Eine für alle?

Hat der Verband Deutscher Prädikatsweingüter erst einmal eine Lage als ‚Erste Lage’ klassifiziert, können seine Mitgliedsbetriebe aus dieser Lage ‚Grosse Gewächse‘ aus allen Rebsorten gewinnen, die in dem jeweiligen Anbaugebiet als GG-Sorten zugelassen sind. So ist es einem Winzer aus Baden, Franken oder Saale-Unstrut theoretisch möglich, vier verschiedene GG aus einer Ersten Lage zu füllen, wenn er die entsprechenden Reben auf seinen Flächen hat. In der Praxis ist es wohl die Ausnahme, zumindest das Weingut Stigler füllt aber aus dem Ihringer Winklerberg GGs von Weiß-, Grau- und Spätburgunder sowie vom Riesling.

Ich bin totaler Laie, was die Weinbiologie angeht. Aber irgendwie habe ich Schwierigkeiten, das zusammenzubringen: die Geschichte vom Terroir als Vereinigung der Winzerarbeit mit der idealen Rebe, dem Boden und dem Mikroklima einer Lage, die viele Erzeuger so gerne zum Besten geben und die Aussage, dass eine hervorragende Lage gleichermaßen gut für verschiedenste Weine ist: für weißen wie roten, für solchen, der durch Säure und Spiel oder Holzeinsatz und Schmelz punktet.

Wenn man die gängigen Quellen anzapft, kommt man denn auch schnell zu dem Bild, dass die allermeisten Lagen für eine Weinart besonders berühmt sind – oder zumindest für Weine relativ ähnlicher Art, denn die besten fränkischen Lagen beherbergen gleichzeitig Rieslinge und Silvaner, die zur absoluten Spitze zählen und der Kastanienbusch in Birkweiler etwa ist Olymp für Riesling und Weißburgunder. Aber aus dem Bauch heraus hätte ich immer gesagt, dass die ‚üblichen Verdächtigen‘ besten Rieslinge und Spätburgunder des Landes von unterschiedlichen Lagen kommen. Doch da gibt es noch diese (eine?) Ausnahme.

A. Christmann, Königsbach IDIG, Spätburgunder Grosses Gewächs, 2004, Pfalz. In der Nase Himbeere und Leder mit einem Hauch Erdbeere. Am Gaumen ist der Wein sehr kompakt mit viel Himbeere und einer festen Mineralik, wobei 14% Alkohol nicht spurlos bleiben. Sehr druckvoll aber gleichzeitig elegant und im Abgang sehr mineralisch. Spuren des Barrique-Ausbaus und Tannin sind gut integriert. Stilistisch eher international als deutsch oder burgundisch, wenn es sowas gibt. Mir gefällt der Wein ausnehmend gut, 90 Punkte.

Das seltenste Grosse Gewächs aller Zeiten

Neben den offiziellen Regeln, die der VDP seinen Mitgliedern für die Produktion von Grossen Gewächsen auferlegt (und mit denen ich mich unter anderem hier beschäftigt habe), scheint es auch noch inoffizielle zu geben. Davon handelt zumindest eine Geschichte, die ich dereinst von einem Händler hörte, als ich mir den gestern getrunkenen Wein kaufte.

Das Weingut Bassermann-Jordan besitzt in der als ‚Erste Lage‘ klassifizierten Gemarkung Königsbacher Ölberg eine winzige mit Spätburgunder bestockte Parzelle, deren Ertrag gerade mal ein Barrique-Fass füllt. Diese 225 Liter ergeben nach Abzug von ein bisschen Bodensatz keine 300 Flaschen. Im Jahr 2004 füllte das Weingut diese als ‚Grosses Gewächs‘ in die Flasche mit der Trauben-1. Davon gingen zwei für die Qualitätsweinprüfung drauf, weitere mussten zur sensorischen Prüfung zum VDP. Dann wurden wohl Flaschen für die öffentlichen GG-Präsentationen des Verbandes gebraucht und sicher wanderten noch einige in die Schatzkammer des Gutes.

Es kamen also vermutlich nicht einmal 250 Flaschen in den Verkauf. Angeblich führte das zu einer Intervention des VDP beim Weingut. GGs sollten sich durch eine gewisse Verfügbarkeit auszeichnen und davon sei man mit so einem Produkt doch sehr weit entfernt. In der Folge wurde der Wein ab dem Jahrgang 2005 als normaler Lagenspätburgunder gefüllt. Der Preistrend geht allerdings ungebremst nach oben. Mit einmalig weniger als 300 in den Handel gekommenen Flaschen ist dies also vermutlich das seltenste GG aller Zeiten.

Weingut Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan, Königsbacher Ölberg Spätburgunder Grosses Gewächs, 2004, Pfalz. In der noblen Nase Kirsche, Leder und Bittermandel/Marzipan. Keine ‚deutschen‘ Noten in der Nase und auch am Gaumen ist der Wein alles andere als hausbacken. Kirsche, Schokolade, ein wenig Holz und Nelke sind von einer tollen Mineralik unterlegt – großartige Struktur. Der ultralange Abgang ist vor allem von Mineralik getragen. Ein vornehmer Wein, kein Muskelpaket.

Das ist einer der zehn besten Spätburgunder, die ich bisher getrunken habe.

P.S. Mittlerweile habe ich die Info bekommen, mein Händler habe übertrieben: Es seien drei Barriques, die von dem Wein produziert würden und er wäre auch 2003 als GG gefüllt worden. Der Rest der Geschichte sei aber ungefähr korrekt.

Liebe auf den ersten Schluck

Meyer-Näkel, Spätburgunder ‚Blauschiefer‘, 2005, Ahr
Spätburgunder ‚Blauschiefer‘ 2005 von Meyer-Näkel

Ganz selten passiert es mir, dass ich einen Wein öffne, einen Probeschluck nehme und sofort denke: ‚Au Backe, da musst Du aufpassen, dass Du nicht die ganze Flasche an einem Abend trinkst‘. Dabei ist das keine Auszeichnung für einen exorbitant guten Wein, es ist auch keine extreme Form von Süffigkeit – manche Weine regen bei mir dermaßen  den Trinkfluss an, dass ich mich stark zurücknehmen muss.

Geschmacklich kommt dieser Kick aus der Gruppe von Eindrücken, die man gemeinhin mit ‚Mineralik‘ bezeichnet. Die Weine sind fast immer von einfacherer Konzentration – keine großen Gewächse. Passieren kann es bei Rieslingen und seltener Spätburgunder, manchmal sind es auch ganz andere Weine, die mich derart hypnotisieren. Vor einigen Jahren bin ich dem Drang einmal erlegen und habe in zweieinhalb Stunden eine Flasche eines trockenen Molitor-Kabinetts vertilgt, worauf der Abend gelaufen und ich für alle Zeit gewarnt war.

Gestern hatte ich eine jener Begegnungen der dritten Art. Wieder war es ein alles andere als konzentrierter Stoff. Auch kann er seine deutsche Herkunft nicht verleugnen. Aber ich fand ihn fein, fein, fein! Ein Extra-Glas ist es geworden, ansonsten hatte ich mich im Griff.

Meyer-Näkel, Spätburgunder ‚Blauschiefer‘, 2005, Ahr. In der Nase Kirsche, Holz, Erdbeere und etwas Liebstöckel. Am Gaumen ist der Wein schlank mit vergleichsweise dünner Textur. Erdbeere, Vanille, etwas Holz und eine sehr frische Säure. Die feine Mineralik ist am Gaumen ungemein zupackend und setzt sich im langen, vanilligen Abgang fort.

Füllwein (9)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Birkweiler Kastanienbusch, Weisser Burgunder Spätlese trocken, 2007, Gies-Düppel, Pfalz. In der Nase reichlich Grapefruit, und eine üppige Kräuternote (Thymian?) aber angenehmerweise keiner der ordinären Töne, die Weissburgunder so häufig in der Nase zeigt. Am Gaumen saftig, fruchtig (ganz viel Grapefruit und Mandarine) aber auch ganz schön fett. 14% Alkohol steckt der Wein höchst respektabel weg, wobei kein Holz im Spiel ist. Nur im Abgang, der ansonsten fruchtig und mineralisch zugleich ist, hat der Sprit das letzte Wort. Wer starken Stoff gewohnt ist, wird den Wein gigantisch finden; wer es eher mit den filigranen Vertretern hält, geht besser in Deckung.

Assmannshauser Höllenberg, Spätburgunder Spätlese trocken, 2005, Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach, Domaine Assmannshausen; Rheingau. In der Nase Kirsche und Erdbeere, ziemlich Deutscher touch aber auch etwas erdiges und Wacholder. Am Gaumen zunächst saftig, sehr milde Säure, dadurch etwas ‚weichgespült‘, warm (bei 14% ansonsten nicht störendem Alkohol) mit einer kantigen Tanninstruktur. Im Abgang Kirschfrucht, schwarzer Tee und leicht trocknendes Tannin. Ich habe den Wein bisher mehrfach getrunken und er war immer eine Bombe. Jetzt zieht sich die Frucht zurück, ohne dass er in der Struktur schon weicher werden würde. Ich hoffe, dass da in ein zwei Jahren wieder mehr Balance und vielleicht spannende Aromen eines gut gereiften Pinots zum Vorschein kommen. Jetzt ist mit diesem Lieblingswein erst mal Pause.

Silvaner Kabinett trocken, 2007, Salwey, Baden. Schöne, für einen so leichten Wein sehr ausdrucksstarke Nase mit weißem Pfeffer, Birne und Quitte. Am Gaumen von schlanker Natur: feine Säure, sehr trockenes Geschmacksbild, mit zurückhaltender Frucht und zarter Mineralik. 10,8% Alkohol bei 0,4 Gramm Restzucker machen den furztrockenen Wein zu einem tollen Essensbegleiter für Weißfisch und ähnlich zarte Lebensmittel. Ein Mittagswein, wenn man denn mittags Wein trinken mag.

Pssst… geheim!!!

Geheimtipps sind der direkte Weg ins Abseits. Denn was ist schon wirklich geheim in dieser vernetzten Welt? Neulich war ich bei einer Probe eines Weinhändlers, als mir meine Augenblicksbekanntschaft zur linken im Laufe eines lockeren Gesprächs mit gesenkter Stimme anvertraute, ich sollte doch mal die Weine von Alexander Laible einer genauen Prüfung unterziehen. Das sei der Geheimtipp schlechthin.

Zum Glück bin ich nicht nur höflich, sondern auch mit ein klein wenig schauspielerischem Talent gesegnet, so dass ich mit verbindlichem Zwinkern und fester Stimme meinem Dank Ausdruck verlieh, obwohl die dunkle Seite meiner Seele die Antwort ‚Wo warst Du die letzten Jahre, Bruder?‘ bevorzugt hätte.

Und macht mich das vorsichtig? Nein, eher nicht. Aber immerhin komme ich hier mit einer Art ewigem Geheimtipp, also einem, der nicht neu und demnächst (oder doch schon jetzt? – siehe oben) in aller Munde ist, sondern einem jener Winzer, die dauerhaft unterbewertet sind. Das Weingut Rudolf Sinß ist meiner Meinung nach so einer. Was dem Gut zum Durchbruch fehlt, sind vermutlich überirdische Rieslinge. Denn an der Nahe kann man mit perfektem Barrique-Einsatz und weißen wie roten Burgundern (und das ist Sinß‘ Stärke) vermutlich so gut Punkten wie mit einer Männerballettgruppe in einem kanadischen Holzfäller-Camp. Böse Zungen behaupten ja, ‚Burgunderschwuchtel‘ sei ein gängiges Schimpfwort unter Deutschen Rieslingerzeugern, aber ich schweife ab…

Hier also ein zweiter Erzeuger (neben dem hier), den ich vor allem für seine Spätburgunder schätze, obwohl er aus einem klassischen Riesling-Gebiet stammt: Windesheimer Rosenberg, Spätburgunder Auslese trocken – im Barrique gereift, 2004, Weingut Sinß, Nahe. In der Nase viel Himbeere und Leder, am Gaumen saftig und süße Frucht wiederum von Himbeere. Was den Wein aus der Masse heraushebt ist die perfekte Balance aus Frucht, Säure und Tannin, der als vierte Gewalt ein wenig die 14,5% Alkohol im Weg stehen, sonst wäre die Begeisterung grenzenlos. Ausgesprochen lang und wahnsinnig gut.

Update: Hier wird nix gelöscht. Aber neun Jahre später stellt sich das für mich ganz anders dar…