Weinrallye #41: Die Silvaner-Stulle

Sandwich-Weine lautet das Motto der heutigen Weinrallye und ich konnte mit dem Thema zunächst wenig anfangen. Dass ich teilnehme, verdanke ich einer Verkettung von Zufällen. Aber der Reihe nach: Es geht um Weine, die nicht blutjung und nicht steinalt getrunken werden sollten. Bernhard Fiedler lässt offen, ob dies an der Rebsorte oder dem Ausbaustiel liegt. In seinen eigenen Worten liest sich das so:

Wie schmecken solche “Sandwich-Weine” zwischen unbändigem Jugendcharme und der noblen Größe des Alters? Welche Sorten und/oder Weinstile präsentieren sich in dieser Entwicklungsphase besonders schön? Und welche weniger?

Nachdem mich dies zunächst kaum inspirierte, wollte es der Zufall, dass ich einen Sandwich-Wein im doppelten Sinne ins Glas bekam. Ich hatte ihn ausgewählt, weil mir mal wieder nach Silvaner war. Ob meiner geringen Erfahrung mit dieser Rebsorte (gerade mal zwei Exemplare habe ich in diesem Blog in 20 Monaten beschrieben) ging ich ein bisschen auf Recherchetour im Internet und fand ein schönes Video.

 

Silvanervideo

Der Silvaner ist demnach eine Rebsorte, die bevorzugt in einer von zwei Stilrichtungen Auftritt: federleicht und trinkig oder mächtig und eher als Essensbegleiter konzipiert. Da waren sie also, die obere und untere Scheibe meines Sandwiches, die sich exakt so auch in meinen hier und hier geschilderten Begegnungen mit der Rebsorte widerspiegelten, und mein Wein bewegte sich ziemlich in der Mitte. Wie man in meiner norddeutschen Heimat sagen würde: ’ne Silvaner-Stulle.

Mittelalt ist er als 2007er sowieso und auch die Einkaufsgeschichte ist eine Sandwich-Story. Jedes Jahr geht das Weingut Wirsching mit einigen anderen Gütern (darunter Knipser, Künstler und Salwey) auf eine Deutschland-Tour und präsentiert in mehreren Großstädten seine Kollektion. Und jedes Mal, wenn ich dort Wirschings Weine probier(t)e (drei oder vier Mal bisher) sticht die Spätlese heraus. Sie ist deutlich ernsthafter als der Kabinett und viel charmanter als die Grossen Gewächse, die bei diesem Winzer einige Jahre Flaschenreife brauchen. Deswegen steht sie jedes Mal auf dem Bestellzettel.

Hans Wirsching, Iphöfer Kronsberg Silvaner Spätlese trocken, 2007, Franken. Ein Silvaner mit sehr typischer Aromatik: in der Nase Heu, Birne, Banane, Kräuterwürze. Am Gaumen opulent mit Quitte, Banane, viel Würze, etwas Mineralik, gut integriertem Alkohol von 13% und einer alles ordnenden, dem Wein die nötige Frische verpassenden Säure. Der Wein hat ausreichend ‚Bumms‘, um auch kräftigere Speisen zu begleiten, ist aber nicht behäbig,. Das ist ein perfekt ausbalancierter Silvaner mit mittellangem Abgang.

Ein Sandwich-Wein, wie ich jetzt gelernt habe.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Das Weingut Koehler-Ruprecht zeigt in vielerlei Hinsicht zwei Gesichter. Zum einen produziert es mit der Kallstadter Saumagen Auslese trocken ‚R‘ einen Wein, der gesucht und rar ist wie sonst nur Kellers G-Max, zum anderen sind die anderen Rieslinge des Hauses in der allgemeinen Wahrnehmung eher durchschnittlich. Markentechnisch fährt man zweigleisig: ‚normale‘ Weine segeln unter der Koehler-Ruprecht-Fahne und Barrique-Weine unter dem Label ‚Philippi‘. Bei letzterem werden die Weine mit einem oder auch mehreren R’s benamt, wenn sie besonders gut sind und besonders lange im Fass lagen. Das Weingut wird in Medien als Deutscher Pionier des Holzeinsatzes gefeiert, und in Internet-Weinforen artikulieren einzelne Kunden Zweifel an der Fasshygiene des Hauses. Ich kenne nicht genügend Weine des Gutes, um eine fundierte Meinung dazu zu entwickeln, finde aber, dass das eine bemerkenswerte Spanne von Lob und Tadel ist.

Eindeutig positiv zu bewerten ist in meinen Augen die Politik des Hauses, Weine solange reifen zu lassen, bis sie fertig sind. In der Hinsicht ist Kallstadt das Lynchburg des deutschen Weinbaus. Wer keinen Keller für die Lagerung hat, aber mal einen gereiften Spätburgunder oder Chardonnay trinken will, kann hier Weine ab Gut erwerben, die teilweise sieben Jahre gelagert sind – nicht, weil sie keiner kaufen wollte, sondern weil das Gut sie erst nach dieser Zeit zum Verkauf freigegeben hat. So wie dieser Wein, der (wenn ich es richtig erinnere) erst 2007 in den Handel kam.

Koehler-Ruprecht, Philippi Chardonnay ‚R‘, 1999, Deutscher Tafelwein Rhein (Pfalz). In der Nase erstaunlich frisch aber auch zurückhaltend. Chardonnay mit nicht zu intensivem Holzeinsatz ist die erste Assoziation, ohne dass einzelne Aromen besonders hervorträten. Am Gaumen setzt sich die Täuschung fort: 2007 hätte ich wohl in einer Blindprobe getippt. Der Wein ist nicht sehr fett und nicht sehr holzlastig. Stattdessen treten Säure und Mineralik in den Vordergrund. Das sonst so akzentuierte buttrige Aroma, die Haselnuss, das cremige Mundgefühl – alles Fehlanzeige. Man ist aber nie versucht, auf etwas anderes als Chardonnay zu tippen. Alkoholische Wärme fehlt ebenfalls, der Wein hat mit 13,5% Alkohol auch ein Prozent weniger als die meisten Vertreter dieser Kategorie. Der erste Wein, der sich mir vor allem darüber definiert, was er alles nicht ist – irgendwie surreal. Es ist in jedem Fall der mineralischste Chardonnay, den ich bisher getrunken habe.

Als Essensbegleiter zu Huhn mit Erdnusssoße macht der Wein eine exzellente Figur. Solo danach weitergenossen entwickelt sich ein schöner Trinkfluss. Das ist eine wundervolle Erfahrung um und bei 90 Punkten und ein Erkenntnisgewinn.

Zum Lachen in den Keller

Weinbeschreibungen sind keine exakte Wissenschaft – genau genommen ist das Verkosten und Beschreiben von Wein überhaupt keine Wissenschaft. Also ist bei der Wahl der Vokabeln zur Beschreibung der Sinneseindrücke und Klassifizierung der Rebsäfte eigentlich erlaubt, was gefällt. Trotzdem gibt es heftig umstrittene Begriffe, von denen ich die meisten – stockkonservativ wie ich nun einmal bin – eher selten verwende. Mit einer Ausnahme: der Spaßwein ist fester Bestandteil meines Weinkanons.

Die Diskussion kehrt in meinem Freundeskreis so regelmäßig wieder, wie sie sich dann im Kreise dreht: ‚In der Preisklasse, in der wir meistens trinken, ist das Wort Spaßwein kein Lob, da es viel zu oberflächlich vordergründig ist‘  sagen die Gegner dieses relativ neuen Begriffs; ‚Zechwein, Saufwein, Terrassenwein, Spaßwein – das ist doch alles das gleiche‘ tönt es aus ihrer Ecke; beendet wird die Diskussion meist mit dem Killerargument: ‚Jeder gute Wein macht Spaß!‘

(Fast) alles richtig! Aber nicht das, was ich meine. Hier also der Versuch einer Definition. Ein Spaßwein ist ein Wein, der das Unterbewusstsein anspricht. ‚Weinglas an Kleinhirn: Hier unten ist alles in Ordnung‘. Ein Wein, der mir das Gefühl gibt höchst ordentlichen Stoff zu mir zu nehmen, ohne dass ich unbedingt meine analytische Aufmerksamkeit auf mein Getränk lenken müsste. Täte ich dies dennoch, fände ich Typizität und Komplexität, meist mit einer gewissen Frische und Frucht verbunden. Aber es ist eben gar nicht nötig, sich eingehender damit zu beschäftigen, weil der Wein schon mit dem erste Schluck den Funkspruch absetzt: ‚Alle Mann von der Geschmackspolizei, legt Euch wieder hin‘.

Somit kann ein Spaßwein niemals 90 Punkte erlangen. Einem 90 Punkte-Wein sollte man wenigstens einmal während des Trinkens zwei Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, sonst wäre er arg ungerecht behandelt. Mindestens 84, maximal 89 Punkte, definiere ich aus der Hüfte geschossen die Skala für Spaßweine, nur um noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Spaßwein nicht bepunktet werden will.

Der Unterschied zum Terrassenwein ist simpel, der Spaßwein funktioniert auch bei tieferen Temperaturen und muss nicht unbedingt leicht sein. Dennoch räume ich ein, dass T eine Teilmenge von S sein könnte. Mit Zechweinen verbinde ich eher Weine aus der Kategorie ‚Kann man trinken, muss man aber nicht‘, welche bei mir die 80 Punkte definiert. Das macht mir selten Spaß und wird nicht in Schriftform festgehalten, das Z-Wort also nicht gebraucht. An Saufweine glaub‘ ich nicht; ich denke, diese Kategorie sollte man dort belassen, wo sie herkommt: bei den Konsumenten. Ich will zugeben, dass manche Weine stärker den Trinkfluss fördern als andere, doch richtig großen Durst bekomme ich von Salz und Chili – nicht von Wein.

Genug der Theorie, hier kommt die Praxis.

Wittmann, Scheurebe QbA, 2008, Rheinhessen. In der sehr blumigen Nase Stachelbeere, Casis und Minze. Am Gaumen sehr straff mit kräftiger Säure, ganz leicht grasiger Note und viel Frucht, Mandarine, Limette, Citrus. Mittlerer Druck, schöne Länge. Spaßwein.

Mosbacher, Sauvignon Blanc QbA, 2009, Pfalz. Eine sehr fruchtige Nase mit viel Stachel- und Johannisbeere zeigt nur leichte Spuren von Blüten und Gras. Am Gaumen mit mittlerem Volumen und sehr milder Säure ist der Wein aufgrund eines Spürbaren Restzuckers ein bisschen dropsig. Eine ebenfalls vorhandene leichte Adstringenz puffert das aber hervorragend ab. Aromen von Stachelbeere und Rhabarber prägen den Gaumen, der Abgang ist lang bis sehr lang. Kein großer Wein aber ein großer Spaß.

(P.S. Der Artikel Flasche leer (2) muss leider ausfallen. Künstlers Kirchenstück 2004 war noch schwächer als die Italienische Nationalmannschaft. Anders als bei letzterer war es beim Wein jedoch nicht das Alter sondern der Korken. So hatten sie nur eines gemeinsam: der Untergang war sang- und klanglos.)

Brüder im Geiste

Aus Zeitmangel habe ich eine ganze Weile keine Verkostungsnotizen in meinen Computer übertragen. Jetzt sitze ich gerade über meinem Notizbuch und finde zwei kurz hintereinander gemachte Einträge, zweier Weine, die ich zu verschiedenen Spargelgerichten getrunken habe. Die Ähnlichkeit der Notizen ist erheblich. Trotzdem würde man sie blind wohl nicht verwechseln, zu holzig der eine, zu mineralisch der andere. Was sie eint, ist vermutlich das Vorbild: Ein Pfälzer Chardonnay und ein Silvaner aus Rheinhessen versuchen Burgunder zu sein. Ist das noch Terroir? Egal, es ist zweimal fantastischer Wein.

Jakob Pfleger, Edition Curator, Chardonnay, 2006, Pfalz. In der Nase ausgesprochen typisch: Birne, Mandarine, Haselnuss und Butter. Am Gaumen beeindruckt der Wein mit saftiger, süßer Frucht und einer spürbaren Holznote, buttrigem Mundgefühl und großem Volumen. Dass das nicht fett, breit und beliebig wirkt, verdankt der Wein einer kräftigen Säure, die zusammen mit dem Holz auch den sehr langen, samtigen Abgang prägt. Ein idealer Essensbegleiter, den man dann mit Lust nach dem Essen solo weitertrinkt. 13,5% Alkohol sind gut integriert. 91 Punkte

Wittmann, Silvaner trocken -S-, 2007, Rheinhessen. In der Nase Joghurt, Haselnuss und Kernobst. Am Gaumen stoffig mit schöner Frucht (Birne und Mandarine), feiner Süße und einer kalkigen Mineralik. Diese kann nicht verhindern, dass der Wein ein ganz bisschen bonbonig daher kommt, sonst wäre er richtig groß. Langer Abgang bei perfekt integrierten 13 % Alkohol. Der Prototyp des Spargelpartners, wenn neben den weißen Stangen ein Stück helles Fleisch oder kräftiger Fisch liegt 90 Punkte

Versuch macht kluch (2)

Rebsorten, die noch nicht offiziell für den Anbau zugelassen und daher als ‚Versuchsanbau‘ gekennzeichnet sind, üben eine große Faszination auf mich aus. Man kann nicht nur ganz neue Geschmackseindrücke sammeln, man kann auch trefflich mit seinen Mittrinkern diskutieren, ob die Welt diese Rebsorte in Deutschland braucht. Ich bin zwar keine maßgebliche Instanz für derlei Fragen, aber das soll mich nicht davon abhalten, mir eine Meinung zu bilden.

Während Jakob Pflegers Cabernet Franc mich neugierig auf weitere deutsche Ausgaben dieser Sorte machte, ist die Gemengelage beim heutigen Kandidaten etwas anders. Es gibt viel Für und Wider, beim Viognier aus der Pfalz vom Weingut Kuhn. Auf der Habenseite steht, dass Philipp Kuhn ein begnadeter Winzer ist und alles, was seinen Horizont erweitert, irgendwann positiven Einfluss auf seine vielen großartigen Weine haben dürfte. Auch kann man zustimmend vermerken, dass keine Zuchtanstalt mehr eine Kreuzung aus Sauvignon Blanc und Grünem Veltliner aus dem Reagenzglas zaubern muss, denn dieser Viognier aus der Pfalz schmeckt wie der Prototyp einer solchen Züchtung. Kritisch kann man fragen, ob man in Deutschland noch eine alkoholstarke Weißweinsorte benötigt, wo doch die diversen Burgundersorten immer öfter mit 14 Volumenprozent daherkommen. Und man kann zweifeln, dass die Welt auf die Vermählung von weißem Pfeffer und Katzenpisse gewartet hat. Denn diese Komponenten von Veltliner und Sauvignon Blanc treffen hier heftigst aufeinander.

Am Ende waren meine Gäste und ich uns einig: das ist ein spannendes Erlebnis, ein gut trinkbarer Wein, wohl investierte Zeit und ein Vergnügen – aber keine Ermunterung, ein neues Fach im Weinkeller für deutschen Viognier zu schaffen.

Philipp Kuhn, Viognier, Qualitätswein aus Versuchsanbau, 2009, Pfalz. In der Nase wirkt der Viognier wie ein besonders blumiger Sauvignon Blanc, Kiwi/Stachelbeere, Katzenpisse, Basilikum, Lavendel und gelbe Früchte. Am Gaumen ist der massive Alkohol recht ordentlich eingebunden, solange man den Wein ordentlich gekühlt genießt. Mit Luft und nur etwas wärme wird er schnell brandig. Der Wein betört mit süßer Frucht – Mandarine, Pfirsich, Grapefruit und Limette. Dazu gesellt sich ein heftiges Pfefferl, was nur mäßig harmonisch wirkt. Der sehr lange Abgang zeigt eine recht charmante, kalkige Mineralik. Für mich ist das ein pfeffriges Fruchtbonbon von hohem Unterhaltungswert. Vielleicht muss man der Schokolade-mit-Chili-Fraktion nahe stehen, um sich von Pfälzer Viognier richtig hinreißen lassen zu können.