Füllwein (17)

Was macht man bei so einem kalten Spätsommer? Ich bin in den Keller gegangen und habe ein paar Rotweine hervorgeholt. Es waren eh noch ein paar 2004er übriggeblieben, die ich austrinken wollte, bevor ich mich in diesem Winter intensiver dem 2005er widme.

Domaine Assmannshausen (Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach), Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Spätlese, 2004, Rheingau. In der Nase zunächst Kirsche, Vanille und rote Beeren, mit Luft veränderte sich der Eindruck, es erschienen Blaubeeren, etwas Teer, eine Spur Lösungsmittel und Joghurt – die Nase wurde nicht unbedingt schöner. Am Gaumen dominiert zunächst eine kantige Säure, die mit der Zeit in den Hintergrund tritt. Der Holzausbau ist noch spürbar, Frucht ist reichlich vorhanden: Kirsche, Erd- und Himbeere. Mit der Zeit wird der Wein weich und sehr harmonisch: vollmundig, keine Spur alkoholisch trotz 13,5% Alkohol. Der Abgang ist sehr lang. Am zweiten Tag war er am besten (um und bei 92 Punkten) aber auch nach Tagen noch mit Vergnügen trinkbar.

Grenzhof Fiedler, Rote Trilogie, Rotweincuvée, 2004, Burgenland. Der Zweigelt sorge für Eleganz, der Cabernet Sauvignon für Struktur und Lagerpotential und dem Blaufränkisch habe der Wein seine Bodenständigkeit und Würze zu verdanken, schreibt Bernhard Fiedler auf das Rückenetikett der ‚kleineren‘ seiner beiden Rotweincuvèes. ‚Gut gebrüllt, Löwe‘ denke ich da, will jedoch ein paar eigene Beobachtungen hinzufügen: Erstens sorgt der Zweigelt auch für eine massive Kirsch- und Pflaumenaromatik und zweitens war der Wein nie so würzig wie derzeit. Und aller Lagerfähigkeit der Fiedlerschen Weine zum Trotz behaupte ich, dass man den Wein in den nächsten 12 Monaten seiner Bestimmung zuführen sollte, will man den maximalen Genuss für den zugegeben schmalen Taler, den Bernhard dafür aufruft. Fruchtig, weich aber mit Struktur und Tannin und mit einem langen harmonischen Abgang ausgestattet bei voll integrierten 13,5% Alkohol – wundervoll.

Achim Jähnisch, Spätburgunder QbA, 2004, Baden. Nach einiger Zeit mal wieder ein sehr deutscher Spätburgunder, der in der Nase diesen typischen Ton hat, der aus dem Glas flüstert ‚Grüß Gott, ich bin deutsch‘, ohne dass ich ihn einer Frucht oder einem Kraut zuzuordnen vermag. Aber ich kann dem ja viel abgewinnen. Der Rest lautet wie folgt: In der Nase zurückhaltend, etwas Teer, ein bisschen gekochte Erdbeere und Blaubeere; am Gaumen von mittlerer Statur und Druck, Himbeere, leichte Süße, die eventuell vom Alkohol herrührt, ansonsten stören die 13,5% nicht weiter. Sehr angenehmer Alltagswein für Menschen mit hohen Ansprüchen (zum Beispiel für mich).

Tempranillo GTI

Zwar ist der Aalto PS eine jener Wein-Ikonen, denen ich normalerweise einen Artikel aus der Reihe ‚Mein erster…‘ widme, doch ich kam ohne jede Vorbereitung zu dieser ersten Begegnung. Zwei Freunde und ich entdeckten ihn auf einer Restaurantkarte für deutlich weniger als den doppelten Ladenpreis, weswegen wir ihn uns ganz spontan einverleibten. So war mein erster Über-Spanier auch nicht dekantiert, aber das war meines Erachtens keine Sünde.

Bodegas Aalto, Aalto PS, 2003, Ribera Del Duero. Der reinsortige Tempranillo ist ein echter Muskelprotz. Dass diese Alkoholbombe nicht plump wirkt, verdankt sie der strammen Säure und kantigem Tannin. Ansonsten dominieren die Klischees: In der sehr ‚warmen‘ Nase viel Kirsche, Pflaumen, Zimt, Vanille, Rauch und reichlich Alkohol. Die 14,5% sind am Gaumen zwar omnipräsent aber nicht brandig. Der Wein ist fruchtig wieder mit Kirsche und Pflaume aber nicht marmeladig. Er hat ‚Zug zum Tor‘. Der Abgang ist eine lange Angelegenheit, wird aber etwas vom sehr kantigen Tannin ausgebremst. Diese Wand aus Holz ist es dann auch, die letzen Endes verhindert, dass der Wein groß ist. So sind’s für mich 93 Punkte.

Von der schnellen Truppe

Seit heute sind die großen Gewächse des Jahrgangs 2009 (bei Spätburgundern 2008) zum Verkauf frei gegeben. Ich war erstaunt, als ich nachhause kam und schon die ersten Pakete vorfand. Das Weingut Dönnhoff hat tatsächlich die bestellten Weine so zur Spedition gebracht, dass sie pünktlich zum Stichtag beim Kunden sein können. Das nenne ich Service.

Da fiel mir siedend heiß ein, dass ich letzte Woche einen spannenden Dönnhoff Wein getrunken habe, dessen Verkostungsnotiz ich noch online stellen wollte. Das sei hiermit getan.

Dönnhoff, Weißburgunder Stückfass (Spätlese trocken), 2006, Nahe. Der Wein hieß 2005 nur ‚S‘, dann ‚Stückfass‘ und in jüngeren Jahrgängen wieder ‚S‘. In der Nase verbrannter Toast, Birne und mit viel Schwenken auch Anklänge von Mandarine und süßlichem Blütenduft. Am Gaumen ist der Wein sehr voll, ein Kraftpaket. 13,5% brennen etwas, aber der Wein lebt auch ein bisschen davon. Denn Aromen von Birne und Haselnuss, Rauch und Holz bei einer leichten Cremigkeit können den Alkohol als Kontrapunkt gut vertragen. Der Abgang ist sehr lang und holzgeprägt. Für mich (und ich werde nicht müde zu betonen, dass ich ein Bibergebiss habe und verstehe, wenn andere das ganz anders sehen) sind das 92 Punkte im Glas.

Neuerdings gibt es von Dönnhoff auch eine Cuvée aus Weiß- und Grauburgunder aus dem Doppelstückfass. Ich bin gespannt und werde berichten.

Mein erster Pinot Noir

‚Ohje, Opa erzählt vom Krieg!‘ mag manch Leser jetzt denken. Will der uns wirklich von seiner ersten Flasche Spätburgunder berichten? Vermutlich war’s ein Untertürkheimer Bratschenberg Spätburgunder lieblich von der Tankstelle und ein Picknick mit einem hübschen Mädchen an einem lauen Sommerabend und… HALT. Dies ist kein Blog für Altherrenphantasien und ich will auch gar nicht von meiner ersten Flasche Spätburgunder schreiben. Berichten muss ich von meiner ersten Begegnung mit Friedrich Beckers ‚Pinot Noir‘ Tafelwein, jenem fast mythisch verklärtem Wunderstoff, der sieben Mal in Folge vom Gault Millau zum besten Spätburgunder Deutschlands gekürt wurde, jenem 90-Euro-Geschoss, dass vielen als Keimzelle des Deutschen Pinot-Booms gilt.

Der ‚Pinot Noir‘ von Becker wird als Tafelwein gefüllt – seit jeher. Ursprünglich war das wohl eine Notwendigkeit, weil die Verwendung von Barrique-Fässern beim Ausbau deutscher Weine einige Zeit nicht den Segen der Weinkontrolle fand und die Füllung als Tafelwein eine Möglichkeit darstellt, die Weinkontrolle zu umgehen – aber das ist kein gesichertes Wissen, sondern Hörensagen. Mittlerweile gäbe es keine Probleme mit der Behörde, aber vielleicht genießt Herr Becker eine stille Rache, indem er den Weinkontrolleuren einfach diesen Zauberstoff vorenthält: Keine Prüfung, keine Musterproben.

Den ‚Pinot Noir‘ zu bekommen ist kein schwieriges Unterfangen. Ganz ohne Subskription erhält man ihn bequem auch Wochen und Monate nach Erscheinen noch bei vielen Händlern. Ich kaufte meine Flasche bei Erscheinen irgendwann 2007 und genoss seitdem die Vorfreude. Letzte Woche feierte ich die zwischenzeitliche Wiederkehr des Sommers mit diesem Wein zu einem Grillabend mit Lamm, Geflügel, Tomatensalat und einem ordentlichen Weißbrot – 22 Grad Lufttemperatur und den Wein bei 17 Grad serviert, lediglich eine Stunde im Dekanter, zwei Mitstreiter mussten blind mittrinken und waren vor Verzückung gelähmt. Ich war zwar wissend, konnte mich aber auch nicht mehr bewegen: ohne wenn und aber mein bisher größtes Rotweinerlebnis.

Becker, ‚Pinot Noir‘, Deutscher Tafelwein Rhein, 2005, (Pfalz). Die Nase ist wahnsinnig intensiv und sehr typisch. Auch wenn der Schwerpunkt auf rohem Fleisch (Tartar) und Kirschfrucht liegt, ist der Wein in der Nase weich und sehr anziehend (ich versuche, die bescheuerte Phrase ‚die Nase ist wahnsinnig sexy‘ zu umschiffen). Am Gaumen ist der Wein von einer geradezu kristallinen Struktur. Alles ist an seinem Platz: straffe Säure, moderates Tannin, dezent in Erscheinung tretender Holzausbau, wieder diese recht animalischen Aromen von rohem Fleisch, satte Kirschfrucht, Bleistift, rote Beeren. Der Nachhall ist vielschichtig, komplex, ultralang. Und wieder fällt mir nur ein Wort ein, dass ich gewöhnlich vermeide: präzise. Dieser Wein ist so präzise, dass ich glatt die Scheu verliere, das Wort zu benutzen. 100 Punkte.

Frommer Wunsch

Über den Winzer habe ich schon geschrieben, was mir zu ihm einfällt. An seinen Weinen erkenne ich regelmäßig meine Grenzen. Ich wünsche mir, irgendwann mal eine Verkostungsnotiz formulieren zu können, die einem Kühn-Wein meiner Meinung nach gerecht wird. Die folgenden Sätze sind öffentliches Üben.

P.J. Kühn, Oestrich Doosberg, Riesling ‚3 Trauben‘, 2005, Rheingau. Vielschichtige Nase, die neben reifem Pfirsich auch Muskat, und einen ganzen Kräuterkorb zeigt, dazu auch unangenehme Noten: Azeton, Alkohol und flüchtige Säure aber stören nur begrenzt und lassen sich wegschwenken. Am Gaumen sehr saftig und auch hier vielschichtig von ganz groß bis ganz grob. Der Alkohol meldet sich mit 13,5% gelegentlich zu Wort, manchmal dominieren Gerbstoffe, dann kommt wieder eine so süße Frucht zum Vorschein, dass man daran zweifeln möchte, es mit einem trockenen Wein zu tun zu haben. Mandarine blitzt auf, Liebstöckel, rauchige Mineralik, kantige Säure. Der Abgang ist zu jeder Zeit sehr lang und angenehm, wenngleich immer auch alkoholisch. Der Wein ist im besten Moment groß und im Schnitt für mich noch um und bei 91 Punkten.