welt einen Teil seiner Produktion nennt.

Um zu verhindern, dass der Bodensatz der weintrinkenden Gesellschaft zum Argument für Extra-Steuern auf Wein wird, eignet sich ein Mittel besonders gut: die Bildung des Durchschnitts. Also gibt der Deutsche ,im Schnitt‘ 2,50 Euro für einen Liter Wein beim Discounter aus. Das hämmert die Lobby-Organisation DWI seit einigen Jahren der deutschen Öffentlichkeit ins Hirn. Es wird vom Verbraucher und Weinliebhaber geredet. Doch wer die bedauernswerten Geschöpfe, die sich hektoliterweise Frankentaler einflößen, ,Weinliebhaber‘ nennt, der hält Sodomisten auch für Tierfreunde.

Quelle: DWI
Quelle: DWI

Mehr als die Hälfte der im LEH und Discount abgesetzten Flaschenweine kostet laut WELT weniger als 1,50 Euro (zugegeben, die Zahl ist von 2007), da bleibt für die restlichen Flaschen 2,99 Euro: Mutti trinkt Blanchet oder Gallo und das ist kein deutsches Phänomen. Ich mag mich irren aber mir bietet sich ein einfaches Bild: Viele Deutsche trinken günstige Markenweine, einige trinken etwas teurere Markenweine und noch weniger – aber eben keine verschwindend geringe Zahl – trinken Winzerweine. Wir haben eine ganz normale Weinkultur. Leider haben wir als Volk ein Alkoholproblem. Dank der Durchschnittbilderitis einer Lobby-Organisation entsteht aus diesen beiden Polen des Weinmarktes ein Zerrbild. Im Ergebnis wird der unentschlossene Wein-Neuling von den Medien mit der Botschaft bombardiert, billiger Wein sei prima. Die ist Ausfluss einer Schutzstrategie für Großkellereien, finanziert mit den Marketinggeldern auch der handwerklichen Erzeuger. Wenn ich Qualitätswinzer wäre, ich käme aus dem Fluchen gar nicht mehr raus.

Da ich mich aber nicht zu ärgern brauche, genieße ich lieber einen handwerklichen Wein. Einen, der in jeder Hinsicht die Statistiken manipuliert: Er ist ein Exot und sauteuer (verglichen mit dem Durchschnitt). Mein erster Sauvignon Gris hat mächtig Spass gemacht. Weinkultur eben.

Knipser, Sauvignon Gris, 2005, Pfalz. In der Nase würzig mit etwas Holz, blondem Tabak, sehr reifer Birne, Quitte und Johannisbeere. Am Gaumen wieder Holz und Rauch,die Säure ist sehr präsent, Apfel und dann Pfeffer hoch drei, Der Wein hat Zug zum Tor, mittleres Volumen, unauffällige 12,5 % Alkohol und einen sehr langen Abgang mit viel Pfeffer aber ohne Veltliner-Verwechslungsgefahr. Hat mir ausnehmend gut gefallen.