Alt und müd‘ am Altenberg

Alte Reben, erklärte mir einmal ein Winzer, hätten zwei Eigenschaften, die sich extrem positiv auf den Wein auswirken können, den sie hervorbringen: Ihre tiefen Wurzeln machten sie unempfindlicher gegen Trockenperioden und eine Art natürliche Müdigkeit limitierte den Ertrag, den sie bringen, auf die beste aller Arten: durch kleinbeerige Trauben. Da die Traubenschale wesentlicher Träger der Geschmacksstoffe ist, sind Weine aus kleinbeerigen Trauben durch das höhere Verhältnis von Schale zu Saft in der Regel gehaltvoller.

Die Bezeichnung ‚Alte Reben‘ steht in den meisten Deutschen Winzerbetrieben entsprechend für gehobene Qualität – oder so ähnlich. Beim Weingut Markus Molitor wird zu AR assembliert, was von mindestens 35 Jahre alten Stöcken stammt aber nicht so gut ist, dass es als Einzellage vermarktet werden soll, bei Van Volxem ist es wohl ähnlich. Einige Winzer haben Alte Reben ohne Lagenangabe anstatt trockener oder feinherber Spätlesen, bei Thanisch sind die AR die Spitze der Qualitätspyramide. Bei Alexander Laible finden sich welche in der Mitte und an der Spitze seines Rieslingfeldes. Guts- oder Basisrieslinge mit dieser Bezeichnung sind mir noch nicht begegnet.

Da ich ein einfach gestrickter Mensch bin, habe ich in meinem Kopf abgespeichert: Alte Reben = gehaltvoller Wein. Und da, wo ein Winzer aus ein und derselben Lage zwei Weine präsentiert, erwarte ich, dass der mit dem Namenszusatz ‚Alte Reben‘ irgendwie mehr ‚Bumms‘ hat. Ein einziges Mal habe ich es erlebt, dass diese Annahme ein Irrtum war. Das war in den letzten Wochen und hat mit einem Geschichtchen zu tun, wie es mir damals ein Händler erzählte – also wieder eine Dreiviertelwahrheit ohne Gewähr, wie es sie hier öfter zu lesen gibt.

Als im Winter 2005/2006 eine Partie Most aus der Lage Kanzemer Altenberg, der eigentlich für das trockene Flaggschiff ‚Erste Lage trocken‘ (so damals die Mosel-VDP-Version des Großen Gewächses) in den Kellern des Weingutes von Othegraven beschloss, nicht so zu vergären, wie vorgesehen, blieb dem Kellermeister nichts anderes übrig, als erst mal die Partien zu füllen, die fertig waren. Es kam ein überaus respektabler Wein heraus, der mit nicht ganz Saar-typischen 14 Volumenprozent Alkohol in die Kategorie Wuchtbrumme einzuordnen war.

Von Othegraven, Kanzemer Altenberg, Riesling erste Lage trocken, 2005, Mosel (Saar). Die  Nase ist ziemlich zurückhaltend mit wenig Frucht und kaum Reifenoten. Am Gaumen dominiert auf angenehme Weise Karamell, Frucht (Litschi und Melone) ist aber ebenfalls reichlich vorhanden. Der Alkohol ist gut eingebunden aber nicht wegzudiskutieren. Die Mineralik ist zart und der Abgang lang und kompakt. Ein Wein, der fast groß ist, aber auf der Zielgeraden dann doch über den hohen Alkohol stolpert. 91 Punkte.

Die zweite Partie, die nicht mehr rechtzeitig für den Präsentationstermin des VDP fertig wurde erschien wenig später als separate Füllung. Sie erhielt den Namenszusatz ‚Alte Reben‘. Dabei hatte der Gärdienstverweigerer vergleichsweise pazifistische 13% und einen in diesem Fall sehr dienlichen Restzucker zu bieten.

Von Othegraven, Kanzemer Altenberg, Riesling erste Lage trocken ‚Alte Reben‘, 2005, Mosel (Saar). Die  Nase ist vollreif bis überreif, Pfirsich, etwas Karamell, Apfel, aber auch zarte Noten von Blüten, sehr wechselvoll und faszinierend. Am Gaumen saftig, Karamell, ausgesprochen mineralisch mit rauchigem Einschlag, sehr voluminös aber nicht so mastig wie der Bruderwein, nicht ganz trocken, mäßige Säure. Der Wein hat Tiefgang, da kann man sich mit einem Glas vor den Kamin setzen und zu philosophieren anfangen. Im Abgang sehr lang und mineralisch. 92 Punkte.

Und so gibt es also auch diesen Fall in Deutschlands unendlicher Deklarationsgeschichte. Zwei Weine eines Gutes aus einer Lage und einem Jahr, bei denen der ‚Alte Reben‘ der leichtere von den Brüdern ist. Und noch ein Kuriosum: Die Weine kosteten gleich viel. Für den Gärverweigerer hätte ich einen anderen Namenszusatz gewählt: Wie wäre es mit ‚Slow Wine‘ oder ‚Faules Fass‘? Aber wer für 20€ so geniale Weine auf die Flasche bringt, der soll sie von mir aus nennen wie er will.

Die Phasenphrase

‚Ein großer Wein ist in jeder Phase seines Daseins groß‘ ist eine gern verwandte Phrase in Weintrinkerkreisen – und auch in jenen wäre ich sehr für die Einführung eines ‚Phrasenschweins‘ also eines Sparschweins, in das jeder, der bei einem solchen Allgemeinplatz erwischt wird, ein paar Euro Bußgeld stecken muss. Die Phasenphrase weiterlesen

Einer reicht

Leider spreche ich kein Französisch, sonst könnte ich mir die folgende Frage selbst mit einem Blick in ein französisches Weinforum beantworten. Ob die Weinfreaks unter unseren Nachbarn wohl um Basisweine einen ähnlichen Zirkus veranstalten, wie wir Deutschen? Ich möchte nicht wissen, wie viele verschiedene Riesling Kabinette ich im Keller habe – und auch welchen Unterschied ich darin zu erkennen glaube. Nicht nur, dass ich im Sommer auf der Terrasse niemals einen durch und durch mineralischen Kabinett von Molitor trinken würde, sondern vielleicht eher einen fruchtbetonteren von Thanisch, ich unterscheide teilweise noch innerhalb der Kollektionen eines einzelnen Winzers nach Lagen (beispielsweise zwischen den fetteren Graacher Böden und den durch und durch schiefrigen drumherum). Nun kann man sagen, der Riesling spiegelt halt wie keine andere Rebsorte den Hang wider, auf dem er wächst. Aber reicht das aus? Oder ist das doch die Sozialisation? Auch bei einfachen Spätburgundern interessiere ich mich für die kleinen Unterschiede. Bei südfranzösischen Basisrotweinen hingegen kann ich wirklich nur zwischen guten und schlechten unterscheiden. Und weil das so ist, reicht es mir vollkommen aus, einen einzelnen sehr guten zu kennen. Der kommt bei mir meist zum Einsatz, wenn mir nach einem einfachen Glas Rotwein zum Essen ist, Spätburgunder nicht in Frage kommt und die Gefahr groß ist, dass ein wesentlicher Teil des Weines mangels Mittrinker als Kochwein endet.

E. Guigal, Cotes du Rhone, Rotweincuvée, 2005, Südfrankreich. Mit zwei Stunden Luft präsentiert der Wein eine für mich typische Südfranzosennase: Leder, Zeder, ein wenig Kuhstall, etwas Graphit/Bleistift sowie Kirsche und Himbeere. Am Gaumen ist der Wein gefällig aber kein Schmeichler, dafür ist das Tannin zu kräftig. Brombeere und Bitterschokolade werden von kräftiger Säure gestützt. Der Abgang ist sehr lang und harmonisch. Für mich ist das der Idealtypus des unkomplizierten Südfranzosen.

Füllwein (9)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Birkweiler Kastanienbusch, Weisser Burgunder Spätlese trocken, 2007, Gies-Düppel, Pfalz. In der Nase reichlich Grapefruit, und eine üppige Kräuternote (Thymian?) aber angenehmerweise keiner der ordinären Töne, die Weissburgunder so häufig in der Nase zeigt. Am Gaumen saftig, fruchtig (ganz viel Grapefruit und Mandarine) aber auch ganz schön fett. 14% Alkohol steckt der Wein höchst respektabel weg, wobei kein Holz im Spiel ist. Nur im Abgang, der ansonsten fruchtig und mineralisch zugleich ist, hat der Sprit das letzte Wort. Wer starken Stoff gewohnt ist, wird den Wein gigantisch finden; wer es eher mit den filigranen Vertretern hält, geht besser in Deckung.

Assmannshauser Höllenberg, Spätburgunder Spätlese trocken, 2005, Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach, Domaine Assmannshausen; Rheingau. In der Nase Kirsche und Erdbeere, ziemlich Deutscher touch aber auch etwas erdiges und Wacholder. Am Gaumen zunächst saftig, sehr milde Säure, dadurch etwas ‚weichgespült‘, warm (bei 14% ansonsten nicht störendem Alkohol) mit einer kantigen Tanninstruktur. Im Abgang Kirschfrucht, schwarzer Tee und leicht trocknendes Tannin. Ich habe den Wein bisher mehrfach getrunken und er war immer eine Bombe. Jetzt zieht sich die Frucht zurück, ohne dass er in der Struktur schon weicher werden würde. Ich hoffe, dass da in ein zwei Jahren wieder mehr Balance und vielleicht spannende Aromen eines gut gereiften Pinots zum Vorschein kommen. Jetzt ist mit diesem Lieblingswein erst mal Pause.

Silvaner Kabinett trocken, 2007, Salwey, Baden. Schöne, für einen so leichten Wein sehr ausdrucksstarke Nase mit weißem Pfeffer, Birne und Quitte. Am Gaumen von schlanker Natur: feine Säure, sehr trockenes Geschmacksbild, mit zurückhaltender Frucht und zarter Mineralik. 10,8% Alkohol bei 0,4 Gramm Restzucker machen den furztrockenen Wein zu einem tollen Essensbegleiter für Weißfisch und ähnlich zarte Lebensmittel. Ein Mittagswein, wenn man denn mittags Wein trinken mag.

Meister der Herzen

Ich glaube nicht an Bestenlisten in Weinführern. Ein Probeschluck, ob nun 5 oder 10 Zentiliter, und 10 Minuten Zeit pro Wein, dazu 20 bis 50 ähnliche Weine in einer Reihe – meiner Meinung nach kommen dabei hübsche Augenblicksbetrachtungen heraus. Ich nehme gerne an Proben teil, auch an solchen, bei denen die Rahmenbedingungen den obigen ähneln, aber ich betrachte sie eher als Gesellschaftsspiel mit hohem Genussfaktor, bei dem man nebenbei Weine in drei Kategorien einteilen kann: eher gut, eher schwach und ‚polarisierend‘.

Aber bei aller kritischen Distanz lese ich gerne Probenberichte und nehme sie mir teilweise zu Herzen. Seit einigen Jahren verfolge ich jeden Herbst die diversen Berichte von den Vorstellungen der Großen Gewächse des VDP. Ich sauge aus allen Quellen: den Blogs einiger Profis und Amateure, den Deutschen Foren und sogar Zeitungen und Zeitschriften. Dabei versuche ich dann den einen Wein zu filtern, der irgendwie überall (naja, fast überall) als besonders dargestellt wird. Viele Weine polarisieren, etliche haben Fans, die kein böses Wort über ihren Lieblingswein oder Winzer sagen würden. Und es gibt die Weine, die jedes Jahr ganz vorne dabei sind. Deswegen ist dieser Vorgang nicht messbar sondern eine reine Gefühlssache. Aber irgendwie klappt es immer und irgendwann ist es soweit.

Nach langer Lektüre reift in mir der Eindruck: der ist es. Und den kaufe ich mir dann.

Ich kaufe auch andere, habe Stammwinzer, Emrich-Schönleber und Keller finden immer automatisch Einzug in meinen Keller. Aber in den letzten Jahren immer auch der gefühlte Primus, der ‚Meister der Herzen‘. 2004 war das der Uhlen R von Heymann-Löwenstein, 2005 der Kanzem Altenberg 1. Lage trocken von von Othegraven und 2006 das Dellchen von Dönnhoff. 2007 musste ich nicht extra einkaufen, denn es war Schönlebers Halenberg und in 2008 ist es Wittmanns Morstein.

Zu der Prozedur gehört auch das Ritual einer früh getrunkenen Flasche. Die größte Verschwendung war das beim Löwenstein, der größte Genuss beim Altenberg. Bis zu diesem Jahr. Die neue Bestmarke setzte dieser Tage der Morstein. Ich habe beschlossen, die restlichen 3 Flaschen dieses Zauberweins alle in der Jugendphase zu trinken.

Westhofen Morstein Riesling Großes Gewächs, 2008, Wittmann, Rheinhessen. In Nase und am Gaumen Aprikose und Bratapfel, Orangenschale, damit gar nicht so jugendlich, wie man es vielleicht erwarten würde. Sehr kompakt und straff mit einer knackigen Säure, die verhindert, dass der Wein bei aller Kraft (und 13% Alkohol) fett wirkt. Im sehr langen Abgang viel Mineralik und ein feiner Bitterton, den ich sehr animierend finde (während meine Frau ihn sehr bemängelte).