Harte Zahlen – weiche Zahlen

Die folgende Erläuterung hat nichts mit Wein zu tun. Sie bezieht sich auf Dirk Würtz’ Artikel über die aktuellen Auflagenzahlen der Weinpresse und eine lebhafte Diskussion, die sich darum auf den verschiedenen sozialen Kanälen entwickelt hat. Da ich beruflich mit Absatzförderung befasst bin, wurde ich gebeten, einige klärende Anmerkungen zum Thema, wie läuft der Entscheidungsprozess in der Anzeigenschaltung, welche Reichweitendaten sind relevant und wie werden sie erhoben und ausgewertet, zu liefern. Da Facebook mangelhafte Such- und Archivfunktionen bietet, publiziere ich hier, wo der Text auch später leicht gefunden wird. Wer den Schnutentunker liest, weil er sich für Wein interessiert, der komme bitte nächste Woche wieder.

Die Zahl der gedruckten, verkauften, abonnierten und verschenkten Hefte deutscher Print-Medien wird von der Interessengemeinschaft für die Verbreitung von Werbeträgern (kurz IVW) gemessen. Die Zahlen der Weinmedien sind seit Jahren rückläufig. Die tatsächlich verkaufte Auflage einiger Medien nähert sich dem vierstelligen Bereich. Daraus lässt sich auf einen Niedergang schließen, trotzdem sollte man die richtigen Zahlen für die Analyse heranziehen.

Anzeigenkampagnen werden in Deutschland meist von zwei Dienstleistern für den Werbetreibenden erarbeitet. Die Werbeagentur (auch Kreativagentur genannt) konzipiert den Inhalt und die Gestaltung, die Media-Agentur sucht die idealen Umfelder für die Schaltung der Motive, verhandelt die Preise und übernimmt die Auswertung der Ergebnisse. Media-Agenturen haben einige Parameter, mit denen sie planen: Reichweite, Relevanz und Preis. Gehen wir sie einmal der Reihe nach durch.

Die Reichweite ist die Zahl der Menschen, die ein Anzeigenmotiv tatsächlich zu sehen bekommen, beziehungsweise die beste Näherung daran. Sie wird aufgrund von Daten einer Media-Analyse, der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (AG MA, die Studie heißt MA) berechnet. Die AG MA führt jedes Quartal Interviews mit einer Zahl von Menschen, die mindestens den Anforderungen an einen Zensus entspricht. Dabei werden Fragen zur Mediennutzung gestellt. Tuen wir für die Sekunde mal so, als gehörte ich zu den Interviewten.

Ich habe keine Weinzeitschrift abonniert und kaufe auch keine. Meine letzte Vinum habe ich bei einer Messe geschenkt bekommen, einen Falstaff besitze ich nicht. Wenn ich aber Donnerstags einen Absacker im Rutz nehme, an ‚unserem‘ Tisch hinten in der Ecke, und meine Frau geht sich kurz die Nase pudern, dann drehe ich mich um und greife in die Obstschale auf dem Tresen – da liegt die Vinum. Und wenn ich zum Plausch bei Planet Wein am Gendarmenmarkt weile und die freundliche Inhaberin Anja muss einen Kunden verarzten, dann liegt in der rechten Ecke der mittleren Fensterbank der Falstaff.

Während meines MA-Interviews werden mir Kärtchen mit den Logos von Medien gezeigt und Fragen zu meinem Nutzungsverhalten gestellt. Also sehe ich die Karte mit dem Vinum Logo und erkläre wahrheitsgemäß, wann ich das letzte Mal in dieser Zeitschrift gelesen habe. Je nachdem wie es sich damit verhält, lande ich entweder im sogenannten Weitesten Leserkreis (WLK), der Zahl von Menschen, die mindestens einmal in den letzten zwölf Monaten das Magazin gelesen haben oder gar in den Lesern der letzten Ausgabe. Auf diese Art werden der LWK und die Leser pro Ausgabe (LpA) ermittelt und ergeben zusammen die Reichweite des Mediums. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Exemplar gekauft, geliehen oder geklaut war und das ist auch gut so. Ich nehme an, dass sowohl die Vinum im Rutz als auch der Falstaff bei Planet Wein entweder ein Freiabo oder ein sogenannter Sonderverkauf sind. Das ist für den Mediaplaner irrelevant.

Für die detaillierte Mediaplanung möchte die Agentur aber noch etwas über mich persönlich (abstrakt) wissen. Also gibt es drei sogenannte Markt-Media-Studien, die die MA-Zahlen in Bezug zu Leserprofilen setzen: die Typologie der Wünsche (TdW) von Burda, die Verbraucheranalyse (VA) von Springer und Bauer sowie die Allensbacher Werbeträger Analyse (AWA) vom gleichnamigen Institut. Sollte ich als Studienobjekt von einer dieser Organisationen ausgewählt werden, so stellen sie mir Fragen über meine Soziodemographie, meine Interessen und mein aktuelles und geplantes Konsumverhalten. So ergeben sich für die Leserschaft der einzelnen Medien Interessenwerte, der sogenannte Affinitätsindex. Dieser sagt aus, wie sich das Interesse der Leserschaft über alle Leser gemittelt im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung darstellt. Ein Affinitätsindex von 400 beim Thema Wein bedeutet also, dass die Leserschaft des untersuchten Mediums eine viermal so große Liebe zu Wein pflegt wie der Durchschnittsdeutsche.

Aus diesen Daten lassen sich die entscheidenden Reichweiten- und Preisinformationen ableiten. Machen wir mal eine Beispielrechnung. Alle Annahmen sind erfunden. Gesetzt den Fall, der Spiegel hat 2 Millionen LpA und eine ganzseitige Anzeige kostet 100.000 Euro. Dann beträgt die Kenngröße Tausend-Kontakt-Preis (TKP) 50 Euro (100 TEUR/2 MM Kontakte = 50 pro Tausend). nehmen wir ferner an, die Auto Motor & Sport (AMS) hat eine Leserzahl von 500.000, ruft für die Anzeige aber 50.000 Euro auf, so verlangt sie einen TKP von 100 Euro. Da wäre ja zu heiß gebadet, wer in der AMS eine Anzeige schaltet? Jein. Es kommt der Effektiv-TKP ins Spiel: Die Leser der AMS haben eine sehr viel höhere Affinität zu Autos. Angenommen, die AWA ergibt, jeder fünfte Spiegel-Leser plant in den nächsten 18 Monaten einen Autokauf, bei der AMS sei es jeder zweite. Dann beläuft sich der Effektiv-TKP in der Zielgruppe der ‚Auto-Kaufentscheider Zeithorizont 18 Monate‘ beim Spiegel auf 250 Euro (100 TEUR geteilt durch 500.000 autointeressierte Leser), bei der AMS nur auf 200 Euro, denn hier sind die sogenannten Streuverluste niedriger, also Kontakte mit Menschen, die sich nicht für das beworbene Produkt interessieren. Deswegen bewirbt man Nutella nicht in der Men’s Health und Chanel nicht im Kicker.

Die Markt-Media-Studien fördern übrigens nicht nur Offensichtliches zutage, sondern auch vieles auf den ersten Blick nicht selbstverständliche. Wer Single Highland Malt Whiskey bewerben will, der geht in die P.M. – warum weiß nur die Software. Denn eine solche nutzen die meisten Media-Agenturen. Sie bietet den Vorteil, dass sie auch komplexe Zusammenhänge berechnen kann und die Frage beantwortet, die noch offen ist: Wenn die AMS für Mercedes doch so viel günstiger ist, als der Spiegel, wieso buchen die nicht nur AMS? Und hier geht es um den Werbedruck, die Kontaktzahl insgesamt und die absolute Reichweite. In Deutschland sind zu jeder Zeit 5 Millionen Menschen mit der Frage beschäftigt, welches Auto sie sich denn in den nächsten 18 Monaten kaufen sollen. Da hilft die AMS mit 250.000 relevanten Lesern nur bedingt. Mercedes muss breiter streuen, um schnell in der gesamten Zielgruppe anzukommen. Dabei bildet die Software dann Rangreihen und berechnet auch die Überschneidungen in der Leserzahl einzelner Medien.

Online funktioniert das Ganze analog: Die MA heißt hier AGOF und ist Mitglied in der AG MA, der WLK heißt WNK (Weitester Nutzerkreis) und die Daten werden mit der technischen Messung verknüpft, die ebenfalls von der IVW kommen.

Aye Aye und Goodbye, Captain!

Anmerkung: Manfred Klimek beendet zum Ende des Monats die Chefredaktion der Plattform Captain Cork und hatte sich von allen Deutschen Weinbloggern zum Abschied Gastbeiträge gewünscht. Das Folgende hätte meiner sein sollen. Dass er nicht bei CC erscheint, liegt nicht daran, dass Klimek den Text nicht mochte, es hat mit den Modalitäten seines Abschieds zu tun. Also erscheint er jetzt hier. Aye Aye und Goodbye, Captain! weiterlesen

Schäumen mit einem N

‚Haben Sie irgendwas mit Wein zu tun?‘ lautet eine oft gestellte Frage, wenn ich mit mir unbekannten Menschen gemeinsam verkoste. Das mag daran liegen, dass ich immer öfter zu Veranstaltungen eingeladen werde, bei denen fast alle etwas mit Wein zu tun haben. Meine Antwort lautet wahrheitsgemäß ‚Nein‘. Doch unter meinen Weihnachtsgeschenken befand sich dieses Jahr eins, das mir erlaubt mich in Bezug zu Wein zu setzen, wenn ich einen ganz ganz großen Bogen Spanne. Und der geht so:

Meinen Nachnamen Bodmann verdanke ich der Tatsache, dass meine Vorfahren dereinst ihre Heimat verließen. Gemäß dem Prinzip ‚cuius regio, eius religio‘ standen sie vor der Wahl die Religion oder den Wohnort zu wechseln. Also zog es meine Ahnen vom badischen Dörfchen Bodman ins Niedersächsische Eichsfeld. Da einfache Menschen in ländlichen Regionen nicht zwingend Nachnamen hatten oder sich bei Umzug auch mal neue gaben, hießen meine Vorfahren fortan Bodmann. Das zweite ‚N‘ entstammt der Tatsache, dass auch Bodman bis 1884 mit zweien geschrieben wurde. Dann setzten die Grafen von und zu Bodman alle Hebel in Bewegung, um Bodman (Stammsitz ihres Geschlechts) in der Schreibweise ihrem eigenen Namen anzupassen – sie hatten das Doppel-N einige Jahrhunderte vorher abgelegt – und wir Exil-Bodmänner standen mit dem zweiten, dem Proleten-N, alleine da.

Dies wissend machte ich mich vor 15 Jahren auf meinen Ursprungsort zu erkunden. Bodman ist ein sterbenslangweiliges Dorf am Überlinger See, dem Nordzipfel des Bodensees. Ich fand kaum etwas Aufregendes vor, außer einer Gedenktafel, die anzeigte, dass im ‚Bodmaner Königsweingarten‘ Kaiser Karl der Dicke im Jahre 884 die ersten Burgunderreben anpflanzen ließ. Meine Vorfahren lebten also am Fuße des ersten dokumentierten Spätburgunderweinbergs Deutschlands. Da war sie, meine Verbindung zum Wein. Die Lage existiert immer noch, die Grafen von und zu Bodman gehören aber nicht gerade zu den hochdekorierten Betrieben deutschen Weinbaus. In jüngster Zeit produzieren sie nach Naturland-Regeln und die Weine sollen besser geworden sein. Ich werde im neuen Jahr einmal nachforschen.

Am Ortsausgang von Bodman fand ich ein Schild ‚Schlosskellerei‘. Das musste ich mir anschauen. Doch auch hier wurde ich enttäuscht. Die Schlosskellerei versprühte den Charme eines Getränkemarktes am Ortsausgang eines 1000-Seelen-Dorfes, was vorwiegend daran lag, dass sie genau das war: ein Getränkemarkt am Ortsausgang eines 1000-Seelen-Dorfes. (Der Fairness halber sei gesagt, dass ich nicht erfragte, ob sie eventuell umbaubedingt in diesem Zweckbau Unterschlupf gefunden hatte.) Im Sortiment fand ich aber etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte. Französischen Sekt der Marke ‚Baron de Bodman‘. Der stammte von einem Haus, das bei seiner Gründung Unterstützung eines französisch verheirateten von und zu Bodmans erfahren hatte und dessen mit einem Cremant gedachte.  Da griff ich zu, nahm ein paar Flaschen mit und verschenkte sie an Familienmitglieder.

Baron de BodmanEines dieser Familienmitglieder griff das Thema voller Begeisterung auf, und bestellt seitdem fleißig in Süddeutschland französischen Sekt, um ihn als Mitbringsel im Freundeskreis zu verteilen. Der Spieß ist längst umgedreht: ich gehöre regelmäßig zu den Beschenkten. Mein Anspruch stieg über die Jahre, die Qualität des Sektes nicht und so habe ich die üblicherweise verabreichten Halbflaschen weiterverschenkt. Dieses Jahr gab es zu Weihnachten wieder ein Pülleken und da ich zuletzt so viel Schönes mit Schäumern erlebt habe, beschloss ich mein Glück noch mal zu versuchen. Ich war überrascht und recherchierte. 2007 investierte Eigner Bollinger kräftig in seinen Loire-Ableger Langlois-Chateau, den Baron de Bodman-Produzenten und das mag der Grund für die gestiegene Qualität sein. Mir jedenfalls hat er sehr ordentlich geschmeckt.

Langlois-Chateau, Baron de Bodman brut, Cremant de Loir (AC), o. J., Frankreich. In der Nase eher flach aber angenehm mit Aromen von Brotkruste und Quitte. Am Gaumen mittelfeine Perlage und sehr schönes Spiel, ziemlich trocken und schwach würzig, mit Aromen von Zitrus und Birne sowie etwas Malz. Der Abgang ist recht lang und der Cremant alles in allem sehr ordentlich.

Ihnen, liebe Leser, einen guten Rutsch. Mögen Sie Silvester was Feines zum Anstoßen finden, mindestens so gut wie ‚mein‘ Cremant.

Ihr

Felix Bodmann (mit dem zweiten, dem Proleten-N)

Der kälteste Weinberg Afrikas

Südafrika ist ein Weinland, dem ich mich seit Jahren widmen wollte, allein mir fehlte die Zeit. Ich war einmal dort und habe auch zwei Weingüter besucht, aber intensive Beschäftigung sieht anders aus. Nun hatte ich die Gelegenheit zwei ganze Tage Weine vom Kap zu probieren und ihre Macher zu interviewen. Ich war zu einer Fachmesse der Weinbauverbände von Südafrika, Chile und Argentinien in London eingeladen. Mein Fokus lag auf der Verkostung südafrikanischer Weine, da mir das vor der Reise vom südafrikanischen Verband zugesandte Material eine gute Vorbereitung ermöglichte – und eine solide Vorbereitung auch anhand des Südafrika-Weinführers ,Platter‘ erschien mir dringend erforderlich.

Die Bezeichnung der Weine Südafrikas ist erstaunlich uniform: viele Weingüter machen einen Sauvignon Blanc (=Stahltank), einen Sauvignon Blanc Reserve (=mit ein bisschen Holz), einen Chardonnay ,unoaked‘ (=Stahltank), ,Barrel Fermented‘ (Mischung aus altem und neuen Holz), ,Reserve‘ (=mehr Holz) und oben drüber einen ,Single Vineyard‘ (=richtig viel Holz). Ulkigerweise wird der Single Vineyard zwingend aus einer einzelnen Lage gelesen, der Name der Lage aber oft nicht erwähnt. Analog zum Chardonnay erscheint auch der Chenin Blanc in bis zu vier Variationen. Manche Weingüter machen dann noch eine weiße Cuvée aus den drei Rebsorten, die häufig einfach den Weingutsnamen mit dem Zusatz ,White‘ trägt. Dazu heißt jeder dritte Winzer Finlayson oder die Weingüter tragen Adjektive wie kleine oder groote im Namen. Erstmals konnte ich mir vorstellen, wie sich ein Ausländer beim Versuch die Mosel zu durchdringen vorkommen muss: Tausend Spätlesen aus irgendwelchen Sonnenuhren und die Winzer heißen entweder Thanisch (Witwe, Erben, Ludwig etc.) oder Prüm (J.J., Studert-, Christoffel-, S.A. etc.).

Chris Alheit: Ein Jungwinzer mit Vollenweider als Vorbild
Chris Alheit: Ein Jungwinzer mit Vollenweider als Vorbild

Dies war meine erste Weinmesse im Ausland und ich war gespannt, was mich erwarten würde. Beeindruckend war, dass die meisten Weingüter 10.000 Kilometer fern der Heimat durch ihre Gutsverwalter oder Kellermeister persönlich repräsentiert wurden (oft auch im Doppelpack). Da die Verkostung für Fachpublikum und nicht überlaufen war, konnte ich mich in Ruhe mit Menschen wie Ken Forrester vom gleichnamigen Weingut unterhalten, der mir einiges über Südafrika und seine Weinstile erzählen mochte. Spannend auch ein Gespräch mit Chris Alheit, einem jungen Winzer, der in seinem vor zwei Jahren gegründeten Weingut Erkenntnisse umsetzt, die er in seinem Jahr bei Daniel Vollenweider an der Mosel gesammelt hat. Es war überhaupt erfrischend zu erleben, wie etliche Winzer anfingen von der Mosel und ihren Rieslingen zu schwärmen, sobald sie hörten, dass ihr gegenüber aus Deutschland kam.

Eine Erkenntnis gewann ich schon nach wenigen Gesprächen: Winzerlatein ist auch für Südafrikaner keine Fremdsprache. Der meist gehörte Satz der Show war: ,unsere Weinberge sind besonders kühl‘ gefolgt von Erläuterungen, dass dies wahlweise der Frische, der Mineralik oder dem Säuregerüst zugute käme. Die Bemerkung kam so gebetsmühlenartig und wurde dermaßen betont, dass vor meinem geistigen Auge Legionen farbiger Erntehelfer in Rentierpullovern durch Stellenboschs Weingärten zogen. Dabei war ich selber schon einmal im Spätsommer vor Ort und konnte beobachten, wie die gnadenlose Sonne so manche Traube noch am Stock zu Marmelade verkocht.

Die Verkostung Dutzender Weine in kurzer Zeit ist eine Herausforderung, der ich mich mit gemischten Gefühlen stelle. Insbesondere die Weine aus der Sauvignon Blanc Traube im klassischen Neue-Welt-Stil mit aus dem Glas springenden Fruchtaromen, gepaart mit grün-grasiger-Frische schmecken für mich nach dem vierten Wein alle gleich. Auch der Chardonnay ,unoaked‘ bietet mir wenig Differenzierungsmöglichkeiten. Beim Holz haben die Südafrikaner keine Berührungsängste. Mein Bibergebiss kam bei den ,Reserves‘ vom Chardonnays und auch bei etlichen Chenin Blancs voll auf seine Kosten. Nicht selten ist das für zarter besaitete Gaumen aber deutlich zu viel Barrique.

The FMC: Spitzen-Chenin mit internationaler Fangemeinde
The FMC: Spitzen-Chenin mit internationaler Fangemeinde

Die spannendsten Weißweine der Show waren für mich allesamt Chenin Blancs. Diese Traube ist eine heimliche Liebe von mir, seit ich einmal einen gereiften Vouvray in Bestform erleben durfte. Chenin kann ganz trocken sein oder auch feinherb, mit gar keinem bis viel Holz, jung oder zehn Jahre gereift und – das kann er besser als der Riesling – er kann auch Holz und Restsüße miteinander kombinieren und dabei altern. Ein zehn Jahre alter halbtrockener Riesling mit 50% neuem Holz ist für mich eine Drohung, das Gleiche vom Chenin ist eine Offenbarung. Leider sind die Südafrikaner feige, was Restzucker angeht, die Weine sind fast alle sehr trocken. Einzig der bereits erwähnte Ken Forrester schenkte mir einen Wein mit 15 Gramm Restzucker und viel neuem Holz ein: Sein Premiumwein ,FMC‘ ist große Winzerkunst für einen, wie er mit breitem Grinsen zu Protokoll gibt, kleinen Käuferkreis. ,Wer ihn nicht versteht, der soll ihn nicht kaufen‘ lautet sein Credo.

Der trockene Chenin Blanc von Botanica ist für mich ein weiterer Ausnahmewein. 50% des Mostes sind im Stahltank ausgebaut und auf Klarheit und Frucht (ganz viel Limone) getrimmt, während die andere Hälfte in alten und neuen Fässern vergärt. Die Mischung ist nachher ein Best-of beider Weinstile, die so miteinander harmonieren, dass ich versucht war, die Probeflasche zu klauen.

Mit südafrikanischen Rotweinen tue ich mich schwerer. Pinotage erinnert mich zu sehr an Dornfelder, außer er kommt als so unglaublich guter Wein daher wie der Greywacke von Chamonix – die einen Teil der Trauben nach dem Ripasso-Verfahren ausbauen, weswegen der Wein auch nicht mehr sortentypisch schmeckt. Die mächtigen Höher-Schneller-Weiter-Bordeaux-Cuvées, die vor Kraft kaum laufen können, sind nichts für mich. Unglaublich elegant und im Alkohol vergleichsweise zurückhaltend sind hier die Weine von Vergelegen, auch Mullineux oder Tokara sah ich eher auf der eleganten Seite. Meine geliebten Spätburgunder gelingen in Teilen Südafrikas auch sehr gut, zum Beispiel im ,eiskalten‘ Elgin Tal, aus dem ich mit dem Rockview Ridge von Shannon Vineyards einen Vertreter mit nur 13% Alkohol und nobler Eleganz fand.

Vergelegen: Rot oder weiß, Eleganz auf breiter Front
Vergelegen: Rot oder weiß, Eleganz auf breiter Front

Experimentalweine, die Europa derzeit so beschäftigen, sind des Südafrikaners Sache nicht. Ein einziger ungeschwefelter Zurück-zu-den-Wurzeln-Wein schwappte mir ins Glas. ,Nudity‘ heißt der Syrah vielsagend und stammt von der Winery of Good Hope (aus deren Radford Dale Serie). Er vereint bei nur 13% Alkohol eine gewisse Wildheit mit viel Frucht und Eleganz. Die 1900 produzierten Flaschen reichen aber gerade einmal für den Inlandsbedarf und ein paar internationale Weinshows.

Das tolle an Südafrikas Weinszene ist, dass sie nur 500 Winzer zählt (auf einer Rebfläche von ähnlichem Ausmaß wie die Deutsche). Der Rest macht Fassweine. Da könnte man sich mit vertretbarem Aufwand zum Experten fortbilden, wenn die guten Winzer denn einen deutschen Importeur hätten. Doch leider ist genau dies das Problem: Die Hälfte der hier erwähnten Weine sind in Deutschland nicht erhältlich. What a shame!

Und hier geht es zum Bericht des mitgereisten Direttore Breitenfeld

#vcd13 – Tagebuch eines Vinocamps

Das Vinocamp Deutschland 2013 ist zu Ende und das Netz füllt sich mit Nachbetrachtungen. Wie so oft bin ich spät dran aber das hat sein Gutes: Ich konnte schon tolle Zusammenfassungen und persönliche Eindrücke lesen. Da fällt es mir leicht, in meinem Artikel nichts mehr zum Camp an sich, der Veranstaltungsform oder den Ergebnissen zu sagen. Ich verlinke lieber auf den Artikel von Carsten M. Stammen. Getreu dem Motto ,jedem Anfang wohnt ein Zauber inne‘ hat er auf einmalige Art seine Erlebnisse bei seinem ersten Vinocamp-Besuch aufgezeichnet. Und bei Nicola Neumann finden sich einige sehr schöne Fotos von der ,Unkonferenz‘. Ich beschränke mich hier auf meine persönlichen Höhepunkte und die Dinge, die ich gelernt habe. #vcd13 – Tagebuch eines Vinocamps weiterlesen