Versuch macht kluch (2)

Rebsorten, die noch nicht offiziell für den Anbau zugelassen und daher als ‚Versuchsanbau‘ gekennzeichnet sind, üben eine große Faszination auf mich aus. Man kann nicht nur ganz neue Geschmackseindrücke sammeln, man kann auch trefflich mit seinen Mittrinkern diskutieren, ob die Welt diese Rebsorte in Deutschland braucht. Ich bin zwar keine maßgebliche Instanz für derlei Fragen, aber das soll mich nicht davon abhalten, mir eine Meinung zu bilden.

Während Jakob Pflegers Cabernet Franc mich neugierig auf weitere deutsche Ausgaben dieser Sorte machte, ist die Gemengelage beim heutigen Kandidaten etwas anders. Es gibt viel Für und Wider, beim Viognier aus der Pfalz vom Weingut Kuhn. Auf der Habenseite steht, dass Philipp Kuhn ein begnadeter Winzer ist und alles, was seinen Horizont erweitert, irgendwann positiven Einfluss auf seine vielen großartigen Weine haben dürfte. Auch kann man zustimmend vermerken, dass keine Zuchtanstalt mehr eine Kreuzung aus Sauvignon Blanc und Grünem Veltliner aus dem Reagenzglas zaubern muss, denn dieser Viognier aus der Pfalz schmeckt wie der Prototyp einer solchen Züchtung. Kritisch kann man fragen, ob man in Deutschland noch eine alkoholstarke Weißweinsorte benötigt, wo doch die diversen Burgundersorten immer öfter mit 14 Volumenprozent daherkommen. Und man kann zweifeln, dass die Welt auf die Vermählung von weißem Pfeffer und Katzenpisse gewartet hat. Denn diese Komponenten von Veltliner und Sauvignon Blanc treffen hier heftigst aufeinander.

Am Ende waren meine Gäste und ich uns einig: das ist ein spannendes Erlebnis, ein gut trinkbarer Wein, wohl investierte Zeit und ein Vergnügen – aber keine Ermunterung, ein neues Fach im Weinkeller für deutschen Viognier zu schaffen.

Philipp Kuhn, Viognier, Qualitätswein aus Versuchsanbau, 2009, Pfalz. In der Nase wirkt der Viognier wie ein besonders blumiger Sauvignon Blanc, Kiwi/Stachelbeere, Katzenpisse, Basilikum, Lavendel und gelbe Früchte. Am Gaumen ist der massive Alkohol recht ordentlich eingebunden, solange man den Wein ordentlich gekühlt genießt. Mit Luft und nur etwas wärme wird er schnell brandig. Der Wein betört mit süßer Frucht – Mandarine, Pfirsich, Grapefruit und Limette. Dazu gesellt sich ein heftiges Pfefferl, was nur mäßig harmonisch wirkt. Der sehr lange Abgang zeigt eine recht charmante, kalkige Mineralik. Für mich ist das ein pfeffriges Fruchtbonbon von hohem Unterhaltungswert. Vielleicht muss man der Schokolade-mit-Chili-Fraktion nahe stehen, um sich von Pfälzer Viognier richtig hinreißen lassen zu können.

Der Archetyp

Es gibt Weine, die sind so gut, dass man stundenlang Aromen aufzählen und Eigenschaften preisen möchte (was ich mir meistens spare, weil ich dann lieber einen Moment die Klappe halte und einfach den Wein genieße). Und es gibt Weine, die sind so gut, dass man gar kein Aroma aufzählen und gar keine Eigenschaften preisen möchte – weil einfach alles stimmt. Im Fußball sagt der Trainer dann, er möge keinen Mannschaftsteil oder Spieler herausheben, denn alle hätten aus einem Guss gespielt, oder so ähnlich. Ich habe seit vier Tagen einen Wein im Glas, den ich mal so beschreiben möchte: Das ist der Idealtypus eines fünf Jahre gereiften trockenen Moselrieslings. Er kommt von der Ruwer, aber geschenkt. Im Fußball könnte man sagen: das ist das Äquivalent zur Leistung der Bayern im gestrigen Pokalfinale. Ich find Bayern scheiße, aber ebenfalls geschenkt.

Karthäuserhof, Eitelsbacher Karthäuserhofberg, Riesling Auslese trocken -S-, 2005, Mosel (Ruwer). Nase: die archetypische Rieslingnase – einfach Schnüffelstoff. Am Gaumen wirkt er schlanker als er wirklich ist, was heißen soll, dass er 13,5% Alkohol vollständig maskiert und nicht überextrahiert wirkt. Geschmacklich trocken ohne karg zu sein, kraftvoll aber nicht zu breit, von einer reschen Säure harmonisch strukturiert und ziemlich saftig. Vibrierend, nervig, stahlig, man kann es sich aussuchen, ich würde sagen: sehr lebendig. Der Abgang ist ausgesprochen lang. Das ist ein großer Wein.

(Weil in vier Tagen doch irgendwann Zeit dafür war und mancher nicht ohne Aromen auskommt: in der Nase Pfirsich und Apfel, dazu immer noch eine kleine Note von Hefe, leichte Kräuterigkeit und ganz dezente Reifenoten; am Gaumen ein sehr ähnliches Bild sowie eine schöne Schiefermineralik mit einer Tendenz ins Rauchige.)

Heymann-Löwenstein, Jubiläumscuvée ‚Alte Reben‘

Jubiläumscuvée R30 sollte der Wein wohl ursprünglich heißen, denn so war er mir vor einiger Zeit vom Gut angeboten worden. Nun ist er als Cuvée ‚Alte Reben‘ geliefert, gefüllt ausschließlich in Magnumflaschen. Also braucht man ein paar nette Mitstreiter oder den Willen, eine ganze Woche lang den gleichen Wein zu trinken (die Alternativen, einen Teil einer Soße zu opfern oder einfach den ganzen Wein in kurzer Zeit in sich hineinzuschütten will ich gar nicht in Erwägung ziehen). Und so stieß ich mit ein paar Freunden dieser Tage auf den 30. Geburtstag eines meiner bevorzugten Riesling-Produzenten an. Herzlichen Glückwunsch Herr und Frau H-L.

Heymann-Löwenstein, Jubiläumscuvée ‚Alte Reben‘, QbA, ohne Jahrgang, Mosel. Eine Verbindung verschiedener Rieslinge aus Schiefer-Steillagen (dem Vernehmen nach aus 2007 und 2008). In der spektakulären Nase tauchen neben üblichen Verdächtigen wie Pfirsich und Rhabarber auch grüne Noten von Paprika und Kerbel auf sowie eine sortenuntypische Note von Anis. Am Gaumen geht es ernsthaft weiter, viel Saft und Kraft stecken in diesem eher halbtrockenen Riesling. Zum schönen Süße-Säure-Spiel kommen Aromen von Kemmschen Kuchen und Rauch sowie  Apfel und Rhabarber. Dicke Mineralik trägt den sehr langen Abgang. Das ist ein Traumwein und bei 30€ für die Magnum ist es das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, dass Heymann-Löwenstein in den letzten 5 Jahren auf die Flasche gezogen hat. Er soll nach Auskunft der Winzer 30 Jahre halten. Ich mag nicht widersprechen.

Alt und müd‘ am Altenberg

Alte Reben, erklärte mir einmal ein Winzer, hätten zwei Eigenschaften, die sich extrem positiv auf den Wein auswirken können, den sie hervorbringen: Ihre tiefen Wurzeln machten sie unempfindlicher gegen Trockenperioden und eine Art natürliche Müdigkeit limitierte den Ertrag, den sie bringen, auf die beste aller Arten: durch kleinbeerige Trauben. Da die Traubenschale wesentlicher Träger der Geschmacksstoffe ist, sind Weine aus kleinbeerigen Trauben durch das höhere Verhältnis von Schale zu Saft in der Regel gehaltvoller.

Die Bezeichnung ‚Alte Reben‘ steht in den meisten Deutschen Winzerbetrieben entsprechend für gehobene Qualität – oder so ähnlich. Beim Weingut Markus Molitor wird zu AR assembliert, was von mindestens 35 Jahre alten Stöcken stammt aber nicht so gut ist, dass es als Einzellage vermarktet werden soll, bei Van Volxem ist es wohl ähnlich. Einige Winzer haben Alte Reben ohne Lagenangabe anstatt trockener oder feinherber Spätlesen, bei Thanisch sind die AR die Spitze der Qualitätspyramide. Bei Alexander Laible finden sich welche in der Mitte und an der Spitze seines Rieslingfeldes. Guts- oder Basisrieslinge mit dieser Bezeichnung sind mir noch nicht begegnet.

Da ich ein einfach gestrickter Mensch bin, habe ich in meinem Kopf abgespeichert: Alte Reben = gehaltvoller Wein. Und da, wo ein Winzer aus ein und derselben Lage zwei Weine präsentiert, erwarte ich, dass der mit dem Namenszusatz ‚Alte Reben‘ irgendwie mehr ‚Bumms‘ hat. Ein einziges Mal habe ich es erlebt, dass diese Annahme ein Irrtum war. Das war in den letzten Wochen und hat mit einem Geschichtchen zu tun, wie es mir damals ein Händler erzählte – also wieder eine Dreiviertelwahrheit ohne Gewähr, wie es sie hier öfter zu lesen gibt.

Als im Winter 2005/2006 eine Partie Most aus der Lage Kanzemer Altenberg, der eigentlich für das trockene Flaggschiff ‚Erste Lage trocken‘ (so damals die Mosel-VDP-Version des Großen Gewächses) in den Kellern des Weingutes von Othegraven beschloss, nicht so zu vergären, wie vorgesehen, blieb dem Kellermeister nichts anderes übrig, als erst mal die Partien zu füllen, die fertig waren. Es kam ein überaus respektabler Wein heraus, der mit nicht ganz Saar-typischen 14 Volumenprozent Alkohol in die Kategorie Wuchtbrumme einzuordnen war.

Von Othegraven, Kanzemer Altenberg, Riesling erste Lage trocken, 2005, Mosel (Saar). Die  Nase ist ziemlich zurückhaltend mit wenig Frucht und kaum Reifenoten. Am Gaumen dominiert auf angenehme Weise Karamell, Frucht (Litschi und Melone) ist aber ebenfalls reichlich vorhanden. Der Alkohol ist gut eingebunden aber nicht wegzudiskutieren. Die Mineralik ist zart und der Abgang lang und kompakt. Ein Wein, der fast groß ist, aber auf der Zielgeraden dann doch über den hohen Alkohol stolpert. 91 Punkte.

Die zweite Partie, die nicht mehr rechtzeitig für den Präsentationstermin des VDP fertig wurde erschien wenig später als separate Füllung. Sie erhielt den Namenszusatz ‚Alte Reben‘. Dabei hatte der Gärdienstverweigerer vergleichsweise pazifistische 13% und einen in diesem Fall sehr dienlichen Restzucker zu bieten.

Von Othegraven, Kanzemer Altenberg, Riesling erste Lage trocken ‚Alte Reben‘, 2005, Mosel (Saar). Die  Nase ist vollreif bis überreif, Pfirsich, etwas Karamell, Apfel, aber auch zarte Noten von Blüten, sehr wechselvoll und faszinierend. Am Gaumen saftig, Karamell, ausgesprochen mineralisch mit rauchigem Einschlag, sehr voluminös aber nicht so mastig wie der Bruderwein, nicht ganz trocken, mäßige Säure. Der Wein hat Tiefgang, da kann man sich mit einem Glas vor den Kamin setzen und zu philosophieren anfangen. Im Abgang sehr lang und mineralisch. 92 Punkte.

Und so gibt es also auch diesen Fall in Deutschlands unendlicher Deklarationsgeschichte. Zwei Weine eines Gutes aus einer Lage und einem Jahr, bei denen der ‚Alte Reben‘ der leichtere von den Brüdern ist. Und noch ein Kuriosum: Die Weine kosteten gleich viel. Für den Gärverweigerer hätte ich einen anderen Namenszusatz gewählt: Wie wäre es mit ‚Slow Wine‘ oder ‚Faules Fass‘? Aber wer für 20€ so geniale Weine auf die Flasche bringt, der soll sie von mir aus nennen wie er will.

Füllwein (14)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Franz Keller, Spätburgunder Selection, QbA, 2005, Baden. Ein relativ dunkler Vertreter, sowohl farblich als auch von den Aromen in der Nase: Kirsche aber vor allem Zeder, Waldboden und eher nicht ‚deutsch‘. Am Gaumen ist die Stilistik fast international, wenn nicht die dafür eher untypische kräftige Säure wäre: ziemlich viel Bumms, Aromen von Kirsche und Pflaume, Kakao, gar nicht mineralisch, noch deutliche Spuren vom Holz aber moderates Tannin, jetzt reif und voll da. Außerordentlich langer Abgang. Hervorragend und für Keller (Baden) eher untypisch: exzellentes Preis-Genuss-Verhältnis.

Müller-Catoir, Gimmeldinger Mandelgarten, Riesling Spätlese trocken, 2007, Pfalz. In der Nase legt der Wein eine falsche Fährte: er riecht süß nach vollreifem Pfirsich sowie ein bisschen Banane und Marzipan. Am Gaumen ist er dann aber sehr trocken und bietet  viel Zitrus-Aroma, Grapefruit und eine stramme Säure. Er ist vollmundig und fast ein bisschen fett, was er überreifen Noten verdankt und nicht etwa seinem Restzucker, denn er kommt nur auf 4,7 Gramm bei 7,4 Promill Säure. 13,5% Alkohol sind spürbar, Mineralik eher weniger. Das klingt krass und mit diesem Adjektiv ist der Wein derzeit auch treffend beschrieben. Aber in zwei oder drei Jahren sieht das vermutlich anders (besser) aus.

Becker-Steinhauer, Veldenzer Kirchberg, Riesling Kabinett trocken, 2005, Mosel. Noch so ein staubtrockener Vertreter: Der Wein ist spontan vergoren und hat irgendwann den Turbo eingeschaltet. Bevor der Winzer Stopp sagen konnte, waren 13% Alkohol und nur noch drei Gramm Restzucker im Getränk. Das hat ganz zu Beginn auch noch mit einem Spontistinker geglänzt und gehörte ebenfalls in die Kategorie ‚krass‘. Drei Jahre Flaschenreife haben alles geordnet. In der Nase deutliche Reifenoten aber keine Firne, dazu Aprikose und Aloe Vera. Weder in der Nase noch am Gaumen kann der Wein seinen Alkohol verbergen, bewegt sich aber im erträglichen Rahmen. Am Gaumen straff mit vollem Mundgefühl, schöner Mineralik und etwas Pfirsichfrucht. Langer mineralischer Abgang. Extrem viel (toller) Wein für damals 5€!