Meine erste ’76er Juffer-Sonnenuhr TBA

Die Aussicht auf den Genuss absoluter Weinikonen löst zuweilen zwiespältige Gefühle in mir aus. Ich halte es für – sagen wir mal ‚problematisch‘ – für Wein Summen auszugeben, die sich im hohen dreistelligen Euro-Bereich bewegen, solange so viel Not auf der Welt herrscht. Gleichzeitig ist es keine Lösung, die exaltierten Genüsse kategorisch zu verweigern. Das Problem ist auch nicht dadurch gelöst, dass jemand anderes die nötigen Gelder aufbringt und mich dann einlädt, kostenlos mitzutrinken.

Wenn ich jedoch jemandem begegne, der qua Geburt, Alter, Beruf oder Erbschaft im Besitz eines solchen Tropfens ist, ohne Hunderte von Euro berappt zu haben, dann lasse ich mich ohne Skrupel einladen und einem großen Tag in meiner Weintrinkerkarriere steht nichts mehr im Wege. In diesem Fall waren es sogar zwei große Tage, denn ich durfte die angebrochene Flasche mitnehmen und am zweiten Tag zuhause nachverkosten.

Die Eckdaten sind schnell zusammengefast: Die Brauneberger Juffer-Sonnenuhr ist eine der besten Lagen für Riesling Süßweine auf der Welt. 1976 gilt sogar 30 Jahre danach noch als Jahrhundertjahrgang und der Erzeuger gehörte damals mit zur Spitze des Gebietes. Die beiden VDP-Weingüter Willi Haag und Fritz Haag entspringen einer Erbteilung (irgendwann in den 60ern, wenn ich es richtig erinnere) und hatten in den 70ern noch einen ähnlich guten Ruf.

Willi Haag, Brauneberger Juffer-Sonnenuhr, Riesling Trockenbeerenauslese, 1976, Mosel. Der Wein hat eine Farbe, die man als Blümchenkaffee bezeichnen könnte oder – moderner – als MezzoMix. Vielleicht inspiriert mich diese dazu, dass ich im Wein Kaffee rieche, auch Kakao aber vor allem Sherry. Die Nase ist nicht berauschend und lässt keine große Vorfreude aufkommen. Am Gaumen ist der Wein richtig groß. Eine feine Süße trifft auf eine immer noch mächtige Säure, Pflaume, Dörraprikose und eine große Portion Malz dominieren. Der Wein hat überhaupt nichts Austrocknendes nach hinten raus, was bei den meisten Weinen dieses Alters, die ich getrunken habe, das Vergnügen mindert. Im Abgang fast frisch und unendlich lang. Das ist großer Stoff.

Aber es ist nur ein Wein.

Kreismeister

Ich verkneife mir für gewöhnlich Superlative. Das liegt daran, dass ich nicht genügend Zeit für Wein aufwände, um Deutungshoheit zu beanspruchen. Heute mache ich eine Ausnahme. Das fällt nicht schwer, weil im betreffenden Anbaugebiet wenige Winzer Weißburgunder der Premiumqualität produzieren. Also: Markus Molitors besternte Weißburgunder sind die Gebietsspitze, niemand an der Mosel kommt auch nur in die Nähe dieser Qualitäten. (Bei den häufig heftig spontanstinkenden Rieslingen hingegen, und erst recht bei den Spätburgundern, kann man ganz anderer Meinung sein.)

Markus Molitor, Wehlener Klosterberg *, Weißburgunder QbA, 2006, Mosel. In der Nase und am Gaumen fruchtiger als der 2005er im gleichen Reifestadium. Als wären die verwendeten Holzfässer weniger stark getoastet, ist der Wein in der Nase frei von Raucharomen jedoch mit einer guten Portion Vanille, dazu viel Birne und etwas Grapefruit. Auch fehlen Butter und Nüsse im Bouquet, werden durch eine Blütennote ersetzt. Am Gaumen weist er deutlich weniger Säure auf als seine Brüder aus 2005 und 2007, ist aber trotzdem noch recht spielerisch, was auch an vergleichsweise moderaten 13% Alkohol liegen mag. Um Missverständnisse zu vermeiden: das ist immer noch ein kräftiger, druckvoller und voluminöser Wein, aber keine Wuchtbrumme mit Dampfwalzenstruktur. Eine feine Mineralik trägt einen fruchtig-süßen nach Mandarine und Marzipan schmeckenden, sehr langen Abgang. Für mich nicht als 2006er zu erkennen und ein herausragender Wein.

Drei, zwei, eins – Wein

Ich gebe zu: Ich kaufe Wein bei ebay – nicht immer aber immer mal wieder. Und allmählich habe ich meine Erfahrungen gemacht (ja, auch eine Fälschung war dabei). Deswegen kenne ich jetzt die Risiken und gehe sie wenigstens sehenden Auges ein. Eine schöne Wette ist die Auktion einer ‚angebrochenen Kiste‘ (so meine interne Klassifizierung). Jemand versteigert 5 Flaschen eines Weines gehobener Qualität.

Das ist meiner Meinung nach ein Zeichen dafür, dass der Wein erstens nicht gefallen, und zweitens der Verkäufer keine Hoffnung hat, dass sich das mit Reife ändert. Also geht der Rest der Kiste weg und zwar auf einmal. Verkäufer ist vermutlich ein Sammler, dem egal ist, dass er damit weniger erlöst als mit kleineren Lotgrößen; da geht es nur darum, den Platz im Keller frei zu machen.

Also kann man deutlich sparen, hat aber das Risiko, gleich fünf Flaschen schwachen Weines zu erwerben. Meine letze ‚angebrochene Kiste‘ war diese hier, deren erste Flasche einigermaßen gefiel.

Wagner-Stempel, (Siefersheimer) Höllberg Großes Gewächs, Riesling QbA, 2007, Rheinhessen. In der Nase ist der Wein unglaublich süß und verführerisch: Mango, reifer Pfirsich, Honigmelone und Aloe Vera. Am Gaumen kann das GG dieses Versprechen allerdings nicht einlösen. Zu klassischer Rieslingfrucht mit Aprikose und Apfel gesellt sich zwar eine spürbare Säure aber kein besonders animierendes Spiel. Zu voluminös und mastig mit einem deutlichen Zuckerschwanz kommt der Wein daher, dazu ist er ziemlich alkoholisch – 13,5% sind mäßig integriert. Zu einer kalkigen Mineralik gesellt sich Gärkohlensäure. Der Abgang ist lang, kräftig und etwas eindimensional.

Überreif, nicht ganz trocken, vermutlich langes Hefelager für cremiges Volumen – es gibt Tage an denen mir sowas gefällt und Tage, an denen dieser sehr gewollte GG-Stil mich rasch ermüdet. Dadurch schwanken meine Bewertungen extrem, wie ich vor kurzem hier beschrieben habe. Bei Wagner-Stempels Höllberg wird die Kunst sein, den richtigen Tag (oder eher die richtigen vier Tage) für diesen Wein zu finden. Ein paar Mittrinker sollten ebenfalls nicht schaden. Alles in allem bei 19€ pro Flasche ein Auktionserfolg.

Finalwein

Was trinkt man zum WM Finale? Einen Spanier wollte ich gleich aus zwei Gründen nicht trinken. Zum einen habe ich von der iberischen Halbinsel nur schwere Rotweine im Keller und zum anderen war ich für die Holländer (was sich im Verlauf des Spieles änderte). Ich hege Sympathien für unsere Nachbarn. Sie sprechen (fast alle) meine Sprache, auch wenn es sich anhört als hätten sie dabei eine Wolldecke im Mund. Und ich weiß aus meinem Logfile, dass ich sogar regelmäßige Leser aus Holland habe. Nur Wein bauen sie nicht wirklich an. Also habe ich folgenden Wein ‚umgeflaggt‘, wozu der Name halbwegs berechtigt.

Hofmann, ‚Hundertgulden‘ Riesling trocken (Appenheimer Hundertgulden Spätlese tr.), 2007, Rheinhessen. In der Nase Blütentöne gepaart mit viel Frucht: Melone, Aprikose und grüner Apfel, aber auch eine Jogurtnote. Am Gaumen viel Apfel, etwas Aprikose, Gerbstoffe und eine kalkige Mineralik. Die 13% Alkohol sind gut eingebunden, das Spiel ist aber allenfalls ordentlich. Dem spürbaren Zuckerschwänzchen steht zu wenig oder eine zu milde Säure gegenüber. Sehr langer Abgang. Das ist ein zwar hervorragender aber etwas zu glatter Wein – alles in allem nicht auf dem Niveau eines WM-Finales.

Aber das war das Spiel ja auch nicht.

Der Wahnsinnswein

Das Spiel um Platz 3 sei uninteressant, er habe sich sowas früher nie angesehen, gab Nationalmannschaftskapitän Lahm jüngst zu Protokoll. Trotzdem hauten sich ‚unsere Jungs‘ gestern richtig rein und lag die Nation sich wieder feiernd in den Armen. Es ist alles eine Spur wahnsinnig, was sich dieser Tage in Deutschland ereignet (inklusive des Wetters). Also beschloss ich gestern, meine Weinauswahl ebenfalls etwas wahnsinnig zu gestalten.

Giulietta Pinot Grigio rosé
Wahnsinig hübsches Flaschendesign

Ich holte einen Wein aus dem Keller, der in vielerlei Hinsicht wahnsinnig ist. Das fängt beim Namen an, geht über ein Shakespeare-Zitat auf der Flasche weiter, setzt sich in der kitschigen Illustration nahtlos fort. Wenn er nicht aus einer geschmackssicheren Quelle stammte, über die ich bei Gelegenheit einmal schreiben werde, ließe ich sowas gar nicht in meinen Keller. Denn zu allem Überfluss ist dieser Wein auch noch die Kombination der größten Sünden der Weinwelt: Ein Pinot Grigio – als Rosé gekeltert.

Aber es passt zum Wahnsinn dieser Tage, dass der Wein richtig gut war. Und er zeigt, dass in der Welt des Fußballs und der Roséweine umgekehrte Vorzeichen gelten. Während viele pseudofrische Spanier, die fruchtig leicht scheinen, 14,5% Alkohol ins Blut schädeln, ist dieser Italiener wirklich filigran und gut verträglich mit nur 12%.

Sartori, ‚Guilietta‘ Pinot Grigio -blush-, ohne Jahrgang, Venetia IGT. Der Wein bekommt seine Farbe durch die Maischegärung der im vollreifen Stadium rötlichen Grauburgundertrauben. Er entspringt also Weißweintrauben und enthält daher kaum Tannin. In der Nase zeigt der Wein viel Frucht: zum einen Zitrus, aber auch Erdbeere und ein bisschen Himbeere. Am Gaumen ist der Wein frisch, leicht aber nicht dünn. Er zeigt Aromen von Birne, Quitte und etwas Haselnuss, süße Frucht und resche Säure. Der recht lange Abgang klingt sehr fruchtig und harmonisch aus. Viel Wein für kleines Geld und ein idealer Begleiter für die eher wahnsinnigen Momente im Leben.