Simple Genüsse (1)

Eine kleine Neuerung im neuen Jahr. Die Artikel, die bisher ‚Füllwein‘ übertitelt waren, haben eine neue Überschrift. Ansonsten gilt auch für die simplen Genüsse: Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für besonders befunden habe.

Chateau La Rousselle, 2005, Fronsac, Bordeaux. In der Nase sehr fruchtig mit Cassis, Brombeere und Himbeere, dazu Leder, Kaffee und deutlicher Alkohol. Am Gaumen ebenfalls sehr fruchtig mit reifen Beeren, Kirsche und wiederum Kaffee und Bitterschokolade. Der relativ kräftige Holzeinsatz ist schmeckbar, eine leichte Teer-Note gesellt sich zu kräftigem aber nicht unangenehmem Tannin. Der Wein ist von mittlerem Volumen, kräftig aber nicht breit, trotzdem könnte die Säure akzentuierter und der Alkohol (13,5%) zurückhaltender sein. Der Abgang ist sehr lang aber etwas holzig. Insgesamt ein sehr guter Wein, der mir in ein paar Jahren vielleicht mal richtig großartig schmecken wird. Verträgt derzeit etliche Stunden Luft.

Lothar Kettern, Piesporter Spätburgunder trocken ‚Barrique‘, 2007, Mosel. In der Nase zeigt der Wein sehr viel Holz, daneben verblassen die anderen Eindrücke von Erdbeere, Grenadine und Blut fast. Am Gaumen ist der Wein mitteldick und mittelmäßig druckvoll. Er kombiniert eine straffe Säure mit viel Frucht: Kirsche, Himbeere, (gekochte) Erdbeere. Der Wein ist leicht mineralisch, wird mit Wärme etwas cremig und zeigt eine deutlich rauchige Holznote. Der Alkohol von 13,5% tritt dezent auf, der Abgang ist lang. Vom ganzen Typus ist dieser Wein so etwas wie der kleine Bruder von diesem hier.

Günther Steinmetz, Kestener Paulinsberg, Riesling Kabinett trocken, 2007, Mosel. In der Nase eine Stinkbombe. Man kann versuchen, es höflich als ‚Spontangärungsnote‘ zu umschreiben, aber ich will das Kind beim Namen nennen: der Wein riecht nach faulen Eiern – und zwar so heftig, dass für manch Weinfreund hier schon Schluss ist. Mir macht der Geruch weniger aus (wenngleich er meine Schmerzgrenze touchiert), und so kann ich auch etwas zum Gaumen schreiben: ein sehr trockener, gelbfruchtiger und recht mineralischer Kabinett mit schöner schlanker Struktur und krasser Säure (auch die flirtet mit meinem persönlichen Grenzwert). Vier Tage nach dem Öffnen hat sich die Stinkbombe kaum verzogen, es sind jedoch erste Aprikosennoten darunter zu erahnen. 12% Alkohol sind vollständig integriert. Ich glaube, das wird noch mal ein ganz toller trockener Kabi. Der Wein zeigt eine solche Frische, dass ich ihm die ewige Haltbarkeit unterstellen möchte, die viele dieser ‚Extrem-Spontis‘ an den Tag legen.

Bruders Blubber

Wenn man im Freundeskreis erst einmal im Verdacht steht, ein Weinkenner zu sein, dann ist man regelmäßig auch Versuchskaninchen. Weniger sachkundige Freunde führen einem begeistert ihre superleckeren aber erstaunlich günstigen Entdeckungen vor und schauen einen mit großen Augen an: ‚Und, ist das nicht ein superTropfen?‘ lautet die gespannt Frage, der man sich gegenüber sieht, während der Probeschluck des derzeitigen Hausweins über den Gaumen rollt. Manchmal ist der gereichte Wein wirklich passabel, manchmal eine Katastrophe und selten gibt es richtig tollen Stoff. Ich bin ein höflicher Mensch und finde diese Weine immer ausnahmslos gut. Koste es, was es wolle.

Nicht nur aus diesem Grunde bin ich relativ gut darin, meiner Umwelt mit meinem Weinfimmel nicht auf die Nerven zu gehen. Mein unmittelbarer Freundeskreis ist nur teilweise über den Inhalt meines Kellers informiert. Über meine Bloggerei rede ich so gut wie gar nicht. Höchstens zwei oder drei private Kontakte lesen meinen Schnutentunker. Umso erstaunter war ich, als mir mein Bruder kürzlich erzählte, er lese hier gelegentlich mit.

Mein Bruder ist gemessen am Durchschnittsdeutschen ein Weinkenner: Er kauft seinen Wein im Fachhandel und gibt auch zweistellige Beträge für eine Flasche aus. Auf einer gemeinsamen Reise durch das Moseltal lernte er die Vorzüge nicht-trockenen Rieslings kennen, ansonsten bezeichnet er sich selbst als ‚Fruchtbomben-Trinker‘ mit einem Faible für Rotweine aus der neuen Welt. Gerne ruft er mich gelegentlich an, wenn er einen tollen Wein im Glas hat und fragt mich: ‚Kennst Du eigentlich XYZ?‘ und dann kommt ein spanischer oder englischer Weinname, der mich ratlos lässt, da das eher nicht meine Baustelle ist. Mit Probeschlucken bei den viel zu seltenen Besuchen hält er sich zurück.

Neulich allerdings rief er an, um mich nach einem Weingut zu fragen, von dem er gerade einen sensationellen Sekt im Glas habe. Und dann kam ein Name, der mir mehr sagen hätte sollen als bloß: ‚Hmm, Mosel, glaube ich.‘ Es war das Weingut F.J.Regnery und der Sekt hatte es ihm wahrhaft angetan. So sehr, dass er mir den unbedingt vorführen wollte. Er brachte eine Flasche zum Anstoßen zum 2. Weihnachtstag mit und war sich seiner Sache so sicher, dass eine weitere als Geschenk für mich bestimmt war. Glücklicherweise fand ich diesen Sekt nicht koste-es-was-es-wolle-gut sondern ganz ohne Bruderbonus großartig. So großartig, dass ich meine als Geschenk erhaltene Flasche zu Silvester aufziehen werde.

Da alle Anwesenden von meinem Fimmel wussten, hatte ich keine Scheu, mir Notizen zu machen.

F.J.Regnery, Spätburgunder Sekt ‚Blanc de Noir‘ brut (Klüsserather Bruderschaft), 2008, Mosel. In der Nase die typische Brioche-Note von der Flaschengärung, dazu Himbeere und eine angenehm würzige Note (Liebstöckel etc.). Am Gaumen feine Perlage, relativ cremiges Mundgefühl, voll aber auch sehr saftig mit schönem Spiel. Neben fruchtigen Noten von Erd- und Himbeere punktet der Sekt mit einem feinen würzigen Ton: leicht malzig, leicht toastig (mir drängt sich das Bild einer schönen Brotkruste auf), der auch im sehr langen Abgang mitklingt. Ein ganz toller Sekt.

 

Guten Rutsch ins neue Jahr.

Kritik der reinen Vernunft

Gestern hatte ich die aktuelle Vinum im Briefkasten, die eine neue Ausgabe der Liste Deutschlands 100 bester Weingüter enthielt. Damit ist auch das letzte Jahres-Ranking erschienen, das Deutschlands Weingüter in Klassen einteilt. Herr Eichelmann hatte wie gewohnt den Anfang gemacht, der Gault Millau 2011 kam Ende November. Erstmals mit einer großen GG-Verkostung am Start war die deutsche Ausgabe des Falstaff-Magazins, ein Weingutsranking veröffentlicht das Magazin (noch) nicht. Die Weinwelt bot vermutlich auch eine GG-Verkostung, ich gehöre allerdings nicht zu deren Lesern und weiß es daher nicht genau. Kritik der reinen Vernunft weiterlesen

Füllwein (19) – MSR Edition

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

St. Urbanshof, Ockfener Bockstein, Riesling Auslese (Halbflasche), 2006, Mosel (Saar). In der Nase cremig und frisch, Honig, Aprikose. blitzsauber: Riesling mit leichter Botrytis – keine modrigen 2006er-Töne. Am Gaumen mit relativ milder Säure aber trotzdem schönem Spiel. Ich kenne die Analysewerte nicht, aber der Wein hat vermutlich nicht ganz so viel Restzucker, dafür 9,5% Alkohol, die jedoch nicht ins Gewicht fallen. Wiederum sehr sauber und saftig: Aprikose, Rhabarber, Honig, Vanille; langer Abgang, der jedoch einige Bittertöne hat, die mir in der 2006er-Kollektion des St. Urbanshof öfter begegnet sind – ansonsten eine Bilderbuchauslese die noch einige Jahre vor sich hat.

Lothar Kettern, Piesporter Falkenberg, Riesling ‚Mineral‘ feinherb, 2009, Mosel. In der Nase noch mit Gäraromen und Hefe, darunter liegt viel exotische Frucht: Maracuja, Banane, Mango, Sternfrucht aber auch Rhabarber, entscheidender ist aber der Gaumen, denn der Wein ist ungemein saftig, süffig süß und mit viel Spiel – die Art von feinherbem Wein, die einen enormen Sog entwickelt. Die Hand geht ständig zum Glas. Das ist nicht ganz ungefährlich, weil der Riesling perfekt integrierte 11% Alkohol hat, die man leicht übersieht. Aprikose und Banane treffen auf eine feine Mineralik, die in diesem jungen Stadium dezent daher kommt. Wird bestimmt im Alter ernsthafter, jedoch werden meine Vorräte vorher ausgetrunken sein. Ein toller Wein.

Van Volxem, Wiltinger Braunfels, Riesling QbA, 2004, Mosel (Saar). Ich weiß nicht, ob der Wein analytisch trocken oder halbtrocken ist, das Etikett verrät nichts. Die Nase ist sehr vielversprechend: ein schöner reifer Riesling mit viel Aprikose und einer rauchigen Note. Am Gaumen ist der Wein saftig und fruchtig mit Aromen von Boskop-Apfel, Quitte und Pfirsich. Bei sehr reifer, dezenter Säure wirkt der Wein etwas süßlich, entwickelt am Gaumen nur mäßigen Druck und wirkt dadurch im mittellangen Abgang trotz nur 12% etwas alkoholisch. Der Braunfels ist mäßig mineralisch aber dafür sehr süffig. Fairer Wert.

SchWaZ mit Schatz

Weinproben sind eine tolle Sache. Ich nehme gerne an Proben teil und gelegentlich veranstalte ich selber welche. Dabei nehme ich die Ergebnisse nicht allzu ernst. 15 Minuten mit 5 Zentilitern ergeben meist eine Bewertung genau dieser 5 Zentiliter, wie sie sich in genau jenen 15 Minuten präsentiert haben. Einen Wein darauf zu reduzieren, ist ungerecht. Deshalb veröffentliche in diesem Blog keine Probenberichte.

Und jetzt zur Ausnahme…

Ich war vor kurzem an der Nordsee urlauben, im Gepäck drei Flaschen Wein, die seit gut vier Jahren in einem gemeinsamen Fach in meinem Keller lagen, denn es war seit Anbeginn ihre Bestimmung, gegeneinander verkostet zu werden. Einen vierten hatte ich kurzfristig aussortiert, weil sich eine kürzlich getrunkene Flasche suboptimal präsentiert hatte. Die Probe sollte eigentlich blind stattfinden, doch musste ich diesen Teil des Plans kurzfristig ändern.

Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass ich zu den glücklichen Weinverrückten gehöre, die bei ihren Ehefrauen auf Verständnis stoßen. Wie hier ausführlicher beschrieben, teilt meine Herzdame die Weinleidenschaft sogar, zumindest wenn es um Rieslinge jenseits der Trocken-Kategorie geht. Und bei meinen drei Probanden handelte es sich um feinherbe Rieslinge des für diese Weinkategorie großartigen Jahrgangs 2005. So freute sich meine bessere Hälfte nicht nur auf die Probe, sie bestand auch darauf, dass ich die Weine vorbereite, damit sie blind probieren könne (das hatte ich mir eigentlich andersrum ausgemalt).

Die drei Probanden waren ein Weltklassewein, ein ‚Garagenwein‘ und ein aufstrebender ‚klassischer‘ Moselaner, namentlich Emrich-Schönlebers ‚Halenberg R‘, A. J. Adams ‚Hofberg Riesling Reserve‘ (handnummeriert, Flasche 15 von 700) und Thanischs ‚Alte Reben‘ aus dem Lieserer Niederberg Helden. Preislich fiel letzterer aus dem Rahmen, kostet knapp die Hälfte der 25 Euro, die für die beiden ersten fällig waren. Der Probenaufbau war denkbar einfach: Meine Frau und ich waren die Tester, die wild durcheinander probierten, eine erste Benotung vornahmen, gemeinsam entschieden, welcher zum Essen getrunken werde und dann jeder mit seinem Favoriten den Abend ausklingen ließen. Zum Essen gab es am selben Tag vor Ort erstandene Schollenfilets, die so frisch waren, dass sie sich beim Braten aufrollten, dazu eine Beurre Blanc und Gemüse, schlicht und gut.

Den Thanisch hatten wir schon einige Male aber in jüngerer Zeit nicht getrunken, vom Halenberg R kannte ich einen anderen Jahrgang, und der Adam war uns beiden gänzlich unbekannt. Meine Erwartung war, dass ich sie trotzdem erkannt hätte, aber diese Frage stellte sich nicht mehr. In der Tat sind die Weine drei Interpretationen, die unterschiedlich und -scheidbar sind.

A. J. Adam, ‚Hofberg Reserve‘ (Dhron Hofberg), Riesling QbA, 2005, Mosel. In der süßen und reifen Nase kandierte Aprikose und Karamell. Am Gaumen ein ganz bisschen Vanille und Honig – gefühlte 2% Botrytis im Lesegut, was hervorragend mit dem Rest harmoniert: saftig und voluminös mit Aromen von Aprikose und Karamell, packendes Spiel von rassiger Säure und gefühlten 20 Gramm Restzucker, prickelnd und wahnsinnig mineralisch im ewig langen Abgang. 12% Alkohol sind perfekt integriert. 93 Punkte

Thanisch (Ludwig Thanisch und Sohn), ‚Alte Reben‘ (Lieserer Niederberg Helden), 2005, Mosel. In der Nase etwas Klebstoff aber auch viel Frucht: Mango, Pfirsich, Mandarine und etwas Kräuterwürze. Am Gaumen ist der Wein sehr cremig, schmeckt als wäre etwas mehr Botrytis im Spiel, Maracuja, Mango, Honig und etwas Kräuter, schönes Spiel mit gefühlten 30 Gramm Restzucker. Der Wein ist einerseits ziemlich dick, andererseits gibt der Alkohol (12,5%) etwas Feuer, tritt im sehr langen Abgang ein wenig in den Vordergrund. 91 Punkte

Emrich-Schönleber, ‚Halenberg R‘ (Monzinger Halenberg), Riesling QbA, 2005, Nahe. Die Nase ist zunächst von einem leichten Spontistinker überlagert, dann etwas grasig, schlank mit Apfel und Stachelbeere, wirkt sehr jung. Auch am Gaumen ist der Wein sehr jung. Bei gefühlten 15 Gramm Restzucker eher klassisch halbtrocken, im Spiel etwas tänzelnder als der Thanisch aber nicht so vibrierend wie der Adam, mit einer leicht kalkigen Note. Der Wein ist enorm elegant (12,5% Alkohol perfekt maskiert) und sehr tief: Apfel, Banane, Rhabarber, dann wieder etwas grasig, im Abgang wahnsinnig lang und mineralisch. 95 Punkte

Meine Frau sah das anders, sie hatte den Thanisch an Eins, den Adam dahinter und meinen Favoriten auf dem letzten Platz. Einigkeit herrschte bei der Frage nach dem Essensbegleiter: es wurde der schlankere ‚Halenberg R‘. Probeschlucke der anderen Weine bestätigten die Wahl.

Alle drei Weine waren wundervoll, das Ranking spiegelt eventuell mehr die Vorlieben der Verkoster hinsichtlich Zucker, Alkohol und Botrytis in halbtrockenen/feinherben Rieslingen wider als die tatsächliche Weinqualität. Es blieb von allen Weinen genug über, um zwei weitere Tage zu probieren. Alle drei hielten ihre Form erstaunlich lange. Das warten und lagern hat sich definitiv gelohnt.

Und für alle, die immer noch nicht erraten haben, was die Überschrift zu bedeuten hat: Schönste Weinprobe aller Zeiten.