Die Wuchtbrumme

Die Welt ist voller Weine, die schmecken, als hätte der Winzer ganz viel gewollt. Erschreckend wenige Weine schmecken so, als hätte der Winzer erreicht, was er wollte. Ich freue mich immer besonders, so einen Wein im Glas zu haben, es kommt schließlich selten genug vor.

Es sei so reifes und gesundes Lesegut gewesen, wie man es vielleicht im ganzen Leben nicht mehr in die Finger kriegt, beschrieb Stefan Steinmetz vor einigen Jahren die Situation bei der Ernte seines Spätburgunders 2003. Der Wein war damals bei einer Probe ziemlich mächtig und mächtig zugeholzt. Da hatte der Winzer eine bewußte Entscheidung getroffen. Er wollte dem besonderen Ausgangsmaterial eine besondere Behandlung angedeihen lassen.

Es waren nicht mehr viele Flaschen da, also wanderte nur eine in meinen Keller. Jetzt ein paar Jahre später, kam die Probe aufs Exempel. Und der mächtige Wein hat sich mit dem mächtigen Holz vertragen. Ich wiederhole mich vorsichtshalber: ich habe ein rechtes Bibergebiss und bin wenig empfindlich bei Holzeinsatz – aber das bedeutet nicht, dass ich keinen Wert auf Balance lege.

Günther Steinmetz, Spätburgunder Auslese trocken **, 2003, Mosel. Unmittelbar nach dem Öffnen verströmt der Wein eine unglaubliche Frucht, das quillt aus dem Glas, füllt den ganzen Raum und erinnert mich an meine Begegnung mit Gajas Barbaresco – auch weil der Spätburgunder wenig typisch nach italienischem Kirschkitsch duftet. Der erste Schluck ist furztrocken, etwas karg und endet in einer Wand aus Holz und Teer. Mit einer Stunde Luft wird die Nase leiser, Blaubeere und Marzipan sowie ein wenig Joghurt tauchen auf. Am Gaumen fächert der Spätburgunder ebenfalls auf, er wird fruchtiger, süßer, schmeckt nach Kirsche und Pflaume, brennt ganz leicht, obwohl er 14,5% Alkohol gut integriert. Ein ganz strammer Wein mit Kraft, einem ordentlichen Säuregerüst, Mineralik und Tiefgang. Im Abgang zeigt sich reichlich Tannin, dass über die nächsten drei Tage gelegentlich die Oberhand gewinnt und dann austrocknend wirkt. Ein oder zwei Jahre weiterer Reife bedeuten für diesen Wein sicher einen Fortschritt. Der Abgang ist unendlich lang. Was für ein Tier!

Ganz eigennützig wünsche ich dem Winzer, dass er noch oft solches Lesegut in die Finger bekommt.

(K)ein Ende in Sicht

Als ich vor einiger Zeit verkündete, ich hätte meinen Vorsatz in die Tat umgesetzt, meine 2006er Rieslinge zu leeren, war ich etwas voreilig. Das Fach mit den Grossen Gewächsen beherbergt noch mehr Flaschen, als ich annahm. So finde ich mich dieser Tage in der merkwürdigen Lage, regelmäßig relativ lustlos gute Weine aufzuziehen. Wären sie schwach, würde ich es lassen, dazu ist mir meine Leber zu lieb. Aber in aller Regel kann ich bei 2006er GGs einen Wein erwarten, dem ich zwischen 86 und 89 Punkten geben würde, wäre ich zum Punkten gezwungen: aromatisch , relativ saftig aber letztlich ein bisschen pummelig und plump oder, schlimmer noch, schon etwas gezehrt. Ein gutes Glas Wein, wenn die Flaschen nicht meist mehr als 25 Euro gekostet hätten. Was soll’s, da muss ich jetzt durch. Und ab und zu erlebe ich auch positive Überraschungen.

Jakob Jung, Erbach Steinmorgen, Riesling Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. Fangen wir mit der positiven Überraschung an. Der Wein riecht erstaunlich frisch für das Jahr, zwar auch mit etwas mürbem Apfel, es dominieren aber Aprikose und Pfirsich. Am Gaumen ist die Säure sehr zurückhaltend und der Riesling schmeckt ein wenig nach Bratapfel (es scheint Botrytis im Spiel zu sein), insgesamt ist er aber sehr lebendig. Eine schöne Mineralik trifft auf Noten von Karamell, der Abgang ist sehr lang und mineralisch, 12,5% Alkohol sind hervorragend eingebunden. Vollmundig aber eben nicht plump, großartig.

Keller, Hubacker, Riesling Großes Gewächs, 2006, Rheinhessen. Oh je, 29 Euro hat er gekostet, der Hubacker. Die vorletzte Flasche, die ich vor einier Zeit trank, war noch ein 90-Punkte-Vergnügen. Bei dieser, meiner letzten Flasche ist das positivste, was ich zu sagen vermag, dass er besser als der noch teurere Morstein ist. In der Nase ist der Hubacker sehr zurückhaltend, wenngleich jahrgangstypisch: Dörraprikose, etwas Botrytis, Kräuter. Am Gaumen ist der Wein trotz 13% Alkohol etwas drucklos. Frucht (Aprikose) und Mineralik treffen auf eine vergleichsweise frische Säure, das ergibt schönes Spiel und einen schönen Wein, mehr aber auch nicht. Der Abgang ist lang und mineralisch.

Keller, Kirchspiel, Riesling Großes Gewächs, 2006, Rheinhessen. Der beste 2006er von Keller, den ich kenne (Abtserde wartet noch im Keller, im erlauchten Kreis der G-Max-Bezieher bin ich kein Mitglied). Die Nase ist frisch und frei von würzigen, überreifen Dörrobstnoten. Sehr ansprechend: Aloe Vera, Aprikose, Pflaume, sogar etwas hefig. Allerdings ist die Nase nicht sehr druckvoll. Gleiches Bild am Gaumen: Elstar Apfel und Aprikose treffen auf eine mäßige Säure. Der Wein ist etwas cremig, mineralisch, zeigt verhaltenes Spiel und einen langen Abgang. Das ist ein guter Wein auf dem Niveau einer gelungenen trockenen Spätlese. Es fehlt an Druck und Tiefe für mehr Begeisterung.

Dellchen 2006, nachgetankt

Ich habe diesen Wein vor über zwei Jahren schon einmal beschrieben und eine These aufgestellt. Da ich nicht vorhabe, falsche Behauptungen im Nachhinein zu löschen, spreche ich es lieber offensiv an: ich habe mich geirrt. Auch die mir ursprünglich frischer erschienenen 2006er Rieslinge von der Nahe sind mit vier Jahren Reife vom Jahrgang eingeholt worden. Sie sind nicht schlecht aber ein bisschen filigraner wäre mir lieber. Die Weine von Tesch, Diel, Emrich-Schönleber und Dönnhoff, die mir mittlerweile begegnet sind, zeigten alle dieselben Eigenschaften. Das reicht vielleicht nicht für eine Aussage über das gesamte Anbaugebiet, aber wir wollen mal nicht pingelig sein.

Dönnhoff, Norheimer Dellchen, Riesling Großes Gewächs, 2006, Nahe. In der Nase sehr fruchtig und kräutrig-reif, trotzdem auch etwas hefig, mit Aloe Vera und Pfirsich – letztlich ist es ein typischer, trockener 2006er. Am Gaumen ebenfalls extrem reif, relativ trocken und mit feiner Mineralik, Aprikose und Banane, gut eingebundenem Alkohol aber insgesamt doch zu mächtig, warm und wenig spritzig. Der Abgang ist lang und richtiggehend mollig. Sehr guter Wein, der mir jung aber besser gefiel.

Rindenwahn

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle über einen besonderen Wein berichten, doch leider war der Korken davor. Bernhard Fiedlers Cabernet Sauvignon 2003 hatte mir vor vier Jahren derart viel Potential präsentiert, dass ich meine zweite und letzte Flasche mit Vorfreude reifen ließ, nur um jetzt festzustellen, dass die blöde Baumrinde dem Wein den Garaus gemacht hat.

Ich will es positiv sehen: es hat 2011 bis zum Beginn der zweiten Jahreshälfte gedauert, bis ich einen nennenswerten Korkverlust zu beklagen hatte. Und ich habe die Zeit, die für die Formulierung einer Verkostungsnotiz reserviert war, zur Erstellung einer Facebook-Seite für den Schnutentunker samt deren Integration in die rechte Blogspalte genutzt. Die hat sogar schon zwei Fans.

Also, liebe Leser, schaut doch mal drauf und werdet vielleicht Fan. Das wäre ein kleiner Trost.

Der Medizinmann

Der bloggende Winzer Bernhard Fiedler hat in einer mittlerweile preisgekrönten Artikelserie ausgeführt, warum bei gleicher Traubenreife manche Weine mehr und manche Weine weniger Alkohol (oder unvergorenen Restzucker) haben. Sein Fazit: Klimawandel hin oder her, wenn der Winzer einen Riesling aus hochreifem Lesegut mit trockenem Geschmacksbild und moderatem Alkohol erzeugen will, dann geht das auch. Während der zuletzt erwähnte ‚vom blauen Schiefer‘ vermutlich aus einer Ernte mit höherem Hektarertrag stammt, dürfte es beim dritten Riesling, den ich in der mittlerweile vorletzten Woche ins Glas bekam, eher die Weinbergsarbeit gewesen sein, die 12,5% Alkohol ermöglichte.

Der Mittelheim St. Nikolaus ‚drei Trauben‘ von Peter Jakob Kühn aus 2005 ist nämlich ein richtig dicker Brummer und steht einem Uhlen-R hinsichtlich Konzentration in nichts nach. Ich hatte beim Trinken sogar den Verdacht, dass ebenfalls ein wenig Botrytis im Spiel ist. Aber das weiß ich bei Kühn immer nicht. Die Weine aus seiner Hochphase der kompromisslosen Weinbereitung zwischen 2003 und 2006 gehen meiner Erfahrung nach durch verschiedenste Phasen nach dem Öffnen. Von untrinkbar verkräutert-medizinal im schlimmsten Moment bis zu einer Art Löwenstein auf Hustensaft in den charmantesten Augenblicken. Deswegen halte ich bei Verkostungsnotizen zu Kühn-Weinen den Trinkzeitpunkt für erwähnenswert. Der St. Nikolaus war dieser Tage nach ungefähr einer Stunde (nicht dekantiert) grandios, am zweiten, dritten und vierten Tag auch schön aber lange nicht so harmonisch.

Peter Jakob Kühn, Mittelheim St. Nikolaus, Riesling 3 Trauben, 2005, Rheingau. In der Nase erstaunlich konventionell: hochreife Rieslingfrucht mit Apfel und Aprikose und nur dezent kräutrig. Am Gaumen ist der Riesling sehr komplex. Einerseits zeigt sich eine schöne Frucht (wieder Aprikose), andererseits ist der Wein sehr mineralisch, verhalten medizinal (was aber sehr passend wirkt), etwas scharf (Botrytis?), zeigt ein schönes Spiel von Süße und Säure, ohne unter aufdringlichem Restzucker zu leiden und endet in einem sehr langen Abgang mit Kemm‘schen Kuchen und Karamell. Das ist ausgesprochen harmonisch mit einigen willkommenen Störern, die auch meine eher Kühn-skeptische und in Rieslingdingen konservative Ehefrau positiv beeindrucken.