Meister der Herzen (2)

Wie früher schon beschrieben, genieße ich die Zeit um die Veröffentlichung der Großen und Ersten Gewächse gründlich. Wo möglich besuche ich Veranstaltungen, probiere selbst und lese alles, was in den sozialen Medien und auf Blogs veröffentlicht wird. Dabei kristallisieren sich Geheimtipps heraus, die ich mir besorge, wenn sie noch nicht auf der Einkaufsliste standen.

Ein Wein, der dieser Tage in vielen Berichten auftaucht, ist der Berg Rottland vom Weingut Balthasar Ress. Der ist ,nur‘ ein Riesling QbA, was daran liegt, dass er durch die sensorische Prüfung gefallen und vom Rheingauer Weinbauverband nicht als Erstes Gewäch zugelassen ist. Ich konnte den Wein zum ersten Mal im Frühjahr als Fassprobe am Rande des Vinocamps probieren und fand ihn bemerkenswert. Danach durfte ich ihn gemeinsam mit dem Ress‘schen Betriebsleiter Dirk Würtz bei einer Zusammenkunft in Berlin trinken. An jenem Wochenende bekam ich vom Würtz auch eine Flasche geschenkt, an der ich mich die letzten drei Tage gelabt habe.

Wie bei Thomas Günther zu lesen ist, sind dieses Jahr fast die Hälfte der angestellten Weine durch die EG-Prüfung gefallen. Der Rottland war mehrfach angestellt, um ihm die hohen Weihen zu verschaffen. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie die Prüfer vor diesem monumentalen Wein gesessen haben. ,Warum Ich? Warum hat den nicht die Kommission im Nebenzimmer auf die Verkostungsliste bekommen?‘ mögen sich die Prüfer gefragt haben. Denn dieser Brocken von Wein ist unzweifelhaft großartig. Er ist aber auch die Quintessenz der diesjährigen Ress-Kollektion, die unter dem Motto ,Wir machen keine Gefangenen‘ stehend eine Phalanx von aufregenden aber anspruchsvollen Weinen darstellt. Schon der Basiswein kommt mit einem heftigen Spontistinker daher. Der Rottland riecht dezenter, dafür hat er andere Kanten:

Balthasar Ress, Rüdesheim Berg Rottland, Riesling tr., 2011, Rheingau. Am ersten Tag in der Nase ohne jede Frucht, mit viel getrockneten Kräutern (Thymian und Oregano), einem sehr dezenten Spontanstinker und – sehr außergewöhnlich – einer Spur Blut. Ich glaube, wenn man diesen Wein zehn Weinfreunden aus einem schwarzen Glas nur zum beschnuppern gäbe, tippte höchstens einer auf Riesling aber mindesetens zwei auf Spätburgunder – zumindest kurz nach dem Entkorken. Nach einigen Stunden an der Luft taucht schwer definierbare Frucht auf, vielleicht ein bisschen Aprikose aber eigentlich mehr Apfel, Quitte, Birne. Am Zweiten Tag duftet der Wein nach gärenden Äpfeln (wer einen Apfelbaum im Garten hat und regelmäßig zu faul ist, das Fallobst zu entsorgen, weiß wie gut das duften kann). Am dritten Tag übernimmt wieder der Fruchtmix und die Spontinote. Am Gaumen ist der Wein zunächst ebenfalls arm an Frucht, knochentrocken, fest und kräftig, mundfüllend und mit gut balancierter Säure, auch leicht adstringierend. Später fächert er aromatisch etwas auf, Birne, Aprikose, Mandarine aber eigentlich spielt das über drei Tage alles nur die zweite Geige neben einer wahnsinnig spannenden Mineralik. Ich bin kein Fan von dem ,flüssigen Stein‘-Gebrabbel. Ich finde das affektiert. Aber wenn ich es denn nutzen müsste, hier fände es Anwendung. Der Abgang ist ausgesprochen lang und (noch) ein wenig austrocknend.

Ich bin ehrlich: ich kann den Rheingauer Weinbauverband verstehen. Ich hätte den auch abgelehnt. Wenn das Ziel der Rheingauer ist, über verlässliche Qualität eines berechenbaren Produktes mit klarem Profil wieder in die Spitze zu kommen, dann muss man den Rottland ablehnen. Wenn das nicht das erklärte Ziel ist, waren bei der Prüfung allerdings Idioten am Werk. Der Wein ist Avant Garde. Damit kriegt man viel Aufmerksamkeit und gewinnt die Herzen ambitionierter Weintrinker. Wer den unvorbereitet genießt, wähnt sich schnell im falschen Film.

Nun haftet diesem tollen Riesling also der Makel an, durch eine Prüfung gefallen zu sein. Da muss das Gut Marketingaufwand betreiben, um ihn ohne Preisabschlag im Markt zu platzieren. Bei den Talenten der Herren Ress und Würtz sollte das kein Problem darstellen. Wenn doch, biete ich hiermit meine Hilfe an. Starten wir klassisch: Eine beliebte Methode, die Tonalität einer Marketingkampagne zu finden, ist es, frei zu assoziieren und dabei das zu bewerbende Produkt als Person zu beschreiben. ,Wenn dieses Produkt/diese Marke ein Mensch wäre, wie wäre der?‘ Ich versuch‘s mal: Der Berg Rottland wäre ein zwei Meter großer Ex-Türsteher mit verwaschenem Käppi, losem Mundwerk und David-Bowie-T-Shirt (letzteres aber gebügelt!)

Keine Ahnung, wie ich darauf komme…

Männerabend oder: Kein Wein für Tucholsky

Neulich veranstaltete ich einen Männerabend. Das mag auf den ersten Blick banal klingen, doch ist das für mich etwas besonderes, setzt ein Männerabend doch zwingend die Abwesenheit von Frauen voraus. Als Vater einer dreijährigen Tochter begehe ich Männerabende daher meist auf fremdem Terrain. Doch dieses Mal waren meine beiden Frauen ausgeflogen und als Strohwitwer konnte ich unter die Veranstalter gehen. Ich lud mir meinen Bruder ein, veranstaltete also die Basisversion eines Männerabends – einen Schuss Deluxe brachten jedoch mein Grill, zwei abgehangene Rib-Eye-Steaks sowie ein paar vernünftige Weine.

Brüder sind was wunderbares, kann man doch sein ganzes Leben mit Ihnen teilen. Dabei entwickelt sich mit Glück eine gleichberechtigte Freundschaft. Während Männer für ihre Mutter nie älter als zwölf Jahre werden, lassen sich Väter bestenfalls zu einer ordentlichen Kumpanei herab, freilich ohne je ganz den Lehrstuhl zu verlassen. Bei meinem Bruder und mir spielen die jetzt weniger als 5% Altersunterschied kaum noch eine Rolle. Jeder macht sein Ding, interessiert sich für den anderen und muss kein Mütchen mehr kühlen.

Ein wenig habe ich meinen Bruder beeinflussen können, als ich ihm vor einigen Jahren auf einer gemeinsamen Moselreise Rest- und Edelsüße Rieslinge näher bringen konnte. Deswegen tranken wir einen sehr guten 2007er J.R. junior von Rosch zum Aperitif und eine phänomenale 2006er Beerenauslese von Kerpen zum Nachtisch. Zum Steak hatte ich ein paar meiner wenigen Spanischen und Französischen Rotweine zur Auswahl gestellt. Doch mein Bruder überraschte mich mit der Ankündigung, mittlerweile hätte ich ihn auch zum Deutschen Spätburgunder bekehrt und da es die nie irgendwo zu trinken gäbe, täte ich ihm einen großen Gefallen, wenn ich einen aufmachte.

Brüder sind ideale Trinkpartner für Angeberweine, kriegen sie es doch eher nicht in den falschen Hals, wenn man Weine mitsamt Preis oder Hinweisen auf ihr Renommee serviert. Es erschien mir also als gute Idee an der Mosel zu bleiben und etwas zu servieren, was man vermutlich als teuersten und besten Spätburgunder des Gebietes bezeichnen darf. Einen *** Spätburgunder von Molitor.

Männerabend DeluxeNach dem leckeren Essen, zu dem der Wein sehr mundete, saßen wir noch etwas auf der Veranda und philosophierten über Wein im Allgemeinen und die Stellung des Deutschen Spätburgunders im Besonderen, als meinem Bruder spontan folgendes einfiel: ,Erinnerst Du Dich noch an das Regal mit Deutscher Literatur in unserem Elternhaus?‘ sprach er, um sogleich fortzufahren: ,Da stand eine Taschenbuchausgabe von Tucholsky, deren Umschlag ein Zitat zierte: Liebe Herren Verleger, macht unsre Bücher billiger. Macht unsre Bücher billiger. Macht unsre Bücher billiger!‘ Herr Tucholsky griff damit die Klage eines seiner Leser auf, dass die neue Literatur sich so schwer einen Weg in die Herzen der Konsumenten bahnen könne, weil sie immer ungleich teurer als der althergebrachte Literaturkanon sei (tatsächlich schrieb ihm der Leser: Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel) aber hier stößt die Analogie zum Wein an ihre Grenzen).

Wenn es Deutschlands Winzern ernst sei mit dem Ansinnen, ihren Spätburgunder in der Weltspitze zu verankern, dann sollten sie vielleicht nicht gleich beim ersten Achtungserfolg Mondpreise einführen, die den interessierten Laien vom Erwerb selbiger abschrecken – meinte mein Bruder. Da hat er nicht ganz unrecht, finde ich. Der Molitor, der damals 65€ kostete, was ihn schon aus dem Beuteschema ambitionierter Spätburgunder-Liebhaber katapultiert, steht mittlerweile mit über 90€ in der Preisliste. Da steige auch ich aus. Da entsteht bei mir der Eindruck, der Preis sei Mittel der Selbstverwirklichung, und ich bin Weintrinker, kein Therapeut.

Markus Molitor, Braunerberger Klostergarten Spätburgunder *** tr., 2005, Mosel. In der Nase mit sortentypischen Himbeeren, dazu Bleistiftspäne, rohes Fleisch, ansonsten eher mild. Am Gaumen ist der Wein von kräftiger Säure geprägt, ist saftig und ausserordentlich mineralisch, speicheltreibend, von mittlerem Volumen, mit sehr feinem Tannin und Anklängen von schwarzem Tee und Fliederbeeren. 14% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Der Abgang ist sehr lang, harmonisch aber nicht unendlich. Das ist ein ganz besonders schöner Wein, der unschlagbar wäre, wenn er 35 und nicht 65 Euro kosten würde.

Diese Kostnotiz entstand mit freundlicher Unterstützung meines Bruders.

Käufliche Liebe (2)

Es gibt Geschichten, die sind so unwahrscheinlich, dass sie wahr sein müssen. Es war genau ein Tag vergangen seit dem Erscheinen meines Artikels über den ersten Wein, den ich je in einer Verlosung gewonnen hatte, da erhielt ich die Nachricht, die Glücksfee sei mir schon wieder gewogen gewesen. Gleich ein ganzes Weinpaket sollte den Postweg zu mir antreten. Das klingt, als habe da jemand die Verlosung manipuliert, um Weine an einen Blogger zu schicken, der tatsächlich drüber schreibt.

Das war auch dem Überbringer der Botschaft klar. Also schrieb mir Ralf Kaiser, der die facebook-Seite von ,Weine der Loire‘ betreut fast peinlich berührt, dies sei wirklich nur ein Gewinn und niemand erwarte, dass ich etwas darüber schriebe – und Zufall sei es sowieso. Wer das Vergnügen hatte, Ralf einmal kennenzulernen – so wie ich beim Vinocamp 2012 –, hat keine Veranlassung an der Wahrheit seiner Worte zu zweifeln.

Drei Flaschen von der Loire sollten es also sein und ich durfte sogar Wünsche äußern. Das tat ich nach kurzer Überlegung.

Denk ich an die Loire, fällt mir zuerst Sauvignon Blanc ein (habe ich schon erwähnt, dass ich ein ziemlich durchschnittlicher Weinkonsument bin?). Der gefällt mir manchmal gut und manchmal (wenn er richtig kratzt) nicht ganz so gut. Wollte ich also nicht. Dann fällt mir Muscadet-Sèvre et Maine ein, dem ich wünsche, die EU erlasse dereinst eine Verordnung, dass man zu Austern nichts anderes trinken darf. Den liebe ich, habe aber noch ein paar Flaschen – und Austernzeit war auch gerade nicht. Als nächstes denke ich an die Cabernet Francs, die Freaks die Tränen in die Augen treiben ob ihrer Finesse bei gleichzeitig kleinem Preis – bin kein Freak und trinke rot fast nur noch Pinot. Den wollte ich auch nicht. Natürlich habe ich auch schon Erfahrungen mit den Cremants aus der Gegend gemacht (wir erinnern uns: Durchschnittskonsument). Das wäre doch mal spannend. Und zu guter letzt fällt mir Vouvray ein. Davon habe ich genau einmal in meinem Leben eine Flasche getrunken und die war so spannend, dass ich immer mehr über diese Weine wissen wollte. Das sollte es auch sein. Also orderte ich ,Vouvray und Blubber bitte‘.

Es kam ein Paket, und schon das Auspacken geriet zur Fortbildung. Eine Flasche Vouvray sec und zwei Flaschen Blubber – aus Vouvray. Ich dachte, es gäbe schäumend nur den Cremant de Loire, es gibt tatsächlich aber eine Breite Palette an Sekten aus Vouvray.

Ich fing mit einem Sekt an.

Dom. Sylvain Goudron, Vouvray Brut, Appellation Vouvray Controlée, ohne Jahrgang, Loire/Frankreich. In der Nase viel Zitrusfrucht, wenig Hefe, etwas Quitte und Muskat. Am Gaumen ist das ein ganz gefährlicher Stoff, denn er strotzt von süßer Frucht: Birne, Quitte,  Orange, dazu Muskat. Die Perlage ist nicht besonders fein, der Wein sehr voll, 12,5% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Spritzige Säure, stoffige Konsistenz, leicht minerlischer, mittellanger Abgang – das ist ,easy drinking‘ mit Anspruch. Zum hineinlegen!

Mein erster Vouvray-Sekt war ein voller Erfolg. Also probierte ich es einige Zeit später mit dem Stillwein. Er ist – wie auch die Sekte – aus der Rebsorte Chenin Blanc. Hier an der Loire gibt es den trocken, nicht so trocken (demi-sec) und süß. Der erste Vouvray, den ich vor Jahren trank, war ein demi-sec mit vier oder fünf Jahren auf dem Buckel. Der Stoff kann reifen! Das fühlt sich ein bisschen an wie Weine von der Mosel, nur ganz anders.

Dieser Vertreter war ein junger Hüpfer aus der sec-Klasse.

Zwei von schicken drei...Benoit Gautier/Domaine de la Chataigneraie, Argilex de Gautier, Vouvray sec AOC, 2010, Loire/Frankreich. In der Nase Quitte, etwas Vanille, Zimt (alles zusammen erinnert an Bratapfel), leicht kräutrig, etwas Holz (obwohl er laut Internet nicht im Fass war). Am Gaumen ist der Wein ziemlich voll, süß (bei 2 Gramm Restzucker), schmeckt nach Birne, ist leicht alkoholisch (bei eigentlich vertretbaren 13% Alkohol), zeigt ordentliche Säure, ist aber auch etwas cremig. Er schmeckt rauchig, ist im Abgang mineralisch und lang. Das ist ein sehr guter Wein mit einem überragenden Preis-Leistungsverhältnis, der im Handel wohl um 6€ kostet.

Apropos PLV: das ist ein spannender Aspekt dieses Paketes, keiner der Weine kostet mehr als zehn Euro. Der andere spannende Aspekt ist die enorme Fruchtigkeit und Süße, die der Chenin Blanc zustande bringt, ohne dafür Restzucker zu brauchen. Darauf noch einen Blubber:

Ch. Moncontour, Vouvray Brut, Appellation Vouvray Controlée, ohne Jahrgang, Loire/Frankreich. In der Nase Zitrus, Quitte und Hefe, Am Gaumen ist der Sekt ziemlich trocken aber sehr fruchtig mit Birne und Mandarine. Er ist leicht cremig, gleichzeitig voll und frisch und sehr lang, besticht mit tollem Spiel und sammelt Minuspunkte mit der etwas groben Perlage. Insgesamt aber ein sehr guter Sekt für weniger als zehn Euro.

Nun habe ich also das zweite Mal über Weine geschrieben, die ein Händler oder Produzent mir geschenkt hat, obwohl ich das doch nie nie tun wollte. Das lag sicher auch am Engagement der Bloggerkollegen für die Veranstalter der Verlosung. Mein Fazit hat damit aber nichts zu tun, das ist allein der Qualität der Weine geschuldet:

Trinkt mehr Weine von der Loire!