Männerabend oder: Kein Wein für Tucholsky

Neulich veranstaltete ich einen Männerabend. Das mag auf den ersten Blick banal klingen, doch ist das für mich etwas besonderes, setzt ein Männerabend doch zwingend die Abwesenheit von Frauen voraus. Als Vater einer dreijährigen Tochter begehe ich Männerabende daher meist auf fremdem Terrain. Doch dieses Mal waren meine beiden Frauen ausgeflogen und als Strohwitwer konnte ich unter die Veranstalter gehen. Ich lud mir meinen Bruder ein, veranstaltete also die Basisversion eines Männerabends – einen Schuss Deluxe brachten jedoch mein Grill, zwei abgehangene Rib-Eye-Steaks sowie ein paar vernünftige Weine.

Brüder sind was wunderbares, kann man doch sein ganzes Leben mit Ihnen teilen. Dabei entwickelt sich mit Glück eine gleichberechtigte Freundschaft. Während Männer für ihre Mutter nie älter als zwölf Jahre werden, lassen sich Väter bestenfalls zu einer ordentlichen Kumpanei herab, freilich ohne je ganz den Lehrstuhl zu verlassen. Bei meinem Bruder und mir spielen die jetzt weniger als 5% Altersunterschied kaum noch eine Rolle. Jeder macht sein Ding, interessiert sich für den anderen und muss kein Mütchen mehr kühlen.

Ein wenig habe ich meinen Bruder beeinflussen können, als ich ihm vor einigen Jahren auf einer gemeinsamen Moselreise Rest- und Edelsüße Rieslinge näher bringen konnte. Deswegen tranken wir einen sehr guten 2007er J.R. junior von Rosch zum Aperitif und eine phänomenale 2006er Beerenauslese von Kerpen zum Nachtisch. Zum Steak hatte ich ein paar meiner wenigen Spanischen und Französischen Rotweine zur Auswahl gestellt. Doch mein Bruder überraschte mich mit der Ankündigung, mittlerweile hätte ich ihn auch zum Deutschen Spätburgunder bekehrt und da es die nie irgendwo zu trinken gäbe, täte ich ihm einen großen Gefallen, wenn ich einen aufmachte.

Brüder sind ideale Trinkpartner für Angeberweine, kriegen sie es doch eher nicht in den falschen Hals, wenn man Weine mitsamt Preis oder Hinweisen auf ihr Renommee serviert. Es erschien mir also als gute Idee an der Mosel zu bleiben und etwas zu servieren, was man vermutlich als teuersten und besten Spätburgunder des Gebietes bezeichnen darf. Einen *** Spätburgunder von Molitor.

Männerabend DeluxeNach dem leckeren Essen, zu dem der Wein sehr mundete, saßen wir noch etwas auf der Veranda und philosophierten über Wein im Allgemeinen und die Stellung des Deutschen Spätburgunders im Besonderen, als meinem Bruder spontan folgendes einfiel: ,Erinnerst Du Dich noch an das Regal mit Deutscher Literatur in unserem Elternhaus?‘ sprach er, um sogleich fortzufahren: ,Da stand eine Taschenbuchausgabe von Tucholsky, deren Umschlag ein Zitat zierte: Liebe Herren Verleger, macht unsre Bücher billiger. Macht unsre Bücher billiger. Macht unsre Bücher billiger!‘ Herr Tucholsky griff damit die Klage eines seiner Leser auf, dass die neue Literatur sich so schwer einen Weg in die Herzen der Konsumenten bahnen könne, weil sie immer ungleich teurer als der althergebrachte Literaturkanon sei (tatsächlich schrieb ihm der Leser: Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel) aber hier stößt die Analogie zum Wein an ihre Grenzen).

Wenn es Deutschlands Winzern ernst sei mit dem Ansinnen, ihren Spätburgunder in der Weltspitze zu verankern, dann sollten sie vielleicht nicht gleich beim ersten Achtungserfolg Mondpreise einführen, die den interessierten Laien vom Erwerb selbiger abschrecken – meinte mein Bruder. Da hat er nicht ganz unrecht, finde ich. Der Molitor, der damals 65€ kostete, was ihn schon aus dem Beuteschema ambitionierter Spätburgunder-Liebhaber katapultiert, steht mittlerweile mit über 90€ in der Preisliste. Da steige auch ich aus. Da entsteht bei mir der Eindruck, der Preis sei Mittel der Selbstverwirklichung, und ich bin Weintrinker, kein Therapeut.

Markus Molitor, Braunerberger Klostergarten Spätburgunder *** tr., 2005, Mosel. In der Nase mit sortentypischen Himbeeren, dazu Bleistiftspäne, rohes Fleisch, ansonsten eher mild. Am Gaumen ist der Wein von kräftiger Säure geprägt, ist saftig und ausserordentlich mineralisch, speicheltreibend, von mittlerem Volumen, mit sehr feinem Tannin und Anklängen von schwarzem Tee und Fliederbeeren. 14% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Der Abgang ist sehr lang, harmonisch aber nicht unendlich. Das ist ein ganz besonders schöner Wein, der unschlagbar wäre, wenn er 35 und nicht 65 Euro kosten würde.

Diese Kostnotiz entstand mit freundlicher Unterstützung meines Bruders.

Ich sprech‘ Weinisch

,Spiele sind Snacks für‘s Gehirn‘ schrieb ein weiser Soziologe aus Amerika, als in den 90ern das Phänomen der Computerspiele die breiten Massen (und Büros) erreichten. Der Gehirn-Snack des 21. Jahrhunderts ist für mich facebook. Immer, wenn ich im Büro eine Arbeit erledigt habe, gönne ich mir zwei Minuten Zerstreuung mit den sozialen Medien. Leider reicht die Zeit selten um mit zu diskutieren. Das könnte ich dann am Wochenende, aber da sind die meisten Diskussionen schon gelaufen.

Also schreibe ich meine Beiträge hier ins Blog. Das hat den Vorteil, dass ich aktuelle Themen mit aktuellen Weinen verknüpfen kann – und die Beiträge bleiben mir erhalten und verschwinden nicht in den undurchsuchbaren Archiven facebooks. Einziger Nachteil ist, dass ich etwas spät bin mit meinen Thesen, sozusagen den kalten Kaffee noch mal aufwärme.

Vergangene Woche drehte sich viel um Sprache. Das Weinportal Wein Plus hatte zum ersten Mal seit langer Zeit von sich reden gemacht, indem es ein Konsensgespräch (denn so richtig gestritten wurde nicht) veröffentlichte, in dem sich Weinkritiker und -händler darauf einigten, dass Wein eine neue Sprache benötige, um die breite Masse zu erreichen.

Viel Richtiges und Wichtiges wurde dazu gesagt in diversen Weingruppen auf facebook und auch im Blog vom Würtz. Doch einen Aspekt habe ich so ein bisschen vermisst, der zwar hier und da angedeutet aber nie auf den Punkt gebracht wurde.

Sprache ist ein Kode, der von einer Gruppe von Personen zur Kommunikation genutzt werden kann, die gemein haben, dass sie den Kode beherrschen. Jede Weinsprache, egal ob alt oder neu, grenzt mithin jene aus, die sie nicht kennen. Wein den Massen näher bringen kann man  einzig, indem man die Sprache der Massen verwendet, in diesem Fall also Deutsch.

Das klingt banal, ist es aber nicht. Ich glaube fest, dass Wein eine eigene Sprache verdient, zumindest da, wo allgemeines Deutsch nicht ausreicht. Für den einen bitzelt es auf der Zunge, für den anderen kratzt es, dann hat sich das Deutsch auch schon erschöpft – wo Weintrinker mit begriffen wie mineralisch, grün, phenolisch oder schlicht ,von (zuviel) Gährkohlensäure geprägt‘ für sehr unterschiedliche Formen des Bitzeln und Kratzens erhellende Formulierungen finden. Die häufig geäußerte Forderung, sich kurz zu fassen bei den Weinbeschreibungen, haut mit Fachvokabular vermutlich besser hin.

Aber es kommt auf einen Versuch an. Also beschreibe ich heute mal zwei Weine mit Worten, die jeder kennt und beschränke mich auch auf Aromen, die jeder identifizieren kann, der älter als 12 Jahre und schon einmal in einer Küche gewesen ist.

Wein 1. In der Nase ist der Wein intensiv, er wirkt regelrecht parfümiert oder duftig. Eine bestimmte Frucht lässt sich schwer benennen, vielleicht Birne. Vor allem riecht er nach Heu und ein wenig nach Nuss, außerdem blumig und zu einem erheblichen Teil nach Trauben (was bei Wein ja witzigerweise eher selten vorkommt). Im Mund ist der Wein viel leichter, als man dem Geruch nach vermutet hätte. Er schmeckt mild, hat keinen sehr intensiven Eigengeschmack und wirkt sehr leicht, auch weil er nur 11,5% Alkohol hat. Das ist ein Wein für warme Abende, den man auch zur Schorle verdünnen kann, wenngleich er dafür vielleicht zu gut ist. Er hat sehr wenig Säure, ist überhaupt nicht kratzig oder anstrengend. Der Geschmack erinnert mich sehr an den Saft von Dosenmandarinen, wenn man sich nur das Aroma vorstellt und jegliche Süße wegdenkt, denn der Wein ist absolut trocken. Der Nachhall dauert mittelmäßig lang. Ich finde den Wein sehr gut, weil er ausgesprochen süffig und sommertauglich ist, ohne banal zu sein – einfach und lecker. Eine echte Granate ist er, wenn man bedenkt, dass der Wein gerade einmal 5,20€ kostet.

Zwei mal gelesen und über drei Tage mit dem Wein verglichen, finde ich das Ergebnis dieser Beschreibung sehr nah an den Sinneseindrücken. Ich habe nicht dazu geschrieben, welcher Wein es war. Wer Lust hat zu raten, hinterlässt einen Kommentar. Irgendwann im Laufe der Woche kommt die Auflösung. Hier noch ein zweiter:

Wein 2. Steckt man die Nase ins Glas, dann riecht das, als beuge man sich in der Küche über eine Arbeitsplatte, auf der gerade jemand zweieinhalb Kilo rohes Rinderfilet zu Tournedos geschnitten hat. Ein Zweig Thymian und Rosmarin liegen auch schon bereit. Leider hat sich der Koch heftig in den Finger gechnitten, denn es riecht nach Blut. Frucht hingegen ist Mangelware. Wenn man sich ganz doll einbildet, da müsse auch Frucht zu erschnuppern sein, findet man vielleicht Himbeeren. Im Mund entsteht dann der Eindruck, man sei selber der Koch gewesen und stecke sich zwischendurch immer mal den blutenden Daumen in den Mund, aber das ist nur ein Aspekt. Es fällt zunächst auf, dass der Wein einiges an Säure besitzt, er ist nicht besonders dick und dieses schöne (oder furchtbare) pelzige Mundgefühl, dass der leckere Australier immer macht, das sucht man hier vergebens. Er wirkt kühl und frisch, wie ein Mentholbonbon (aber nicht so extrem), schneckt auch ein bisschen fruchtig süß (da ist tatsächlich Himbeere). Im Nachhall ist der Wein von der Säure geprägt und von einem leichten Kratzen. Der Wein hat 13% Alkohol aber das merkt man nicht. Er wirkt sehr lange nach und zieht die Säfte im Mund zusammen, so dass man immer mehr davon trinken möchte. Den findet man entweder schrecklich oder wird süchtig davon. Nennt mich Junkie!

Der erste Wein war eher einfach zu beschreiben. Beim zweiten musste ich zumindest auf Aromen zurück greifen, die ein Mensch ohne Weinerfahrung vermutlich nicht sofort assoziiert. Aber wenn der Wein für jemanden mit einer gewissen Trinkerfahrung doch so schmeckt? Man kann versuchen, das Wort ,Abseits‘ durch den Terminus ,Wenn der Schiri pfeift und die Frauen verstehen nicht warum‘ zu ersetzen (da geht sie hin, meine weibliche Leserschaft), aber würden sich dann mehr Damen für Fussball interessieren? Dazu müsste man das Abseits an sich abschaffen, was vermutlich den Fußball ruinierte. Was ich sagen will: Wir lieben doch komplexe Weine. Und solange diese so schmecken, wie sie schmecken, benötigt man ein wenig Vokabular, das zumindest nicht alltäglich ist. Dieses auf ein Minimum zu reduzieren, ist vornehme Pflicht jedes Weintrinkers, der sich öffentlich dazu äußert. Oder auf Deutsch: weniger wichtig machen, niemals Leute mit weniger Ahnung ausgrenzen, dann darf man Wein auch mineralisch nennen.

Date Night

Ich bin kein Gastrokritiker und deswegen gibt es hier nur alle drei Jahre mal eine Notiz zu einem Restaurant. Man sollte also seine Restaurantauswahl nicht nach meinem Urteil ausrichten. Doch gestern habe ich etwas erlebt, was ich berichtenswert finde. Und Restaurants spielen eine Hauptrolle in diesem Stück, gemeinsam mit einem tollen Wein.

Ich war mit meiner sehr viel besseren Hälfte zu unserem wöchentlichen gemeinsamen Restaurantbesuch verabredet. Wir nennen das Date Night, weil wir es in unserem Leben verankert haben, während wir im englischsprachigen Ausland lebten. Gestern hatten wir uns dafür das Borchardt ausgesucht, ein eher edles Restaurant in Berlins Zentrum. Es ist für zwei Dinge legendär: sein Wiener Schnitzel (obwohl es eigentlich ein Französisches Restaurant ist) und seinen unfreundlichen Service.

Fünf Minuten nach der Zeit unserer Tischbestellung kamen wir an, um zu einem gerade leer geräumten Tisch geführt zu werden. Die Tische standen unendlich eng und der Lautstärkepegel zur Hauptspeisezeit war beeindruckend. Auf die Frage nach einem Aperitif antwortete ich ,Wir hätten gerne ein Glas Sekt‘, was der Kellner mit genau drei Worten beantwortete: ,Prosecco oder Champagner‘. Wir entschieden uns für den Champagner, der schnell gereicht und geizig dosiert war. Während wir uns zuprosteten, wurde der Tisch gedeckt, aufgrund der Enge, wurde meiner Frau das Besteck nur den halben Weg über den Tisch geschoben. Die umliegenden Tische wurden in Lichtgeschwindigkeit von leergegessenen Tellern befreit und alles machte den Eindruck, als ginge es in diesem Restaurant darum, die Tische möglichst oft pro Abend zu besetzen. Kurzum, das Borchardt eignet sich für ein Candlelight Dinner ungefähr so gut, wie eine Verkehrsinsel auf dem Potsdamer Platz.

Ein Blick auf die Weinkarte zeigte den Gutssilvaner vom Weingut Keller für 45 Euro, auch der Rest sah nach fünffachem Weingutspreis aus. Verzweiflung machte sich breit. Ein Blick in das Gesicht meiner Frau zeigte, auch sie war mittlerweile auf schlimmes gefasst. Da hatten wir beide den gleichen Einfall: Lass uns den Champagner bezahlen und ein anderes Restaurant aufsuchen.

Der unfreundliche Kellner kam, um die Bestellung aufzunehmen. Als meine Frau ihm unser Anliegen schilderte – er hatte sich für mich unerreichbar hinter meinem Rücken positioniert – fragte er, ob etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Als meine Frau diplomatisch antwortete, wir hätten Date Night und dies sei wohl doch nicht der beste Ort dafür, passierte erstaunliches. Der Kellner strahlte über das ganze Gesicht und gab freimütig zu, dafür hätte er vollstes Verständnis und meine Frau habe absolut recht. Er wurde die Freundlichkeit in Person, brachte Rechnung und Regenschirm und verabschiedete uns herzlich. Wäre ich Zyniker, müsste ich schlussfolgern, die Verachtung für diejenigen, die sich schlecht behandeln lassen und allerlei ertragen, nur um einmal im Borchardt gewesen zu sein, schlug um in Respekt für ernstzunehmende Gäste.

So gut kann Deutscher Spätburgunder seinWir zogen weiter in die Gendarmerie, ein zur Lutter&Wegner-Gruppe gehörendes gehobenes Restaurant mit einem beeindruckenden Speisesaal. Und da war – ich muss es so pauschal sagen – einfach alles besser. Der Service freundlich, der Abstand zum Tischnachbarn angemessen, die Beleuchtung und Lautstärke gedämpft, die Weinkarte vernünftig kalkuliert – und es gab Sekt. Das Essen war ausgezeichnet aber das soll es im Borchardt auch sein. Endgültig versöhnen konnte uns dann der gewählte Wein.

Jean Stodden, Ahrweiler Rosenthal, Spätburgunder Grosses Gewächs, 2004, Ahr. Eine viertel Stunde Luft brauchte er lediglich, dann ging es rund. In der Nase ein bisschen Stall, viele Kräuter, wenig Schuhcreme und reichlich rohes Fleisch, dazu dezente Noten von Kirsche und dunklen Beeren. Am Gaumen ist der Pinot sehr saftig, voll, mit strammer Säure, viel Frucht (Kirsche und Himbeere), Rauch und Fleisch sowie einer straffen Mineralik. Der Abgang ist endlos, genau wie das Vergnügen. Ich fand ihn Weltklasse.

Und im Borchardt war ich jetz auch einmal.

K(l)eine Geschichten zu Großen Gewächsen (5)

Manchmal gibt es gar nicht so viel zu erzählen zu den Weinen, die ich trinke. Hier sind drei, die ich aber keinesfalls unterschlagen möchte.

Ich gebe zu, dass es mir unmöglich ist vorurteilsfrei an einen Christmann-Riesling heranzugehen. Ich habe so selten – vielleicht auch noch gar nicht – einen Riesling von diesem Gut getrunken, der mir verständlich machte, warum es über so großes Renommee verfügt (beim Spätburgunder bin ich bekehrt). Aber dieser Wein ist ein Anfang. Ich finde ihn besser als das Riesling GG aus dem IDIG aus gleichem Jahrgang und er ist gemessen am Spass im Glas vernünftig bepreist.

Riesling Mandelgarten GG 2005Christmann, Riesling Mandelgarten GG, 2005, Pfalz. In der Nase ganz klassisch und jahrgangstypisch: reife Aprikose, Pistazie, süßlich und etwas breit aber verführerisch und mit einem Hauch Petrol. Am Gaumen ein sattes Pfund, das aber nicht übertrieben daher kommt: wieder reife Frucht von Apfel und süßer Aprikose. Der Wein ist barock und ausladend. Da er aber auch extrem mineralisch, fast kreidig ausklingt und die Säure immer noch akzentuiert ist, finde ich ihn sehr harmonisch. 13 % Alkohol sind prägend aber nicht dominant. Der Mandelgarten kleidet den Mund aus, ist gereift und würzig aber nicht zu schwer. Im Kontext ,Pfalz 2005‘ ist er ein feiner und sehr gut gelungener Riesling, der mit seinem ewig langen Abgang zusätzliche Punkte sammelt.

Und noch ein Wein, dessen Etikett mich nicht unberührt lässt: über Chat Sauvage ist schon viel geschrieben worden, in der Presse überwiegend positiv, in Blogs und auf Facebook eher verhalten. Ersteres mag an den tiefen Taschen des Inhabers, eines Bauunternehmers aus Hamburg, liegen, die manch Verleger Hoffnung auf bezahlte Anzeigen machen (da sollte die Berichterstattung nicht allzu kritisch sein), letzteres vielleicht an Neid und Missgunst, der erfolgreichen Menschen hierzulande viel zu häufig entgegenschlägt. Allerdings darf sich Chat Sauvage Eigner Schulz nicht wundern, dass sich manch Winzer der 11. Generation ein wenig angepinkelt fühlt, wenn er in der Zeitung lesen darf, sein neuer Nachbar würde mal eben das ,Deutsche Romanée-Conti‘ aufbauen, nachdem er die ersten 50 Jahre seines Lebens Kalk nur als Baustoff kannte. Mir soll‘s egal sein, ich trinke nur Wein – und dieser hier hat den Wow-Faktor.

Chat Sauvage, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. In der Nase Rauch, Speck, Himbeere, Brombeere, Kirsche sowie ein bisschen Sauerkraut, jedoch unter der Grenze zum Unangenehmen. Am Gaumen von mittlerem Volumen und mit einer tollen Mischung aus süßer Frucht (Kirsche und Himbeere), kräftiger Säure und sehr geschmeidigem Tannin – das ergibt diese Saftigkeit, bei der ich mich immer in Acht nehmen muss, nicht die ganze Flasche an einem Abend zu leeren. Das Holz und der Alkohol tun das, was sie sollen: dem Wein etwas Kontur verleihen ohne sich in den Vordergrund zu spielen. 13 % Alkohol sind zudem sehr verträglich. Der Abgang ist sehr lang und verhalten mineralisch. Um groß zu sein, mangelt es dem Spätburgunder an Tiefe, ein großes Vergnügen ist er auf jeden Fall.

Den folgenden Wein hatte ich – Etikett hin oder her – abgeschrieben und weil für 23 Jahre alte Tropfen gilt, dass jede Flasche unterschiedlich schmeckt, einfach beschlossen ihn nicht weiter zu erwähnen. Das war um so bedauerlicher, weil er von Bernhard Fiedler stammt – genau genommen von Bernhards Herrn Papa, denn ich vermute, als der `89er entstand, hat Bernhard noch am Abi gebastelt (Oh verzeihen‘s Herr Geheimrat, Matura natürlich!). Doch nach schlappen 6 Tagen im Kühlschrank (offene Flasche) trat eine Wandlung zum (sehr) Guten ein, die es wert ist, beschrieben zu werden.

Grenzhof Fiedler, Neuburger Ausbruch, 1989, Neusiedlersee/Hügelland, Österreich. In der Nase Aceton, Kaffee, Karamell, keine Frucht, stattdessen jede Menge Würze. Am Gaumen Kaffee, Toffee, Karamell, etwas Apfel und Aprikose, sehr süß wenngleich immer noch mit schöner Säure. Insgesamt etwas klebrig, im Abgang wenigstens würzig – dieser Abgang ist für einen ,Ausbruch‘ jedoch etwas kurz. Ziemlich lecker aber jetzt auch über den Zenit – soweit mein Eindruck am ersten Tag. Der Rest stand 6 Tage im Kühlschrank (zum Wegschütten zu schade, zum Unter-der-Woche-trinken nicht spektakulär genug), bevor ich ihn wieder probierte. Und der Wein roch plötzlich intensiv nach Honig, am Gaumen zeigt sich rosinige Frucht, die Süße ist nicht mehr klebrig, Toffee und Kaffee sind immer noch dabei, Madeira lässt grüßen. Der Wein ist alles andere als über den Zenit – eher ein vergleichsweise frisches Altweinvergnügen – alte Weine muss man allerdings mögen, um sich an dieses Cola-farbene Getränk zu wagen.

K(l)eine Geschichten zu Großen Gewächsen (4)

Manchmal gibt es gar nicht so viel zu erzählen zu den Weinen, die ich trinke. Hier sind drei, die ich aber keinesfalls unterschlagen möchte.

Drei verschiedene Große Gewächse macht das Weingut Heymann-Löwenstein aus dem Winninger Uhlen. Meine Erfahrungen der letzten Jahre veranlassten mich dazu, in den zurückliegenden GG-Kampagnen nur noch den Uhlen-R zu kaufen (2010 habe ich mir auch das geschenkt, was Berichten von Freunden zufolge ein Fehler gewesen sein könnte). Um es drastisch zu sagen: bei Uhlen-L und Uhlen-B habe ich eine ganze Menge Frösche geküsst um verhältnismäßig wenige Prinzen zu treffen. Deswegen will ich nicht verschweigen, dass der folgende ein echter Prachtprinz war:

Heymann-Löwenstein, Uhlen B, 2005, Mosel. Da präsentiert sich große Dichte in der Nase, Aprikose, Grapefruit und Apfel aber auch Walnuss, eine leicht medizinale Note und ein Rest Sponti-Stinker – trotzdem riecht das sehr sympathisch, irgendwie fröhlich auf Krawall gebürstet. Am Gaumen finde ich den Riesling ziemlich trocken für einen Löwensteinschen Uhlen, saftig, mit einigen Gerbstoffen, reifer Säure, unauffälligen 12,5% Alkohol und wiederum einer leicht nussigen Note. Dörraprikose ist die dominierende Frucht. Reichlich Würze und getrocknete Kräuter belegen das mittlerweile fortgeschrittene Alter des Weins. Mächtige Mineralik zeigt sich vor allem im sehr langen Abgang. Erinnert mich irgendwie an Weine von Kühn aus dem gleichen Jahr und ist vermutlich nicht Jedermanns Sache. Mir gefällt der Uhlen B in diesem Zustand ausnehmend gut.

Als ich das `07er Ungeheuer 2009 zum ersten Mal trank, präsentierte sich der Wein sehr vielschichtig und ich kaufte einige Flaschen nach. Stand heute wäre das nicht unbedingt nötig gewesen, aber das Bild kann sich natürlich mit weiterer Reife wandeln:

Reichsrat von Buhl, Forster Ungeheuer, Riesling GG, 2007, Pfalz. Eine Klassische Pfälzer Rieslingnase, vor allem mit Aprikose und mürbem Apfel sowie allen weiteren üblichen Zutaten. Am Gaumen schön gereift und wieder sehr klassisch mit kantiger Säure, kräftiger Mineralik, süßer Frucht (obwohl sich der Wein insgesamt ziemlich trocken anfühlt), unauffälligem Alkohol (13%) und langem Abgang. Das ist Riesling pur – nicht mehr und nicht weniger.

Das Pfälzer VDP-Weingut Bernhart kenne ich nur, weil einr Händler meines Vertrauens den Spätburgunder Rädling auf seiner GG-Subskriptionsliste führt. Reflexartig ordere ich meistens eine Flasche davon. Nun habe ich erstmals eine getrunken. Meine Neugierde auf das restliche Sortiment des Gutes hat er nicht stimulieren können. Das ist zwar unfair bei nur einem gekosteten Wein aber wie ging noch ein alter Blues-Klassiker: ,So many vintners so little time…‘:

Bernhart, Spätburgunder ,Rädling‘ GG, 2005, Pfalz. In der Nase Blaubeere und Brombeere, etwas Jogurt, insgesamt fruchtig, fröhlich und nicht sehr tief. Am Gaumen besser: feines Tannin, schönes Holz, fruchtig mit den gleichen Beeren – der Rädling könnte noch mehr Konturen haben und Aromen aus dem kräutrig-fleischigen Spektrum zeigen, dann wäre er große Klasse. So ist er ein hervorragender Spätburgunder, der so eben als GG durchgeht