Gräfenberg und Turmberg

Unser Berg soll schöner werden

Die Entstehungsgeschichte des neuesten deutschen Spitzenweines ist kurios, finde ich. Machen Sie sich ein eigenes Bild.

Neulich erhielt ich eine Pressemitteilung, die mich einigermaßen von den Socken haute. Sie las sich für mich, als hätte Wilhelm Weil mit fliegenden Fahnen die Fronten gewechselt. Vielleicht hatte ich auch nur den falschen Filter vor dem Sprachzentrum. Entscheiden Sie selbst. Ich füge sie am Ende des Textes an. Zum Verständnis des eigentlichen Sachverhaltes ist sie allerdings nicht zwingend nötig. Dieser lautet in der Kurzform: Das Weingut Robert Weil lanciert einen neuen Wein. Es handelt sich um einen trockenen Riesling namens Monte Nostrum. Dieser kommt jeweils rund 18 Monate nach der Ernte auf den Markt und die weltweite Distribution erfolgt über den ‚Place de Bordeaux‘.

Davon ausgenommen sind die Magnumflaschen des Rieslings, deren Vertrieb exklusiv über die Rheingauer Weinversteigerung ein weiteres Jahr später erfolgt. Die Premiere sollte allerdings in umgekehrter Reihenfolge stattfinden, erst versteigert das Weingut die 21er Magnums am 2. März im Rheingau, dann erscheint am 2. April der 22er-Jahrgang in Einteln über den Place de Bordeaux. Über die Eintel des 21er beziehungsweise ob es solche überhaupt in größerer Stückzahl gibt, schwieg sich die Pressemitteilung aus. Auch der zu erwartende Preis des 22ers war der Meldung nicht zu entnehmen.

Ein Wein aus mehreren Lagen?

Der eigentliche Schocker für mich fand sich in einer Formulierung zur Herkunft des neuen Weines. 

Dies ist der MONTE NOSTRUM-Riesling, der aus den kühlsten Parzellen der Kiedricher Berglagen stammt. Diese Herkunft macht ihn zu einem kristallklaren, geschliffenen, mineralischen Riesling und das bone-dry mit enormem Zug. 

Pressemitteilung des Weinguts Robert Weil

Ein beiliegendes Informationsblatt (auch unter diesem Artikel zum Download bereitgestellt für alle, die es genau wissen wollen) führte dann aus, der Wein stamme aus den ‚höchsten und kühlsten Parzellen des Kiedricher Bergs über den klassifizierten Crus Turmberg und Gräfenberg entlang des Bergkamms‘.

Missverständnisse haben ihre Ursache meist im Zusammenspiel von Sender und Empfänger. Und beim Empfänger Bodmann kam an: der Monte Nostrum ist eine Lagencuvée aus Gräfenberg und Turmberg. Sakrileg hoch drei: Erste und Große Lage vermengt, ein trockener Wein qualitativ oberhalb des GG und dann eine Bezeichnung vollständig außerhalb der Klassifikation – und das von Weil?

Der Verkostungsraum im Weingut mit Panoramablick auf den Kiedricher Berg

Fangen wir mit meinem Anteil am Missverständnis an. Blickt der – meist tief beeindruckte – Besucher des Weinguts aus dem Panoramafenster des Verkostungsraumes des Weingutes, dann liegt ihm gegenüber in ganzer Pracht der Gräfenberg. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, genau nachzufragen. Sonst hätte ich wohl erfahren, dass der obere Teil des Panoramas nicht mehr zum Gräfenberg gehört. Dort liegt die Kiedricher Wasseros, die den Gräfenberg auch rechts und links einrahmt und sich so zwischen Gräfenberg und Turmberg schiebt. Sie geht dann noch oberhalb des Turmbergs weiter und rahmt auch diesen auf beiden Seiten ein.

Mit 32 Hektar ist sie mehr als doppelt so groß wie Gräfenberg und Turmberg zusammen. Womit wir beim Anteil des Weinguts an unserem Missverständnis wären: Die ‚höchsten und kühlsten Parzellen des Kiedricher Bergs‘ gehören allesamt zu diesem Areal und der ‚Monte Nostrum‘ ist somit nichts anderes als ein trockener Riesling aus der Ersten Lage Wasseros. Das steht nur so nicht in der Pressemitteilung. Vielleicht, weil der oberhalb des Turmbergs gelegene Teil der Wasseros nicht als VDP.Erste.Lage klassifiziert ist. Vielleicht, weil Wasseros zu profan klingt. Und ganz so profan sollte man die Sache auch nicht darstellen.

Nicht gekümmert heißt abgestuft

Da ist zum einen die Klassifikation der eigentlichen Lage, die nicht unbedingt ist, was sie zu sein scheint. Das Weingut Weil ist als einziger VDP-Betrieb in der Wasseros begütert. Zuletzt auf ein Etikett geschrieben hat Wilhelm Weil den Namen gegen Ende des letzten Jahrhunderts, rund 15 Jahre bevor seine Weinberge in Große und Erste Lagen unterteilt wurden. Dies geschah im Rheingau später als im Rest der Republik, weil der dortige VDP eine Weile versucht hatte, einen gemeinsamen Nenner mit dem örtlichen Weinbauverband und somit eine Brücke zwischen dem VDP-Modell und der historischen Lagenklassifikation des Rheingaus zu finden.

Wilhelm Weil bei der Präsentation des Monte Vacano 2020 auf dem Weingut

Nach dem Platzen des Traums stufte der VDP etliche der anno dunnemals großzügig mit Legendenstatus versehenen Lagen ab. Betroffene Winzer konnten gegebenenfalls Teilmengen ihrer Gemarkungen vor diesem Schritt bewahren, teils kamen auch historische Parzellen ins Spiel. Gutes Beispiel, weil beide Fälle vorliegen, ist das Lenchen: Das rund 130 Hektar große Oestricher Lenchen wurde nicht zur ersten Lage degradiert, es schrumpfte jedoch in der klassifizierten Fläche um fast hundert Hektar. Gleichzeitig bekam die von Spreitzer bewirtschaftete Untergemarkung Lenchen Eiserberg den Status der Großen Lage zuerkannt. Heute hat das offizielle Lenchen also 130 Hektar, die VDP-Version 30, in der restlichen Fläche befindet sich die Große Lage Lenchen Eiserberg und rund 90 Hektar im oberen Teil der Lage werden vom VDP als Guts- und Ortsweinflächen betrachtet. So kam ich auf die irrige Idee, bei den ‚Parzellen oberhalb der Crus Turmberg und Gräfenberg‘ handle es sich um solche ausgemusterten Flächen.

Abstufungen zur Ersten Lage mit historischen Parzellen als Großer Lage, eine in anderen Anbaugebieten exzessiv auftretende Variante, finden sich im Rheingau wenige, etwa der Rauenthaler Gehrn (Erste Lage) mit dem Gehrn Kesselring (Große Lage) darin. Wilhelm Weil hat sich nach eigener Aussage damals nicht darum gekümmert und später das Thema nie nachbearbeitet. Sowohl Turmberg als auch Wasseros sind in der historischen Lagenkarte des Rheingaus zumindest teilweise mit Grand-Cru-Status versehen. Es hätte im Zweifelsfall niemand dem ewigen Vorsitzenden des Rheingauer VDP-Charters ein Upgrade einzelner Parzellen verweigert. Allein: Weil erzählt seit über dreißig Jahren die Geschichte vom Gräfenberg als dem Kiedricher Grand Cru.

Eine einzige Ausnahme machte er mit der Einführung des Edel-Rieslings ‚Monte Vacano‘. Mit dem Jahrgang 2018 hatte er eine Parzelle mit historischem Familienbezug aus dem Gräfenberg-GG herausgelöst und einzeln gefüllt. Die Eintel gehen per Subskription ab Weingut an Stammkunden, die Magnums kommen in Kloster Eberbach bei der Rheingauer Versteigerung unter den Hammer. Die Trauben des Monte Vacano machten in manchen Jahrgängen fünf Prozent des Gräfenberg GGs aus. Diese Änderung in der Zusammensetzung könne niemand herausschmecken, ist sich Weil sicher. Gleichzeitig liegt die entsprechende Parzelle an einer Art Falte im westlichen Gräfenberg, hat eine leichte Ostexposition und dadurch einen vom Gräfenberg unterscheidbaren ‚Terroir-Geschmack‘ (Wortwahl des Autors, kein Weil-Zitat).

Beifang aus dem 12. Jahrhundert

Für den ‚Monte Vacano‘ war Weil-Adlatus Jochen Becker-Köhn tief in diverse deutsche Archive gestiegen. Er fand eine Urkunde, die der von Weils Ur-Ur-Großmutter als Mitgift in die Ehe mit Weingutsgründer Robert Weil eingebrachten Parzelle einen besonderen Wein-historischen Anstrich gab. Im Zuge dieser Recherche stieß Becker-Köhn noch auf eine zweite Urkunde, die die Errichtung einer Burg namens ‚Castellum Nostrum‘ im Jahr 1160 mit dem Schutz der an deren Fuße liegenden Weinbergslagen in Verbindung bringt. Die Reste dieser Anlage finden sich oberhalb der Parzellen aus denen dieser Wein stammt. Weil und Becker-Köhn machen keinen Hehl daraus, dass das Projekt ein Beifang des Monte Vacano war.

Doch ließen die beiden den Monte Nostrum zunächst in der Schublade liegen. Die Gründe waren profan. Die Wasseros durchlief im letzten Jahrzehnt im fraglichen Abschnitt eine große Flurbereinigung. Die in Frage kommenden Parzellen lieferten gerade erst wieder Trauben. Die waren immerhin schon gut genug für den Kiedricher Ortswein. Die obere Wasseros hatte aber das Potenzial zu den kommenden Stars zu gehören. Ihren guten Ruf verdankte sie Eisweinen und der Tatsache, dass sie in den ganz warmen Jahrgängen des 20. Jahrhunderts besonders elegante Rieslinge hervorbrachte. Das ist ein typisches Profil heutiger Klimawandelgewinnerlagen.

Kleine Planänderung am Telefon

Für den 2021er Jahrgang plante Weil den Start des neuen Weines mit Magnums zur Versteigerung. Die weiteren Pläne sind mir nicht bekannt. Sie spielen auch keine Rolle mehr, denn es kam ein Anruf aus Bordeaux. Im Gespräch zwischen Tür und Angel auf dem Rheingauer Gourmet- und Weinfestival erzählte mir Wilhelm Weil, dass das Unternehmen ‚Barre & Touton‘ ihn angerufen hatte, weil der Courtier einen trockenen deutschen Riesling in sein Portfolio aufnehmen wollte. Er sei sich sicher gewesen, dass die Franzosen eine Wunschliste hatten. Bei einem ‚Nein‘ seinerseits hätten sie den nächsten auf dieser Liste angerufen. Weil sah sich unter Druck. Lachend gab er mir zu verstehen, dass die Tatsache, dass er nicht wusste, wer der nächste gewesen wäre, ihn durchaus unter Strom setzte. Aber er habe nicht ‚Ja‘ gesagt, um einem Wettbewerber die Gelegenheit zu verweigern, sondern weil er nach kurzem Überlegen sicher war, dass der Monte Nostrum in Bordeaux gut aufgehoben ist.

Den Place de Bordeaux habe ich in einem langen Artikel für Meiningers Weinwirtschaft erklärt. Im hier online veröffentlichten Teaser sind die Passagen zu den Rollen von Courtier und Negociant frei zugänglich. Anlass damals war der Start des ersten trockenen deutschen Rieslings am Platz, des CO Liquid Earth von Battenfeld-Spanier. Der erste deutsche Winzer am Platz war schon zuvor Egon Müller (für ferne Märkte), der erste mit weltweiter Distribution außer dem Heimatmarkt Battenfeld-Spanier, der erste mit vollständiger Abwicklung durch das System dann die Domäne Serrig von Markus Molitor. Weil ist der erste, der von dieser vollständigen Abwicklung eine Ausnahme durch die Magnum-Versteigerung in Kloster Eberbach macht.

Die 21er-Magnums erzielten dort einen Zuschlagspreis von 300 Euro. Die 22er-Eintel starten am 2. April mit einem empfohlenen Verkaufspreis von 90 Euro (im Euroraum, internationale Preise werden nicht weit davon abweichen). Place de Bordeaux bedeutet eine für Deutsche ungewohnte Transparenz. Die Produzenten veröffentlichen ihre Ex-Chateau-Preise – beim Monte Nostrum 37,50 Euro – und die Courtiers kriegen eine feste Kommission. Die Negociants haben nur scheinbar eine fette Marge, denn sie verkaufen an Wiederverkäufer. Die gewünschte Entwicklung ist auch kein Geheimnis. Wer wie ‚Barre & Touton‘ mit sieben Negociants an den Start geht, erwartet zügig eine fünfstellige Flaschenzahl. Der Monte Nostrum wird keine Ultrararität. Trotzdem dürfte schon der zweite Jahrgang im Preis dreistellig werden.

Des einen Nutzen, des anderen Ballast

Die Distribution über den Place de Bordeaux verursacht Kosten. Der Käufer in Kanada profitiert dabei von eingeübten Abläufen und Skaleneffekten. Er zahlt vermutlich weniger für einen Monte Nostrum, als wenn dieser den klassischen Weg vom Weingut zum spezialisierten Importeur genommen hätte. Dem Interessenten im EU-Ausland wird sich kaum ein Unterschied ergeben. Es ist der deutsche Weinfreund, der viel Geld für eine Distribution zahlt, die er nicht braucht. Der hiesige Kunde fährt besser mit Turmberg Erste Lage und Gräfenberg GG. Deswegen erübrigt sich eine längliche Diskussion, wie der Monte Nostrum in die VDP-Klassifikation passt. Er ist relevant für Märkte und Veranstaltungen, auf die es Erste Lagen und Ortsweine nicht schaffen. Trotzdem war ich neugierig, wie er denn nun schmeckt. Wilhelm Weil hat mir freundlicherweise einen geschickt.

Monte Nostrum im Test

Robert Weil, Riesling trocken ‚Monte Nostrum‘, 2022, Rheingau. In der Nase Aprikose, Apfel, Pistazie und Aloe Vera – das riecht sehr angenehm und offen. Am Gaumen verschlossen mit nur etwas Aprikose, eher karg, aber auch ansatzweise saftig, mittelkräftige Säure, zarter Schmelz und dann kommt ein fester Kern aus viel Potential und Tiefgang, ohne Zuckerschwänzchen oder irgendwelchen Firlefanz. ‚Riesling pur‘ fällt mir ein, ohne dass es anstrengend wird. Sehr angenehm, aber noch embryonal. Interessanterweise zeigt der Wein über vier Tage kaum Entwicklung, wird am dritten Tag lediglich etwas zugänglicher. Ich finde, dass das der Thematik internationaler Spitzenriesling mit wirklich trockenem Geschmacksbild gerecht wird. Kommt nicht an die besten Gräfenberg GGs heran, dazu reicht die Komplexität nicht ganz. Andererseits ist das der zweite Jahrgang aus eher jungen Reben.

Wilhelm Weil hat nicht das Glück von Ehepaar Spanier-Gillot, die ihren CO Liquid Earth in einer nie klassifizierten Lage machen und daher einem Teil der Diskussion entgehen können. Ich verstehe seinen Ansatz, sich bezüglich der Herkunft etwas unbestimmt auszudrücken – erst Recht, wenn ein Teil der Trauben aus Wasseros-Parzellen oberhalb des Turmbergs stammen sollten, die im VDP nur für Ortsweine klassifiziert sind. Vielleicht habe ich nur auf dem Schlauch gestanden. Vielleicht tut Weil aber auch gut daran, die Kommunikation zum Monte Nostrum noch etwas spezifischer zu gestalten. Der Wein ist schon bestens gelungen.

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