Zwei kamen durch

Der Rheingau ist normalerweise nicht meine Baustelle. Mehr als qualitativen Aspekten ist das der Tatsache geschuldet, dass ich das Gebiet noch kaum bereist habe. In keinem anderen Anbaugebiet Deutschlands gibt es so viele Winzer, von denen ich schon Gutes gehört aber noch nie etwas getrunken habe. Einer war das Weingut J. B. Becker. Deshalb war ich ausgesprochen erfreut, als mein Vater mir vor einiger Zeit ein besonderes Probepaket dieses Erzeugers schenkte, die trockene Spätlese aus der besten Lage des Gutes aus den Jahrgängen 1993, 2001 und 2007.

Es dauerte zwei Jahre, bis die Flaschen dran glauben mussten. Ich hatte gehofft, eine kleine Runde von Rieslingfreunden mit ins Boot holen zu können, aber die Gelegenheit ließ auf sich warten. Bevor der 93er sein Leben aushaucht, beschloss ich also, mich solo an die Flaschen zu wagen – dann halt nacheinander statt nebeneinander. Anfangen wollte ich mit dem 2001er. Wenn ich den Genuss über Tage strecke, kann ich die Regel ‚von jung nach alt‘ getrost über Bord werfen – so mein Kalkül.

Nachdem ich letztes Jahr viel Glück mit Korken hatte – nur ein echt herber Verlust war zu beklagen, der Rest war verschmerzbar – scheint es dieses Jahr wieder schlimmer zu kommen. Ausgerechnet der 2001er hatte Kork. Der erste Schluck war ziemlich großartig aber mit einem Fragezeichen versehen, der zweite war ein einziges Fragezeichen und nach 30 Minuten war der Wein nur noch übel riechende Brühe. Das sind die grausamsten Korkschmecker: bei denen einen kurzen Moment die Klasse eines Weines aufblitzt, bevor sich mit Luft das Grauen durchsetzt.

Dem Winzer mag ich nicht grollen, die 2007er Spätlese kam mit Glasverschluss daher. Herr Becker scheint also bekehrt. Die anderen beiden Weine zeigten sich als schöne Vertreter ihrer Gattung, ich wurde aber das Gefühl nicht los, der 2001er hätte beide übertrumpft.

J. B. Becker, Wallufer Walkenberg, Riesling Spätlese trocken, 1993, Rheingau. In der Nase reifer, mürber Apfel und Jogurt. Ich kann dem firnen Alterston ganz reifer trockener Rieslinge wenig abgewinnen oder gar die Brotsorten benennen, nach deren Kruste alte Rieslinge für manche riechen. Ich finde diesen Wein in der Nase erträglich und konzentriere mich auf den Gaumen. Da präsentiert sich die Spätlese erstaunlich saftig und mit einer noch sehr lebendigen Säure, aromatisch spielt der Wein eher in der würzigen Liga, was kaum überrascht, ist sehr trocken, kommt aber auch mit einem feinen Marzipanaroma daher (also Marzipan ohne Süße, was schwer vorstellbar ist wenn man nicht gerade diesen Wein trinkt), dazu Boskop und eine spürbare Mineralik. 13% Alkohol fallen nicht weiter unangenehm auf, sorgen aber für Druck am Gaumen. Der Abgang ist sehr lang und der Wein ausgesprochen gut.

Die Begeisterung entspringt der Aromatik, nicht dem Respekt davor, dass der Wein noch lebt – er ist also großartig und nicht ‚für sein Alter großartig‘. Trotzdem reicht es mir, einen solchen Wein ab und zu zu trinken und ich schaffe auch keine ganze Flasche davon, nicht einmal über drei Tage verteilt. Bei dem jüngeren Modell ist das anders, er ist vermutlich der schwächere Wein, trotzdem trinke ich ihn auch an drei aufeinanderfolgenden Tagen.

J. B. Becker, Wallufer Walkenberg, Riesling Spätlese trocken, 2007, Rheingau. In der Nase intensiv: blumig und parfümiert mit Aloe Vera, Birne, Apfel, Limone und Hefe. Am Gaumen zunächst sehr trocken, fast karg, was mit Luft etwas besser wird. Der Wein ist etwas spannungsarm, was an der verhaltenen Säure liegt. Ich finde ihn mitteldick und mittelkräftig, mit zurückhaltenden 12,5% Alkohol und etwas einfachen Apfel- und Zitrusaromen. Allerdings gesellt sich zum Schluss hin eine sehr feine Mineralik dazu, die auch den ausgesprochen langen Abgang trägt und den Wein sehr aufwertet. Hervorragender Riesling.

Stinkender Schatz

Die folgende Geschichte ist schon an verschiedenen Stellen im Internet erzählt worden.  Man mag mir meinen Mangel an Originalität verzeihen: gute Geschichten dürfen meiner Meinung nach auch mehrfach erzählt werden.

Als 1993 der Junior des Weinguts Thanisch (heute Ludwig Thanisch & Sohn) von der Ausbildung in das väterliche Gut heimkehrte, war er voller Tatendrang und wollte das eben gelernte auch im eigenen Betrieb anwenden. Spontanvergärung war gerade wieder im Kommen und eine Auslese aus dem Jahrgang 1993 sollte mit dieser Methode, Vergärung mit Keller- und Lesegut-eigenen Hefen anstatt mit Zuchthefe, hergestellt werden. Das Vorhaben ging gründlich schief, der Wein entwickelte einen heftigen Schwefelwasserstoffton in der Nase, was bei Spontangärung ja schon mal vorkommt. Da die Kunden des Gutes (damals) so einen Wein als fehlerhaft eingestuft hätten, wanderte die komplette Charge ins Lager (auch bei diesem Winzer ‚Schatzkammer‘ genannt) und wurde dort eingemottet. 15 Jahre später, der Junior ist längst am Ruder, die Produktion ist beim Riesling vollständig auf Spontangärung umgestellt, wurde der Wein wieder hervorgeholt. Der Spontistinker war verflogen (er wäre heute vielleicht auch kein Hinderungsgrund für den Verkauf mehr) und zum Vorschein kam ein sehr zum Vorteil gereifter Wein. Den gab es eine Weile zum Schnäppchenpreis, bis er über Nacht teurer wurde, was vielleicht auch mit einigen euphorischen Stimmen im Internet zusammenhing.

Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Brauneberger Juffer, Riesling Auslese, 1993, Mosel. In der Nase verhalten Petrol und noch ein paar Sponti-Stinker-Noten, dazu Aprikose und Marzipan; für Alter und Vorgeschichte vergleichsweise frisch. Am Gaumen ist der Wein absolut wunderbar: sehr saftig und fruchtig mit Aprikose, würzig mit einem Hauch Pistazie. Dank der langen Reife bietet der (Achtung: Unwort!) ‚unheimlich leckere‘ Wein ein halbtrockenes Geschmacksbild. Sehr langer, warmer, mineralischer Abgang.

Allen Lesern wünsche ich schöne Weihnachtsfeiertage.