Nicht berühmt und trotzdem klasse

Dass in Deutschland großartige Rieslinge erzeugt werden, ist kein Geheimnis – auch wenn der angebliche Weltruhm unserer trockenen Gewächse meiner Meinung nach eher Wunsch als Realität ist. Weinfreaks und Insider außerhalb Deutschlands haben durchaus mitbekommen, was sich hierzulande in den letzten fünfzehn Jahren in Punkto trocken getan hat und Markenweine deutscher Winzer sind mir in der Gastronomie europäischer Großstädte begegnet – aber Weltruhm sieht anders aus.

Erstaunt (und als halbherziger Patriot sogar ein bisschen enttäuscht) bin ich, dass kaum jemand im Ausland wahrnimmt, dass in Deutschland einige der großartigsten Grauburgunder erzeugt werden – und das obwohl auf der Welt doch endlos Pinot Grigio getrunken wird. Zwei Erklärungen kommen mir in den Sinn. Entweder es liegt daran, dass Pinot Gris/Grigio/Grauburgunder vor allem von Menschen auf Vernissagen gesüppelt wird, die kein tieferes Interesse an Wein haben (sich stattdessen auf die Bilder konzentrieren) oder der Grund ist, dass diese Rebsorte einfach keine vollends großen Weine hervorzubringen vermag. Ersteres ist ein Klischee und letzteres nur meine Meinung aber hey, ich bin hier der Hausherr!

Meine Lieblingskaiserstühler vom Weingut Schneider in Endingen gehören für mich zu den allerbesten Produzenten grauen Burgunders, den sie – alter Tradition verhaftet – Ruländer nennen. Was mir bei den Schneiders gefällt, ist ihre individuelle Herangehensweise an jeden Jahrgang. Das fängt damit an, dass es nicht jedes Jahr die gleichen Weine gibt. Ob es Kabinett, Spätlese und Auslese aus den einzelnen Lagen gibt, scheint hier erst nach Ernte und Begutachtung der Moste entschieden zu werden. Auch die Intensität des Holzeinsatzes wird meiner Meinung nach sehr gekonnt der jeweiligen Alkoholgradation und Stilistik angepasst. Das Ergebnis ist immer mindestens gehobener Mainstream und manchmal Weltklasse. Wohlgemerkt Weltklasse nicht Weltruhm, denn Weltruhm sieht (leider) anders aus.

Die schlanke Variante eines anspruchsvollen GrauburgundersR.&C. Schneider, Ruländer Spätlese trocken *** -R-, 2008, Baden. In der Nase sehr fruchtig mit viel Birne und Quitte, dazu etwas Pistazie. Am Gaumen ist der Wein schmelzig mit sehr viel süßer Frucht, vor allem Mandarine und Quitte. Dazu ist er leicht nussig. 13% Alkohol sind hervorragend integriert, Holznoten kommen der feinen Frucht nicht in die Quere. Die Säure ist spürbar aber fein – das passt. Der Abgang ist sehr lang. Großartiger Grauburgunder.

R.&C. Schneider, Ruländer Auslese *** -R-, 2004, Baden. In der Nase dominieren Holz, Birne, Honigmelone, Vanille. Am Gaumen ist der Grauburgunder zunächst süß im positiven Sinne: süße Frucht, alkoholische Süße, vanillige Süße vom Holzausbau aber keine pappige Süße von Restzucker. Die Säure ist wahrnehmbar aber nicht sehr prägnant, der Wein cremig. Mit zunehmendem Luftkontakt zeigt sich eine mineralische Note, die Süße tritt in den Hintergrund, der Alkohol ist erstaunlich gut eingebunden, wenngleich 14,5% bei einem Weißwein meiner Erfahrung nach immer eine tragende Rolle spielen, so auch hier. Frucht ist auch am Gaumen reichlich vorhanden in Form von Birne und Grapefruit. Eine ganz leichte würzige Note deutet an, dass der Wein älter als zwei Jahre ist, auf beinahe acht hätte ich blind jedoch nie getippt. Der Abgang ist sehr lang und von Mineralik getragen. Unter allen Weißweinen, die ich bisher getrunken habe, ist das ein sehr guter, unter den Grauburgundern ein Riese.

Alles Lüge!

Als ich in meinem letzten Artikel schrieb, in keinem anderen Anbaugebiet Deutschlands gäbe es so viele Winzer, von denen ich schon Gutes gehört aber noch nie etwas getrunken hätte, wie im Rheingau, entsprach das nicht den Tatsachen. Kurz vor Veröffentlichung des Posts fiel mir auf, dass diese Aussage eigentlich für Franken gilt. Bis dahin war’s ein Irrtum. Doch ich war faul, drückte den ‚Publish‘-Button und wurde zum Lügner. Ich war zu faul, mir eine neue Intro auszudenken. So bin ich halt.

Aber ich habe ein Gewissen! Noch am Abend ersteigerte ich bei ebay einen vernünftigen Riesling aus Franken, bezahlte sofort, erhielt die Sendung gestern, und trinke nun am zweiten Abend einen Wein, der es mir gestattet, meine Sünde zu beichten, denn in diesem Blog gibt es keinen Artikel ohne passenden Tropfen. Es ist mein erster Spitalwein (bei den Sauers bin ich auch noch blank) und er füllt eine Bildungslücke.

Die Schulterprägung auf der Flasche zeigt: Riesling nicht erst seit gestern

Bürgerspital zum Hl. Geist, Würzburger Stein ‚Hagemann‘, Riesling Großes Gewächs, 2005, Franken. In der Nase zeigt der Stein das Bukett eines in Würde gereiften trockenen Rieslings, dicht, voll, mit Würze, Aprikose, und einigen Kräutern aber ohne jede Firne. Das riecht ganz wundervoll und nur der im Hintergrund wabernde Alkohol verhindert frühen Jubelgesang. Auch am Gaumen ist er das Thema: der Alk.! 14% weist das Etikett aus. Aber der Stein ist einer der wenigen Rieslinge, die das wegstecken. Er ist sehr trocken (ich schmeckte nicht einmal die alkoholische Süße, die ich erwartet hatte), er ist vollmundig, ohne fett zu sein, was auch an einigen schönen Gerb- und Bitterstoffen liegt und er ist mineralisch, fest und extrem lang. Besonders fruchtig ist er nicht, aber das ist in meinen Augen eine Stärke. Alles, was in Richtung süße Frucht gegangen wäre, hätte den Wein mastig gemacht. So ist der Stein anders aber großartig.

So kann’s weitergehen in Franken.

Zwei kamen durch

Der Rheingau ist normalerweise nicht meine Baustelle. Mehr als qualitativen Aspekten ist das der Tatsache geschuldet, dass ich das Gebiet noch kaum bereist habe. In keinem anderen Anbaugebiet Deutschlands gibt es so viele Winzer, von denen ich schon Gutes gehört aber noch nie etwas getrunken habe. Einer war das Weingut J. B. Becker. Deshalb war ich ausgesprochen erfreut, als mein Vater mir vor einiger Zeit ein besonderes Probepaket dieses Erzeugers schenkte, die trockene Spätlese aus der besten Lage des Gutes aus den Jahrgängen 1993, 2001 und 2007.

Es dauerte zwei Jahre, bis die Flaschen dran glauben mussten. Ich hatte gehofft, eine kleine Runde von Rieslingfreunden mit ins Boot holen zu können, aber die Gelegenheit ließ auf sich warten. Bevor der 93er sein Leben aushaucht, beschloss ich also, mich solo an die Flaschen zu wagen – dann halt nacheinander statt nebeneinander. Anfangen wollte ich mit dem 2001er. Wenn ich den Genuss über Tage strecke, kann ich die Regel ‚von jung nach alt‘ getrost über Bord werfen – so mein Kalkül.

Nachdem ich letztes Jahr viel Glück mit Korken hatte – nur ein echt herber Verlust war zu beklagen, der Rest war verschmerzbar – scheint es dieses Jahr wieder schlimmer zu kommen. Ausgerechnet der 2001er hatte Kork. Der erste Schluck war ziemlich großartig aber mit einem Fragezeichen versehen, der zweite war ein einziges Fragezeichen und nach 30 Minuten war der Wein nur noch übel riechende Brühe. Das sind die grausamsten Korkschmecker: bei denen einen kurzen Moment die Klasse eines Weines aufblitzt, bevor sich mit Luft das Grauen durchsetzt.

Dem Winzer mag ich nicht grollen, die 2007er Spätlese kam mit Glasverschluss daher. Herr Becker scheint also bekehrt. Die anderen beiden Weine zeigten sich als schöne Vertreter ihrer Gattung, ich wurde aber das Gefühl nicht los, der 2001er hätte beide übertrumpft.

J. B. Becker, Wallufer Walkenberg, Riesling Spätlese trocken, 1993, Rheingau. In der Nase reifer, mürber Apfel und Jogurt. Ich kann dem firnen Alterston ganz reifer trockener Rieslinge wenig abgewinnen oder gar die Brotsorten benennen, nach deren Kruste alte Rieslinge für manche riechen. Ich finde diesen Wein in der Nase erträglich und konzentriere mich auf den Gaumen. Da präsentiert sich die Spätlese erstaunlich saftig und mit einer noch sehr lebendigen Säure, aromatisch spielt der Wein eher in der würzigen Liga, was kaum überrascht, ist sehr trocken, kommt aber auch mit einem feinen Marzipanaroma daher (also Marzipan ohne Süße, was schwer vorstellbar ist wenn man nicht gerade diesen Wein trinkt), dazu Boskop und eine spürbare Mineralik. 13% Alkohol fallen nicht weiter unangenehm auf, sorgen aber für Druck am Gaumen. Der Abgang ist sehr lang und der Wein ausgesprochen gut.

Die Begeisterung entspringt der Aromatik, nicht dem Respekt davor, dass der Wein noch lebt – er ist also großartig und nicht ‚für sein Alter großartig‘. Trotzdem reicht es mir, einen solchen Wein ab und zu zu trinken und ich schaffe auch keine ganze Flasche davon, nicht einmal über drei Tage verteilt. Bei dem jüngeren Modell ist das anders, er ist vermutlich der schwächere Wein, trotzdem trinke ich ihn auch an drei aufeinanderfolgenden Tagen.

J. B. Becker, Wallufer Walkenberg, Riesling Spätlese trocken, 2007, Rheingau. In der Nase intensiv: blumig und parfümiert mit Aloe Vera, Birne, Apfel, Limone und Hefe. Am Gaumen zunächst sehr trocken, fast karg, was mit Luft etwas besser wird. Der Wein ist etwas spannungsarm, was an der verhaltenen Säure liegt. Ich finde ihn mitteldick und mittelkräftig, mit zurückhaltenden 12,5% Alkohol und etwas einfachen Apfel- und Zitrusaromen. Allerdings gesellt sich zum Schluss hin eine sehr feine Mineralik dazu, die auch den ausgesprochen langen Abgang trägt und den Wein sehr aufwertet. Hervorragender Riesling.

Kellerleiche (4)

Jeder hat irgendwelche Leichen im Keller...Ein nützlicher Nebeneffekt des Bloggens ist, dass ich mich regelmäßig mit dem Inhalt meines Kellers auseinandersetze und so die übermäßige Ansammlung vergessener (und überlagerter) Weine vermeide. Zugegeben, auch mir ist das Verdrängen nicht fremd. Und so stellte ich nach dem Schreiben der Geschichte über meinen missglückten Ausflug in die Welt der italienischen Weine fest, dass ich noch ein paar mehr Flaschen als gedacht aus Bella Italia im Keller hatte. Das habe ich prompt unter Zuhilfenahme von ebay korrigiert. Zwei Flaschen fand ich jedoch, die ich nicht einmal mehr bei ebay anbieten mochte, darunter ein neun Jahre alter 7-Euro-Riserva aus der autochtonen Rebsorte Nero di Troia.

Solche Weine verwende ich für gewöhnlich nur noch zum Marinieren von Fleisch. Doch einem Impuls folgend zog ich bei dieser Flasche den Korken und probierte. Ich landete einen Glückstreffer. Das war keine Kellerleiche, das war ein richtig ordentlicher Rotwein – und zwar nicht aus der Kategorie ‚Erstaunlich für sein Alter‘. Ich denke, der war vor vier Jahren nicht besser. Man kann den Inhalt einer Weinflasche halt nur auf eine Art beurteilen: probieren.

Torrevento, Vigna Pedale Riserva, 2003, Apulien, Italien. In der Nase zeigt sich immer noch Holz, dazu Pflaume, Blaubeere und Tabak. Der Alkohol liegt bei entspannten 13% und fällt in der Nase und am Gaumen nicht weiter auf. Das reife, griffige Tannin und die frische Säure bilden ein wunderbares Gerüst, in dem die Fruchtaromen von Kirsche und Pflaume sehr saftig wirken. Mit dem aromatischen Einfluss des Holzes ergibt sich ein stimmiges Gesamtpaket mit erstaunlich langem Abgang – sehr lebendig.

Auf in den Rheingau

Am 17. Und 18. März 2012 treffen sich in Geisenheim über 100 Menschen, die die Lust an Wein und dem Austausch darüber unter Zuhilfenahme elektronischer Medien eint. Wir (ich bin auch dabei) werden ein Barcamp veranstalten, eine sogenannte Unkonferenz. Das ist eine Art Präsentationsringelpiez bei dem jeder angehalten ist, nicht nur zu konsumieren, sondern auch aktiv beizutragen. Wem das jetzt zu sehr nach ‚Alles kann, nichts muss‘ klingt, dem sei versichert: die Klamotten bleiben an. Auf in den Rheingau weiterlesen