Füllwein (18)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Dr. Bürklin-Wolf, Deidesheimer Langenmorgen ‚PC‘, Riesling QbA trocken, 2007, Pfalz. Ich habe schon lange keine ambitionierte Spätlese eines VDP Weingutes mehr getrunken, fiel mir auf, als ich den Korken aus dieser Flasche zog. Um es auf den Punkt zu bringen: mit 13,5% Alkohol ist dieser Wein nicht weniger wuchtig, als die meisten GGs aus 2007, die ich bisher getrunken habe. Aber er ist trotzdem sehr elegant. In der Nase erscheint er noch recht verschlossen mit viel Hefe und viel Zitrus, dazu etwas Aloe Vera und eine dezent süßliche Note. Am Gaumen ist er sehr balanciert: saftig mit mittlerem Druck, erscheint sehr trocken, was auch an dezenten Gerbstoffen liegen mag. Aromen von Aprikose und Apfel dominieren die Frucht, der Abgang ist sehr mineralisch – irgendwie gleichzeitig pfälzisch-barock und doch verspielt. Hat was Magisches.

Bernhard Huber, Malterdinger Spätburgunder QbA, 2004, Baden. In der Nase gekochte Beeren, Sellerie, einige grüne Noten, etwas Rauch. Am Gaumen ist der Wein sehr fruchtig, mit gekochter Erdbeere, Kirsche und Himbeere. Er glänzt dazu mit rescher Säure und sehr dezenten Holzaromen (der Wein ist in zweit- und drittbelegten Barriques ausgebaut). Es stellt sich eine schöne Balance zwischen Süffigkeit und Komplexität ein. 13,5% Alkohol stören nicht weiter, solange der Wein nicht warm wird. Überhaupt ist dieser Spätburgunder von der Sorte, die unheimlich in die Breite gehen, wenn sie Zimmertemperatur erreichen – dann wird’s brandig und marmeladig. Kleine Portionen zügig zu vertilgen, ist eine wunderbare Alternative bei diesem gelungenen Wein.

Günther Steinmetz, Brauneberger Juffer *, Riesling Auslese feinherb, 2003, Mosel. Ich sei kein großer Fan der Rieslinge dieses exzellenten Rotweinproduzenten, schrieb ich vor geraumer Zeit. Das ist ein pauschales Urteil, zu dem es Ausnahmen gibt. Ausgerechnet im Problemjahr 2003 ist Stefan Steinmetz ein hervorragender Riesling der etwas schwereren Kategorie gelungen. In der Nase immer noch mit Spontan-Noten aber auch mit Mango und Aloe Vera, kommt der Riesling am Gaumen relativ süß daher. Trotzdem zeigt er viel Spiel. Zu Aromen von Karamell, Kemmschen Kuchen und Ananas gesellt sich eine rauchige Mineralik. Im sehr langen Abgang spürt man etwas die 11,5% Alkohol.

Abbitte

Ich glaube, jeder, der sich intensiv mit Wein auseinandersetzt, hat sie: seine persönlichen ‚überschätzten‘ Winzer. Das sind jene Betriebe, die selten bis nie einen wirklich überzeugenden Wein auf die Flasche bringen aber in den einschlägigen Führern regelmäßig als Deutschlands Spitze bezeichnet werden. Dass das eher eine Inkompatibilität von Winzerstil und persönlichem Geschmack ist, kommt gar nicht in Frage, schließlich hat man einen geschulten Gaumen und schon wirklich viele Weine dieses Betriebes verkostet. Ich erwische mich immer wieder bei diesen Gedanken, habe ich mal wieder was Enttäuschendes von H****, W*** oder L***** im Glas.

Dabei müsste ich es besser wissen, denn als ordentlicher Neoliberaler sollte ich zur Kenntnis nehmen, dass alle diese Betriebe über Jahre hohe Preise durchsetzen, ausverkauft sind und in den besten Restaurants auf den Karten stehen – und der Markt irrt schließlich nicht.  Wenn dann noch ein Winzer auf einmal diverse Weine produziert, die mir gut gefallen, ohne dass besagte Führer einen Stilwechsel des Betriebes verkünden, gehen mir endgültig die Argumente aus; dann hat sich wohl schlicht mein Geschmack verändert.

Nach einigen großartigen Momenten mit Rebholz-Weinen darf ich mich als bekehrten Zweifler outen, wenngleich die Weine im Basis-Segment immer noch keinen Kaufreflex auslösen. Aber die GGs sind teilweise gigantisch. Das erfuhr ich diese Woche wieder einmal am eigenen Leib mit diesem hier.

Ökonomierat Rebholz, Birkweiler Kastanienbusch, Riesling Grosses Gewächs, 2005, Pfalz. In der Nase reif und würzig: mürber Apfel, Minze, Aloe Vera, Estragon und etwas Grapefruit. Am Gaumen ist der Wein ziemlich kantig, die Säure ist vergleichsweise mild aber der Wein ist sehr trocken, kommt mit einigen Gerb- und Bitterstoffen daher und ist vor allem enorm mineralisch. Pfirsich und Grapefruit blitzen auf und setzen einen saftigen Kontrapunkt. Im Abgang ist der Wein sehr trocken, rauchig-mineralisch und lang. 13,5% Alkohol treten nicht störend in Erscheinung. Komplex, druckvoll und sehr strukturiert – ein großer Wein.

Aber L***** ist wirklich überschätzt…

Mein erster Pinot Noir

‚Ohje, Opa erzählt vom Krieg!‘ mag manch Leser jetzt denken. Will der uns wirklich von seiner ersten Flasche Spätburgunder berichten? Vermutlich war’s ein Untertürkheimer Bratschenberg Spätburgunder lieblich von der Tankstelle und ein Picknick mit einem hübschen Mädchen an einem lauen Sommerabend und… HALT. Dies ist kein Blog für Altherrenphantasien und ich will auch gar nicht von meiner ersten Flasche Spätburgunder schreiben. Berichten muss ich von meiner ersten Begegnung mit Friedrich Beckers ‚Pinot Noir‘ Tafelwein, jenem fast mythisch verklärtem Wunderstoff, der sieben Mal in Folge vom Gault Millau zum besten Spätburgunder Deutschlands gekürt wurde, jenem 90-Euro-Geschoss, dass vielen als Keimzelle des Deutschen Pinot-Booms gilt.

Der ‚Pinot Noir‘ von Becker wird als Tafelwein gefüllt – seit jeher. Ursprünglich war das wohl eine Notwendigkeit, weil die Verwendung von Barrique-Fässern beim Ausbau deutscher Weine einige Zeit nicht den Segen der Weinkontrolle fand und die Füllung als Tafelwein eine Möglichkeit darstellt, die Weinkontrolle zu umgehen – aber das ist kein gesichertes Wissen, sondern Hörensagen. Mittlerweile gäbe es keine Probleme mit der Behörde, aber vielleicht genießt Herr Becker eine stille Rache, indem er den Weinkontrolleuren einfach diesen Zauberstoff vorenthält: Keine Prüfung, keine Musterproben.

Den ‚Pinot Noir‘ zu bekommen ist kein schwieriges Unterfangen. Ganz ohne Subskription erhält man ihn bequem auch Wochen und Monate nach Erscheinen noch bei vielen Händlern. Ich kaufte meine Flasche bei Erscheinen irgendwann 2007 und genoss seitdem die Vorfreude. Letzte Woche feierte ich die zwischenzeitliche Wiederkehr des Sommers mit diesem Wein zu einem Grillabend mit Lamm, Geflügel, Tomatensalat und einem ordentlichen Weißbrot – 22 Grad Lufttemperatur und den Wein bei 17 Grad serviert, lediglich eine Stunde im Dekanter, zwei Mitstreiter mussten blind mittrinken und waren vor Verzückung gelähmt. Ich war zwar wissend, konnte mich aber auch nicht mehr bewegen: ohne wenn und aber mein bisher größtes Rotweinerlebnis.

Becker, ‚Pinot Noir‘, Deutscher Tafelwein Rhein, 2005, (Pfalz). Die Nase ist wahnsinnig intensiv und sehr typisch. Auch wenn der Schwerpunkt auf rohem Fleisch (Tartar) und Kirschfrucht liegt, ist der Wein in der Nase weich und sehr anziehend (ich versuche, die bescheuerte Phrase ‚die Nase ist wahnsinnig sexy‘ zu umschiffen). Am Gaumen ist der Wein von einer geradezu kristallinen Struktur. Alles ist an seinem Platz: straffe Säure, moderates Tannin, dezent in Erscheinung tretender Holzausbau, wieder diese recht animalischen Aromen von rohem Fleisch, satte Kirschfrucht, Bleistift, rote Beeren. Der Nachhall ist vielschichtig, komplex, ultralang. Und wieder fällt mir nur ein Wort ein, dass ich gewöhnlich vermeide: präzise. Dieser Wein ist so präzise, dass ich glatt die Scheu verliere, das Wort zu benutzen. 100 Punkte.

Füllwein (16)

Nicht nur die Deutsche Nationalmannschaft hat mal einen schlechten Tag. Auch zwei meiner erklärten Lieblingswinzer ziehen mal was auf die Flasche, was mich nicht von den Socken haut. Das sind immer noch exzellente Weine aber nicht von der Brillianz, die ich von ihnen gewohnt bin. Ein relativer Nobody (hier im Schnutentunker aber schon mehrfach vertreten) konnte hingegen bezaubern.

Knipser, Kalkmergel, Chardonnay & Weissburgunder, 2004, Pfalz. In der Nase stören zunächst deutliche Alterstöne, regelrecht muffig ist der Wein. Nach einiger Zeit verfliegen diese Aromen. Der Wein verträgt noch einige Stunden Luft, ist eigentlich erst am zweiten Tag ein echtes Vergnügen. Dann in der Nase noch recht viel Holz, etwas Nuss, ein bisschen Birne aber insgesamt wenig Frucht. Am Gaumen ebenfalls noch spürbare Holzprägung, dazu buttrig, ziemlich mild in der Säure, typische Chardonnay-Aromen. Das ist ein angenehm gereifter holzlastiger Weißwein, der viel Genuss bietet aber nicht an Knipsers reinsortige Chardonnay-Auslesen heranreicht.

R.&C. Schneider, Sauvignon Blanc Spätlese ***, 2008, Baden. In der Nase buttrig und leicht böcksrig (also mit einem leichten Schwefelwasserstoffstinker), Jogurt, Grapefruit, minimal grüne Noten. Am Gaumen zeigt sich eine pikante Säure, die aber nicht zu dominant daherkommt. Der Wein ist relativ stoffig, cremig, mit Aromen von Grapefruit und brauner Butter, etwas eindimensional. Langer Abgang aber der Wein lässt mich etwas ratlos zurück. War er für kurze Zeit im Holzfass? Oder ist es lediglich ein langes Hefelager, das ihn prägt? Richtige Begeisterung kommt nicht auf.

Agritiushof, Oberemmeler Agritiusberg, Riesling Spätlese feinherb, 2005, Mosel (Saar). In gewisser Weise ist der Wein eine Mogelpackung: Winzer Alfred Kirchen bezeichnet als feinherb, was gesetzlich halbtrocken ist, und 13,5 Gramm Restzucker ergeben häufig einen sensorisch trockenen Wein, wenn man sie mit 8,2 Promill Säure verheiratet und fünf Jahre auf der Flasche reifen lässt. Doch der Wein ist saftig und kommt mit so viel süßer Pfirsichfrucht daher, dass er immer noch als nicht ganz trockener Riesling erkennbar ist. In der Nase noch frisch, kein Petrol, keine Firne, dafür Quitte und Aprikose etwas vollreife Ananas, ist der Agritiusberg am Gaumen ein voluminöser, saftiger Riesling, der seiner feinen Mineralik und der kräftigen aber nicht dominanten Säure verdankt, dass er die Balance hält. Nicht zu fett, nicht anstrengend – eher raffiniert und mit Spiel sorgt der Wein für jenen magischen Moment im Glas, der bei mir die 90 Punkte definiert.

Flasche leer (2)

Die Frage, was man bei 28 Grad Abendtemperatur auf der Terrasse zum Grillgut trinkt, beantworten gesundheitsbewusste Menschen zu Recht mit Wasser (oder Apfelschorle). Ich bin nur mäßig gesundheitsbewusst und deshalb greife ich gerne zu Wein, wenngleich in sehr geringen Dosen. Aus zwei Gründen ist es meist ein etwas rustikaler Rotwein: ich kühle sie wie einen Weißwein und es bleibt immer eine größere Menge übrig, so dass der Wein Tage im Kühlschrank überdauern können oder reuelos im Essigfass entsorgbar sein muss.

Trotzdem sollen meine Grillweine nichts weniger als großartig sein. Einen solchen zu finden, ist kein einfaches Unterfangen; bei Erfolg lagere ich daher ein paar Flaschen mehr ein. Von einem meiner beiden treuen Grillbegleiter der letzten Jahre habe ich mich gestern verabschiedet.

Knipser, Blauer Spätburgunder QbA, 2002, Pfalz. Der Wein schimmert im Glas schon eher rostbraun als rot. In der Nase etwas Vanille und Erdbeermarmelade, Kirsche und auch Marzipan. Am Gaumen ein bisschen Kirsche und nur noch wenig Tannin, immer noch spürbarer Einfluss vom Holz, eine eher milde Säure (was auch an der vergleichsweise kühlen Serviertemperatur liegen mag), leichte Mineralik und gut integrierter aber spürbarer Alkohol (13,5%). Der Wein zeigt eine stimmige Balance aus Saftigkeit und Holzausbau. Der Abgang ist mittellang. Nach hinten heraus gibt es erste Ermüdungserscheinungen, weshalb der Abschied zwar schmerzt aber keine Sekunde zu früh kommt. Mach’s gut, blauer Kamerad.

Vom anderen ist auch nur noch eine Flasche da. Die vorletzte konnte letzte Woche restlos überzeugen, wie alle Vorgänger seit 2007.

Günther Steinmetz, Pinot Meunier * (im Barrique gereift), 2005, Mosel. In der Nase vermutet man eine Hochzeit von Gamay und Nebbiolo: Lavendel und Veilchen mit einer teerigen Note, dazu Kirsche, Zwetschge und Lakritz. Am Gaumen präsentiert der Rotwein sich mit der Struktur eines großen Weißweines: ein Gerüst aus Säure und Mineralik trägt die Aromen von Pflaume und Wacholder. Eine Kombination aus Röstaromen und zurückhaltendem Tannin runden den Wein ab. Sehr langer von Mineralik geprägter Abgang. Trotz eines Verkaufspreises von viel zu billigen 6 Euro konnte Steinmetz den Wein nicht recht verkaufen, es gab ihn jahrelang auf der Weinliste. Kein Wunder also, dass der Schwarzriesling mittlerweile als Blanc de Noir gekeltert wird. So bleibt es bei diesem einmaligen Geniestreich und mir noch eine letzte Flasche davon.