Die Power-Parzelle

Das einzig Gute, was mancher (zum Beispiel ich) im Weingesetz von 1971 findet, ist die Reduzierung der Lagen in Deutschland. Wer will schon 30.000 Lagen kennen? Wollte man von jeder nur ein Glas trinken, müsste man rund 82 Jahre lang jeden Tag einen anderen Wein zu sich nehmen. Da viele Lagen mehrere vernünftige Rebsorten beherbergen, könnte der deutsche Weinfreund in einem Menschenleben ohne Ersatzleber nicht alle Lagen-Reben-Kombinationen seiner Heimat trinkend verkosten.

Umso erstaunlicher finde ich den Trend, diesen Teil des Weingesetzes jetzt zurückzudrehen. Wer dieser Tage Verkostungslisten des Jahrgangs 2009 aus Deutschland studiert, findet wieder einmal ‚neue‘ Weine, deren Namen alten Parzellenbezeichnungen nachempfunden sind, die 1971 gestrichen wurden. Dabei sind Parzellennamen verfremdet, um dem Gesetz Genüge zu tun (wie hier schon einmal erklärt).

Verständnis brächte ich auf, wenn man einen Megatrend erkennen und mit einem Satz zusammenfassen könnte. An der Spitze der Qualitätspyramide stehen die ‚Parzellenweine‘. Aber leider ist dem nicht so. Bei Emrich-Schönleber ist der Parzellenwein ein Versteigerungswein und der feinste. Bei Keller ist die Abtserde mittlerweile ein GG und gleichgestellt mit dem Morstein (Lage) aber unter dem G-Max (Markenwein). Der Ganz Horn von Rebholz ist die Nummer zwei hinterm Kastanienbusch usw.. Man muss kein böser Mensch sein, um zu konstatieren, dass die Deutschen Winzer das Weingesetz gar nicht brauchen, um ihre Kunden zu verwirren. Das können sie ganz alleine. Und es ist wohl auch nicht zynisch, wenn man die Qualitätspyramide deutscher Winzer auf den Preis reduziert: je teurer, desto besser (mit die Regel bestätigenden Ausnahmen).

Die Parzelleritis kann mich nicht begeistern, ein echter Aufreger ist sie allerdings auch nicht. Denn bisher – und ich hoffe inständig, dass es so bleibt – lösen die Winzer ihr Versprechen ein: die Weine sind wirklich allesamt etwas Besonderes. So wie dieser hier, ein ganz früher Trendsetter der Bewegung, der in der insgesamt nur ‚sehr guten‘ 2004er Rotweinkollektion der Schneiders deutlich herausragt.

R&C Schneider, Parzelle Schönberg, Spätburgunder QbA, 2004, Baden. In der Nase Kirsche, Blut/rohes Fleisch, Rauch und Holz; dazu kommt eine leicht morbide Note, die gern mit ‚Waldboden‘ beschrieben wird, was ich in Ermangelung einer besseren Bezeichnung übernehme. Der Wein riecht sehr ‚dunkel‘ aber auch vollfruchtig. Am Gaumen ist er saftig, mit schöner Säure und satter Kirschfrucht. Er ist sehr voluminös und schön strukturiert. Solange man ihn nicht zu warm werden lässt, bleiben 14% Alkohol unauffällig. Im Abgang zeigt er eine schöne Mineralik, bei der ich wieder in Ermangelung einer Alternative die gängige Bezeichnung ‚Bleistift‘ übernehme. Am zweiten Tag legt der Wein noch zu und verfügt über unglaublich Power, kein Gramm Fett aber auch schöne dunkle Noten von Rauch und Speck, sehr komplex, ewig langer Nachhall. Das ist einer der besten deutschen Spätburgunder, die ich aus dem Jahr 2004 trinken durfte.

Und nachdem sich alle daran gewöhnen konnten, dass Schneiders‘ bester Roter aus einer Parzelle stammt, führen sie mit dem Jahrgang 2007 den Engelsberg ein. Der kostet genauso viel wie der ‚Parzelle Schönberg‘, entstammt aber einer ‚echten‘ Lage (Endinger Engelsberg).

Verwirrung gelungen.

A wie anstrengend

Über die Schneiders aus Endingen wird man im Internet kaum etwas schlechtes zu lesen kriegen. Vermutlich weil sie einfach keine schlechten Weine machen (Okay, bei meinem ersten und einzigen Besuch auf dem Gut bin ich ziemlich mürrisch empfangen worden aber wen interessieren Homestories???). Ich hatte dieser Tage zumindest eine Grenzerfahrung mit einem Schneider-Wein.

R. und C. Schneider, Spätburgunder *** -A-, 2004, Baden. Am ersten Tag war die Nase laut und anstrengend: alles andere als Deutsch mit sehr viel Teer und wenig Frucht, Holz, Rauch und allerlei irdene Noten. Am Gaumen eher verschlossen und dicht, konnten einige Stunden Luft ein wenig Kirschfrucht hervorzaubern. Ansonsten ‚Waldboden‘ überall, selbst der Abgang schrie ‚Wiedervorlage‘ – ein merkwürdiges Weinerlebnis. Am zweiten Tag wurde es viel besser. Die Nase verströmte Heimeliges: Kirsche, Erdbeere, etwas Holz, und reichlich Sprit. Die 14% Alkohol, die vorher im Lärm untergegangen waren, spielten jetzt eine Hauptrolle. Am Gaumen tritt die ausgesprochen stramme Säure in den Vordergrund und die zweite Geige klingt immer noch nach Teer. Früher habe ich nie verstanden, wie Menschen Nebbiolo und Spätburgunder in Zusammenhang bringen können, mittlerweile weiß ich, wovon die reden – und wenn nicht, dieser Wein schlägt die Brücke. Das ist alles andere als ein seichtes Weinchen, eher eine Herausforderung an die Sinne. Pur genossen ist das zu viel für mich, als Essensbegleiter selbst zum einfachen Abendbrot genial.

Füllwein (17)

Was macht man bei so einem kalten Spätsommer? Ich bin in den Keller gegangen und habe ein paar Rotweine hervorgeholt. Es waren eh noch ein paar 2004er übriggeblieben, die ich austrinken wollte, bevor ich mich in diesem Winter intensiver dem 2005er widme.

Domaine Assmannshausen (Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach), Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Spätlese, 2004, Rheingau. In der Nase zunächst Kirsche, Vanille und rote Beeren, mit Luft veränderte sich der Eindruck, es erschienen Blaubeeren, etwas Teer, eine Spur Lösungsmittel und Joghurt – die Nase wurde nicht unbedingt schöner. Am Gaumen dominiert zunächst eine kantige Säure, die mit der Zeit in den Hintergrund tritt. Der Holzausbau ist noch spürbar, Frucht ist reichlich vorhanden: Kirsche, Erd- und Himbeere. Mit der Zeit wird der Wein weich und sehr harmonisch: vollmundig, keine Spur alkoholisch trotz 13,5% Alkohol. Der Abgang ist sehr lang. Am zweiten Tag war er am besten (um und bei 92 Punkten) aber auch nach Tagen noch mit Vergnügen trinkbar.

Grenzhof Fiedler, Rote Trilogie, Rotweincuvée, 2004, Burgenland. Der Zweigelt sorge für Eleganz, der Cabernet Sauvignon für Struktur und Lagerpotential und dem Blaufränkisch habe der Wein seine Bodenständigkeit und Würze zu verdanken, schreibt Bernhard Fiedler auf das Rückenetikett der ‚kleineren‘ seiner beiden Rotweincuvèes. ‚Gut gebrüllt, Löwe‘ denke ich da, will jedoch ein paar eigene Beobachtungen hinzufügen: Erstens sorgt der Zweigelt auch für eine massive Kirsch- und Pflaumenaromatik und zweitens war der Wein nie so würzig wie derzeit. Und aller Lagerfähigkeit der Fiedlerschen Weine zum Trotz behaupte ich, dass man den Wein in den nächsten 12 Monaten seiner Bestimmung zuführen sollte, will man den maximalen Genuss für den zugegeben schmalen Taler, den Bernhard dafür aufruft. Fruchtig, weich aber mit Struktur und Tannin und mit einem langen harmonischen Abgang ausgestattet bei voll integrierten 13,5% Alkohol – wundervoll.

Achim Jähnisch, Spätburgunder QbA, 2004, Baden. Nach einiger Zeit mal wieder ein sehr deutscher Spätburgunder, der in der Nase diesen typischen Ton hat, der aus dem Glas flüstert ‚Grüß Gott, ich bin deutsch‘, ohne dass ich ihn einer Frucht oder einem Kraut zuzuordnen vermag. Aber ich kann dem ja viel abgewinnen. Der Rest lautet wie folgt: In der Nase zurückhaltend, etwas Teer, ein bisschen gekochte Erdbeere und Blaubeere; am Gaumen von mittlerer Statur und Druck, Himbeere, leichte Süße, die eventuell vom Alkohol herrührt, ansonsten stören die 13,5% nicht weiter. Sehr angenehmer Alltagswein für Menschen mit hohen Ansprüchen (zum Beispiel für mich).

Mein erster Pinot Noir

‚Ohje, Opa erzählt vom Krieg!‘ mag manch Leser jetzt denken. Will der uns wirklich von seiner ersten Flasche Spätburgunder berichten? Vermutlich war’s ein Untertürkheimer Bratschenberg Spätburgunder lieblich von der Tankstelle und ein Picknick mit einem hübschen Mädchen an einem lauen Sommerabend und… HALT. Dies ist kein Blog für Altherrenphantasien und ich will auch gar nicht von meiner ersten Flasche Spätburgunder schreiben. Berichten muss ich von meiner ersten Begegnung mit Friedrich Beckers ‚Pinot Noir‘ Tafelwein, jenem fast mythisch verklärtem Wunderstoff, der sieben Mal in Folge vom Gault Millau zum besten Spätburgunder Deutschlands gekürt wurde, jenem 90-Euro-Geschoss, dass vielen als Keimzelle des Deutschen Pinot-Booms gilt.

Der ‚Pinot Noir‘ von Becker wird als Tafelwein gefüllt – seit jeher. Ursprünglich war das wohl eine Notwendigkeit, weil die Verwendung von Barrique-Fässern beim Ausbau deutscher Weine einige Zeit nicht den Segen der Weinkontrolle fand und die Füllung als Tafelwein eine Möglichkeit darstellt, die Weinkontrolle zu umgehen – aber das ist kein gesichertes Wissen, sondern Hörensagen. Mittlerweile gäbe es keine Probleme mit der Behörde, aber vielleicht genießt Herr Becker eine stille Rache, indem er den Weinkontrolleuren einfach diesen Zauberstoff vorenthält: Keine Prüfung, keine Musterproben.

Den ‚Pinot Noir‘ zu bekommen ist kein schwieriges Unterfangen. Ganz ohne Subskription erhält man ihn bequem auch Wochen und Monate nach Erscheinen noch bei vielen Händlern. Ich kaufte meine Flasche bei Erscheinen irgendwann 2007 und genoss seitdem die Vorfreude. Letzte Woche feierte ich die zwischenzeitliche Wiederkehr des Sommers mit diesem Wein zu einem Grillabend mit Lamm, Geflügel, Tomatensalat und einem ordentlichen Weißbrot – 22 Grad Lufttemperatur und den Wein bei 17 Grad serviert, lediglich eine Stunde im Dekanter, zwei Mitstreiter mussten blind mittrinken und waren vor Verzückung gelähmt. Ich war zwar wissend, konnte mich aber auch nicht mehr bewegen: ohne wenn und aber mein bisher größtes Rotweinerlebnis.

Becker, ‚Pinot Noir‘, Deutscher Tafelwein Rhein, 2005, (Pfalz). Die Nase ist wahnsinnig intensiv und sehr typisch. Auch wenn der Schwerpunkt auf rohem Fleisch (Tartar) und Kirschfrucht liegt, ist der Wein in der Nase weich und sehr anziehend (ich versuche, die bescheuerte Phrase ‚die Nase ist wahnsinnig sexy‘ zu umschiffen). Am Gaumen ist der Wein von einer geradezu kristallinen Struktur. Alles ist an seinem Platz: straffe Säure, moderates Tannin, dezent in Erscheinung tretender Holzausbau, wieder diese recht animalischen Aromen von rohem Fleisch, satte Kirschfrucht, Bleistift, rote Beeren. Der Nachhall ist vielschichtig, komplex, ultralang. Und wieder fällt mir nur ein Wort ein, dass ich gewöhnlich vermeide: präzise. Dieser Wein ist so präzise, dass ich glatt die Scheu verliere, das Wort zu benutzen. 100 Punkte.

Flasche leer (2)

Die Frage, was man bei 28 Grad Abendtemperatur auf der Terrasse zum Grillgut trinkt, beantworten gesundheitsbewusste Menschen zu Recht mit Wasser (oder Apfelschorle). Ich bin nur mäßig gesundheitsbewusst und deshalb greife ich gerne zu Wein, wenngleich in sehr geringen Dosen. Aus zwei Gründen ist es meist ein etwas rustikaler Rotwein: ich kühle sie wie einen Weißwein und es bleibt immer eine größere Menge übrig, so dass der Wein Tage im Kühlschrank überdauern können oder reuelos im Essigfass entsorgbar sein muss.

Trotzdem sollen meine Grillweine nichts weniger als großartig sein. Einen solchen zu finden, ist kein einfaches Unterfangen; bei Erfolg lagere ich daher ein paar Flaschen mehr ein. Von einem meiner beiden treuen Grillbegleiter der letzten Jahre habe ich mich gestern verabschiedet.

Knipser, Blauer Spätburgunder QbA, 2002, Pfalz. Der Wein schimmert im Glas schon eher rostbraun als rot. In der Nase etwas Vanille und Erdbeermarmelade, Kirsche und auch Marzipan. Am Gaumen ein bisschen Kirsche und nur noch wenig Tannin, immer noch spürbarer Einfluss vom Holz, eine eher milde Säure (was auch an der vergleichsweise kühlen Serviertemperatur liegen mag), leichte Mineralik und gut integrierter aber spürbarer Alkohol (13,5%). Der Wein zeigt eine stimmige Balance aus Saftigkeit und Holzausbau. Der Abgang ist mittellang. Nach hinten heraus gibt es erste Ermüdungserscheinungen, weshalb der Abschied zwar schmerzt aber keine Sekunde zu früh kommt. Mach’s gut, blauer Kamerad.

Vom anderen ist auch nur noch eine Flasche da. Die vorletzte konnte letzte Woche restlos überzeugen, wie alle Vorgänger seit 2007.

Günther Steinmetz, Pinot Meunier * (im Barrique gereift), 2005, Mosel. In der Nase vermutet man eine Hochzeit von Gamay und Nebbiolo: Lavendel und Veilchen mit einer teerigen Note, dazu Kirsche, Zwetschge und Lakritz. Am Gaumen präsentiert der Rotwein sich mit der Struktur eines großen Weißweines: ein Gerüst aus Säure und Mineralik trägt die Aromen von Pflaume und Wacholder. Eine Kombination aus Röstaromen und zurückhaltendem Tannin runden den Wein ab. Sehr langer von Mineralik geprägter Abgang. Trotz eines Verkaufspreises von viel zu billigen 6 Euro konnte Steinmetz den Wein nicht recht verkaufen, es gab ihn jahrelang auf der Weinliste. Kein Wunder also, dass der Schwarzriesling mittlerweile als Blanc de Noir gekeltert wird. So bleibt es bei diesem einmaligen Geniestreich und mir noch eine letzte Flasche davon.