Wie stellt man selber Essig her?

Irgendwann kommt für jeden Menschen der Tag, an dem er sich über seine Gesundheit Gedanken macht. Manche brauchen dafür länger und einige benötigen einen Warnschuss vom eigenen Körper, die meisten befassen sich jedoch ohne besonderen Anlass in ihren Zwanzigern mit dem Thema, so auch ich. Seitdem (und tatsächlich erst seitdem, gestehe ich reumütig) folge ich einem ehernen Prinzip: Ich bin kein Mülleimer. Der letzte Schluck Wein im Glas, der letzte Bissen Kuchen auf dem Teller oder das letzte Würstchen auf dem Grill: früher habe ich so was mit den Worten ,bevor es in den Müll kommt…‘ in mich hinein befördert, selbst wenn ich keinen Hunger oder Durst mehr hatte. Seit meiner inneren Gesundheitsklausur ist das anders. Wenn ich heuer zu viel esse oder trinke, dann vorsätzlich.

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Gran Reserva

Carsten Sebastian Henn, stellvertretender Chefredakteur des Gault Millau, hat einen neuen Krimi geschrieben, einen Weinkrimi. Weinkrimis machen mir Angst, wie alle Themenkrimis (Golfkrimis, Kochkrimis etc.). Zu häufig erhoffen sich schwache Krimiautoren, dass sie nur die Hobby-Neigungen einer Zielgruppe in ihren Plot einbauen müssten, dann verzeihe ihnen die entzückte Hobbyistenschar dramaturgische Defizite. Dazu verkaufen sich solche Bücher prima als Geschenk, weil Weinfreunde (Golfspieler, Hobbyköche) meist als solche bekannt sind und Freunde diese Art von Krimi als ideales Geschenk betrachten.

Ich hatte also Manschetten, als ich ,Gran Reserva‘, so heißt Henns neuestes Werk, in Händen hielt. Sein Verlag Piper hatte mich freundlicherweise bemustert. Glücklicherweise ist Henn ein Krimiautor mit Weinfimmel, kein Weinautor, der zur Aufbesserung der Urlaubskasse schlechte Krimis schreibt. Die Handlung lebt nicht in erster Linie von Wein oder Geschichten rund um seine Produktion.

Die Story: Max ist Fotograf, erfolgreich aber gelangweilt, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und fest entschlossen, aus seinem Alltag auszubrechen. Er verlässt seine Heimatstadt Köln in Richtung Rioja, um bei einem alten Studienfreund unterzuschlüpfen. Dort angekommen trinkt er Wein, besucht die Bodegas Faustino, verliebt sich, stolpert zufällig über eine Leiche, hilft bei deren Beseitigung, trinkt mehr Wein, übersteht allerlei Irrungen und Wirrungen, trinkt noch mehr Wein, findet eine weitere Leiche, trinkt sehr viel Wein und sieht am Ende doch erstaunlich klar.
Wie bei jedem guten Krimi schadet es nur, vorher zu viel über die Handlung zu wissen. Also konzentrieren wir uns auf die wesentlichen Fragen:

Ist das Buch spannend?
Durchaus. Es erzeugt vielleicht nicht die Art von Spannung, die einen vor dem Schlafengehen nachschauen lässt, ob die Haustür verschlossen ist, aber es ist ja auch ein klassischer Krimi, kein Thriller. Bis spät in die Nacht lesen will man allemal.

Sind die Charaktere gut gezeichnet?
Unbedingt. Bei den handelnden Personen kommt Henns Buch nicht ohne Klischees aus. Das stört aber nicht, denn es sind fröhliche Klischees: der Spanier ist ein Womanizer und Chaot, der Amerikaner bemisst den Wein in Dollar und Punkten, der alte Mann ist sentimental, die Frau emanzipiert und feurig, der Protagonist auf Sinnsuche.

Liest sich der Krimi flüssig?
Definitiv. Henn hat einen ausgesprochen angenehmen und gut zu lesenden Schreibstil: Klare Sprache, kurze Sätze, eine Portion Humor und Distanz zu seinen Helden. Beschreibungen von Land, Leuten und Weinen erzeugen Atmosphäre, ohne den Erzählfluss ins Stocken zu bringen.

Geht‘s denn arg viel um Wein?
Entwarnung. Jedem Kapitel ist ein kleiner Exkurs vorangestellt, der einen historischen Jahrgang der Rioja beschreibt. Der Bezug zur Handlung ist nicht ersichtlich aber die Zeit, die das Lesen in Anspruch nimmt, ist überschaubar. Der Rest des Textes kann des Autors Liebe zum Wein nicht verhehlen, so weinlastig, dass es nervt, wird es aber nie.

Wie schaut‘s mit dem Ende aus?
Durchwachsen. Die Königsdisziplin – Henn meistert sie, wenngleich nicht mit Bravour. Seine Herangehensweise ist Old School, Hommage an die British Crime Ladies, denn in der Schlussszene finden sich alle im Laufe der Handlung aufgetauchten Charaktere überraschend an einem Ort ein. Der Showdown erinnert derart an Agatha Christie oder Dorothy Sayers, dass ich dachte, jeden Moment kämen Hercule Poirot und Lord Peter Wimsey Arm in Arm hinter den Barriquefässern der Bodega hervor.  Die Handlung erfährt eine bodenständige Auflösung.

Bleiben Fragen offen?
Eine. Warum heißt es die Rioja? Genus feminin bei Landschaften ist so selten. Ich hatte mir erhofft, aus diesem Buch zu lernen, warum die Rioja weiblich ist. Die Herkunft (Rio Oja) wird zwar erklärt, aber das steht auch in Wikipedia

Da liegt zusammen, was zusammen gehört.Und was trinkt man dazu?
Rioja natürlich. Am besten Gran Reserva. Wenn man so was nicht hat, entweder eine Nummer kleiner oder größer. Ich hatte noch einen neumodischen Angeberwein aus der Rioja im Keller. Die Notiz ist etwas verkürzt, ich habe mich schließlich auf das Buch konzentriert.
Telmo Rodriguez, Altos de Lanzaga, 2003, Rioja, Spanien. In der Nase edel: der Wein riecht nach Kirsche, Zigarrenkiste, Alkohol und Lakritz. Am Gaumen begeistert er mit toller Struktur und herrlichen Aromen: Holz, Schokolade und Kirsche (und ja, das erinnert sehr an Mon Chéri), sehr feines Tannin, kräftige Säure (trotz des heißen Jahres). Der Abgang währt ewig. Ich bin hin und weg: wahnsinnig guter Wein!

Neben unterhaltsamer Lektüre war Henns Buch auch rechtzeitiger Anlass diesen Wein zu trinken, der wunderbar gereift und vielleicht jetzt auf dem Höhepunkt ist. ,Gran Reserva‘ hat sich also doppelt gelohnt.

Carsten Sebastian Henn, Gran Reserva, Piper, 2012, Deutschland. Im Antrunk feine Noten von Mord und Totschlag. Der komplexe Mittelbau ist voluminös, ohne fett zu sein, glänzt mit straffer Federführung und einem bunten Strauß an falschen Fährten. Der Abgang ist im besten Sinne klassisch, wenngleich den Fan rasanter Action die zarten Noten von Talkumpuder stören könnte – mich nicht, ich fand ihn lecker.

Der Gipfel der Anmaßung

Seit ich ein Weinblog schreibe, bin ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, was wohl zum Schreiben eines Weinblogs befähigt. Eigentlich ist es ziemlich anmaßend, sich öffentlich zu Wein äußern zu wollen, bloß weil man gern und regelmäßig welchen trinkt. Diesem Prinzip folgend, könnte man auch beim ZDF anrufen und einen Platz im literarischen Quartett einfordern, bloß weil man gerne liest.

Da das mit dem Weinbloggen mittlerweile niemanden mehr aufregt, dachte ich mir im Dezember, ich könnte Spannung in mein Leben bringen und genau das tun: unter die Literaturkritiker gehen mit keinerlei Qualifikation als meiner Fähigkeit zu lesen. Um die Hybris ein wenig weiter zu treiben, tat ich etwas, was ich bei Wein noch niemals getan habe: ich bestellte mir ein kostenloses Rezensionsexemplar mit dem Hinweis auf eine Besprechung in diesem Blog (meine Reichweite habe ich verschwiegen, hätte nur die Chancen tatsächlicher Bemusterung ruiniert). Dass ich die Bestellung überhaupt aufgeben konnte, lag daran, dass das fragliche Buch entfernt mit Wein zu tun hat. Es handelt sich um Carsten Sebastian Henns neuen Roman ,Gran Reserva‘ – einen Weinkrimi. Er spielt, wie Experten schon erraten haben, in der Rioja, Heimat des Gran Reserva.

Ich hatte mir das alles ganz einfach vorgestellt. Ich hole mir einen Gran Reserva aus dem Keller, lese den Krimi, mache mir ein paar Notizen und schreibe dann eine beschwingte Kritik. Aber es kam natürlich anders. Mein Kellerbuch verzeichnet im Kapitel Spanien ganze vier Weine und keiner ist ein Gran Reserva. Es war auch nur einer aus der Rioja da und an einem Abend würde ich den Wälzer niemals durchlesen. Also galt es, die Lektüre mit einer Annäherung an einen Gran Reserva zu beginnen. Ich wählte einen ziemlich alten Cabernet aus Kalifornien – ist ja fast das gleiche. Ähnlich kompetent mutete an, was ich mir als Notizen zum Krimi machte. Aber aus der Nummer komm ich nicht mehr raus. Also teile ich meinen Bericht in zwei Hälften. Dieser erste Teil schildert die Entstehung und Begleitumstände meiner Literaturkritik. Er ist nur für Eingeweihte, Stammleser, quasi eine vorweg genommene Entschuldigung, also bitte nicht bei facebook teilen oder gar twittern. Zum zweiten Teil, den ich hochseriös verfassen werde, sobald ich meine nervösen Zuckungen in den Griff kriege, werde ich den Link dann auch an den Verlag schicken, in der Hoffnung, dass die Printheinis keine Ahnung haben, wie man durch ein Blog navigiert oder schlicht zu beschäftigt sind, mehr als die Headline zu lesen. Soviel sei aber schon an dieser Stelle verraten: Ich habe Henns Weinkrimi sehr genossen, genau wie den kalifornischen Gran Reserva.

Hätte man auch mal abstauben können, bevor man ihn fotografiertRobert Mondavi, Oakville, Cabernet Sauvignon 1999, Napa Valley, Kalifornien. In der Nase   dominieren schwarze Johannisbeere und Holz, es riecht aber auch ein wenig nach einem Spaziergang im Viehstall. Am Gaumen ist der Wein sehr von süßer Frucht dominiert: Johannisbeere oder Cassis, wie man in der Weinwelt lieber sagt (warum eigentlich?). Dazu ein Eindruck von Bleistiftspäne und sehr feines Tannin, das nur ein bisschen schmirgelt. Der Wein ist zwar enorm fruchtig aber nicht übertrieben dick oder gar marmeladig, eher mit kühler Aromatik und feiner Note von Menthol. 14% Alkohol sind nicht einmal zu erahnen. Ich finde den Oakville sehr elegant und das Tannin verleiht ihm eine sehr noble Struktur. Der Abgang ist sehr lang und leicht adstringierend. So mag sogar ich Cabernet – ein ausgesprochen guter Wein.

(Wie) kann man mit Weinbloggen seinen Lebensunterhalt verdienen?

Heute geht es hier nicht um Wein; zum ersten Mal, seit es dieses Blog gibt. Es geht ums Bloggen an sich und um einige wirtschaftliche Zusammenhänge. Ich dokumentiere damit meine Session vom Vinocamp. Wen das nicht interessiert, dem bin ich nicht böse, der kommt einfach nächste Woche wieder.

Vorweg ein Hinweis: Ich arbeite in der e-commerce-Branche bin aber mit keinem der erwähnten Unternehmen wirtschaftlich verbunden. Ich gönne jedem Neugeschäft, verlinke aber trotzdem auf keine Firma oder Website. Man findet sie alle sehr leicht über Google. Und: ich blogge aus Spaß und folge selbst keinem der hier gegebenen Ratschläge. 

Doch nun zur Sache:

Kann man mit einem Weinblog seinen Lebensunterhalt verdienen?

Die Einnahmequellen aus einem Blog sind beschränkt: Werbung, Affiliate-Provisionen sowie SEO-Gelder aus dem Verkauf von Links. Mehr gibt es eigentlich nicht – wenn wir mal von Spenden absehen.

Werbung:

,Auf meinem Weinblog tummeln sich ganz viele Menschen mit viel Geld, die alle BMW fahren und Markenklamotten tragen. Das ist für Markenartikler doch hochgradig relevant. Die müssen eigentlich alle bei mir werben.‘ So lautet die gängige Vorstellung vieler Blogger. Relevanz ist Romantik, Reichweite ist King, das ist die Realität. Online Werbung ist ein Milliardenmarkt. Große Werbetreibende platzieren in einer Kampagne Millionenbeträge, in einem Flight (das ist eine zusammenhängende Werbeperiode) sind es meist noch über Hunderttausend Euro. Abgerechnet wird nach Tausendkontaktpreis (TKP), der irgendwo im einstelligen, manchmal niedrigen zweistelligen Bereich liegt. Angenommen ein Weinblog erzielt einige Hunderttausend Pageimpressions im Monat, dann kann es für einige Hundert Euro Werbung an einen Werbetreibenden verkaufen. Dieser macht sich aber nicht die Mühe seinen sechsstelligen Werbeetat auf etliche Hundert Werbeträger zu verteilen. Das ist viel zu mühsam und die Verwaltung kostet bald mehr als die Medialeistung. Reichweite in der falschen Zielgruppen ist auch nicht zielführend, aber es gibt ausreichend Plattformen mit Reichweite und hochwertiger Zielgruppe. Da kommen Blogger nicht mit, auch weil sie nicht die nötigen Daten für die Mediaplanung liefern können. Die werden von einer Organisation namens Agof erhoben und die Mitgliedschaft ist so teuer, dass es sich für kleinere Sites nicht lohnt. Bleibt also doch nur Werbung in der Weinbranche.

Affiliate-Provisionen:

Ein lukrativer Weg der Werbung, der nicht immer aussieht wie Werbung: der Blogger meldet sich bei einem Affiliate Netzwerk wie Zanox an und sucht sich die Kampagnen und Produkte selbst aus, die er bewerben will. Bei Weinen kann er sogar noch über die Weine schreiben und direkt im Artikel zum Shop verlinken. Am Link klebt hinten ein kleiner Zusatz, der sicherstellt, dass das Blog als Kundenwerber erkannt und entlohnt wird. So lässt sich teilweise recht ordentlich verdienen. Ein gutes Beispiel findet sich auf Michael Lieberts Blog, wenn man mal nach seinen diversen Artikeln über Weine des Internetversenders Wine in Black sucht.

Restplatznetzwerke etc.

Seine Werbeplätze in Netzwerke einzubinden und sich von dort auf Erfolgsbasis bezahlen zu lassen, klingt nach leicht verdientem Geld. Es bringt aber lediglich ein paar Euro und müllt die Seite mit teils anrüchiger Werbung zu.

SEO Gelder

Tragen auch ein wenig bei, sind aber bei einem einzelnen Blog ebenfalls sehr beschränkt. Warum das so ist, ist weiter unten ein Thema.

Fazit

Beim Zusammenstellen eines Geschäftsplans für ein Blog geht es nicht darum sich die schönste Kennzahl zu suchen, und dann an ihr festzuhalten, bis einen der Gerichtsvollzieher vom Gegenteil überzeugt. Die niedrigste Zahl zählt! Ein Beispiel: Wenn ich dem Weinhandel Werbung verkaufe und als erfolgreicher Blogger unfassbare 500.000 Seitenaufrufe im Monat produziere, könnte ich mir das folgendermaßen schönrechnen: Einen Banner oben mit einem TKP von 5€ einer an der Seite (2€) drei schicke Buttons in der dritten Spalte (je 1€) macht summasummarum 10€ pro tausend Impressions oder 5000€ im Monat. Klingt nach einem erfolgreichen Geschäftsplan.

Die Kennzahl, die ich dabei außer Acht lasse ist der ARPU oder Average Revenue Per User. Nehme ich realistisch an, dass ich 10.000 ständige Leser habe (die hochaktiv sind, weil meine Kommentarspalte von Einträgen nur so platzt), dann erlöse ich 0,5€ pro Nutzer und Monat. Ich muss davon ausgehen, dass meine Werbekunden alle mit dem Verkauf von Wein Ihr Geld verdienen und bereit sind zirka 10% ihres Umsatzes in Werbung zu stecken. Somit muss jeder meiner Leser jeden Monat über die bei mir gesehene Werbung für 5€ Wein kaufen. Wissend, dass ein Drittel zwar gerne mal mitliest, aber dann doch die günstigen Weine bei Jacques Weindepot kauft und von den verbleibenden mehr als die Hälfte Wein aus Vertrauensgründen nicht online kauft (die Email-Bestellung beim bekannten Weingut zählt nicht), lande ich schnell bei schwindelerregenden Transaktionsvolumen, die meine e-commerce-affinen Leser nicht einmal, sondern Monat für Monat über meine Seite anschieben müssen – keine Chance (ich hätte auch kürzer argumentieren können: Ein Weinblog mit einem höheren ARPU als facebook, das immerhin 15% der Onlinezeit seiner Nutzer abbekommt??? Eher unwahrscheinlich…). Ich will aber nicht abstreiten, dass man ein paar Händler und Weingüter zu niedrigeren Preisen in der Seite einbinden kann und damit vielleicht die Miete bezahlt ist.

Von einem Blog kann man nicht leben. Man kann in zwei Stunden täglich ein respektables Blog aufbauen, das vielleicht die Miete zahlt. Aber der Tag ist ja noch lang…

Kann man mit Weinbloggen seinen Lebensunterhalt verdienen?

Ganz einfach wird es, wenn man mit seinem eigentlichen Blog so viel Ruhm und Ehre erwirbt, dass man als eine Art Branchenprominenter seinen Namen versilbern kann. Das funktioniert aber höchsten zwei oder drei Mal pro Branche. Dirk Würtz war der erste, der diesen Status erreicht hat, er zeigt sein Gesicht für Stern.de, moderiert Veranstaltungen auf der Prowein und gibt seinen Namen für Amazon. Da klingelt die Kasse so laut, dass man davon leben kann. Planbar ist es nur bedingt. Wein ist gerade ein hippes Thema. Ein halbes Dutzend mit Risikokapital ausgestattete Internet-Unternehmen aus der Weinbranche will werben, die großen Medien heben das Thema in die Redaktionspläne (um genau diese Umfelder für die Werbetreibenden Startups zu schaffen). Das kann eine ganze Weile so weitergehen, muss es aber nicht. Der Weinkaiser ist der zweite, der sich anschickt, sich so als Marke zu positionieren, dass er mit der Vermarktung seiner Person die Einkommenslücke zwischen Anspruch und Wirklichleit des Weinbloggens schließt. Anders als Dirk Würtz ist Ralf Kaiser vor allem als Berater in Sachen Social Media unterwegs. Gerade Ralf, der nur alle paar Wochen einen Beitrag auf seinem Blog veröffentlicht, zeigt aber deutlich: mit Weinbloggen hat das nur wenig zu tun, das Geld stammt aus anderen Tätigkeiten.

Kann man den nun vom reinen echten Bloggen leben – und wenn ja wie?

Die wichtigste Eigenschaft einer Internetseite mit kommerziellem Hintergrund ist heutzutage die Auffindbarkeit über Google. Deswegen fließt ein immer größerer Teil der Werbegelder in die Suchmaschinenoptimierung. Früher war die suchmaschinenfreundliche Gestaltung der Seite ein wichtiger Aspekt dieser Disziplin, doch dieser wird immer weiter zurückgedrängt. Die perfekte Struktur und Befüllung einer Seite machen heute noch 10% des SEO (Search Engine Optimisation) Erfolges aus. 90% hängen von externen Links ab. Beispiel gefällig? Wer einmal nach dem Englischen Wort ,here‘ oder auch dem Deutschen ,hier‘ sucht, der wird auf Platz Eins oder Zwei der Resultate die Downloadseite des Adobe Acrobat finden, obwohl das Wort ,here‘ oder ,hier‘ auf den Seiten kein einziges Mal auftaucht. Aber Millionen von Links auf unzähligen Webseiten sind halt betitelt: ,Wenn Sie keinen Adobe Reader haben, können Sie ihn hier herunterladen‘.

Also schreiben wir für unser Projekt ,Vom Bloggen leben‘ zukünftig Artikel mit vielen relevanten Keywords und platzieren mitten hinein einen Link zu jemandem, der dringend auf den Ergebnisseiten von Google nach vorne klettern will und deswegen dafür bezahlt. Leider mag Google es nicht, wenn wir unser Blog mit externen Links zupflastern, das Verhältnis Text zu Links muss stimmen. Deswegen reicht ein Blog nicht. Neben unserer bürgerlichen Fassade des geistreichen Weinblogs erschaffen wir noch eine ganze Reihe weiterer Blogs, die ich einmal Zombieblogs nennen will (ich erhebe Anspruch auf Urheberschaft). Zombieblogs liefern allgemeine Texte zu Wein (das lässt sich auf beliebige andere Branchen übertragen) und haben einen griffigen Namen und URL (unbedingt mit Worten wie Rotwein, Weisswein oder einfach Wein). Leider mag Google keinen gespiegelten Content, also müssen wir die Texte immer wieder variieren (aber nicht gänzlich neu schreiben). Wenn wir das nicht selber machen wollen, können wir auch für 5€ pro Text selbige bei der Firma Textbroker oder einem ihrer Mitbewerber bestellen. Im Gegenzug können wir uns auch selber bei Textbroker als Autor verdingen. 5€ klingt zunächst nach Hungerlohn, aber wenn wir unsere Textbausteinbibliothek perfektioniert haben, sitzen wir auch nur noch 7 Minuten an so einem Text. Außer Google soll den ja niemand lesen.

Besonders viele Texte brauchen wir auch nicht. Zwei pro Blog und Woche reichen, um den Pagerank (Googles Maß für Relevanz) auf drei oder vier zu halten. Wenn wir unsere 20 Zombieblogs gepflegt haben, ist es an der Zeit fürs Mittagessen. Danach müssen wir unsere Links auch noch verkaufen. Wie gut, dass es rund ein halbes Dutzend Agenturen gibt, die das für uns machen, beispielsweise die Berliner eFamous (wunderschöner Name für das Geschäftsmodell, finde ich). Die wollen dafür eine Provision aber wir haben den Nachmittag frei. Den können wir mit weiteren vertrieblichen Aktiviäten füllen (damit auch wirklich alle Links verkauft werden), mit lustigen Weinveranstaltungen, zu denen man uns ob unseres einen seriösen Blogs vielleicht einlädt (und auf denen wir so tun, als ob wir von diesem Blog leben könnten) oder mit wirklich zielführenden Aktivitäten wie einer Umschulung auf einen vernünftigen Job. Aber wenn man will, kann man vom Weinbloggen seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Als ich zur Welt kam, dachten die Menschen, die galoppierende Technisierung unserer Gesellschaft würde einmal dazu führen, dass Maschinen selbständig Werke zu unserer Unterhaltung produzieren. Als ich Abitur machte, philosophierte Joe Weizenbaum darüber, dass den Menschen die Arbeit ausgehen könnte, weil Maschinen fast alles erledigen. Zwanzig Jahre später gebe ich Bloggern eine Anleitung, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie Texte zur Unterhaltung einer Maschine schreiben! Soylent Green ist Menschenfleisch…

Tagebuch eines Klassentreffens

Das war es also: das zweite Vinocamp Deutschland, für mich persönlich das erste, nachdem ich die Premiere aus beruflichen Gründen verpasst hatte. Gespannt war ich: auf die Menschen, auf die Fachhochschule Geisenheim, auf die Partylocation ,Winebank‘ und nicht zuletzt auf das Veranstaltungsprogramm.

Unbegründete Ängste

Ich hatte Manschetten vor dem VinoCamp, das sei deutlich gesagt. Wie Kollege Utecht bin ich auch ein reiner Weintourist. Ich habe beruflich nichts mit Wein zu tun. Um Abbitte zu leisten, hatte ich mich vorab als Organisator einer der nachmittäglichen Weinproben verpflichtet.

Soziale Weinverkostung
Tod durch Verdursten – eher kein Risiko in Geisenheim

So konnte ich wenigstens etwas beitragen und kam nicht nur zum Lauschen und Schnutentunken (sic!). Doch meine Angst war unbegründet. Selbst reine Hobbyblogger sind auf dem VinoCamp gern gesehen. Und aufgrund meines beruflichen Hintergrundes in Online-Marketing und -Anzeigenverkauf konnte ich am Sonntagmorgen spontan eine Session anbieten, die zwar nichts mit Wein zu tun hatte aber trotzdem positive Resonanz fand. Neben Wein geht es auf dem VinoCamp auch um (elektronische) Medien und digitale Trends. Die Kritik, dass dem Camp ein wenig Sinnlichkeit fehlt, ist vielleicht nicht unberechtigt.

Das Vorglühen

Ich kam bereits am Freitagnachmittag an, da ich mich als freiwilliger Helfer zum Aufbau gemeldet hatte. Als ich eine Stunde nach Beginn des Arbeitseinsatzes mit der Bahn in Geisenheim eintraf, war bereits alles erledigt, was für Freitag anstand. Zur Feier der erfolgreichen Vorbereitung gab es ein Glas eines 2010er Ersten Gewächses des Weinguts der Forschungsanstalt, Villa Monrepos. Sehr erfrischend.

Die informelle Zusammenkunft aller Frühangereisten im Restaurant Altes Rathaus (ein Restaurant mit allen drei Entdeckerweinen auf der Weinkarte) in Oestrich begann noch bei strahlendem Sonnenschein im Innenhof des gemütlichen Gemäuers mit einem Glas des brandneuen Rieslingsektes ,Z‘ vom Weingut Balthasar Ress, genau genommen war es ein immervolles Glas, denn neben Dirk Würtz zu sitzen, während er seine Weine ausschenkt, hat einen konstanten Füllstand im Glas zur Folge. Wie oft bei Zero Dosage Pricklern fand ich den Wein anfangs hart, um ihn mit jedem Schluck angenehmer und weicher zu finden. Guter Stoff.

Fass 161 war besonders gut
Definitiv ein verwackeltes Foto wert: Pfaffenberg Riesling Auslese trocken 2007

Im Laufe des Abends gab es noch viele gute Weine, wobei mein Hauptaugenmerk darauf lag, meinen persönlichen Füllstand niedrig zu halten, um am nächsten Tag fit für das Camp zu sein. Bemerkenswert waren die Fassproben aller vier Ersten Gewächse von Ress. Da wird für jeden was zum mögen und ablehnen dabei sein, so unterschiedlich sind sie. Am Abend mein Favorit: der Rottland.

Ebenfalls in guter Erinnerung blieben der Spätburgunder Cuvée Daniel von Georg Müller Stiftung (2009?) sowie der Riesling Pfaffenberg (2007, Auslese trocken Fass 161) von Schloss Schönborn, vor allem aber interessante Begegnungen und Gespräche mit Menschen, die eines eint: Weinbegeisterung.

Das Barcamp – Tag 1

Der Themenmost eines Barcamps vergärt überwiegend spontan. In einer eigenen Community bei mixxt gab es einen Gäransatz in Form einer Wunschliste aber die endgültige Planung eines Tages erfolgt morgens vor Ort. Eine Art Keynote gab es von Rémy Gresser, dem Vorsitzenden des Winzerverbandes Elsass. Er sprach in der Session ,Quo Vadis, Elsass?‘ ungewohnt offen über die Fehler seines Anbaugebietes in den letzten 30 Jahren. Das war sehr unterhaltsam, wenngleich es mit meinem Zugang zu und Umgang mit Wein wenig zu tun hat. Es ist bei einem Barcamp nicht wichtig, dass sich in jeder Session diejenigen zusammenfinden, die am meisten über ein Thema wissen oder den gleichen Zugang dazu haben. Über den Tellerrand zu schauen und zu hören, was andere umtreibt, macht auch viel Spass.

Natürlich gab es auch Themen, die mich kalt ließen. Aber dafür finden immer gleichzeitig mehrere Sessions statt. Und wenn alle Stricke reißen, macht man einfach mal Pause oder nutzt die Zeit, um eine eigene Session vorzubereiten. Im Foyer der Hochschule standen zudem Stände einiger Sponsoren, an denen man interessante bis sensationelle Weine probieren konnte. Sehr gut: ein 2007er Riesling Grand Cru von eben jenem Rémy Gresser sowie die gehobenen Qualitäten einer Madeira-Session des Sponsors ,Rindchens Weinkontor‘. Weitere Weine, die ich erinnern werde, waren Andreas Dursts interessante Spätburgunder Fassprobe (weit unter Wert geschlagen), sowie die Pinots von Eser und Tiefenbrunner aus meiner im letzten Artikel beschriebenen Probe.

Die Party

Menschen die Wein mögen
Die Dame von der Dachmarke und der Händler mit dem charmanten Akzent

Am Abend fand sich die bunte Schar von rund 150 Teilnehmern zu einer Party in der Winebank ein. ,Keine Angst vor altem Wein‘ war das Motto, und jeder Teilnehmer hatte eine Flasche dazu mitgebracht, die mindestens zehn Jahre auf dem Buckel hatte. Die hatte er oder sie bei der morgendlichen Anmeldung mit seinem Namen beklebt und abgegeben, um sie abends gegebenenfalls gekühlt und geöffnet in der Winebank wieder entgegennehmen zu können. Man kann den vielen fleißigen Helfern vom Orga-Team gar nicht genug für die perfekte Organisation danken.

Nachdem der Tag schon viel Wein mit sich gebracht hatte, schaffte ich noch einen Probeschluck aus ein paar Flaschen, bevor ich die Segel strich und mit einigen Gleichgeschädigten ein Reparaturbier in einem fiesen Irish Pub in Rüdesheim zu mir nahm. Zu viele hatten den Aufruf, einen alten Wein mitzubringen, zur Entsorgung von Kellerleichen genutzt – mein eigener von Othegraven 2001er Bockstein machte in meinen Augen keine Ausnahme. Echte Altweinliebhaber kamen auf ihre Kosten, alle anderen konnten sich ein für alle mal davon überzeugen, dass alter Wein nicht automatisch guter Wein ist.

Der zweite Tag

Diszipliniert erschien der Großteil der Teilnehmer auch am zweiten Tag pünktlich zum Camp. Für mich Höhepunkt des Sonntags war die Fehlerweinprobe mit im Geisenheimer Labor präparierten Weinen. Bereits die Kork-Station im Foyer, bei der sich jeder an seine persönliche TCA-Schmerzgrenze heranschmecken konnte, hatte mich begeistert. So etwas kann ich als Hobbyblogger nur beim VinoCamp genießen.

Nach dem gemeinsamen Aufräumen am Nachmittag ging es an das Verteilen überzähliger Weine und wer wollte, konnte mindestens so viele Flaschen wieder mit nach Hause nehmen, wie er mitgebracht hatte. Ich griff mir nur eine – und so gebar das tolle VinoCamp 2012 noch als letzte Premiere meine erste geschnorrte Flasche Wein:

Guter RoterGrenzhof Fiedler, Leithaberg DAC (Blaufränkisch, Mörbischer Goldberg), 2009, Burgenland. In der Nase und am Gaumen unmittelbar nach dem Öffnen erst mal fröhliche Konsenskirsche. Ich wähne mich in Italien, wo ich mich nicht so heimisch fühle. Doch schon mit wenig Luft kommt Zigarrentabak, Pflaume und etwas Holz dazu, wieder selten einmütig in der Nase und am Gaumen. Nach einer Stunde ist der Wein da, wo er vermutlich sein soll: sehr saftig mit ordentlich Säure, feines Holz, schöne Frucht. Ich mag die Struktur, weil er nicht so fett ist. Die Säure spielt die erste Geige. Ein Blaufränkisch für Spätburgunderliebhaber (gemacht von einem Cabernet-Trinker, aber das sei ihm verziehen). Der Abgang ist mittellang, der Alkohol (13,5%) unauffällig. Gefällt mir sehr gut – nicht nur, weil er ,für umme‘ ist.