#vdpgg2022

Wiesbadener GG-Vorpremiere 2022, Tag 1 – #vdpgg2022

Pünktlich, frisch und ausgeschlafen starte ich den Live-Ticker aus dem Verkostungs-Saal in den Kurhauskolonnaden in Wiesbaden. Es ist wieder so weit: die Großen Gewächse nach Statut des VDP erleben ihre Vorpremiere. Lesen Sie hier in den nächsten drei Tagen.

Dass ich hier sitze verdanken Sie meiner eisernen Disziplin, denn gestern Abend startete der diesjährige Verkostungsmarathon mit einem Fest. ‚20 Jahre GG‘ galt es zu feiern und es wurde einiges an Legendärem aufgefahren, was wirklich zu schade für den Spucknapf war. Aber es nützt ja nüscht. Jetzt also der Stoff, der erst noch Legende werden soll.

Silvaner (Franken)

21 GGs stehen an, davon neun aus 2020 und zwölf aus 2021. Wie immer taucht hier im Ticker nur das auf, was mich spontan für seine Seite zu ziehen weiß. Wenn ein Wein hier nicht erscheint, ist er nicht automatisch schwach. Er kann auch einfach von der Art sein, die ich auch beim Achten Besuch dieser Veranstaltung nicht in zwei Minuten greifen kann.

Flight 1 startet in der Nasse ganz klassisch mit viel Heu und Stroh, am Gaumen startet der Flight (und damit Wein 1) aber ein bisschen limonadig. Doch bevor die Frucht zu dropsig wird, tauchen Kräuter und Phenloik auf und sorgen für Ernsthaftigkeit. Schöner Start bei mittlerem Druck und gutem Zug: Hoheleite von Paul Weltner. Rucks Julius-Echter-Berg in der Nase neben den Standardaromen auch etwas tropisch, am Gaumen mit reifer Zitrusfrucht und sehr viel erdigen Noten, verschlossen aber ganz viel Potential andeutend. Gefällt mir sehr gut! Dann ein erstes Highlight: Ganz klassische Nase, ganz klassischer Gaumen mit einem leichten Übergewicht für die Frucht, im Abgang feine Phenolik (und etwas Kohlensäure) wenn ich jetzt beim Frühschoppen und nicht bei der Arbeit wäre würde ich um Naschlag vom Stein-Harfe GG des Bürgerspitals ersuchen, was aber nicht heißt, dass ich nicht auch ein paar Fläschchen in den Keller legen und die zweifellos noch kommende seriöse Phase des Weins herbeisehnen würde. Unendlich lang. Toller Stoff.

Horst Sauers Am Lumpen 1655 GG mit der in den letzten Jahren typischen jugendlichen Gummibärchennase, schönes Frucht-Säure-Spiel und im Abgang Silvanertypizität. Vielversprechend aber derzeit Quarantäne-bedürftig. Der 20er Julius-Echter-Berg vom Juliusspital ist erstaunlich weit entwickelt: klassische, leicht gereifte Silvanernase trifft auf genaus so viel Typizität am Gaumen. Zum Abgang hin leichte Reifenoten, etwas Malz, viel rauchiger Druck. Große Klasse, aber hundert Jahre warten würde ich auf den Wein nicht. Das ist beim nächsten Wein anders: Wirschings Kammer aus 2020 zeigt dezente Gemüsenote in der Nase, am Gaumen würzig komplex garniert mit ein paar tropischen Früchten und ordentlich Säure, feine Phenolik, insgesamt unfertig, trotzdem schon anziehend und ein atemberaubendes Potential andeutend – Hammerwein!

Im dritten Flight starten wir mit dem 20er Mönchshof von Bickel Stumpf: Leicht flintige Nase, ganz große Frische am Gaumen, keine Reifenoten, kreidige Phenolik, vibrierend. Sehr vibrierend. Good Vibrations! Störrlein-Krenig weiß auch, wie das geht. Der Hohenroth 2020 ist ein durch und durch typischer Silvaner mit etwas Apfelbirneheuundstroh, passender Phenolik, ordentlicher Säure, Spaßfaktor und Ernsthaftigkeit, Potential und Offenheit. Wundervoll. Dann der 20er Setin-Berg vom Juliusspital: Hui, ist das eine reife Nase! Am Gaumen ein üppiges Schlachtschiff mit viel Bumms, aber ab und zu lasse ich ja auch Schlachtschiffe durch mein Glas schippern. Ahoi!

Zwei gute Weine aus 2021 dann von Rudolf May im letzten Flight: Der Rothlauf mit leicht malziger Nase, leicht öliger Gaumen, dann kickt viel Frische rein, gutes Ende auf feiner Phenolik, vielversprechend. Himmelspfad gefällt mir derzeit etwas besser: Dezent spontane Nase, etwas unruhiger Gaumen, schönes Mundgefühl, harmonischer Druck. Hat viel Potential. Famous last words aus Silvanerland (für dieses Jahr).

Spätburgunder

2020, wenn nicht anders angegeben

Aus verschiedenen Gründen erscheint es mir sinnvoll die weißen Burgundersorten erst einmal aufzuschieben. Weiter geht es als mit den Spätburgundern, dessen erste drei Vertreter in Wirklichkeit Frühburgunder sind.

Ahr

Und im ersten Flight sind es genau die drei Frühburgunder, die mich ansprechen, auch weil sie eine Geschichte erzählen. Sehr grüne Nase, viel Frische am Gaumen, auch etwas grünlich: Der Sonnenberg von Burggarten segelt hart am Wind, was den Reifezeitpunkt angeht, aber ich glaube, das ist spot-on getroffen. Ziemlich vielversprechend. Der Herrenberg vom Deutzerhof ist das Gegenteil: Mehr Reife, mehr Alkohol, mehr Holz und etwas mehr Zugänglichkeit, aber das ist nicht gleichbedeutend mit weniger Qualität. Anderer Stil, gut gemacht. Ich denke bei mir: wäre doch schön, wenn der dritte sich jetzt in der Mitte… – Bingo! Wem der erste Wein zu gewagt und der zweite zu bräsig ist, der wählt den dritten Mönchberg ebenfalls vom Deutzerhof. Ich muss da gar nicht Schiedsrichter spielen, ich mag alle drei.

Dann Pinot Noir: Viel Frucht, leicht röstig, sehr schöne Säure und knackige Frucht, Schieferlay von Burggarten ist ein sehr gelungenes, lebendiges GG. Kirchtürmchen vom Deutzerhof: Was für eine Frucht! Da fallen mir ganz wilde Worte ein: kristallin, diamantös, glitzernd. Da der Rest auch gut passt, bin ich trotz spürbarem Alkohol begeistert. Ganz besonders auch die Alte Ley von Adeneuer – der Wein lebt von wahnsinnig feinem Tannin, das allein schon das Eintrittsgeld wert ist. Frucht & Co. sind auch sehr schön, aber das Tannin zieht einfach die Aufmerksamkeit auf sich. Muss man mal probiert haben. Satte Frucht, feine Röstung, gute Säure, extrem typisch für die Ahr und ein würdevoller Vertreter des Gebiets ist der Kräuterberg von Burggarten. Das Eck vom Deutzerhof spielt die satte Fruchtkarte, aber extrem gekonnt und mit toller Säure garniert. Für Fans des Stils sicher ein Ausrufezeichen (und ich bin dem Stil ja zugetan).

Rheingau

In der Nase Frucht und Kuhstall, am Gaumen leicht cremig, dann kickt Säure rein und die Frucht wird etwas dropsig. Das ganze wirkt aber, als könnte sich der Hassel von Kaufmann zu ziemlich großem Kino zusammenfinden. Der Berg Schlossberg von Kloster Eberbach hat viel Zug, leicht grünes Tannin, das aber eher für Frische als für Irritationen sorgt und die üppige, polierte Frucht gut puffert. Ich glaube auch hier an eine große Zukunft. Eberbachs Höllenberg 2019 mit leicht parfümierter Nase, aber am Gaumen tollem Säurebiss und viel Struktur vom Tannin. Die Frucht reicht dafür locker aus und ich glaube wieder an erhebliches Potential. Höllenberg von Allendorf in der Nase mit Stall und Pfeffer, am Gaumen entwickelt sich mittlerer Fruchtdruck und viel Tannin-Struktur. Gibt nicht viel Preis, deutet aber viel an.

Franken

Der Schlossberg vom Weingut Steintal startet anstrengend grün, packt dann wahnwitzig süße Frucht drauf und entwickelt Grip im Abgang. Total unfertig, total vielversprechend. Gleiche Lage von Fürst ist etwas weniger anstrengend als der Vorgänger, aber auch etwas komplexer und mit Entwicklung vermutlich noch etwas besser. Beim Centgrafenberg überrascht die lustige Vanillenase, die einen ganz anderen Wein ankündigt, als dann tatschlich kommt. Der ist fleischig und komplex und hat Zug und Grip und Klasse. Der Bischofsberg von Steintal bietet Tomatengrün in der Nase, viel Tannin am Gaumen, auf Langlebigkeit ausgelegt und andeutend, dass die Rechnung aufgehen könnte. Spannend.

Rheinhessen

Der Pares von J. Neus fährt auch auf der grünen Seite der Reife, was offensichtlich in Deutschland auf dem Weg zum neuen Standard ist und auch hier wirkt das wie eine sinnvolle Maßnahme: angenehm saftig, nicht zu fruchtig, mit viel Verve. Den Heerkretz von Wagner-Stempel kann man kauen, so wunderbar mischt sich fleischig mit fruchtig. Spricht das Unterbewusstsein an, was bedeutet, ich kann gar nicht so genau sagen, warum ich diesen Wein jetzt gerne zum Mittagessen mitnehmen möchte (Allein, man lässt mich nicht). Kellers Frauenberg müsste man vermutlich seeeehr lange belüften und dann noch mal schauen, aber die Feinheit von Säure, Frucht und Tannin sind jetzt schon klar erkennbar. Nur ob das mal groß oder nur sehr gut wird, vermag ich jetzt nicht zu beurteilen. Enttäuschung kann ich aber ausschließen. Etwas deutlicher liegt die Sache beim Kirchenstück von Battenfeld-Spanier: Animalisch und kühl, sehr zurückhaltend, aber auch sehr viel Potential andeutend. Das wirkt gekonnt.

Pfalz

Knipser weiß zu verblüffen: 2018 Mandelpfad riecht warm und gekocht, wirkt am Gaumen aber angenehm geschliffen und zeigt ausreichend Säure. Das hat außerdem Grip und ist gut beieinander. Schön. Wieder 2018, diesmal Im Großen Garten – hier strahlt die Frucht noch ein bisschen heller, ist angenehm süß. Noch schöner. Und dann 2018 Kirschgarten! Hier kann ich die Hitze des Jahrgangs kaum noch erahnen. Das hat viel Würze im Abgang. Der ist leider nur mittellangen, sonst wäre das GG phänomenal, so ist es aber immer noch ganz wunderbar. Felsenberg von Rings: Fleischig, saftig, die Frucht auf der reifen Seite, nichts Grünes, aber auch nichts Überreifes. Und dann Bleistift und allerfeinstes Tannin. Richtichguteszeuch…

Der zweite Flight startet wie der erste endete, mit Rings. Saumagen mit Bleistieftspänennase, feine Kirschfrucht, fleischig, Oldschool-Deutschland – kann ich mich reinlegen (bei Wiedervorlage in fünf Jahren). Christmanns Idig hat noch ein bisschen mehr Biss, die Säure noch nerviger, die Frucht nicht ganz so betörend, aber die muss ja auch erst in fünf Jahren in Bestform sein. Vermutlich genau so gut. Dr. Wehrheims Kastanienbusch Köppel startet verhalten und schiebt dann sehr würzig nach hinten durch, enorme Länge viel Tannin-Reserve, wunderbare Anlagen.

Wow, das ist 17? Ja, Rebholz 2017er im Sonnenschein. Der lag spürbar lang im Holz und ist meilenweit von Trinkreife entfernt, aber was für eine Granate: kühl, straff, blutig und dann kommt Kirschfrucht und ultrafeines Tannin – wowhochvier! Der Sonnenberg von Siegrist ist aus 2018. Satte Frucht und viel Tannin ohne störende Röstung und mit kräftiger Säure, ganz nach hinten raus kommt ein bisschen die Hitze des Jahrgangs, was hier aber gut passt. Spannend. Und dann der 20er Kalmit von Kranz: Sehr interessante, weil eher gelbfruchtige Nase, viel Frische am Gaumen, kräftiges Tannin, in der Frucht mischen sich Apfel und Kirsche, das ist ein willkommener Störer in diesem Feld, den ich viel länger verkosten müsste, um ihn gescheit zu beurteilen, aber trotzdem nicht verschweigen mag. (Note to self: beim Weingut um ein Kostmuster ersuchen).

Der letzte Flight Pfalz ist monumental. Drei Mal Friedrich Becker (alle 2019) Heydenreich mit Kuhstall, auch (eigentlich vor allem) am Gaumen, also retronasal. Das kann K.O.-Kriterium sein. Daneben eher breite Frucht, der aber auch Breitwand-Tannine gegenüber stehen. Anderer Ansatz, spannendes Ergebnis. KB (Kammerberg) hat auch ein bisschen Stall, aber im definitiv harmlosen Bereich. Viel Tannin, das von viel Frucht gepuffert wird und schöne Säure, die ein langes Finish trägt. Stark. Sankt Paul hat noch weniger Stall, noch mehr Frucht, noch feineres Tannin, jetzt wird es auch dezent fleischig und wir nähern uns der Kategorie ‚groß‘ mit großen Schritten. (Anmerkung: groß soll 95 Punkte und mehr meinen. Nicht jedes ‚GG‘ muss 95 Punkte erreichen, um sich mit Recht ‚Großes Gewächs‘ zu nennen.) 2020er Sonnenberg KT von Bernhart: Etwas buntfruchtige Nase, schöne Säure, nicht annähernd die Tiefe der Weine davor. Ist aber auch eine blöde Sortierung im Flight. Eigentlich sehr gut. Sonneberg RG aus gleichem Hause dann hat ganz viel fleischigen Biss, ist ein Laserschwert und bringt eine Saite in mir zum Schwingen. Ich bin schockverliebt.

Württemberg

Wachtstetters Geißberg ist aus 2019 und bietet etwas Lavendel in der Nase, saftige Frucht am Gaumen, viel feines Tannin, ordentliche Säure, kein Gramm Fett. Hervorragende Anlagen. Graf Neippergs Ruthe aus gleichem Jahr zeigt ein bisschen Kaffee (aber keine Überdosis Holz), wundervolle Frucht, schöne Säure, würzige Anmutung – ich bin auf der üppigen Seite von glücklich. Sehr glücklich sogar. Sein 20er Schlossberg ist würzig, tief, reif, auch nicht gerade schlank aber wunderbar komplex. Klassischer Ohrensesselpinot für den Abend am Kamin. Gips Marienglas von Aldinger flüstert mir ins Unterbewusstsein, dass er sehr gut ist.

Baden

Stiglers Vorderer Winklerberg „Backöfele“ ist ein bisschen grün in der Nase, am Gaumen ziemlich bissig, einerseits tolle Säure, andererseits frische Frucht. Auf 2018 wäre ich nie gekommen. Das findet sich auch schon gut zusammen. Ich bin optimistisch. Dr. Hegers Vorderer Winklerberg hat einen ganz dezenten Stinker, sehr süße Frucht, schöne Säure. Ein bisschen monothematisch fruchtig, aber die Würze kann ja auch aus der Reife kommen. Kann man sicher auf Verdacht kaufen und ein Fläschchen weg legen. Feines Holz in der Nase, tolles Frucht-Säure-Spiel am Gaumen, enormer Zug und ganz viel Tiefe – Dr. Hegers Winklerberg Wanne „Häusleboden“ zieht mich in seinen Bann. Und das nächste Hegersche Namensungetüm: Winklerberg Winklen „Rappenecker“. Die Frucht verlangt nach einem Waffenschein. Das strahlt unglaublich. Und dann die tolle Säure. Das ist ein einziger Sinnesrausch. Finde ich bockstark. Dann noch einmal viel Frucht, hier aber ein Jota weiter in der Reife, wirkt in diesem Kontext minimal marmeladig. Würde vielleicht anders wirken, hätte es nicht im Glas davor diese Perfektion gehabt. Tja, Pech gehabt, Du eigentlich doch so wunderbarer Winklerberg Hinter Winklen von Michel.

Erster Wein im nächsten Flight und das Pendel schlägt in die andere Richtung aus, wir flirten mit der grünen Seite, bleiben aber reif. Achkarrer Schlossberg ebenfalls von Michel hat jetzt ganz viel Biss, ist unendlich elegant und noch stärker als der Ihringer Wein. Wenn ein Weingut eine solche Bandbreite so mühelos bespielt, dann muss ich schnell mal leise Bravo murmeln. Schlossberg von Dr. Heger spricht niedere Instinkte an. Der Wein hat einen so unverschämten Trinkfluss, dass ich eben fast geschluckt hätte. Und dabei ist der noch keinesfalls ausgereift. Das als Qualität zu würdigen vergessen wir viel zu häufig. Wunderbar. Franz Kellers Enselberg glänzt mit enorm saftiger Frucht und zurückhaltender Würze, ist leicht blumig, eher elegant als druckvoll – das kann was. Feuerberg Kesselberg von Bercher macht keine Experimente: perfekte Reife, schöne Säure, zurückhaltender Ausbau – ein Rundumglücklichmachgehgeh.

Wöhrles Kirchgasse wuchtet schöne Würze und dunkle Frucht ins Glas, dazu ausreichend Säure. Kein Leichtgewicht, aber die Tiefe ist sehr attraktiv. Der Pinot zum großen Fleischgang am Heiligabend. Beim Bienenberg ‚Wildenstein‘ von Huber ist die Kirschfrucht wirklich knackig, dann kommt tolle Säure, feines Tannin – mächtig elegant. Zigarrenkiste in seinem Schlossberg! dann ein Waldbeerenmix und weitere Würze, nicht so strahlend wie der Wildenstein, dafür aber geheimnisvoll. Letzter Huber dann die Sommerhalde: Erträglicher Stinker, saftige Frucht, Bleistiftspäne, feines Tannin, passt sehr gut. Leise und elegant. Heitlingers 2019er Königsbecher macht mich maulfaul. Ohh, das ist gut. Auf so eine hedonistische Art, bei der man sich den Genuss nicht mit nachdenken über Formulierungen verderben mag. Was soll ich sagen. Vielleicht: Ohhh, das ist gut!

Pinot Noir Baden #vdpgg2022

Und immer wenn ich denke, jetzt bin ich bestimmt müde und kann die Nuancen gar nicht mehr schmecken, immer wenn ich denke, dieser große Name reißt dich doch nur nicht vom Hocker, weil Du schon 80 Spätburgunder probiert hast, dann kommt auf einmal ein Wein daher (in diesem Falle zwei) und zeigt: nein, große Weine erkennt man auch am späten Nachmittag noch, wenn Sie einem begegnen. Und dieses Jahr kommen die Aha-Erlebnisse in Baden (neben dem ewigen Heger) halt von Heitlinger und Burg Ravensburg. Ich gebe aber zu, spät am Nachmittag fällt es schwer, die neunzigste neue Formulierung zu finden. Sagen wir also einfach: 2019er Sulzfelder Löchle von Burg Ravensburg – da stimmt (fast) alles. Großer Spocht!

Lemberger (Württemberg)

Tabakwürzig, sattfruchtig, mühelose Sonne in Flaschen mit gekonnter Tanninbeschaffung. Es kann so einfach sein. All you have to do is Lemberger pflanzen. Ganz starker Start. Ich probiere heute weitgehend blind, die Namen in der Excel-Tabelle sind aus dem sichtbaren Bereich geschoben, während die Helfer einschenken, schaue ich nicht hin, sondern bespreche mich mit Nachbar Paul oder übertrage Texte ins Blog. Bei manchen Weinen denke ich nachdem ich die Beschreibung fertig habe: das muss doch XY sein. Paul ist mein Zeuge, dass ich nach diesem Wein rüberflüsterte: das muss doch Ellwanger sein. Stimmt: Hebsacker Berg 2020 von Ellwanger. Haidles Stettener Berge hat deutlich mehr Tannin, zurückhaltendere Frucht, heller, straffer, säurebetonter, schwerer zu verkosten, aber in fünf Jahren vermutlich etwas eleganter. Was man lieber mag, ist Geschmacksache. Man kann auch beides mögen (ich empfehle das dringend, man hat noch mehr Spass im Glas). Viel Frucht gepaart mit satt Tannin in Aldingers Lämmler 2020 – typische Aromatik, ordentliche Säure und ein minimalstes Jogurt-Tönchen. Das braucht Zeit und wird dann vermutlich richtig gut. Heid hat in der gleichen Lage (auch 2020) weniger Tannin, was zu einer süßen Anmutung führt, die aber täuschen dürfte: das ist balanciert und elegant, gut ausgereift, aber nicht marmeladig. Lemberger in Bestform. Dritter 20er Lämmler von Schnaitmann: Ungewöhnlich blumig, auch etwas grün, deutlich ambitioniert und derzeit kaum zu beurteilen, aber wenn man einem Winzer aus der Region einen Vertrauensvorschuss schuldet, dann ja wohl diesem.

Der 2019er Michaelsberg von Dautel ist einer von diesen Lembergern, mit denen man Menschen bekehrt, die glauben, in Deutschland sei es doch viel zu kalt für den Anbau von gescheiten Rotweinen. Brunello, geh in Deckung! Dabei findet sich trotzdem wundervolle Typizität. Ist aber nichts für Puristen mit Blockbusterallergie. Neippergs 20er Schlossberg geht in eine ähnliche Richtung, zielt aber mehr auf die Chianti-Classico-Riserva-Klientel, sprich: hat mehr Säure und das darf man eleganter finden. Neippergs Ruthe 2020 stellt die Systemfrage: Jetzt wo eher Über- als Unreife droht, gibt es entsprechend Experimente mit frühen Lesezeitpunkten (davon hatten wir ja heute etliche im Ticker) Das hier schmeckt so. Schmeckt aber auch so, als wüsste da jemand, was er tut – schmeckt halt nur jung dann nicht so verführerisch. Ich glaube an eine tolle Entwicklung.

Sehr einfaches Fazit: die Qualität der in dieser Saison vorgestellten Lemberger ist herausragend.

Grauburgunder

Für die gilt das gleiche (ja, das hat er jetzt wirklich geschrieben). Berchers 21er Feuerberg Haslen hat Zug und kann das Holz gut vertragen, bietet feine Würze und eine opulente Frucht, die nicht ins Plüschige abdriftet. So kann man Grauburgunder ausladend ausbauen (wenn man weiß, wie es geht). Good stuff. Auch Michels Schlossberg aus gleichem Jahrgang bewegt sich im Bereich der Harmonie von (Holz-)Würze, Frucht und Säure, ist aber derzeit nicht von gleicher Eleganz, weil der Wein etwas alkoholischer wirkt (ob er es ist, weiß ich nicht). Wird werden. Dann zwei Mal Salwey aus 2019 ziemlich paradox. Eichberg mit sehr fruchtiger Nase, bei der ich erst mal Angst kriege, aber auch am Gaumen bleibt die üppige Frucht präzise. Der Wein geizt auch nicht mit Schmelz oder Alkohol, aber manchmal bleibt sowas auf magische Weise elegant, obwohl die Eckdaten nicht dafür sprechen. Suchtgefahr. Und gleich noch einmal im Henkenberg: eigentlich ist das zu viel Holz und Schmelz und zu viel Reife, aber irgendetwas hält diesen Wein auf der Spur. Für Holzallergiker ist das allerdings die Höchststrafe. Für Menschen mit Bibergebiss (wie mich) ist das ein Festmahl. Bisher alles Baden jetzt Württemberg mit Schnaitmanns 2019er Lämmler: Straff, auf angenehme Art süß, fokussiert. Großartig.

Chardonnay

Die Chardonnays haben sich nicht so richtig gezeigt heute. Rücksprache mit Kollegen legt nahe, dass es wirklich die Weine und nicht mein Gaumen war, der keine Lust hatte. Einziger Lichtblick im siebenköpfigen Feld war Franz Kellers 20er Kirchberg: Leicht flintige, ziemlich ansprechende Holznase; am Gaumen Schmelz, schöne Säure, gute Textur, die Frucht ist nicht zu üppig, deutliche Phenolik im Abgang. Der einzige, der wirklich gehobenes GG-Niveau erreicht. Aber auch noch keine Offenbarung. (Das heißt, wie oben beschrieben, nicht dass die anderen alle unterirdisch waren).

Ende Tag 1.

11 Gedanken zu „Wiesbadener GG-Vorpremiere 2022, Tag 1 – #vdpgg2022“

  1. Oh, das ging fix. Danke für’s superschnelle Schreiben & Teilen. Das ist auch: Ganz Groß.
    PS: Der Maustal Silvaner von Luckert, der zu dem netten Disput zwischen Dir und Sam geführt hat (nebenbei: bin bei Dir, dann sollten es halt auch mal 98-100 Punkte sein!), dieses Jahr nicht auf Deiner spontanen Erwähnenswert-Liste – interessant!

  2. Hallo Felix,

    danke fürs Live-Bloggen, da freu ich mich auf jede Pause bei der Haus- und Gartenarbeit.

    Hat Rainer Sauer dieses Jahr angestellt?

    Viele Grüße
    Mark

    1. Ja, Rainer Sauer war dabei. Ziemlich unruhig. Ich hatte den Eindruck, der hat einen BSA gemacht, der nicht ganz spurlos war und sowas kann man dann nicht in 90 Sekunden abschließend beurteilen.

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