Wie die meisten Menschen, die sich sehr intensiv mit Wein auseinandersetzen, träume ich davon, einen eigenen Wein zu machen. Träumte muss ich korrekterweise sagen.
Den Traum vom eigenen Weingut habe ich nie gehabt. Thomas Vaterlaus hat in einer schönen Kolumne gerade Gedanken dazu formuliert, denen ich mich von Herzen anschließe. Aber den Traum vom eigenen Wein, den hatte ich lange. Ich habe ihn beerdigt – aus verschiedenen Gründen
100% eigen geht nicht
Zum einen lebe ich in Berlin. Jeder Wein, den ich machen würde, entstünde zu 100 Prozent in fremder Infrastruktur und auch den einen oder andere Handgriff im Weinberg nähme mir wohl jemand ab. Bei jeder dunklen Wolke 200 Kilometer fahren, falls der Pflanzenschutz erneuert werden muss? Eher nicht. Also verarbeitete ich am Ende Trauben, an deren Entstehung ich beteiligt war in einem stilprägenden Keller, den ich nicht eingerichtet habe unter mehr oder weniger dominanter Anweisung eines Winzers, der mir das Abenteuer ermöglicht. Sorry, das wäre Malen nach Zahlen. Käme Großes heraus, desavouierte das den Wert der Ausbildung, Erfahrung und des kollektiven Wissens der Winzerzunft nach dem Motto: Geht auch ohne Ahnung! Ginge es schief, fiele ich Dutzenden Freunden mit übel schmeckenden Geschenken auf den Wecker, die dann für meine Sünde büßen müssten.
Dazu möchte ich nicht zu jener Zunft Weinpublizisten gehören, die an geeigneter Stelle fallen lassen, dass sie ja ‚selber Wein machen‘, um fortan den besuchten Winzer wie einen Kollegen anzusprechen. Erlebe ich auf Weinreisen regelmäßig, finde ich unangenehm. Im schlimmsten Fall führen die das dann bei einer Verständnisfrage ins Feld, als würde sie dieses Hobby zum Halbgott machen. Einen habe ich erlebt, der es schaffte, am gleichen Tag seine Erfahrung ins Feld zu führen und zu erklären, Glyphosat werde mit dem Hubschrauber gespritzt (was wirklich abwegig ist). Also habe ich beschlossen, diesen Traum zu beerdigen.
Der eigene Wein ist da
Jetzt, wo das geklärt ist, würde ich Ihnen gerne meinen Wein vorstellen: Er heißt Weißburgunder 500 Reserve.
Ich habe ihn nicht wirklich gemacht, stattdessen ist alles noch viel schlimmer. Denn es gibt etwas, was noch schwieriger ist als die Malen-nach-Zahlen-Fraktion. Die Gruppe der allerschlimmsten Klugscheißer, die bei Winzern so richtig beliebt sind: Weinpublizisten, die nie eine Traube geerntet haben, aber gestandenen Winzern erklären, wie die ihren Wein besser machen können. Einmal habe ich das gemacht, dafür allerdings stolze zehn Jahre lang. Aber die Geschichte hat ein Happy End. Es heißt: Weißburgunder 500 Reserve.
Als ich vor bald 20 Jahren Jörg Thanisch vom damals noch ‚Ludwig Thanisch & Sohn‘ genannten Weingut in Lieser kennenlernte, hatte der gerade seinen Jungfernertrag Weißburgunder herausgebracht. Es war ein Stahltankschoppen. Ich mochte den Wein sehr. Die gesamten Nullerjahre blieb ich nie unter 6 Flaschen Bestellung pro Jahr. Der Wein wurde allerdings immer strukturierter, je älter die Anlage wurde. ‚So stelle ich mir Weißburgunder vom Schiefer vor‘, erklärte ich dem Winzer dann eines Tages, der aber gleich entgegnete, die Reben stünden nicht auf Schiefer. Einige Zeit später schickte mir der Winzer ein Foto. Die untersten drei Stöcke von 20 Zeilen des Weinbergs hatten weichen müssen, der Bagger anschließend Platz für die Erweiterung des Weinguts geschaffen und was war passiert: Im jetzt sichtbaren Aufschnitt des Weinbergs zeigte sich deutlich: Nach drei Metern Erde kam der pure Schiefer.
Moselschieferweissburgunder mit einem Touch neues Holz
Ich wurde übermütig. ‚Du solltest von diesem Weine eine ‚Reserve‘ produzieren. Moselschieferweissburgunder mit einem Touch neues Holz – das bringt dich schneller in die Schlagzeilen, als der xte erste Platz mit der feinherben Rieslingspätlese’ (was konkret ist, Thanisch kann sich mit Prämierungen und lobenden Erwähnungen dieses Signature-Weines die Wände tapezieren). Der Winzer war zurückhaltend. Ich glaube ja, er hatte einfach die Hosen voll, weil er noch nie mit neuem Holz beim Weißwein gearbeitet hatte. Immerhin machte er mir die Freude und legte eine kleine Charge Weißburgunder in ein Barrique. Ein füllfertiger Wein ins neue Barrique – wenn es bei allen Differenzen großer Diven eines gibt, womit man die Superstars der Weißweinszene hinter sich versammeln kann, dann ist es die Bemerkung ‚Man legt niemals einen füllfertigen Wein in ein neues Barrique!‘. Der Wein schaffte es nie in den Verkauf und mein Traum vom ‚Moselschieferweissburgunder mit einem Touch neues Holz‘ schien sich in Luft aufzulösen.
2011 nahm das Schicksal dann eine interessante Wendung. Jörg Thanisch wurde durch Zufall zum Chardonnay-Winzer. Der Erstling hatte neben einer großen Portion Stahl auch einen Teil gebrauchtes Barrique. Die Saat war eingesetzt. In der Folge hielt ein Tonneau Einzug in den Keller, die Chardonnay Reserve wurde geboren. Und – dieses Mal ohne Ankündigung – Thanisch unternahm noch einmal einen Versuch mit einem Tonneau und dem Weißburgunder. Der Wein blieb in der Gärung stecken, war nicht unter 30 Gramm Restzucker zu bewegen und musste entsorgt werden. Moselschieferweissburgunder mit einem Touch neues Holz und Weingut Thanisch (mittlerweile ohne Ludwig & Sohn) – keine Erfolgsgeschichte.
Beharrungsvermögen führt zum Ziel
Doch nachdem wir gut 15 Jahre seine Weine zusammen verkosteten, muss ich ab und zu mal Sachen gesagt haben, die dem Winzer eine Hilfe waren. Er blieb dran. Den letzten Versuch unternahm er heimlich. Das Fass war ja da. Nun also in Zweitbelegung. Und statt Ankündigungen gab es dieses Jahr einfach eine WhatsApp: ‚Dein Wein ist fertig‘. Bald darauf trudelte er bei mir ein. So spät, dass ich ihn als letztes Gepäckstück für den Sommerurlaub verlud und in Spanien verkostete (um die leere Flasche wieder heimzubringen, die steckt jetzt in der Lampe, siehe oben). Als ich den Winzer anrief, um meine ehrliche Begeisterung zu teilen, war der Drops schon gelutscht: ‚Den mache ich jetzt jedes Jahr und ich werde kein ganz neues Holz einsetzen. Das ist alles genau so, wie ich mir das vorstelle: Moselschieferweissburgunder mit einem Touch neues Holz’.
In der Zwischenzeit habe ich reichlich Nachrichten von Lesern, Hörern, Followern bekommen, bin auf Insta getagt und zu ‚meinem‘ Wein beglückwünscht worden, denn der Winzer vergisst freundlicherweise nie zu erwähnen, dass es diesen Wein nicht gäbe, hätte ich ihm nicht zehn Jahre in den Ohren gelegen. Das sei mein Wein, schrieb mir auch Petra Thanisch diese Woche noch einmal, als sie mir ein Carepaket schickte und mein Wein käme in der Vinothek regelmäßig besonders gut an. Ich liebe es, wenn ein Plan aufgeht.
Thanisch, Weißburgunder 500 Reserve, 2022, Mosel. In der Nase viel Frucht und etwas Holz, am Gaumen erst viel Frucht, dann die feine phenolische Struktur, die ich an den Weinen aus dieser Anlage seit Jahren schätze, gepaart mit etwas cremiger Textur vom Holzausbau und Hefelager, dazu viel Mosel-Zug, nicht zu viel Körper, aber ordentlich Druck oder kürzer: Moselschieferweissburgunder mit einem Touch Holz.
Schmeckt, als hätte ich ihn selbst gemacht, nur besser.
Offenlegung: Ich habe keinerlei geschäftliche Verbindung zum Weingut oder finanzielle Beteiligungen an diesem oder anderen Weinen der Thanischs. Ich kriege ab und zu ein paar Flaschen Wein geschenkt, auch weil man mein Feedback schätzt. Manchmal entsteht sogar Wein dadurch.
Wie kommt man denn da dran?
Es gibt noch ein paar Flaschen ab Weingut, wenn die Leser nicht alles aufgekauft haben.
Ja spannend! Dann hoffe ich mal, dass es davon noch was gibt!
Lieber Felix,
ich habe mir, nach Deiner Erwähnung der Weins im Podcast, eine Kiste davon bestellt. Hätte ich das nicht gemacht, hätte ich echt was verpasst. Der Wein macht enorm viel Spass. ich werde mich wohl beherrschen müssen, damit die restlichen Flaschen noch 2024 oder 2025 erleben.
Vielen Dank fürs beharrlich bleiben!
Michael