29 Weine im Dauertest, darunter einige der größten der Saison, da lege ich mich jetzt schon fest.
Vor einem Jahr lud ich zu einer Weinprobe, die ich ‚Schätze heben‘ taufte. Dabei mischte ich einiges, was sich über den Sommer zur Verkostung angesammelt hatte mit einigen GGs, die nicht in Wiesbaden auf dem Probenzettel standen. Als ich jetzt am Sonntag der Wiesbadener Veranstaltung bei der Probe der Versteigerungsweine Fritz Groebe traf, fragte der, ob er wieder seine GGs schicken könne. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich mir keine Gedanken über eine weitere Herbstprobe gemacht, zumal nach Wiesbaden noch eine Rückkehr nach Spanien auf dem Programm stand.
Doch im Urlaub entwickelte ich eine Idee. Warum nicht einige der Weine, über die ich mich in Wiesbaden besonders gefreut habe, einem Kollegentest unterziehen und einige Weine, bei denen ich unsicher war, in Ruhe nachprobieren? Also fragte ich ein paar Flaschen an und stellte eine Probe zusammen. Da ich einige der Weine schon vorher zwei Tage lang verkostet hatte und bis zu fünf Tage weiter beobachten wollte, trafen wir uns lediglich zu fünft. Dafür gab es ein umfangreiches Testfeld.
Hallo-Wach zum Start
Die drei Rieslinge aus dem Escherndorfer Lump waren für mich ein Highlight in Wiesbaden. Keine Angst vor Säure, Riesling ohne Netz und doppelten Boden. War ich da jetzt augenblicksverliebt? Ich stellte den Flight an den Anfang mit dem Hinweis, eine Lage, eine Rebsorte, 2024, drei GGs. Es trat der gewünschte Effekt ein. Die Kollegen fanden viele Gemeinsamkeiten und liebten den klaren Sortencharakter und die trockene Anmutung. Drei grandiose Weine.
Escherndorf Am Lumpen 1655 (Franken), Riesling GG, 2024
Rainer Sauer: Startet würzig und gefällig, nach drei Tagen laut strahlende gelbe Frucht mit leichter Kräuterwürze. Sehr feine Säure, nicht gerade wenig, aber gut durch die Frucht gepuffert, wirkt jetzt sehr trocken. Der Babyspeck schmilzt im Laufe der nächsten drei Tage noch weiter ab und der Wein gewinnt eine feste, edle Struktur auf der Basis von knackiger Säure. Während er in Wiesbaden noch das schwächere dreier grandioser GGs war, möchte ich diese Einschränkung jetzt streichen.
Horst Sauer: Die umgekehrte Reise: Der Wein präsentiert sich erst wie in Wiesbaden, sehr kantig und tief und wird nach drei Tagen weicher, fruchtiger, bunter, geht mehr in Richtung Frucht-Säure-Spiel und macht ab dem fünften Tag nach hinten raus zu. Dann wirkt er etwas einfach, weil dieses phenolische Spektakel durch nichts zu ersetzten ist. Aber das darf man ignorieren. Der Wein beweist seine Klasse und mehr muss er jetzt auch noch nicht. (Außerdem trinkt jeder außer mir so was aus, wenn es so grandios schmeckt wie in den ersten drei Tagen.)
Max Müller I: Das beste Paket: Am dritten Tag weiße Blüten, hell, blumig, extrem strahlend. Sehr kräftige, aber auch feine Säure, nach hinten raus Kreide, fantastisches Potenzial andeutend, einfach groß und das bleibt über die gesamte weitere Woche so.
Der Bruder kam zu spät
Im zweiten Flight wollte ich drei Weine paaren, über die ich mir in Wiesbaden kein Urteil bilden mochte. Leider kam das GG von Oliver Haag (Weingut Fritz Haag) zu spät, sodass am Probenabend die Weine seines Bruders Thomas alleine auf dem Tisch standen (allerdings nur 24 Stunden geöffnet). Ich habe die Juffer Sonnenuhr separat über eine Woche verkostet. Briefing: Ein Weingut zwei Lagen, GG 2024. Interessanterweise kam keiner der Verkoster auf Mosel. Bei der Mosel erwartet man mehr Plüsch. Die Weine kamen extrem gut an.
Schloss Lieser (Mosel), Riesling GG, 2024
Piesporter Goldtröpfchen. Zurückhaltende Nase, Heuboden, vor allem in der Frucht sehr verhalten, am Gaumen dann extrem fruchtig, weich, sehr viel charmanter als in Wiesbaden. Die Nase wird nach drei Tagen minimal fruchtiger, erinnert mehr an Riesling, am Gaumen leicht kandiert, deutlich würziger. Die Dichte ist GG-würdig, die Komplexität (noch) nicht, der karg-fordernde Abgang deutet Potenzial an. Der Wein straft mich vielleicht irgendwann lügen. Bis dahin bleibe ich dabei: auch wenn das hier ein sehr gutes GG ist, aus dem Goldtröpfchen kommt echte Weltklasse eher in feinherb und edelsüß.
Wehlener Sonnenuhr. Der Wein wirkte in Wiesbaden unfertig. Das ist hier anders. Rechtzeitig zur Probe taucht eine flintige Reduktion im Glas auf, die sich ab dem vierten Tag etwas zurückzieht, am Gaumen wird der Wein stetig kerniger, würziger, malziger. Schöne Säure, malzig-stoffiger Antrunk, hat am dritten Tag eine gewisse Schwere, aber so viel Substanz und Stein und Tiefe und Säure, dass ich ganz glücklich bin, obwohl der Wein unruhig bleibt. Die Länge ist episch. Das ist (aromatisch) schwerer, ziemlich großer Stoff.
Fritz Haag, Brauneberg (Mosel), Riesling GG, 2024
Juffer Sonnenuhr. Typische, gelbfruchtige Rieslingnase, warme Frucht am Gaumen, reife kräftige Säure, auf der insgesamt reifen und mühelosen Seite. Ab dem vierten Tag kräftiges Bittertönchen der Art, die ich mag. Das ist Kunst und eigentlich wollen wir das alle genau so (phenolisches Schmirgeln im Abgang inklusive). Ich mag den Wein sehr und ja, er wird vermutlich mit Reife etwas molliger werden, aber eben nicht fett, auch weil er nur 12 Prozent Alkohol hat.
Riesling im Schafspelz
Sind die Franken Riesling pur, sind die Weine von Florian Lauer das Gegenteil. Auf den Etiketten ist die Rebsorte nicht mehr vermerkt, die GGs durchlaufen einen biologischen Säureabbau und ein längeres Hefelager nimmt ihnen die Spitzen. Dafür gären sie in der Zeit durch. In diesem Jahrgang haben alle drei eine Null vor dem Komma beim Restzucker. Ich hatte sie auf Anraten des Winzers nicht nur 48 Stunden vor der Probe geöffnet, sondern auch das CO2 rausgeschüttelt. Briefing an die Truppe: Ein Weingut, eine Sorte, drei GGs aus 2024. Die Weine polarisierten – allerdings jeder aus anderem Grund. Das ist immer noch Riesling von der Saar, der auch nach einem BSA noch reichlich Zug hat und komplett durchgegoren nicht über 12,5 Prozent Alkohol kommt. Aber es gibt bei allen Weinen auch üppige und cremige Momente.
Weingut Peter Lauer (Ayl, Saar), Riesling GG, 2024
Schonfels. Eher klassische Rieslingnase, in sich ruhend, zunächst gemütlich wie in Wiesbaden. Gewinnt mit drei Tagen an Kontur, wird bissig, aber leise bissig, sehr fein ziselierte Säure, leicht blumig, dezent ölig, zart, elegant, dann steinig, tief, aber tänzelnd. Finde ich unfassbar. Groß.
Feils. Karge Nase auch nach drei Tagen, etwas Tabak, wenig Frucht. Am Gaumen ein schöner Apfel, aber halt null Zucker – das passt. Dazu regelrecht cremig, darunter aber feiner Biss. Eher monolithisch. Da schlummert was, aber ob man das in fünf Jahren für einen Riesling hält? (Für einen guten Wein allemal). Der Wein ist am ehesten von den drei etwas lätschert, aber ich will die Kritik nicht übertreiben. Das ist schon sehr gut.
Kupp. Ist ein bisschen mollig und warm auch nach drei Tagen. Hefenote, sehr trocken, leicht rauchig-malzig. Vielleicht wird das ganz großer Stoff, aber ich kann mir diese Aromenwelt so furztrocken nur schwer vorstellen. Wird nach hinten raus nicht pummelig und deswegen ist jede Form von Entwicklung vorstellbar. Spannend.
Brüder im Geiste
Ich habe keine Ahnung, ob Florian Lauer und Achim von Oetinger in regem Austausch stehen, aber sie haben recht zeitgleich den identischen Entschluss gefasst. Die Machart der GGs vom Oe ist seit kurzem identisch mit der des Kollegen von der Saar. Zu einer Null vor dem Komma hat es im Rheingau nicht geführt, aber auch diese GGs sind staubtrocken. Gleiches Briefing an die Truppe. (Die Weine sind noch nicht im Verkauf.)
Weingut von Oetinger (Erbach, Rheingau), Riesling GG, 2024
Siegelsberg. Frucht und Power, etwas bunt und dropsig und sooo strahlend, alle Anlagen für einen ganz großen Siegelsberg. Nach drei Tagen ist der Drops gelutscht und die Frucht unfassbar klar, crisp und tief. Im Abgang das komplette Paket aus feinem Schmirgeln und kreidigem Potenzial. Macht Gänsehaut! Großer Wein.
Hohenrain. Süßer, oranger, kompakter und kuscheliger, mit Luft dann aber rauchig-steinig, sehr trocken und kantig, tief, viel Potenzial andeutend, trotzdem auf der üppigen Seite, wird etwas molliger und im direkten Vergleich immer vom Siegelsberg überstrahlt werden. Muss man ihn halt solo trinken, dann ist das Ergebnis mindestens wunderbar.
Marcobrunn. Würziger, monolithischer, Orangeat in der Nase, am Gaumen ganz sauber und klar. Enorm tief, am dritten Tag etwas ölig-cremig. Hat noch nicht den steinigen Biss und ich will den nicht dazudichten, bloß weil er ihn sonst immer hat. Sicher besonders gut, aber vielleicht nicht groß. Wir haben im Rheingau den 23er noch einmal nachprobiert. Den hatten wir im letzten Jahr so gefeiert und er hat unsere Erwartungen jetzt voll erfüllt.
Vier Buchstaben FTW
Im nächsten Flight ging es mir um eine Kombination der Szenarien: Weine, die ich mochte und Weine, die ich nicht greifen konnte. Es gab ein kleines Missgeschick: Statt des Victoriaberg ‚Dechantenruhe‘ GGs schickte das Weingut Flick die Erste Lage Victoriaberg. Die haben wir trotzdem mitverkostet. Das Briefing war: Eine Region, eine Rebsorte, drei Winzer und Lagen, allerdings recht nah beieinander.
Rheingau, Riesling, 2023
Flick, Königin Victoriaberg (Erste Lage). Tabaknase, sehr schöne Frucht, tatsächlich am dritten Tag etwas leicht, aber so lecker. Der Wein kam gut an und hat in der kurzen Zeit mit seiner offenen Art durchaus mithalten können. Auf die Dauer merkt man dann aber doch einen Unterschied in der Tiefe.
Domdechant Werner, (Hochheim) Hölle GG. Die süße Frucht ohne Plüsch bei stoffiger Textur kommt unheimlich gut an, weil der Wein glockenklar, knackig und speicheltreibend-lebendig ist. Ich habe in Wiesbaden geschrieben, manchmal käme man um die Bezeichnung ‚geil‘ nicht herum und als jetzt bei der Probe alle von einer gewissen unterschwelligen Anziehungskraft schwärmen, der auch ich wieder erliege, fühle ich mich bestätigt. Manchmal sind vier Buchstaben viel besser als viele Worte (und ihren Schrecken haben sie doch längst verloren). 38 Euro für ziemlich großes Kino geilen Stoff.
Künstler, Kirchenstück GG. zu diesem Riesling notierte ich mir in Wiesbaden: ‚kompakt, auch etwas schwer, ich will das aber nicht kleinreden, da steckt schon Klasse drin, nur ist das im Moment moppelig (Babyspeck?)‘. Das ist am Probentag nicht unbedingt anders. Einer in der Runde findet ihn plakativ, Tuttifrutti! Da ist was dran. Aber über die weitere Zeit wird er zupackend, bewahrt intensive Frucht (Maracuja und Mango, reif, aber nicht überreif), tolle Säure und wenig Zucker und endet leicht phenolisch. Zum verlieben, aber es ist ein Wein in XXL. Ich lege mich fest: Wunderbar!
Ehre, wem Ehre gebührt
Diese ganze Probe gab es, weil Familie Groebe Wiesbaden geschwänzt hat. Und es hat der Familie gutgetan. Im kleineren Format fanden die Weine die Anerkennung, die ihnen gebührt. Das ist heuer nicht anders, nur brauchen die Weine mehr Zeit und Luft als letztes Jahr. Briefing wie bei von Oetinger und Lauer.
Groebe (Westhofen, Rheinhessen), Riesling GG 2024
Kirchpiel. Sehr helle Nase, frische Aprikose, leicht kräutrig, minzig, kräftige reife Säure, ganz klassisch, nicht furztrocken, aber angenehm trocken, ein bisschen Old school, total gut. Der singt ein fröhliches Lied. Wird nach drei Tagen etwas trockener und karger, aber nicht weniger fröhlich.
Aulerde. Sehr kräutrige Nase, auch etwas Pappe, am Gaumen ist die Frucht tendenziell überreif, leicht mürber Apfel, auch im besten Sinne altmodisch, reif in der Säure, schönes Spiel, dann kommt eine feine Phenolik, aber der Wein bleibt die ganze Zeit auf der schwelgerischen Seite. Wird auch trockener mit der Zeit und die Nase etwas lebendiger. Toll.
Morstein. Ein bisschen Honig und Tabak, viel Frucht und am Gaumen dann sehr fest, sehr hell, trockener, steinig, leicht verschlossen und sehr tief/viel Potenzial andeutend. Am dritten Tag spielt er dann in einer eigenen Liga, so harmonisch. Meine Güte, ist das gut.
Interessant für mich hier, dass meine Gäste die Weine liebten, während ich sie eigentlich erst am Tag danach richtig feiern mochte. Das ist stilistisch etwas weniger auf Steinwein gezielt als die berühmten Kollegen am Ort und wirkt dadurch für sich allein betrachtet harmonischer als in Kombination mit Wittmann und Keller.
Wenn der Vater mit dem Sohne
Die ganze Geschichte um die Weine von Boris Kranz will ich hier nicht noch einmal erzählen. Hören Sie, falls nicht schon geschehen, einfach Episode 168 des Blindflug-Podcasts. Vor vielen Jahren gab es in Deutschland häufiger vier GGs aus einer Lage etwa aus dem Ihringer Winklerberg: Grau-, Weiss- und Spätburgunder sowie Riesling. Dann wurde der Winklerberg abgestuft und einzelne Gewanne zu Großen Lagen befördert, die zu klein (und klimatisch spezialisiert) sind, um allen Rebsorten als Heimat zu dienen. Ähnliche Maßnahmen griffen bei vielen anderen Weinbergen. In Württemberg gibt es noch Multi-Lagen wie den Lämmler wo Schnaitmann vier GGs produziert (Lemberger, Spätburgunder, Grauburgunder und Riesling, es ginge sogar noch Weissburgunder). Außerhalb Württembergs darf es heute schon als Besonderheit gelten, wenn eine Lage drei Rebsorten als GG hervorbringt. Und das war auch das Briefing an die Truppe. Die Weine hatten mir in Wiesbaden sehr gefallen. Jetzt wollte ich sehen, wie die anderen sie wahrnehmen.
Kranz (Ilbesheim, Pfalz), Kalmit, GG
Riesling 2024: Das ist in der Nase ein bisschen buntfruchtig, und dann wird das am Gaumen mit der Zeit sehr karg und fest und steinig, um sich später wieder zu öffnen. Was für eine Reise. Nach drei Tagen ganz klassische Riesling Anmutung, Aprikose, etwas grüner Apfel sehr kräftige Säure, wirkt trocken aber extraktsüß unglaublich tief, viel Potenzial, ganz beeindruckend.
Weißburgunder 2024: Ich finde die Reduktion in der Nase harmlos, viel Schießpulver und nur ein kleines bisschen Kuhstall. Wie wir im Podcast gelernt haben, gibt es da Flaschenvarianzen. Das ist aber an Tag vier nur noch Zündplättchen und gelbe Frucht und etwas Nashibirne. Am Gaumen saftiges Kernobst, tolles Holz und Lasersäure und so viel Potenzial. Leicht sperrige Phenolik und darin ein Versprechen auf die Zukunft. Tolltolltoll.
Spätburgunder 2023: Dieser Wein vermittelt eine klare Idee: leicht, schlank, leise, noch etwas grün in der Nase und leicht sperrig am Gaumen, aber mit allen Anlagen. Etwas ‚schmutzig‘, aber kein bisschen bedrohlich. Den sollte man ein paar Jahre in den Keller sperren, dann könnte er sehr weit vorne mitspielen.
Auch wenn die Kollegen nur die steinige Phase des Rieslings erleben durften, kamen die Weine ausgesprochen gut an. Auch dazu Weiteres im Podcast.
Fünf auf einen Streich
Das Weingut Wöhrle hat am Wiesbadener Sonntag fünfmal Erwähnung in meinem Text erfahren, was hundert Prozent der vorgestellten Weine entsprach. Das ist eine Quote, die nicht mal Bürklin-Wolf erreicht hat. Nun muss man die Weingüter deswegen nicht gleich in dieselbe Liga sortieren, aber man sollte das auch nicht kleinreden. Bei der Überprüfung meines Urteils musste ich ohne den bereits ausverkauften Teufelslochgasse Chardonnay auskommen. Also Briefing an die Truppe: 4 GGs von einem Weingut, alle 2023.
Wöhrle (Lahr, Baden) 2023, GG
Weißburgunder Herrentisch. Hell, strahlend, die Frucht geht in Richtung Dosenmandarine, schönes Holz, sehr spannendes Paket, stinkt anfangs ein bisschen, nach vier Tagen aber kaum noch, wird dann gelbfruchtig, warm und minimal alkoholisch (13 %).
Grauburgunder Kirchgasse. Was für eine schöne Säure, tolle Würze, etwas kandierte Frucht, großartige Frische, trotz des Ausbaus, der durchaus auf Opulenz setzt. Nach vier Tagen wirkt der Wein wunderbar poliert, Orange und Mandarine, sehr feines Holz, charmante Textur, etwas Würze und schöner Rauch. Das ist wie ein sehr guter Chardonnay mit einem sexy Extra in Form von Grauburgunder-Würze. Der Wein war in Wiesbaden der Star der Kollektion und ist es auch hier. Im Shop des Weinguts gibt es ihn noch nicht, weil anscheinend erst der 22er abverkauft werden soll. Dann dürfte diese Granate für erfreuliche 31 Euro folgen. Das Warten lohnt sich (oder per Mail nach dem 23er fragen).
Chardonnay Gottsacker. Leicht flintige Nase, sehr frische Frucht und resche Säure mit schönem Holz. minimal ölig, eher saftig, das will weder cremig noch nussig noch üppig sein. Sehr gekonnt und sehr stilsicher und wie schon in Wiesbaden genau mein Beuteschema.
Spätburgunder Kirchgasse. Ganz viel schöne Frucht, aber vor allem flirtet der Wein ein bisschen mit Barolo. Nach vier Tagen finde ich ihn dann sehr deutsch und bin kein ganz so großer Fan mehr. Damit hat der Wein dann alle möglichen Facetten gezeigt, die ich mir vorstellen kann, denn ‚lecker‘ war er in Wiesbaden schon. Eine vollständige Prognose traue ich mir nicht zu. Der kräftige Gerbstoff wird den Wein weiter prägen. Ob die dunkelwürzige Anmutung oder eher der deutsche ‚Ziegelstein-Ton‘ am Ende die Oberhand behält? Die Frucht ist in jedem Fall wunderbar und bei 38 Euro kann man die Wette auf die Zukunft eingehen.
Das kommt alles gut an, ist mühelos, aber nicht anspruchslos und ist nicht nur durch das außergewöhnliche Preis-Genuss-Verhältnis empfehlenswert, sondern auch als richtig guter Wein an sich.
Fichtennadel und Zitrone
Auch über den letzten Flight gibt es mehr in Episode 168 des Blindflug. Er besteht aus raren und weitgehend ausverkauften Weinen, wenngleich man im Handel noch einzelne Exemplare findet: Rudolf Mays vier Spitzensilvaner, die beiden GGs, die ‚große Reserve‘ aus der Ersten Lage ‚Der Schäfer’ und die außerhalb der Klassifikation angesiedelte Lagen-Cuvée ‚Kniebrecher‘. Das Briefing lautete: Ein Winzer, ein Jahrgang, vier Weine und die Grenzen der Klassifikation. Um es vorweg zu nehmen: die Weine haben eine klare Verwandtschaft, es gibt einen Haus-Stil. Danach bieten die Weine so viel Unterhaltung und Spektakel, dass viel über sie geredet wurde, ohne dass irgendjemand Eile verspürte, der Frage nachzugehen, von wem wir da was im Glas haben. Das passiert selten. Meist muss man die Leute immer wieder zurückholen (‚Sag doch erst mal, wie Du es findest …‘ Kennen Sie, oder?). Das war hier gar nicht nötig. Es gibt vielleicht drei oder vier Winzer in Deutschland, die einem so einen Vierer-Flight (aus einer Rebsorte) einschenken können. Das war ein denkwürdiges Erlebnis für die ganze Truppe und ein wunderbarer Abschluss.
Rudolf May (Franken), Silvaner 2023
Rothlauf GG. Fichtennadel und Zitrone in der Nase ist das verbindende Element der Weine. Hier kommt dazu noch ein bisschen Sortentypizität, also Apfel, Birne, Heu und Stroh. Leicht süßer Antrunk, dann dunkelwürzig und zitrisch zugleich. Das hält sich über sechs Tage. Die würzige, leicht geheimnisvolle Art signalisiert einerseits Potenzial, erzählt aber aber auch schon so viele Geschichten. Epische Länge, nah an der Perfektion.
Himmelspfad GG. In der Nase noch etwas zitrischer, nach vier Tagen dann eingelegte Birne und kandierter Apfel und extrem viel Fichtennadel. Am Gaumen zunächst einnehmend und würzig, mit der Zeit dann nach hinten raus Grapefruit, Grip, leicht verschlossen/steinig, viel Potenzial andeutend. Der Wein ist ein gutes Beispiel dafür, dass Belüften nicht den gleichen Effekt wie Reifen hat, denn er startet offen und zieht sich immer mehr auf die Potenzial-Position zurück. Sehr vielversprechend.
‚Der Schäfer‘ Reserve. Auch hier der gleiche Grundton in der Nase. Dazu Holz und das Holz ist frisch und toll. Die Frucht ist am dritten Tag etwas eingemacht, Dosenpfirsich und -birne, die Textur ist etwas ölig und cremig, aber nicht zu schwer. Das ginge auch als GG durch und eine Parzelle im Schäfer dafür würde sich sicher finden lassen. Warum Vater und Sohn May stattdessen die Idee der Reserve verfolgen, die bei Ersten Lagen zulässig ist, erklärt sich mir mit diesem Flight sehr gut. Denn die Reserve ist grandios, wird von den beiden ersten Weinen aber auf die Plätze verwiesen. Wieder was gelernt.
Kniebrecher. Ähnliche Reise, Grundton in der Nase und nach drei Tagen etwas Dosenobst, leicht wachsig und sehr feines Holz, etwas Honig, nur noch Reste von Fichtennadel und Zitrone. Am Gaumen Zitrusfrucht, Holz, schnittige Säure, die Holzaromatik ist attraktiv, die Frucht klar. Ein sehr lebendiges Baby, das jetzt andeutet, dass hier die Entwicklung in Richtung Eleganz gehen wird. Singt und swingt jetzt schon ein bisschen. Beeindruckend.