Was trinkt man zum Grünkohl…

…wenn es kein Bier sein soll? Die Suche nach dem richtigen Wein zu diesem irgendwie weinfeindlichen Gericht treibt mich schon eine ganze Weile um. Bei mir gibt es Grünkohl semiklassisch mit allerlei geräucherten Fleischwaren und kleinen, ganzen, etwas karamellisierten Röstkartoffeln. Das ‚semi‘ ist der Tatsache geschuldet, dass ich lieber geräucherte Putenbrust als Kasseler verwende und auch die Kohlwürste aus Geflügel sind.

Geräuchertes Fleisch und die leicht erdigen Noten des Grünkohl: Damit würde sich auf den ersten Blick ein südfranzösischer Rotwein mit Unterholz-Aromen anbieten, jedoch mag ich zu diesem Gericht nicht auf Senf verzichten. Und die Vermählung von Senf mit Rotwein steht auf meiner persönlichen Liste der Kombinations-Verbrechen auf einem unangefochtenen Spitzenplatz – noch vor der von meiner Frau gelegentlich vorgenommenen Paarung Salami mit Marmelade.

Also versuche ich es seit jeher mit Weißwein, und zwar mit solchen, die ein Holzfass von innen gesehen haben. Ein von einem Freund geschenkter ‚Cuvée de Blanc‘ von Stodden (das ist ein Riesling aus dem Barrique) passte vor Jahren ganz ordentlich, ist aber kein Wein, von dem ich ein erstes Glas als Aperitif oder ein letztes als Abschluss des Abends trinken würde. Dieses Wochenende habe ich es mit Dönnhoffs Doppelstück probiert, von dem ich im September schon kurz berichtete. Am ersten Tag hat der frisch geöffnete Wein eine überbordende Frucht gezeigt, die vor und nach dem Essen großen Spaß bereitete, die Grünkohl-Kombi bekam von mir aber als Schulnote eine Drei minus. Am Zweiten Tag zeigte der Wein mehr Holzeinfluss und passte besser – ich gebe eine glatte Zwei. Der Wein für sich verdient mindestens eine Zwei plus. Wer Bedenken gegenüber Holzfass-ausgebauten Deutschen Weinen hat, der sollte sich diesen mal als Einstiegsdroge gönnen: nicht zu dick, nicht zu alkoholisch, nicht zu holzig (das Doppelstück ist ein 2400-Liter-Fass), nicht zu ‚international‘ (oder beliebig) und vor allem: nicht zu teuer (14€).

Dönnhoff, Weißburgunder&Grauburgunder QbA ‚Doppelstück‘,2009, Nahe. Am ersten Tag entströmt dem Glas ein sehr fruchtiger Duft mit grünem Apfel, Birne und Mandarine, dazu nur ein Hauch Vanille vom Holzfassausbau. Auch am Gaumen dominiert Frucht, hier vor allem Birne und etwas Mandarine. Der Wein ist sehr balanciert: ein bisschen cremig, spürbare, harmonische Säure, leichte Mineralik und nur ein wenig Holz. Relativ langer Abgang. Am zweiten Tag zieht sich die Frucht etwas zurück und Holz- und Röstaromen werden spürbarer. Das macht den Wein nicht besser oder schlechter, sondern lediglich anders. 13% Alkohol sind zu jeder Zeit gut integriert.

Wird Herbst da draußen – und im Glas…

So wie ich im Juli gelegentlich Spätburgunder trinke, mundet mir auch im Dezember Riesling, aber die Grundfarbe des Sommers ist Weiß, die des Winters Rot. Der Herbst ist die Jahreszeit, in der ich gedanklich auf Rotwein umstelle.

Dieses Jahr habe ich meine Rotweinsaison mit Bordeaux eingeleitet. Leider waren gleich drei Versuche nötig, bis ich die Premiere gelungen fand. Denn der erste Wein, den ich mir schnappte war extrem anstrengend:

(Grand Vin du) Chateau Phélan Ségur, Cru Bourgeois, 1996, Saint Estèphe. Am ersten Tag war der Geruch, der dem Glas entströmte unerträglich, auch nach Stunden in der Karaffe: Pferdestall, Brett oder wie auch immer (hier findet sich ein schöner Artikel dazu). Auch am zweiten Tag wird das nicht viel besser. Darunter etwas Liebstöckel, Pflaume und Johannisbeere. Am Gaumen milde Säure, Kirsche mit mittlerem Druck. Schöne Struktur, eher elegant (12,5% Alkohol) aber immer von den stalligen Noten überlagert, die sogar am Gaumen Spuren hinterlassen. Perfekt integriertes, reifes Tannin, mineralischer Abgang. Es könnte ein eleganter Wein sein, wenn er nicht so penetrant stänke. 85 Punkte

Der zweite Versuch war besser, aber auch noch keine würdige Saisoneröffnung:

Chateau La Louvière (André Lurton), Grand Vin de Graves, 1999, Pessac-Léognan. In der Nase Kirsche, Leder und Zigarrenkiste, das alles von mittlerer Intensität. Am Gaumen mäßig druckvoll, wirkt der Wein fast ein bisschen müde. Vielleicht ist er schon ein oder zwei Jahre über seinen Zenit. Johannisbeere, grüne Paprika, relativ wenig Tannin und kaum mehr wahrnehmbares Holz treten in Erscheinung, entfalten aber zu wenig Druck. Um als elegant durchzugehen, müsste der La Louvière komplexer sein. Der Abgang ist mittellang. 13% Alkohol sind sehr gut integriert. Ein schöner Alltagswein und seriöser Essensbegleiter aber nicht mehr.

Also schoss ich mit Kanonen auf Spatzen. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht noch einen vernünftigen Wein ins Glas kriege:

Cos d’Estournel, 2eme Cru, 1997, Saint Estèphe. In der aristokratischen Nase Leder und Zeder, nur wenig Frucht (Kirsche, Cassis, Blaubeere) und dazu etwas Veilchen, Bordeaux trifft Morgon. Am Gaumen fruchtiger mit Kirsche und Johannisbeere, dazu Holz, Teer und Speck bei erstaunlich abgeschmolzenem Tannin. Die Säure ist auf dem Punkt, relativ volles Volumen, ohne dass der Wein dick wäre, 13% Alkohol treten nicht besonders zu Tage. Sehr harmonischer langer Abgang mit mineralischen Noten. Das ist ein stimmiges Gesamtpaket, und ich glaube nicht, dass weitere Flaschenreife den Wein verbessert. Vor fünf Jahren deutete eine erste Flasche großes Potential an, das hat sich teilweise bewahrheitet. An der magischen 90-Punkte-Hürde scheitert der Cos jedoch knapp.

Einkaufsstrategie Jahrgang 2010

Es gibt viel zu lesen dieser Tage: Gleich in mehreren deutschsprachigen Blogs, Foren und Social Networks wird erhitzt darüber debattiert, ob man den Jahrgang 2010 in Deutschland schon abschreiben könne. Winzer melden sich zu Wort und berichten von besonderem Aufwand, der belohnt wurde und von drei Wochen im Oktober, die retteten, was zu retten war. Kritiker sind zerstritten und zeihen sich gegenseitig der Erfahrungslosigkeit. Konsumenten schreien empört auf, sie könnten es nicht mehr hören, wie die Produzenten und Händler versuchten, den letzten Mist noch hochzujazzen.

Wenn ich nicht mehr weiß, was ich glauben kann oder soll, hilft es mir meist, mich auf mich selbst zu besinnen. Und wenn ich dabei ehrlich (oder sogar schonungslos) bin, bringt mich das der Lösung ein ganzes Stück näher. Wie hier schon einmal beschrieben, kaufe ich zu viel Wein. Ich bin ein Getriebener. Es treibt mich die Angst, etwas zu verpassen. Den einen Wein wieder ins Regal zurückgestellt zu haben, von dem ich jetzt in einer Zeitschrift lese, er habe das Zeug zur Legende. Also kommt beständig mehr in den Keller, als ich zum Trinken wieder entnehme.

Wenn ich mir dann noch einmal durchlese, was an Fakten zum Jahrgang zur Verfügung steht, dann ziehe ich einen freudigen Schluss: ich habe jetzt Pause.

Wenn im Jahr 2011 Vertikalverkostungen des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends anstehen, werden wir sicher Überraschungen erleben. Selbst Jahre, die alles andere als perfekt waren, haben Weine hervorgebracht, die als Meister ihres Faches gelten. Der 2004er G-Max ist dem vernehmen nach so einer, besser als die Weine aus den starken Jahren 2005 und 2007. Und es würde mich nicht wundern, wenn bei einer Morstein-Vertikale der 2008er von Wittmann ein überraschender Abräumer wird. 2001 und 2002 werden sicher ein paar Sieger stellen, Zwofünf, -sieben und -neun sowieso, 2003 vielleicht, 2006 und 2010 ganz sicher nicht.

Auch 2006 hatte objektiv schwierige Wetterbedingungen. Auch 2006 erzählten die Winzer viel von strenger Selektion und die Weinkritik startete zunächst teilweise mit recht euphorischen Kommentaren. Am Ende hatten alle diejenigen Recht, die (wie heuer viele für den Zehner) weissagten, es werde auch 2006 Spitzenweine geben aber nur ganz vereinzelt und auch nicht von überwältigender Qualität. Am Wochenende gab es bei mir einen der besten Weine aus dem Jahr (nach landläufiger und auch nach meiner Meinung).

Dönnhoff, Hermannshöhle GG, Riesling QbA, 2006, Nahe. Die Nase ist süß und sauber: Apfel, Aprikose und viel Marzipan, Aloe Vera und Vanille. Am Gaumen ist der Wein dezent fruchtig mit Grapefruit und Mandarine. Das GG ist ziemlich trocken, ziemlich vollmundig und druckvoll, wobei der Alkohol (13%) gut integriert ist. Es wirkt recht animierend, dass der Wein etwas adstringierend ist, dazu extrem mineralisch – ein sehr ernsthafter Wein mit sehr langem Abgang. Guter Speisenbegleiter auch zu kräftigerem Essen. 90 Punkte. Jetzt trinkreif aber es herrscht keine Eile.

Legenden schmecken anders. Und so denke ich mir: Von 2006 lernen, heißt Einkaufen lernen.

Also werde ich 2011 meinen paar Stammwinzern mit Mindestmengen des 2010ers die Treue halten, Magnums vollständig weglassen, die vier Vertikalen vervollständigen, die ich ohnehin sammle und das war‘s. Hoffnung, dass ich signifikant weniger in den Keller bringe als ich wieder heraushole, habe ich kaum, denn es steht ja auch die Präsentation der 2009er Spätburgunder-Gewächse an. Und da zittre ich jetzt schon vor Angst, ich könnte was verpassen…

Füllwein (19) – MSR Edition

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

St. Urbanshof, Ockfener Bockstein, Riesling Auslese (Halbflasche), 2006, Mosel (Saar). In der Nase cremig und frisch, Honig, Aprikose. blitzsauber: Riesling mit leichter Botrytis – keine modrigen 2006er-Töne. Am Gaumen mit relativ milder Säure aber trotzdem schönem Spiel. Ich kenne die Analysewerte nicht, aber der Wein hat vermutlich nicht ganz so viel Restzucker, dafür 9,5% Alkohol, die jedoch nicht ins Gewicht fallen. Wiederum sehr sauber und saftig: Aprikose, Rhabarber, Honig, Vanille; langer Abgang, der jedoch einige Bittertöne hat, die mir in der 2006er-Kollektion des St. Urbanshof öfter begegnet sind – ansonsten eine Bilderbuchauslese die noch einige Jahre vor sich hat.

Lothar Kettern, Piesporter Falkenberg, Riesling ‚Mineral‘ feinherb, 2009, Mosel. In der Nase noch mit Gäraromen und Hefe, darunter liegt viel exotische Frucht: Maracuja, Banane, Mango, Sternfrucht aber auch Rhabarber, entscheidender ist aber der Gaumen, denn der Wein ist ungemein saftig, süffig süß und mit viel Spiel – die Art von feinherbem Wein, die einen enormen Sog entwickelt. Die Hand geht ständig zum Glas. Das ist nicht ganz ungefährlich, weil der Riesling perfekt integrierte 11% Alkohol hat, die man leicht übersieht. Aprikose und Banane treffen auf eine feine Mineralik, die in diesem jungen Stadium dezent daher kommt. Wird bestimmt im Alter ernsthafter, jedoch werden meine Vorräte vorher ausgetrunken sein. Ein toller Wein.

Van Volxem, Wiltinger Braunfels, Riesling QbA, 2004, Mosel (Saar). Ich weiß nicht, ob der Wein analytisch trocken oder halbtrocken ist, das Etikett verrät nichts. Die Nase ist sehr vielversprechend: ein schöner reifer Riesling mit viel Aprikose und einer rauchigen Note. Am Gaumen ist der Wein saftig und fruchtig mit Aromen von Boskop-Apfel, Quitte und Pfirsich. Bei sehr reifer, dezenter Säure wirkt der Wein etwas süßlich, entwickelt am Gaumen nur mäßigen Druck und wirkt dadurch im mittellangen Abgang trotz nur 12% etwas alkoholisch. Der Braunfels ist mäßig mineralisch aber dafür sehr süffig. Fairer Wert.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Das Weingut Koehler-Ruprecht zeigt in vielerlei Hinsicht zwei Gesichter. Zum einen produziert es mit der Kallstadter Saumagen Auslese trocken ‚R‘ einen Wein, der gesucht und rar ist wie sonst nur Kellers G-Max, zum anderen sind die anderen Rieslinge des Hauses in der allgemeinen Wahrnehmung eher durchschnittlich. Markentechnisch fährt man zweigleisig: ‚normale‘ Weine segeln unter der Koehler-Ruprecht-Fahne und Barrique-Weine unter dem Label ‚Philippi‘. Bei letzterem werden die Weine mit einem oder auch mehreren R’s benamt, wenn sie besonders gut sind und besonders lange im Fass lagen. Das Weingut wird in Medien als Deutscher Pionier des Holzeinsatzes gefeiert, und in Internet-Weinforen artikulieren einzelne Kunden Zweifel an der Fasshygiene des Hauses. Ich kenne nicht genügend Weine des Gutes, um eine fundierte Meinung dazu zu entwickeln, finde aber, dass das eine bemerkenswerte Spanne von Lob und Tadel ist.

Eindeutig positiv zu bewerten ist in meinen Augen die Politik des Hauses, Weine solange reifen zu lassen, bis sie fertig sind. In der Hinsicht ist Kallstadt das Lynchburg des deutschen Weinbaus. Wer keinen Keller für die Lagerung hat, aber mal einen gereiften Spätburgunder oder Chardonnay trinken will, kann hier Weine ab Gut erwerben, die teilweise sieben Jahre gelagert sind – nicht, weil sie keiner kaufen wollte, sondern weil das Gut sie erst nach dieser Zeit zum Verkauf freigegeben hat. So wie dieser Wein, der (wenn ich es richtig erinnere) erst 2007 in den Handel kam.

Koehler-Ruprecht, Philippi Chardonnay ‚R‘, 1999, Deutscher Tafelwein Rhein (Pfalz). In der Nase erstaunlich frisch aber auch zurückhaltend. Chardonnay mit nicht zu intensivem Holzeinsatz ist die erste Assoziation, ohne dass einzelne Aromen besonders hervorträten. Am Gaumen setzt sich die Täuschung fort: 2007 hätte ich wohl in einer Blindprobe getippt. Der Wein ist nicht sehr fett und nicht sehr holzlastig. Stattdessen treten Säure und Mineralik in den Vordergrund. Das sonst so akzentuierte buttrige Aroma, die Haselnuss, das cremige Mundgefühl – alles Fehlanzeige. Man ist aber nie versucht, auf etwas anderes als Chardonnay zu tippen. Alkoholische Wärme fehlt ebenfalls, der Wein hat mit 13,5% Alkohol auch ein Prozent weniger als die meisten Vertreter dieser Kategorie. Der erste Wein, der sich mir vor allem darüber definiert, was er alles nicht ist – irgendwie surreal. Es ist in jedem Fall der mineralischste Chardonnay, den ich bisher getrunken habe.

Als Essensbegleiter zu Huhn mit Erdnusssoße macht der Wein eine exzellente Figur. Solo danach weitergenossen entwickelt sich ein schöner Trinkfluss. Das ist eine wundervolle Erfahrung um und bei 90 Punkten und ein Erkenntnisgewinn.