Helden aus Holz

Was ist eigentlich ein ,kompromissloser Wein‘? Und wie habe ich mir einen ,mutigen Winzer‘ vorzustellen? Adrenalin pumpen im Keller? Zugegeben, es sind vor allem Medien, Blogger und im Internet diskutierende Verbraucher, die die Heroisierung von Weinmachern betreiben. Produzenten selber erwähnen höchstens gelegentlich, dass sie auf diese oder jene Schönung verzichten, weil ein paar Ecken und Kanten ihrem Wein gut zu Gesicht stünden. Ein noch junger aber schon renommierter Weinmacher erklärte mir neulich gar, er habe seine 2010er nur nicht entsäuert, weil er keinerlei Erfahrung damit habe und schlicht fürchtete, seine Moste zu ruinieren – Hose voll statt Heldentod. Warum sollte jemand, dessen Lebensunterhalt von verkäuflichen Weinen abhängt auch bewusst das Risiko eines Totalausfalls in Kauf nehmen?
Das Projekt ,Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft‘ von Carsten Henn bietet einen Rahmen, innerhalb dessen Winzer ein Risiko eingehen können, das Weine in Grenzbereiche des guten Geschmacks führt. Bisher ist es gut gegangen, wenngleich ich einen Mitentdecker kenne, der seine Restflaschen des letztjährigen Rosés mit der Bemerkung zurückgehen ließ, eine einmalige Begegnung mit diesem Wein genüge ihm völlig.
Für den Wein dieses Jahres hat sich Henn mit den Johners zusammengetan, um einen Spätburgunder zu kreieren, wie ihn Deutschland noch nicht gesehen hat und auf absehbare Zeit auch nicht wieder sehen wird: einen Wein mit 200% Barrique-Ausbau. Der Spätburgunder aus dem Jahr 2009 wurde 12 Monate in neuen Barriques gelagert (vergoren war er im Stahltank) und dann erneut in neue Barriques umgezogen, wo er 7 Monate zusätzlicher Aromatisierung erfuhr. Damit daraus überhaupt ein trinkbarer Wein entstehen konnte, verwendeten die Johners einen sehr spät gelesenen und entsprechend vollreifen Spätburgunder.
Das ist ein mutiger Ansatz, denn das jetzt ausgelieferte Produkt lässt sich spielend verreißen. Zwei böse Worte reichen: ,überholzte Trinkmarmelade‘. Aber das wäre eben vor allem böse und nicht sachlich, denn der vollfruchtig-mollige Stil findet sich auch in fast allen anderen Pinots von Johner, die hierzulande zu den besten Erzeugern von Spätburgunder zählen und vielfach bewiesen haben: vollreif und elegant geht gleichzeitig. Das deutet auch der  Entdeckerwein an. Seit fünf Tagen unterhalten der ,Cru de Bois‘ und ich uns jetzt. Seine Umgangsformen sind zugegeben etwas hölzern, der Plausch macht aber allemal Spaß.
Ein Biber wäre das bessere Etikettentier gewesenKarl H. Johner (und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft), Cru de Bois (Bischoffinger Steinbuck), Spätburgunder QbA, ohne Jahrgangsangabe (2009), Baden. In der Nase über 5 Tage eine Mischung aus Kirsche und Brombeere, Holz, Rauch und Vanille, wobei mal die Vanille und mal das rauchige Holz alles überdeckt, die Frucht nur selten durchkommt. Am Gaumen am ersten Tag schwierig (Achtung: Euphemismus), ab dem zweiten Tag mit süßer Frucht (Kirsche und Brombeere), tragender Säure und viiiiiieeeel Holz. Erst am fünften Tag stellt sich eine Balance ein, bei der ich gerne ein zweites Glas trinke, obgleich das Holz alles andere als weggelüftet ist. Das faszinierende an diesem Holzgewitter ist – und das schreibe ich nicht, um krampfhaft etwas besonderes an dem Wein zu finden –, dass es nicht einfach eine Überdosis verbranntes Toast und Teer mitbringt, sondern alle interessanten Aromen, die Barriques einem Wein verleihen können: Toast, Rauch, Zedernholz, Lakritz und einiges mehr. Auch die Tanninstruktur ist beeindruckend. Der Abgang ist zwar wahnsinnig lang, das liegt aber an dem nicht enden wollenden Holzeindruck, der nicht nur toll ist. Ich freue mich sehr, ein paar Flaschen für die nächsten Jahre zu haben.
Patrick Johner weigert sich, eine Prognose des Reifeverlaufs oder optimalen Trinkzeitpunktes abzugeben. Ich empfehle meinen mutigen Mitentdeckern folgendes:
Wer eine Flasche besitzt, vergräbt sie im Keller und hält ab 2015 Ausschau nach Wasserstandsmeldungen im Internet.
Wer drei Flaschen sein eigen nennt, öffnet nächsten Winter eine, dekantiert den Wein mindestens 12 Stunden und tastet sich an ihn heran (bitte dann hier berichten).
Wer sechs Flaschen ergattern konnte, hat hoffentlich den Wein im Glas, während er das hier liest. Alles andere wäre feige!

Nachgetankt: Neumond

Unter den mittlerweile recht zahlreichen Kommentaren zu meinem Bericht über den neuesten Entdeckerwein befindet sich auch einer mit der Frage, wie es denn derzeit um den letztjährigen Tropfen der Deutschen Weinentdeckungsgesellschaft bestellt ist. Den nahm ich zum Anlass, den ohnehin bereitstehenden Riesling ‚Neumond‘ einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Mein Fazit: Er entwickelt sich ähnlich wie andere gehaltvolle Rieslinge aus dem Jahrgang. Man kann ihn jetzt trinken, sollte ihn aber nicht zu lang belüften. Meine Empfehlung für alle, die jetzt einen Neumond aufziehen wollen, lautet nach drei Tagen der Beobachtung: gut kühlen, Korken raus und frisch eingeschenkt. Ein erstes Glas zum schwelgen, ein zweites Glas zum diskutieren – mehrere Mittrinker sind von Vorteil. Seinen Höhepunkt hat der Riesling aber noch lange nicht erreicht.

Riesling 'Neumond' von Keller und der DWEG
Entdecker-Riesling neu betrachtet

K. P. Keller (und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft), Riesling QbA ‚Neumond‘, 2009 (kein Jahrgang auf dem Etikett), Rheinhessen. In der Nase ist der Wein schwelgerisch und opulent, mit klassischen Rieslingaromen wie Aprikose und Aloe Vera, er zeigt aber auch eine feine Kräuterwürze mit Minze und Rosmarin. Am Gaumen ist der Neumond ebenfalls wuchtig mit Aprikose und Grapefruit, ordentlicher Säure aber auch einer gehörigen Portion Süße, dazu ist er ausgesprochen mineralisch und kommt mit einigen animierenden Gerbstoffen daher. Das ergibt einen reuelosen Genuss. Nach ungefähr 45 Minuten ändert sich das Bild: der Wein wird etwas kompakter, die Nase ist nicht mehr so üppig, am Gaumen wird er fester, mit weniger Frucht und dominanter Mineralik. Er schmeckt jetzt deutlich trockener – ein Wein zum Sinnieren. So bleibt er auch am zweiten Tag. Der Abgang ist zu jedem Zeitpunkt außerordentlich lang.

Der Neumond ist ein hervorragender Wein auf dem Niveau eines gelungenen ‚Grossen Gewächses‘ aus dem tollen Jahr 2009. Ich denke er wird sich auch analog diesen Entwickeln.


Die Entdeckung der Arbeit

Dieser Tage brachte mir die Post den dritten Entdeckerwein ins Haus. Wer noch nicht weiß, was es mit Carsten Henns Weinentdeckungsgesellschaft auf sich hat, der findet hier und hier Erklärungen.

Ein Rosé sollte es dieses Jahr werden, verkürzt gesagt der anspruchsvollste Rosé, den je ein deutsches Weingut produziert hat. Die Beckers aus Schweigen stellten das Rohmaterial: Cabernet, Portugieser sowie allerlei Spätburgunder, darunter ein Saftabzug (was das ist, findet man hier) vom Kammerberg GG. Die Partien wurden einzeln vergoren, teils im Stahltank, teils in Barriques und nach der Cuvéetierung unfiltriert gefüllt, was eine Trübung solchen Ausmaßes hervorrief, dass der Wein gar nicht erst zur Qualitätsweinprüfung angestellt wurde (er hätte sie nicht bestanden). Er ist jetzt also kein QbA oder Prädikatswein, sondern schlicht ein ‚Deutscher Wein‘. Sein Name lautet ‚ein Rosé ist ein Rosé ist ein Rosé ist ein Rosé‘ – eine Anspielung auf eine Zeile aus einem Gedicht von Gertrude Stein.

Ein spannender aber divenhafter Rosé

Wie in den Vorjahren, probierte ich den Wein, bevor ich den Beipackzettel las und beobachtete dann die folgenden Tage seine Entwicklung. Der erste, unwissende Schluck war einfach nur grausam. ‚Au weia, das wird der erste Flop der Entdeckungsgesellschaft‘, war mein spontaner Gedanke. Soviel Säure war nie in einem deutschen Rosé, da bin ich mir sicher. Doch Carsten und Stefanie Henn warnen ausdrücklich, der Rosé brauche derzeit Luft. Und deren Einfluss veränderte den Wein sehr positiv. Zehn Stunden in der Karaffe sollten Probierwillige den Wein mindestens belüften.

Friedrich Becker (und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft), ‚EinRosé ist ein Rosé ist ein Rosé ist ein Rosé‘, 2010, Deutscher Wein (Pfalz). In der Nase Hefe, Säure, etwas Holz, verhalten kräutrig und mit etwas Himbeere. Am Gaumen dominieren heftige 9,6 Promill Säure, etwas aufgefangen von einem dezenten Holzton, cremiger Konsistenz und 6,9 Gramm Restzucker pro Liter. Die hefige Fülle steht dem Rosé gut zu Gesicht, geschmacklich überrascht er mit einer Mischung aus Speck und Rauch, Pink Grapefruit und Zitrus sowie einer leichten Brausebonbon-Note. Unter der Hefe und der enormen Säure scheint etwas Mineralik durch, der Alkohol von 12,5% tritt nicht weiter in Erscheinung. Der Abgang ist sehr lang, der Wein fordert die Sinne, ist ob seiner kantigen Säure aber derzeit kein Trinkwein, sondern eher ein interessantes Studienobjekt.

Der Wein will mit viel Liebe und Aufwand entdeckt und erarbeitet werden. Er ist eine Diva wie Brigitte Bardot. Als Gunter Sachs die Französin einst erobern wollte, kreiste er im Hubschrauber über ihrem Anwesen und ließ Blumen regnen. Es waren Rosen, Rosen, Rosen, Rosen. Sie schmolz dahin, beide flogen nach Las Vegas und heirateten. Die Ehe hielt drei Jahre. Dieser Rosé hält länger.

Fünf Tage Neumond

Letztes Jahr hatte ich schon ausführlich über Carsten Henns Weinentdeckungsgesellschaft berichtet und den ‚Roten Baron‘ begeistert gefeiert. Dieser Tage kam der zweite Wein des Projektes und ich habe mich 5 Tage mit großem Vergnügen mit einem einmaligen Riesling beschäftigt. Zur Erinnerung: die Weinentdeckungsgesellschaft kreiert jedes Jahr mit einem Winzer einen Wein, wie es ihn so noch nie gegeben hat und auch nie wieder geben wird. Beim Riesling hat man schon alles gesehen, insofern ist das einmalige am ‚Neumond‘ – wie der Wein heißt – die Tatsache, dass es die erste Füllung einer besonderen Parzelle in der Abtserde ist. Gemacht hat sie Klaus-Peter Keller aus Flörsheim-Dalsheim, der Besitzer dieser Parzelle ist und sie 2006 neu bestockt hat. Das ist nicht so spektakulär wie die ‚ungesetzliche‘ Cuvée aus dem letzten Jahr aber immerhin. Der Wein macht großes Vergnügen und das allein zählt.

K. P. Keller (und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft), Riesling QbA ‚Neumond‘, 2009 (kein Jahrgang auf dem Etikett), Rheinhessen.

Tag 1: In der Nase unmittelbar nach dem Öffnen mächtig, leicht süßlich parfümiert, eigen und nicht unbedingt rieslingtypisch, mürber Apfel und Bonbon. Am Gaumen ganz anders, zwar auch sehr reif und auch mit Apfel aber vor allem schön vibrierend, resch und spielerisch. Sehr saftig, wenngleich im Abgang trocken bis kalkig aber da ist durchgehend genug Frucht (etwas Grapefruit, etwas Exotik) um den Eindruck der Kargheit zu vermeiden. Das ist ein Wein, der sehr tiefe mineralische Anlagen andeutet aber auch die niederen Instinkte aus der Abteilung ‚lecker‘ weckt. Ich muss mich zwingen, es bei einem Glas zu belassen. Ein letzter Schluck vor dem Schlafengehen zeigt dann die Flegel-Seite dieses jungen Hüpfers: Auf einmal gemahnt der ‚Neumond‘ ganz erheblich an Sauvignon Blanc. Er ist grasig. Schaudernd geht’s ins Bett…

Tag 2: Der Wein ist über Nacht auf Wanderschaft gegangen und hat es bis an die Mosel geschafft: Die Säure ist etwas spitzer aber der Wein wirkt auch etwas süßer, das ergibt ein grandioses Spiel, auch stellen sich Noten von Karamell und Rauch ein, gerade als wäre der Wein auf Schiefer gewachsen. Zum Ende hin zeigt sich jedoch wieder die kalkige Note, die die Maskerade auffliegen lässt. Der Abgang führt zurück nach Rheinhessen – und lässt sich dabei ganz viel Zeit. Ultralang und wieder sehr vielversprechend.

Tag 3: Die Reise ging weiter, jetzt in die Ortenau: blumig-duftig wie ein Laible-Riesling aber am Gaumen etwas weniger tiefgründig. Insgesamt wieder trockener und erstmals etwas karg.

Tag 4: Das war wohl ein Ruhetag, denn die Reise ging nicht wirklich weiter. Es bleibt in der Nase blumig und am Gaumen trocken. Am vierten Tag wirkt der Wein sehr sehr jung und erstmals etwas verschlossen. Ein weiterer Beweis dafür, dass tagelange Belüftung nur selten eine Vorschau auf die verschiedenen Reifestadien eines Weines bringt. So jung wie heute werden der ‚Neumond‘ und ich nie mehr zusammen kommen.

Tag 5: Zieleinlauf. Ich weiß nicht, wo wir gerade sind – auf jeden Fall ein gutes Stück zurück nach Rheinhessen. Was den Wein jetzt auszeichnet ist eine kalkige Mineralik, die aber nicht mehr karg ist. Kein verzweifeltes Lutschen am Stein in der Hoffnung, es könnte auch noch etwas anderes da sein (habe ich schon erwähnt, dass der Kult um ‚Steinweine‘ nicht meiner ist?), sondern ein schönes Gesamtpaket. In ganzen Sätzen klingt das jetzt so: In der Nase gefällt der ‚Neumond‘ mit Anklängen von Blüten. Der Wein ist duftig-blumig zeigt aber auch eine resche Grapefruit-Zitrus-Note, dazu Aloe Vera und ein Hauch Kemmsche Kuchen. Am Gaumen ist der ‚Neumond‘ wunderbar balanciert. Einer spitzen Säure steht süße Frucht (und bestimmt auch ein paar Gramm Zucker) spielerisch gegenüber. Dazu ist der Wein herrlich saftig mit Anklängen von Mandarine und kippt zum langen Ende hin ins mineralische.

Ich trinke den Wein jetzt aus und freue mich auf weitere Begegnungen in etwas fernerer Zukunft.

Luftaufklärung

Die Idee hinter der Deutschen Wein-Entdeckungs-Gesellschaft ist ungewöhnlich und machte mich sofort neugierig: Ein kompetenter Verkoster stachelt ebenso kompetente Winzer dazu an, einen Wein zu machen, wie es ihn noch nicht gegeben hat. Genauer will ich es gar nicht ausführen, denn die Webseite des Projektes beschreibt das ganze Vorhaben viel ansteckender als ich das könnte. Der erste Projektwein ist fertig und ausgeliefert und es ist die erhoffte Überraschung: unter dem Label der Entdeckungsgesellschaft warfen die renommierten Knipser-Brüder ein paar Prinzipien über Bord und kreierten einen Wein, der aus drei verschiedenen Jahren stammt (das tut ‚man‘ ja normalerweise nicht) und ausschließlich deutsche Rotweinsorten vermählt – darunter der nicht gerade hochgeschätzte Dornfelder. Auch hier möchte ich nicht als Spielverderber auftreten und die lesenswerte Geschichte des Weines in allen Details nacherzählen – die ganze Story bleibt vorerst Mit-Entdeckern vorbehalten. Vom Wein gibt es aber schon mal ein paar Eindrücke. Denn ein erstes Exemplar des ‚Roten Barons‘ flog diese Woche zur Erkundung in mein Glas.

Weingut Knipser & Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft, ‚Der rote Baron‘ Rotweincuvée trocken (aus 2006, 2007 und 2008). In der Nase mittelkräftig mit Kirsche, Pflaume, Lavendel und einer kräftigen Portion Holz. Am Gaumen besticht der Wein mit einer kräftigen aber feinen Säure bei mittlerem Körper und einer schönen Frucht (Blaubeere und Pflaume). Holz und Tannin prägen den Abgang ohne ihn über Gebühr zu dominieren. Das ist schon sehr vielversprechend. Und gemessen am Anspruch? Eine hochwertige Cuvée mit Dornfelder, die von diesem nicht dominiert und ‚nach unten gezogen‘ wird, soll es sein. Das ist der ‚rote Baron‘ definitiv.

Der Jungfernflug der Entdecker ist ein voller Erfolg.