Zum Lachen in den Keller

Weinbeschreibungen sind keine exakte Wissenschaft – genau genommen ist das Verkosten und Beschreiben von Wein überhaupt keine Wissenschaft. Also ist bei der Wahl der Vokabeln zur Beschreibung der Sinneseindrücke und Klassifizierung der Rebsäfte eigentlich erlaubt, was gefällt. Trotzdem gibt es heftig umstrittene Begriffe, von denen ich die meisten – stockkonservativ wie ich nun einmal bin – eher selten verwende. Mit einer Ausnahme: der Spaßwein ist fester Bestandteil meines Weinkanons.

Die Diskussion kehrt in meinem Freundeskreis so regelmäßig wieder, wie sie sich dann im Kreise dreht: ‚In der Preisklasse, in der wir meistens trinken, ist das Wort Spaßwein kein Lob, da es viel zu oberflächlich vordergründig ist‘  sagen die Gegner dieses relativ neuen Begriffs; ‚Zechwein, Saufwein, Terrassenwein, Spaßwein – das ist doch alles das gleiche‘ tönt es aus ihrer Ecke; beendet wird die Diskussion meist mit dem Killerargument: ‚Jeder gute Wein macht Spaß!‘

(Fast) alles richtig! Aber nicht das, was ich meine. Hier also der Versuch einer Definition. Ein Spaßwein ist ein Wein, der das Unterbewusstsein anspricht. ‚Weinglas an Kleinhirn: Hier unten ist alles in Ordnung‘. Ein Wein, der mir das Gefühl gibt höchst ordentlichen Stoff zu mir zu nehmen, ohne dass ich unbedingt meine analytische Aufmerksamkeit auf mein Getränk lenken müsste. Täte ich dies dennoch, fände ich Typizität und Komplexität, meist mit einer gewissen Frische und Frucht verbunden. Aber es ist eben gar nicht nötig, sich eingehender damit zu beschäftigen, weil der Wein schon mit dem erste Schluck den Funkspruch absetzt: ‚Alle Mann von der Geschmackspolizei, legt Euch wieder hin‘.

Somit kann ein Spaßwein niemals 90 Punkte erlangen. Einem 90 Punkte-Wein sollte man wenigstens einmal während des Trinkens zwei Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, sonst wäre er arg ungerecht behandelt. Mindestens 84, maximal 89 Punkte, definiere ich aus der Hüfte geschossen die Skala für Spaßweine, nur um noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Spaßwein nicht bepunktet werden will.

Der Unterschied zum Terrassenwein ist simpel, der Spaßwein funktioniert auch bei tieferen Temperaturen und muss nicht unbedingt leicht sein. Dennoch räume ich ein, dass T eine Teilmenge von S sein könnte. Mit Zechweinen verbinde ich eher Weine aus der Kategorie ‚Kann man trinken, muss man aber nicht‘, welche bei mir die 80 Punkte definiert. Das macht mir selten Spaß und wird nicht in Schriftform festgehalten, das Z-Wort also nicht gebraucht. An Saufweine glaub‘ ich nicht; ich denke, diese Kategorie sollte man dort belassen, wo sie herkommt: bei den Konsumenten. Ich will zugeben, dass manche Weine stärker den Trinkfluss fördern als andere, doch richtig großen Durst bekomme ich von Salz und Chili – nicht von Wein.

Genug der Theorie, hier kommt die Praxis.

Wittmann, Scheurebe QbA, 2008, Rheinhessen. In der sehr blumigen Nase Stachelbeere, Casis und Minze. Am Gaumen sehr straff mit kräftiger Säure, ganz leicht grasiger Note und viel Frucht, Mandarine, Limette, Citrus. Mittlerer Druck, schöne Länge. Spaßwein.

Mosbacher, Sauvignon Blanc QbA, 2009, Pfalz. Eine sehr fruchtige Nase mit viel Stachel- und Johannisbeere zeigt nur leichte Spuren von Blüten und Gras. Am Gaumen mit mittlerem Volumen und sehr milder Säure ist der Wein aufgrund eines Spürbaren Restzuckers ein bisschen dropsig. Eine ebenfalls vorhandene leichte Adstringenz puffert das aber hervorragend ab. Aromen von Stachelbeere und Rhabarber prägen den Gaumen, der Abgang ist lang bis sehr lang. Kein großer Wein aber ein großer Spaß.

(P.S. Der Artikel Flasche leer (2) muss leider ausfallen. Künstlers Kirchenstück 2004 war noch schwächer als die Italienische Nationalmannschaft. Anders als bei letzterer war es beim Wein jedoch nicht das Alter sondern der Korken. So hatten sie nur eines gemeinsam: der Untergang war sang- und klanglos.)

Flasche leer

Ich bin der festen Überzeugung, dass ich einen ganz normalen Weintrinkerspleen habe, wenn ich ‚letzte Flaschen‘ horte. Bin ich im Besitz von 6 Flaschen des identischen Weines und haben mir die ersten fünf große Freude bereitet, dann bleibt die sechste über Gebühr liegen, erinnert mich beim Gang in den Keller an vergangene Freuden und wird und wird nicht aufgezogen. Dabei ist es doch nur Wein. Und die Folgejahrgänge liegen oft daneben.

In dieser Phase der Weltmeisterschaft sind so viele Teams (und Fans) mit schmerzlichem Abschied konfrontiert, dass ich beschlossen habe aus Solidarität mitzuleiden. Das ist Leiden auf hohem Niveau, denn ich werde während der Übertragungen einige besonders schöne letzte Flaschen köpfen. Zum Anfang hieß es ‚Adieu Altenberg ‘04, du warst ein verlässlicher Gefährte!‘

Von Othegraven, Kanzem Altenberg, Riesling Erste Lage (trocken), 2004, Mosel (Saar). Die letzte Flasche kommt deutlich frischer daher als die vorletzte, welche ich hier kurz beschrieben habe. In der Nase ist der Wein leicht parfümiert; es dominieren jedoch Aprikose, Aloe Vera, Kemmsche Kuchen und viel Maracuja. Am Gaumen ist der Wein sehr saftig, nicht ganz trocken (ich schätze ob der nur 12% Alkohol, dass der Wein einen zweistelligen Restzuckerwert aufweist) mit viel süßer Frucht von Mandarine und Pfirsich, etwas Karamell, wenigen, leicht würzigen Reifenoten und einer gereiften, milden aber noch präsenten Säure. Das ist ein enorm dichter und konzentrierter Riesling, der trotzdem nicht überextrahiert wirkt. Eine erdige, rauchige Mineralik trägt den sehr langen Abgang. Furiose Abschiedsvorstellung; leider keine Zugabe vorgesehen…

Das Vier-Trinker-Jahr

Die Rieslingsaison ist in vollem Gange und wie Anfang des Jahres fest vorgenommen, trinke ich in den letzten Monaten verstärkt große und erste Gewächse des Jahrganges 2005. So allmählich verfestigt sich ein Bild und bestätigen sich Tendenzen. Zumindest aus Rheinhessen, der Pfalz und von der Mosel habe ich jetzt eine Zahl von Weinen getrunken, die ich repräsentativ nennen möchte, aus Baden und Franken keinen einzigen, der Rheingau war gelegentlich in meinem Glas vertreten.

Lange habe ich überlegt, wie man den Jahrgang wohl am besten beschreibt. Meine Erfahrung mit GGs in frischem wie gereiften Zustand beschränkt sich auf ein Jahrzehnt. Folgende Kategorien habe ich bisher für mich gefunden: Es gibt schlechte Jahre (2000), es gibt gute Jahre (2002), es gibt sehr gute (2007) bis große (2001 und evtl. 2009) Jahre, es gibt unterschätzte Jahre (2004 und 2008), es gibt Hitzejahre (2003) und es gibt Winzerjahre (2006), welche sich dadurch auszeichnen, dass es dem Geschick oder Glück des Winzers zuzuschreiben ist, wenn was gescheites auf die Flasche kommt, während die Masse eher maues Zeugs produziert.

2005 passt da nur bedingt hinein. Ich stelle fest, dass sich unter den besten trockenen Rieslingen, die ich in meinem Leben trinken durfte, einige 2005er tummeln. Andererseits sind viele 2005er ziemlich dick und alkoholisch. Die besseren Weine sind so komplex, dass man mehrere Anläufe braucht, um sie in Gänze zu erfassen, machen aber auch satt. Vereinfachend möchte man sagen, die 2005er spielen ihre volle Klasse erst beim vierten Schluck aus – um sie beim elften wieder einzukassieren. Deswegen werden die Weine immer besser, je mehr Mitstreiter man hat. Mit vier Personen eine Flasche zu teilen, ist ein probates Mittel gegen die Opulenz. So findet 2005 als Vier-Trinker-Jahr Eingang in meine persönliche Chronik.

Es gibt auch ‚normale‘ GGs aus 2005, so wie dieses hier:

Reichsrat von Buhl, Forster Pechstein, Riesling GG (Spätlese trocken), 2005, Pfalz. In der Nase ist der Wein etwas eindimensional mit Aromen von sehr viel Apfel und ein bisschen Pfirsich. Am Gaumen dann deutlich besser, glänzt der Wein vor allem mit Struktur: er ist voluminös und druckvoll, ohne zu fett zu sein und mit 13% auch nicht übermäßig alkoholisch. Saftige Pfirsichfrucht paart sich mit maßvoller Säure und erdig-rauchiger Mineralik. Sehr langer Abgang. 89 Punkte

Die besten GGs aus 2005, die ich trinken durfte waren wohl Kellers Kirchspiel, Emrich-Schönlebers Halenberg, Heymann-Löwensteins Uhlen ‚R‘ (naja, fast trocken) wie auch die hier schon begeistert beschriebene Karthäuserhof Auslese trocken ‚S‘. Sie können auch jetzt noch eine Stunde Luft vertragen. Daraus möchte ich aber nicht schließen, dass die 2005er weiterer Lagerung bedürfen. Wobei es auch dazu Ausnahmen gibt, wie diesen hier.

Heymann-Löwenstein, ‚Uhlen – L‘ (Winninger Uhlen – Schieferformation Laubach), Riesling 1. Lage, 2005, Mosel. Überreife Nase von Dörraprikose, Rhabarber und etwas Aloe Vera. Am Gaumen ist der Wein nur mäßig harmonisch: Süße, Säure und eine nicht zu vernachlässigende Menge von Bitter- und Gerbstoffen bestimmen das Bild ohne wirklich miteinander zu spielen. Eine gewisse Saftigkeit, Apfel- und Mango-Aromen, eine kalkige Mineralik und ein ordentlicher Abgang können den Wein teilweise retten. Das ist entweder ein Gigant zur Unzeit oder ein Wein, bei dem der Winzer etwas zu viel gewollt hat. Das möge jeder für sich entscheiden, weswegen ich mir das Bepunkten spare. Ich hoffe auf die zweite Variante.

Vorrundenwein

Der heutige WM-Spieltag brachte eine Reihe bitterer aber auch einen erfreulichen Moment für mich. Da das hier kein Fußballblog ist, spar ich mir mal die bitteren und komme direkt zu dem erfreulichen Moment.

Glen Carlou, Syrah 2004, Wine of Origin, Paarl, Südafrika. In der Nase eine kräftige Kuhstallnote, rote Beeren, Zigarrenkiste, Lavendel, Liebstöckel und einiges mehr – der Wein zeigt in der Nase die Komplexität eines großen Weines, allerdings ohne je ganz harmonisch zu riechen, denn der Stinker spielt immer mit. Am Gaumen ist der Wein alles auf einmal, fruchtig, mineralisch, erdig, mit Spiel, Struktur und Opulenz. Der Reihe nach: Johannisbeere und Pflaume begleiten eine deutliche Lakritznote auf einer von angenehmer Säure spielerisch gestalteten Reise über ein Bett aus Bleistiftspäne, nachdem alle von ein paar noch präsenten aber schon reifen Tanninen abgebremst werden, klingen sie in einem wahrhaft langen Abgang aus. Das ganze spielt alkoholbedingt in wärmeren Gefilden von 14,5%, die aber noch als Nestwärme durchgehen.

Großer Wein, großer Trost.

Auftakt-Wein

Eigentlich war der Sonntag anders geplant, aber plötzlich sah die Agenda vor, dass es das WM-Erstrunden-Match der deutschen Mannschaft auf dem heimischen Schirm und in der Halbzeitpause ein Filetsteak gibt. Viel Zeit blieb nicht für die Weinauswahl, und der Sommer macht schon wieder Pause. Also gab‘s Bordeaux. Am Sonntag mit einer Stunde Luft war meine Wahl schon sehr ordentlich, heute zum Brasilien-Spiel mit zwei weiteren Tagen Luft ist er richtig grandios. Bei den Spielen sah es eher umgekehrt aus…

Chateau Lascombes, Chateau Lascombes 2004, Deuxième Cru Classé Margaux, Bordeaux. Rotweincuvée: 50% Merlot, 40% Cabernet Sauvignon, 10% Petit Verdot. In der Nase Johannisbeere, Cassis, Paprika, Schuhcreme und Kirsche. Am Gaumen viel Schokolade und Mokka, schwarze Johannisbeere, sehr milde Säure, mittleres Volumen aber recht kräftig, schöne Struktur mit sehr festem Kern, relativ viel Tannin. Der Abgang ist sehr lang, noch etwas adstringierend und mit erdigen Noten. 13% Alkohol sind gut integriert. Am 3. Tag sehe ich den Wein bei 91 Punkten. Kann man jetzt trinken, erst recht wenn man ihn eine Weile dekantiert. Ich werde die nächste Flasche allerdings erst bei der nächsten WM aufmachen.