Weingut May Verkostung

Übers Knie gebrochen?

Das Weingut Rudolf May präsentiert einen neuen Silvaner im Icon-Wine-Segment. Er ist in vielerlei Hinsicht erklärungsbedürftig. Also bin ich zur Präsentation gefahren und habe genau hingehört.

Manchmal ist es hilfreich, wenn die Fronten geklärt sind: Ich habe nichts übrig für künstlich verknappte Pseudoraritäten, die mit hübscher Story in schickem Kleid auf die Reise geschickt werden. Die von sich in Komplizenschaft begebenden, großzügig bemusterten Multiplikatoren mit reichlich Punkten und FOMO-Geschrei schon vor offiziellem Verkaufsstart zum Kult (v)erklärt werden. Die sich oft genug als Luftnummer entpuppen, meistens sehr hübsch, aber eben zwei Nummern kleiner als die Story. Das sage ich nicht erst seit heute.

Wenn ich über den neuen Silvaner ‚Kniebrecher‘ vom Weingut Rudolf May schreibe, dann, weil ich ihn nicht für eine solche Pseudorarität halte. Das erste Mal gab es den Wein auf der ProWein zu verkosten, das zweite Mal auf der Mainzer Weinbörse. Trotzdem bin ich noch für einen Schluck ins Weingut gefahren, weil ich sichergehen wollte, mich nicht in Komplizenschaft zu begeben. Dort gab es eine bodenständige Einstandsfeier: Ein Tag im Weinberg, eine Verkostung, gemeinsames Grillen – und keine Musterflasche. Anfahrt auf eigene Rechnung, Hotelzimmer vom Weingut bezahlt, so weit die Offenlegung.

Silvaner – definitiv nicht Kult

Familie May im Weingut
Familie May im Weingut

Der Silvaner hat einen schweren Stand. Das ist eine Tatsache, die detailliert zu belegen ich mir hier spare. Um eine Rebsorte aufs internationale Tableau zu heben, bedarf es gesuchter, rarer, verlässlicher Spitzenweine. Wo stünde Cabernet Franc ohne Clos Rougeard, Sauvignon blanc ohne Silex etc.? Mehr als ein gesuchter Kultwein wäre schön. Beim Silvaner gibt es einen halben: das Creutz vom Zehnthof Luckert. Ein weiterer Kandidat dürfte helfen. Der Kniebrecher hat das Zeug dazu. Der jetzt präsentierte Erstling ist ganz wunderbar. An der Reifefähigkeit habe ich keine Zweifel. Es gibt auch belastbare Hinweise dafür. Um die zu verstehen, hilft es, die Geschichte des Weines zu kennen. Also dann:

Der Silvaner Kniebrecher ist nicht, wie jetzt schon mehrfach gelesen, ein Wein aus der besonderen Selektion der besten Trauben aus den beiden GG-Lagen Rothlauf und Himmelspfad. Er ist eine Cuvée aus beiden Lagen, aber der Most stammt nicht aus separater Kelterung. ‚Wir wollten auf gar keinen Fall die Qualität der GGs mindern’, erklärt Rudi May mit Nachdruck. Grundlage ist je eine Portion (225 Liter) vom Most des Rothlaufs und des Himmelspfads. Wenn dieser nach der Sedimentation auf seine Gärgefäße verteilt wird – Holzfässer beim Himmelspfad, ein Betonei und Holzfässer beim Rothlauf – dann fließen besagte 225 Liter in ein Barrique von der Tonnellerie Francois Frères. Eines ist neu, eines war vorher einmal belegt. In Zukunft dürfte sich die Menge verdoppeln. Dann ist erst einmal Schluss mit Wachstum. Limitierender Faktor ist der Himmelspfad. ‚Wir haben im Rothlauf nur eine Qualität und davon reichlich. Es wandern immer auch GG-würdige Trauben in den Ortswein,’ erklärte mir Benedikt May. Beim Himmelspfad sei das anders. Da haben einige Rebanlagen (noch) kein GG-Niveau. Der Ertrag aus den besten Parzellen reicht für die derzeitige Menge GG und noch maximal zwei Barriques.

Den Namen bei den Weizenbauern geliehen

Retzstadt Benediktusberg Tiertal
Vater und Sohn im Tiertal

Zieht man auf der Landkarte eine gerade Verbindungslinie zwischen den beiden Lagen, dann läuft diese durch den ‚Kniebrecher‘, eine Flur, in der kein Weinbau stattfindet, weswegen es weinrechtlich gestattet ist, den Begriff als Marke und Namen für den Wein zu verwenden. Vermutlich wird sich international der Glaube festsetzen, es handle sich um eine besondere Weinlage und ja, das ist etwas irreführend. Aber der Name – fränkisches Synonym für ‚extrem steil‘ oder ‚schwer zu bearbeiten‘ – ist auch irgendwie lässig. Also bitte alle locker machen.

Bleibt die Frage, ob die Welt auf den Kniebrecher gewartet hat? Deswegen war ich noch mal da. Deswegen habe ich versucht, die Motivation der Winzer zu erfahren. Plural. Die Mays sind mehr als Rudi, das wurde bei der Exkursion klar. Sohn Benedikt ist mittlerweile gleichberechtigter Winzer und alle wichtigen Entscheidungen werden in der Familie getroffen. (Wer sich über die Idee beschweren möchte, dass mit Chardonnay und Kniebrecher jetzt erstmals wieder Weine verkorkt werden, der wende sich vertrauensvoll an Mutter Petra, die Senior Rudolf gegen Junior Benedikt zur Mehrheit bei dieser Entscheidung verholfen hat.)

Die Mays sind bodenständig. Sie machen Weine, die zu ihnen und der Region passen. Deswegen verabschieden sie sich vom Riesling. Sie finden, das können andere besser. Aber die Mays sind auch weltoffen, fahren auf Exkursionen in ferne Anbaugebiete und trinken die großen Weine des Planeten. Deswegen steht seit Ewigkeiten ein Beton-Ei im Keller, setzen sie beim Umveredeln von Reben auf ein südamerikanisches Spezialistenteam und machen vieles anders als die Nachbarn.

Ergebnis von Neugier und Ehrgeiz

Und sie sind sehr anspruchsvoll. Während der Ernte stehen stets sechs Personen am Sortiertisch im Weingut. Die Einweisung besteht aus einem Satz: ‚Alles, was nicht so gut aussieht, dass Du es Dir in den Mund schieben würdest, geht auch nicht in unseren Wein.‘ Als sie das Gewann ‚Der Schäfer‘ im Retzstadter Langenberg eintrugen, meldeten sie es statt als Große als Erste Lage (in einer Ersten Lage) an. Es war besonders, aber nicht besonders genug für die hohen Ansprüche. Drittes GG wird jetzt voraussichtlich in einigen Jahren das Gewann Tiertal im Retzbacher Benediktusberg.

Himmelspfad May

Das heutige Sortiment bildet Silvaner in fast allen Facetten ab. Dank einer spektakulären Gelegenheit schafften die Mays vor einiger Zeit eine umfangreiche Kellerausstattung aus Spessarteiche an. Diese ergänzen sie jedes Jahr mit ein paar neuen Fässern. Die Silvaner ‚Der Schäfer‘ und ‚Der Schäfer Reserve‘ sind die Holzweine aus unterschiedlichen Größen, und variiertem Neu-Alt-Mix sowie Dauer des Hefekontakts. Im Himmelspfad GG ist das Holz sehr zurückhaltend, im Rothlauf GG findet sich Beton (mit langem Hefelager) und altes Holz. Der Langenberg Erste Lage ist geschmacklich holzfrei, die Orts-Silvaner auch. Was fehlt, sind Barriques aus französischer Eiche in der ursprünglichen 225-Liter-Variante.

Die haben sich die Mays jetzt gegönnt, ziemlich die teuersten, die Geld kaufen kann. Also füllen sie den besten Saft da rein. Nach VDP-Statut ist das ein Gutswein. Dank Wachskapsel steht das nicht auf dem Flaschenhals. Wer das unbedingt als Wein ‚oberhalb des GG‘ sehen will, der hat Argumente. Die klare Ansage, dass er qualitativ auf einer Stufe steht, weil vom gleichen Most gemacht, kann man aber auch einfach so stehen lassen. Der Wein schließt eine Lücke, die in anderen Weingütern gar nicht entsteht, weil die Winzer dort nicht so neugierig, nicht so weltoffen und nicht so ehrgeizig sind.

Ist der Kniebrecher wirklich so besonders?

Bocksbeutel May Doppelmagnum
Bocksbeutel-Doppelmagnum – wie kann man das nicht schön finden?

Bleibt die FOMO, die Angst, was zu verpassen oder die Frage: Muss ich das getrunken haben? Es ist kompliziert. Wer den Schäfer mag, der mag schon mal Silvaner mit schmeckbarem Holz. Der sollte neugierig sein. Bevor man 110 Taler auf den Tisch des Hauses legt, gibt es aber ein paar Weine, die feiner als der Schäfer und noch nicht so teuer wie der Kniebrecher sind. Leider sind sie in den seltensten Fällen stringent. Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, hat das Juliusspital sein anbetungswürdiges 2014er Stein GG ein Jahr im neuen Tonneau ausgebaut. Das ist mit das Schönste, was ich an Silvaner mit neuem Holz bisher trinken durfte. Ich glaube, schon beim 2015er war der Neuholzanteil drastisch reduziert, zuletzt lag er noch bei 10 Prozent. Der Kniebrecher wird in der Hinsicht konstanter sein. Erst und Zweitbelegung, 18 Monate Ausbau, evtl. in manchen Jahren ein paar Wochen mehr.

Am Tag der Präsentation betteten die Mays den Wein ein in eine Verkostung gereifter Rothlauf- und Himmelspfad-GGs. Aus der konnte man mitnehmen, dass es im Weingut für weniger als den halben Preis GGs gibt, die der Kniebrecher nicht mal eben in die Tasche stecken wird. Man konnte aber auch den Eindruck gewinnen, dass solche Verkostungen zukünftig sinnlos sind, wenn man nicht jeweils den Kniebrecher dazu stellt. Das muss am Ende jeder für sich entscheiden. Wer Silvaner liebt, sollte aber wenigstens ein Mal im Leben ein Gläschen Kniebrecher getrunken haben. 

May im Mai

Kurzprobe mit einfachen Notizen, ergänzt hier und da in der freien Nachprobe.

Flight 1: Silvaner Erste Lage Benediktusberg

2021
In der Nase minimal gemüsig, Nashi-Birne, Heuboden. Am Gaumen sehr saftig und klar, Gletscherwasseranmutung, bevor es im Mittelbau etwas ölig wird. Straff dank feiner Phenolik und recht kräftiger Säure. Auch am Gaumen Nashi und Heuboden, recht stoffig. Guter Druck und sicher einiges an Potenzial.

2022
Null Gemüse, sondern reife Birne und etwas Holz. Am Gaumen saftig, sehr fruchtig, tolle Säure, das könnte man mir blind auch als Riesling unterjubeln, wenngleich die Frucht auch am Gaumen in Richtung kandierte Birne geht und damit eigene Akzente setzt. Aber das ist für mich eine eher untypische Spielart. Ganz toll.

Flight 2: Chardonnay Alte Reben Retzstadt Ortswein

Die ersten beiden Jahrgänge, allerdings ist die Anlage umveredelt, die Reben also alt

2021
Recht viel Holz in der Nase, allerdings ohne starke Röstnoten. Am Gaumen kräftige Säure, leicht ölige Textur, viel Holz, viel Schmelz. Mir fehlt es an Komplexität und Tiefe. Das ist ganz okay.

2022
Hier finde ich trotz gefühlt höherer Säure und weniger stoffiger Textur genau die Tiefe und Vielschichtigkeit, die mir beim 21er fehlt. Das finde ich richtig gut und elegant.

Flight 3: Silvaner GG 2022

Himmelspfad
In der Nase weniger Frucht und sehr viel Heu, etwas kräutrig. Am Gaumen recht jung, etwas bunt, auch buntfruchtig, schöne Säure und dann extrem tief. Das hat richtig Gesicht ist aber viel zu jung (ist aber nicht laut).

Rothlauf 
Das startet zitrusfruchtig, dreht dann ins ultrawürzige, leichter Muskat-Touch. Tolle Säure, tolle Phenolik. Das gefällt mir unheimlich gut.

Flight 4: Silvaner GG 2019

Himmelspfad
Feine Reifenoten und ein Rest Gemüse in der Nase, auch am Gaumen habe ich da noch ein kleines Rendezvous mit der Zwiebelschale, sehr reife Frucht, recht ölig, aber auch von feiner Säure durchzogen. ich finde den Wein im Moment etwas schwierig.

Rothlauf
‚Oh mein Gott, das kann ich nicht ausspucken.‘ Das ist dann wieder der Beweis, dass dieses anfänglich Gemüsige sich zu großer Feinheit entwickeln kann, denn ganz frei davon ist der Wein nicht, aber hier ist das so angenehm würzig, leicht fleischig, dazu leicht kandierte Birne, etwas Malz, dunkel und geheimnisvoll. Unfassbar gut.

Flight 5: Silvaner GG 2016

Himmelspfad
Die Nase ist wie 2019, also ein Rest Gemüse und feine Reifenoten. Und wer sich nicht vorstellen kann, wie diese Verwandlung vor sich geht, der muss das einfach mal in dieser Reihenfolge probieren. Jetzt hier auch leicht fleischig, gelbfruchtig, ölig aber durchaus von kräftiger Säure und schöner Frische durchwoben. Das ist wahnsinnig gut

Rothlauf
Der ist nicht ganz so dunkelwürzig wie der 19er, die feine Rauchnote ist da, aber kein Malz (damals höherer Beton-Anteil), eher ölig, ordentliche Säure. Tief, rauchig und sehr sehr gut.

Flight 6: Silvaner GG 2012

Himmelspfad
In der Nase Dosenmandarine, deutliche Reifenoten, am Gaumen durchaus frisch, immer noch Heuboden, dazu aber auch Dosenmandarine, die nichts Ältliches mitbringt. Kräftige Säure, leicht ölige Textur, tolles Spiel, enormer Tiefgang. Ein Wahnsinnswein.

Rothlauf
Da ist jetzt beim Rothlauf ein kleiner Gemüsetouch, der noch nicht alle Schrecken verloren hat, dazu wieder etwas rauchig, die Frucht geht auch in Richtung Orange, die Textur ist etwas cremiger, die Säure kann sich nicht so durchsetzen wie beim Himmelspfad. Ich glaube, der ist noch nicht am Ende.

und endlich…
Silvaner Kniebrecher 2022
Da ist das Teil. Man achte auf die Kirchenfenster…

2022 Silvaner Kniebrecher
In der Nase feinstes Holz, aber darunter ist auch Heuboden riechbar. Am Gaumen tolle Säure, wieder sehr feines Holz, wie bei allen May’schen Weinen dieser Gewichtsklasse ist die Textur leicht ölig, der Wein hat aber sehr viel Zug und hat sich schon verschlankt gegenüber der ersten Begegnung. Das Holz hat sich noch weiter integriert, ist fein eingewoben und steht nicht im Mittelpunkt. Die Aromatik ist in der Frucht etwas mürbe und geheimnisvoll-würzig, aber in diesem Alter finde ich die Struktur viel spannender und die ist einfach Weltklasse.

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