Der Ausflug war sehr schön

Ich hatte eine Affäre! Mit Dirk Würtz. Kurz war sie und heftig. Deswegen war hier so wenig zu lesen. Aber ich habe Schluss gemacht. Nun kann mein Leben weiter gehen. Ich habe den Kopf wieder frei.
Ich war ein paar Tage im Urlaub an der Mosel und habe unter anderem sechs Winzer besucht und ein paar Gastbeiträge für das Blog Würtz-Wein geschrieben. Gute und hervorragende Weine habe ich probiert. 2011 war ein sehr gutes Jahr an der Mosel, wenn auch kein ganz großes. Zwischendurch habe ich meine Eindrücke niedergeschrieben. Das war nervenaufreibend. Im Schnutentunker habe ich im Schnitt 50 Leser am Tag. Wer einen Rechstschreibfehler findet, darf ihn behalten. Mir ist hier nix peinlich. Bei Würtz-Wein verzeichneten meine Artikel mehr als 10.000 Seitenaufrufe am Tag. Da plagten mich Visionen von Heerscharen von Deutschlehrern, die die Kommentarspalten des Blogs mit Hinweisen auf fehlende Kommata füllen. Ich habe meine Ängste in Alkohol ertränkt, war zum Glück ein sehr guter Jahrgang, wenn auch kein ganz großer. Jetzt geht es hier wieder mit normaler Schlagzahl und in kleiner Auflage weiter. Auch wenn der Flirt mit der Reichweite ganz hübsch war, es hat Vorteile, vor sich hin zu werkeln.
Franzen, ,Der Sommer war sehr groß‘, Riesling trocken, 2011, Mosel. Die Lagencuvée ist vom Ausgangsmaterial eine Spätlese. Sie ist in der Nase herrlich fruchtig und absolut Rieslingtypisch mit Aprikose und Aloe Vera, überdeckt von ein bisschen Hefe. Am Gaumen wirkt der Wein ein bisschen mollig, weil die Säure dezent ist und er nur mittelmäßig trocken schmeckt. Schöne Frucht (Aprikose und Melone), ein bisschen Pistazie und eine sehr kräftige Mineralik – das ergibt einen wunderbaren Riesling. Der Abgang ist sehr lang.

Ich sprech‘ Weinisch

,Spiele sind Snacks für‘s Gehirn‘ schrieb ein weiser Soziologe aus Amerika, als in den 90ern das Phänomen der Computerspiele die breiten Massen (und Büros) erreichten. Der Gehirn-Snack des 21. Jahrhunderts ist für mich facebook. Immer, wenn ich im Büro eine Arbeit erledigt habe, gönne ich mir zwei Minuten Zerstreuung mit den sozialen Medien. Leider reicht die Zeit selten um mit zu diskutieren. Das könnte ich dann am Wochenende, aber da sind die meisten Diskussionen schon gelaufen.

Also schreibe ich meine Beiträge hier ins Blog. Das hat den Vorteil, dass ich aktuelle Themen mit aktuellen Weinen verknüpfen kann – und die Beiträge bleiben mir erhalten und verschwinden nicht in den undurchsuchbaren Archiven facebooks. Einziger Nachteil ist, dass ich etwas spät bin mit meinen Thesen, sozusagen den kalten Kaffee noch mal aufwärme.

Vergangene Woche drehte sich viel um Sprache. Das Weinportal Wein Plus hatte zum ersten Mal seit langer Zeit von sich reden gemacht, indem es ein Konsensgespräch (denn so richtig gestritten wurde nicht) veröffentlichte, in dem sich Weinkritiker und -händler darauf einigten, dass Wein eine neue Sprache benötige, um die breite Masse zu erreichen.

Viel Richtiges und Wichtiges wurde dazu gesagt in diversen Weingruppen auf facebook und auch im Blog vom Würtz. Doch einen Aspekt habe ich so ein bisschen vermisst, der zwar hier und da angedeutet aber nie auf den Punkt gebracht wurde.

Sprache ist ein Kode, der von einer Gruppe von Personen zur Kommunikation genutzt werden kann, die gemein haben, dass sie den Kode beherrschen. Jede Weinsprache, egal ob alt oder neu, grenzt mithin jene aus, die sie nicht kennen. Wein den Massen näher bringen kann man  einzig, indem man die Sprache der Massen verwendet, in diesem Fall also Deutsch.

Das klingt banal, ist es aber nicht. Ich glaube fest, dass Wein eine eigene Sprache verdient, zumindest da, wo allgemeines Deutsch nicht ausreicht. Für den einen bitzelt es auf der Zunge, für den anderen kratzt es, dann hat sich das Deutsch auch schon erschöpft – wo Weintrinker mit begriffen wie mineralisch, grün, phenolisch oder schlicht ,von (zuviel) Gährkohlensäure geprägt‘ für sehr unterschiedliche Formen des Bitzeln und Kratzens erhellende Formulierungen finden. Die häufig geäußerte Forderung, sich kurz zu fassen bei den Weinbeschreibungen, haut mit Fachvokabular vermutlich besser hin.

Aber es kommt auf einen Versuch an. Also beschreibe ich heute mal zwei Weine mit Worten, die jeder kennt und beschränke mich auch auf Aromen, die jeder identifizieren kann, der älter als 12 Jahre und schon einmal in einer Küche gewesen ist.

Wein 1. In der Nase ist der Wein intensiv, er wirkt regelrecht parfümiert oder duftig. Eine bestimmte Frucht lässt sich schwer benennen, vielleicht Birne. Vor allem riecht er nach Heu und ein wenig nach Nuss, außerdem blumig und zu einem erheblichen Teil nach Trauben (was bei Wein ja witzigerweise eher selten vorkommt). Im Mund ist der Wein viel leichter, als man dem Geruch nach vermutet hätte. Er schmeckt mild, hat keinen sehr intensiven Eigengeschmack und wirkt sehr leicht, auch weil er nur 11,5% Alkohol hat. Das ist ein Wein für warme Abende, den man auch zur Schorle verdünnen kann, wenngleich er dafür vielleicht zu gut ist. Er hat sehr wenig Säure, ist überhaupt nicht kratzig oder anstrengend. Der Geschmack erinnert mich sehr an den Saft von Dosenmandarinen, wenn man sich nur das Aroma vorstellt und jegliche Süße wegdenkt, denn der Wein ist absolut trocken. Der Nachhall dauert mittelmäßig lang. Ich finde den Wein sehr gut, weil er ausgesprochen süffig und sommertauglich ist, ohne banal zu sein – einfach und lecker. Eine echte Granate ist er, wenn man bedenkt, dass der Wein gerade einmal 5,20€ kostet.

Zwei mal gelesen und über drei Tage mit dem Wein verglichen, finde ich das Ergebnis dieser Beschreibung sehr nah an den Sinneseindrücken. Ich habe nicht dazu geschrieben, welcher Wein es war. Wer Lust hat zu raten, hinterlässt einen Kommentar. Irgendwann im Laufe der Woche kommt die Auflösung. Hier noch ein zweiter:

Wein 2. Steckt man die Nase ins Glas, dann riecht das, als beuge man sich in der Küche über eine Arbeitsplatte, auf der gerade jemand zweieinhalb Kilo rohes Rinderfilet zu Tournedos geschnitten hat. Ein Zweig Thymian und Rosmarin liegen auch schon bereit. Leider hat sich der Koch heftig in den Finger gechnitten, denn es riecht nach Blut. Frucht hingegen ist Mangelware. Wenn man sich ganz doll einbildet, da müsse auch Frucht zu erschnuppern sein, findet man vielleicht Himbeeren. Im Mund entsteht dann der Eindruck, man sei selber der Koch gewesen und stecke sich zwischendurch immer mal den blutenden Daumen in den Mund, aber das ist nur ein Aspekt. Es fällt zunächst auf, dass der Wein einiges an Säure besitzt, er ist nicht besonders dick und dieses schöne (oder furchtbare) pelzige Mundgefühl, dass der leckere Australier immer macht, das sucht man hier vergebens. Er wirkt kühl und frisch, wie ein Mentholbonbon (aber nicht so extrem), schneckt auch ein bisschen fruchtig süß (da ist tatsächlich Himbeere). Im Nachhall ist der Wein von der Säure geprägt und von einem leichten Kratzen. Der Wein hat 13% Alkohol aber das merkt man nicht. Er wirkt sehr lange nach und zieht die Säfte im Mund zusammen, so dass man immer mehr davon trinken möchte. Den findet man entweder schrecklich oder wird süchtig davon. Nennt mich Junkie!

Der erste Wein war eher einfach zu beschreiben. Beim zweiten musste ich zumindest auf Aromen zurück greifen, die ein Mensch ohne Weinerfahrung vermutlich nicht sofort assoziiert. Aber wenn der Wein für jemanden mit einer gewissen Trinkerfahrung doch so schmeckt? Man kann versuchen, das Wort ,Abseits‘ durch den Terminus ,Wenn der Schiri pfeift und die Frauen verstehen nicht warum‘ zu ersetzen (da geht sie hin, meine weibliche Leserschaft), aber würden sich dann mehr Damen für Fussball interessieren? Dazu müsste man das Abseits an sich abschaffen, was vermutlich den Fußball ruinierte. Was ich sagen will: Wir lieben doch komplexe Weine. Und solange diese so schmecken, wie sie schmecken, benötigt man ein wenig Vokabular, das zumindest nicht alltäglich ist. Dieses auf ein Minimum zu reduzieren, ist vornehme Pflicht jedes Weintrinkers, der sich öffentlich dazu äußert. Oder auf Deutsch: weniger wichtig machen, niemals Leute mit weniger Ahnung ausgrenzen, dann darf man Wein auch mineralisch nennen.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Als ich vor Jahren das Internet als Quelle des Weinwissens entdeckte, tobten in den einschlägigen Foren Diskussionen, die erbittert zu nennen mir noch untertrieben scheint. Zum einen ging es dabei um die Frage, ob man Moste irgendwie anders als spontan vergären sollte (eine Diskussion, der ich mich hier gewidmet habe und die ich jetzt nicht wieder hervorholen will), zum anderen um die Deutungshoheit bei der Gärunterbrechung. Zur Erklärung: bei der alkoholischen Gärung wird Zucker in Alkohol gewandelt und dieser Prozess setzt sich theoretisch fort, bis kein Zucker mehr übrig ist. Um einen Wein mit gewünschtem Restzucker zu erhalten, kann der Winzer den Wein machen lassen, bis er fertig ist und dann mit der sogenannten Süßreserve (unvergorener Most, der vorher beiseite gestellt wurde) wieder Zucker in den Wein füllen oder er unterbricht die Gärung an dem Punkt, an dem noch so viel Zucker unvergoren ist, wie er gerne in seinem fertigen Wein sehen würde. Letzteres führt zu deutlich weniger Alkohol im fertigen Wein als ersteres und wird daher gerne bei hochwertigen Ausgangsmosten angewendet. Die Gärunterbrechung erfolgt zum Beispiel durch starke Kühlung und anschließende Filtration. Dass die Gärung später nicht von allein wieder startet, verhindert dem Wein zugesetzter Schwefel.

Diese von Kritikern verächtlich ,gestopptes Zeug‘ genannten Weine erleben derzeit eine Renaissance und werden von Befürwortern als die Krone Deutschen Weinschaffens angesehen. Fragt man einen beliebigen Winzer, wie sein restsüßer Wein zustande kommt, geben meiner Erfahrung nach keine zwanzig Prozent zu Protokoll, sie hätten ihn abgestoppt. Über 80% erzählen, man sei so glücklich, dass die Gärung ganz spontan bei diesem Zuckerwert zum erliegen gekommen sei.

Schwefel macht Weine nicht nur mikrobiologisch stabil, sondern auch haltbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob er dem Wein abschließend zugesetzt wird, oder sich auf natürliche – aber unerwünschte – Weise während der Gärung im Wein konzentriert. Viele spontan vergorenen Weine entwickeln nämlich während der Gärung einen dem Weinfehler Böckser sehr ähnlichen Schwefelwasserstoffton, den Weinfreunde gerne verharmlosend einen ,Sponti-Stinker‘ nennen und dem gerade Deutsche Rieslingtrinker erstaunlich tolerant gegenüber sind. Die Kombination aus Spontangärung, Abstoppen und Schwefeln ist eine weit verbreitete Produktionsmethode bei Spitzenbetrieben. Die so entstehenden Weine glänzen mit Langlebigkeit.

Ich hatte vorletzte Woche Besuch von Menschen, die einiges von Wein verstehen. Wir tranken diverse blind servierte Weine und meine Gäste lagen meist nicht weit daneben, wenn es darum ging zu bestimmen, was ich ihnen da kredenzte. Nur einmal musste ich innerlich schmunzeln, als die Runde darüber diskutierte, ob ein nicht ganz trockener Riesling in ihrem Glas aus dem Jahr 2009 oder 2011 stammt, der tatsächlich schon 1993 seinen Weg in die Flasche fand. Es handelte sich um eine hier bereits ausführlich besprochene 1993er Auslese aus dem Hause Thanisch, bei der die Spontangärung zu einem schweren Böckser geführt hatte, weswegen es schlappe 18 Jahre dauerte, bis er reuelos genießbar war. So frisch kann Schwefel halten.

Wie der Zufall es will, hat mein vinophiler Internetfreundeskreis diese Woche die zu diesem Erlebnis passende Sau durchs Dorf getrieben. Auf facebook und später auch in einem Blog ging es unter anderem um die Frage, wie viel Schwefel der Wein braucht und ob die oft recht schwefelhaltigen Deutschen Rieslinge überhaupt noch zeitgemäß sind. Dabei bekamen sowohl die ,Spontis‘ ihr Fett weg als auch restsüße Rieslinge im Allgemeinen.

Nun sind es die ganz trockenen Weine häufig aus südlichen Gefilden, die entsprechend nicht noch einmal zu gären anfangen und von einigen Extremwinzern gänzlich ohne Schwefel gefüllt werden, die eine Gruppe vorwiegend junger Weinenthusiasten aufs Schild hebt. Die Revolution frisst Ihre Kinder stelle ich fest, wenn ich lese, wie diejenigen unter Feuer genommen werden, die damals noch junge Weinfreunde vor zehn Jahren als revolutionäre Avantgarde feierten. Und noch etwas kommt mir in den Sinn: Es ist eigentlich die gleiche Diskussion wie vor zehn Jahren, nichts hat sich verändert, nur das Spielfeld ist breiter geworden. Der Eine publiziert auf der Website der Süddeutschen Zeitung sein Loblied auf das ,gestoppte Zeugs‘, der Andere schreibt in einer facebook-Gruppe, der Dritte antwortet in seinem Blog und ich versuche mich an einer Zusammenfassung in meinem. Hätte man alle Protagonisten wie vor zehn Jahren in ein Forum gesperrt, wären zünftig die Fetzen geflogen. Ob das jetzt einen Fortschritt darstellt, ist genau so Geschmacksache wie spontan vergorener Riesling.

Markus Molitor, Bernkasteler Lay, Riesling Spätlese trocken, 2007, Mosel. In der Nase am ersten Tag ein hoffnungsloser Stinker, einer von der Sorte, bei dem ich die Nase nicht mehr tief ins Glas stecken mag, um darunter liegende Aromen zu erschnüffeln. Am zweiten Tag ist der zumindest ein wenig verdampft und es zeigt sich Aprikose, Grapefruit und angeschlagener Feuerstein (was ja irgendwie auch in die Stinker-Richtung geht). Am Gaumen ist der Wein sehr frisch, wird am zweiten Tag cremig, zeigt über die gesamte Zeit wenig Frucht, extreme, kalkige Mineralik, Pistazie, Holunder. Der Riesling ist von mittlerem Volumen, wirkt sehr trocken, was er vermutlich gar nicht ist, denn irgendwo muss der Zucker bleiben und der Wein hat gerade mal 12% Alkohol (die zu keiner Zeit dominieren). Der Abgang ist nur mittellang, sonst wäre er eine Granate – so ist er ein sehr guter Wein.

Mein erstes Mal mit siebzehn

Als ich anfing mich mit Weinen zu beschäftigen, drehte sich für mich alles um die Frage, was mir schmeckt oder nicht schmeckt und vor allem, warum. Dass man Weine auch bepunkten kann, fand ich schnell heraus, da kaum ein Weinführer auf Punkte verzichtet, auf die Idee, dieses selber zu tun, kam ich zunächst nicht.

Nachdem ich ein ungefähres Koordinatensystem hatte, welches mir half, meine geschmacklichen Eindrücke in Worte zu fassen und Vorlieben und Abneigungen zu benennen, traute ich mich unter Leute. Ich traf auf einige, die dem Wein mit ähnlicher Leidenschaft aber deutlich mehr Erfahrung begegneten. Die luden mich ein in ihre Probenrunden und so lernte ich ganz automatisch zu punkten. Denn wenn man Weine in einer Probe gegeneinander antreten lässt, will man Sieger küren und das geht am besten, indem man Noten verteilt.

Mit fast kindlichem Eifer bepunktete ich fortan alles, was mir ins Glas kam und aus Trauben gefertigt war (bei Saft konnte ich mich gerade noch beherrschen). Und ich definierte eine eigene Skala, die Punkte in Worte übersetzen sollte. Ich ging sogar so weit, Weine zu bepunkten, die ich gar nicht mochte und dabei trotzdem noch wohlwollend zu urteilen, wenn ich meinte, eine gewisse Qualität zu erkennen, weil ich vermutete, die Königsdisziplin wäre das ,neutrale‘ Beurteilen jenseits der eigenen Präferenz.

Dann fing ich an zu bloggen und dachte, ein Weinblog sei nur so gut wie sein Bewertungssystem ausgeklügelt ist. Zum Glück bin ich lernfähig und halte nicht krampfhaft an Überzeugungen fest. Nach einem halben Jahr reifte langsam die Erkenntnis, dass Punkte überbewertet sind. Ich las und hörte Meinungen, die davor warnten, dass die unsäglichen Punkte nur dazu führen, dass sich niemand mehr die Mühe macht, vernünftige Beschreibungen zu formulieren. Aromen auflisten, Fülle und Länge beschreiben, punkten – fertig.

Also hörte ich mehr oder weniger auf, Punkte zu verteilen. Es gibt zwei Ausnahmen. Zum einen sind das Probensituationen (die ich im Blog aber kaum verarbeite), in denen ich Punkte für richtig und wichtig als Gedächtnisstütze halte. Und es gibt diese magischen Weine, die mehr sind als einfach nur sehr gut. Wenn meine Augen zu leuchten beginnen, dann nimmt der Wein eine Hürde, die die meisten Weintrinker als 90 Punkte definieren. Und dann finde ich es hilfreich, die verkürzte aber aussagekräftige Formulierung ,jenseits der 90 Punkte‘ zu verwenden.

Vorletzte Woche sah ich mich ganz unerwartet mit der Situation konfrontiert, dass ich um Punkte für einen Wein gebeten wurde. Um die Komplexität zu erhöhen, galt es dazu, im von mir noch nie verwendeten 20er System zu punkten und damit richtig Druck entsteht, war die Nachfrage nach dem Punkte-Urteil verbunden mit der Bitte, dieses auch eventuell in der Zeitschrift Weinwisser veröffentlichen zu dürfen. Schweißperlen!

Manchmal muss es Traminer seinEs ging um meinen Beitrag zum Gewürztraminertag auf Facebook. Der Wein hatte mir sehr gut geschmeckt und meine Begeisterung war ungebremst in die Beschreibung geflossen. Da Initiator Stephan Reinhardt überlegt, die interessantesten Weine des Abends in das Magazin zu übernehmen, dessen Inhalt er verantwortet, kam ich seiner Bitte nach. Dabei lernte ich dann auch gleich, dass die magischen 90 sich zu 17 Punkten übersetzen, wenn man das 20er System verwendet. Wohlan, hier also mein erster Wein mit 17 Punkten.

Zillinger, Traminer ,in Haiden‘, 2006, Niederösterreich. Der Traminer ist in der Nase und am Gaumen sehr sortentypisch. Das ist gut, da kann man die Aromen einfach irgendwo abschreiben, Punkte dran und fertig. Lieber das Zitat aus der ursprünglichen Besprechung von Facebook: Ganz im Ernst: das ist ein voller, furztrockener, wenngleich leicht alkoholsüßer Wein, der vor allem hammerstraff und mineralisch und dadurch nicht unangemessen fett ist. Hat viel Tiefgang und Länge. Die Aromen sind tatsächlich typisch, Rose und Litschi die Stichworte. Später schrieb ich noch: nach zwei Gläsern gebe ich aber auf. Morgen ist auch noch ein Tag. Drei Tage sind draus geworden, ehe die Flasche leer war, aber das liegt nicht daran, dass der Wein zu schwer wäre. Traminer ist einfach speziell – und in diesem Fall sehr gut!

Käufliche Liebe

Deutschlands Food- und Weinblogger sind dem Kommerz abgeneigt. Ich schrieb vor einiger Zeit über den vergeblichen Versuch einer italienischen Kellerei, gegen Bezahlung ihr annehmbares PR-Video in deutschen Blogs unterzubringen. Während solcherlei Vorgehen in anderen Ländern (und hierzulande in anderen Branchen) so üblich ist, dass es schon einen eigenen Begriff dafür gibt (,Seedmarketing‘), will‘s in der Weinszene nicht gelingen.

Einige Händler und Produzenten beschreiten jetzt einen neuen Weg: Sie heuern Weinblogger als Botschafter, Autoren oder PR-Agenten an. Diese wiederum bringen den nötigen Stallgeruch mit, um in der hiesigen Weinszene etwas zu bewegen und werden lange nicht so angefeindet wie die ,professionellen Kritiker‘ – in der Deutschen Internet-Weinwelt gibt es eine merkwürdige Abneigung zwischen engagierten Laien und professionellen Verkostern, die Außenstehenden kaum zu vermitteln ist.

Einer derjenigen, die mit der Repräsentanz seiner Sponsoren einen Teil des Lebensunterhaltes bestreitet, ist Torsten Goffin, der die Blogs ,Glasklare Gefühle‘ und ,Allem Anfang…‘ schreibt und auch auf Facebook zum Thema Wein aktiv ist. Als er neulich einen Wein zur Verlosung ausschrieb und ein einfacher Kommentar zur Teilnahme am Gewinnspiel berechtigte, meldete ich mich spontan zu Wort. Dass das eventuell Folgen haben könnte, zog ich gar nicht in Betracht – hab‘ sowieso noch nie was gewonnen, dachte ich mir. Doch dann entnahm Torsten meinen Namen aus der Lostrommel und ich erhielt den edlen Tropfen. Was tun? Egal – bedanken, entgegennehmen, trinken, berichten (und zwar das volle Programm) und fertig. Dies ist also der kommerziellste Artikel, der im Schnutentunker je erschienen ist.

Liebevoller Südfranzose,Wein wenn Du kannst‘ lautet der Name des preisstiftenden Händlers und er beschreitet einen neuen Weg in der Weinvermarktung. Die Präsentation des Shops und die Anzeigen sind eher cool und durchgestylt. Den Ansatz, die Weine des Sortiments nach Schlagworten wie Mut, Lust oder Liebe zu kategorisieren, finde ich innovativ, lustig und zum Scheitern verurteilt. Aber da ich vermutlich nicht die Zielgruppe des Händlers bin, hoffe ich sehr, mich zu irren. Denn jeder, der versucht, die Weinwelt ein wenig zu entstauben, ist mir grundsympathisch und meiner besten Wünsche Ziel. Der Wein, den ich gewann, war ein Ch9dP (um auch noch die wahnsinnigste Abkürzung der Weinwelt in diesem Artikel unterzubringen) – eine Weingattung, die fast so viele überteuerte Tropfen bereit hält wie Bordeaux. Dort einen guten zu einem fairen Preis herauszusuchen, ist eine respektable Leistung. In diesem Sinne: Danke Torsten, Danke ,Wein wenn Du kannst‘ – und genug der Werbung…

Domaine du Grand Tinel, Châteauneuf-du-Pape (AOC), 2005, Südfrankreich. In der Nase Kirsche und Blaubeere aber vor allem ein deutlicher Stinker: Kuhstall und Bret – nicht angenehm aber erträglich. Am Gaumen ist der Wein ziemlich trocken, die Frucht in Form von Kirsche ist nicht sehr dominant, Schokolade kommt mir noch in den Sinn, die Säure ist mäßig ausgeprägt, reichlich weiches Tannin machen den Wein voll und geschmeidig, der Alkohol ist gut eingebunden. Der lange Abgang ist sehr mineralisch, der Wein sehr gut. Am zweiten Tag gibt es den Wein zum Essen. Da wirkt er ebenfalls voll jedoch mit mehr Frucht (wieder Kirsche) und kräftiger Säure, schmeichelnder aber auch etwas alkoholischer. Er ist insgesamt ein ziemlicher Brummer, der vermutlich alle Attribute besitzt, die man sich von einem Wein erwartet, der unter dem Stichwort ,Liebe‘ zum Kauf angeboten wird.