Gräfenberg und Turmberg

Wann ist ein GG ein GG? (1)

Es gibt zwei wichtige Voraussetzungen für das Gelingen eines Kommentars. Zum einen sollte der Autor Kenntnis von der korrekten journalistischen Form des Kommentars haben. Damit kann ich dienen. Zum anderen sollte er – das ist noch ein bisschen wichtiger – eine klare Meinung haben, die er zum Ausdruck bringen will. Damit kann ich leider nicht dienen. Also nennen wir das Folgende lieber ein ‚formloses Meinungsstück’.

Kommentare nehmen zu aktuellen Nachrichten Stellung und fassen diese im ersten Satz zusammen. Wenigstens in dieser Hinsicht will ich dem kleinen Einmaleins des Journalismus folgen: Der VDP Rheingau hat am Rande der Wiesbadener GG-Vorpremiere bekanntgegeben, dass die Mitgliedsbetriebe sich verbindlich darauf geeinigt haben, ihre Riesling-GGs nicht mehr am 1. September des auf die Ernte folgenden Jahres, sondern exakt 12 Monate später, am 1. September des zweiten auf die Ernte folgenden Jahres zu veröffentlichen. Als Konsequenz dessen werden die Rheingauer bei der Vorpremiere 2021 geschlossen die 19er Rieslinge zeigen, in den meisten Fällen dann zum zweiten Mal. Damit wird der Trend zum ‚Late-Release‘, also dem ein Jahr später als üblich veröffentlichten GG, zur neuen Norm im Rheingau.

Spät wird das neue Neu

Endlich! Möchte ich sagen, aber das klingt nach einer viel eindeutigeren Meinung, als ich sie habe. Doch in einer Hinsicht bin ich sehr glücklich. Schluss mit dem Rumgeeiere! (Pons schreibt das wirklich ohne Bindestriche, der Duden lehnt das Wort ab). Im letzten Jahr waren die Late-Releases in Wiesbaden in eigene Flights gruppiert und das war nervig, weil bei so diversen Gebieten wie der Mosel auf einmal ein Flight mit Weinen vom Winninger Uhlen bis zum Piesporter Goldtröpfchen zur Verkostung anstand, bloß weil es die 2017er waren.

Dieses Jahr wurden die Weine gemäß den Lagen eingeordnet und brachten so manches Mal das Verkostungsgefüge durcheinander. Das lag auch an der Jahrgangskombi. 2018 ist nun mal sehr speziell. Müssen die Profis durch, werden Sie zu Recht denken. Aber klar ist: großflächige Jahrgangsmischung macht das Verkosten nicht einfacher. Und ich mache ihnen ein Geständnis: wenn sich in einem Flight neben zwei so unterschiedlichen Jahrgängen auch noch Weine aus Stahl, weingrünem und neuen Holz mischen, wie in der Pfalz üblich, dann werden die Eindrücke verdammt unscharf. Wer das bestreitet, der flunkert.

Viel wichtiger als einheitliche Flights finde ich aber etwas Anderes – und da liege ich mit den Late-Release-Winzern heftigst über Kreuz. Diese behaupten, ihre Weine zeigten sich im zweiten Jahr viel besser und die späte Veröffentlichung führe zu fundierteren (= besseren) Urteilen seitens der Kritiker. Bevor ich vehement widerspreche, ist ein kleiner Exkurs nötig.

Kühner Schmelz, fröhliche Brotrinde

Unter den Spätveröffentlichern, die auch bisher schon ihre GGs mit 12 Monaten Verzögerung präsentierten, gibt es zwei Fraktionen. Die einen nutzen die zusätzliche Zeit für ein längeres Lager im Fass auf der Voll- oder Feinhefe. Sie wollen ihren Weinen diese Zeit geben, um sie schonend zu stabilisieren und mit der zusätzlichen Zeit Einfluss auf den Stil des Weines zu nehmen. Jene Winzer sind schlicht nicht in der Lage ihre Weine zum üblichen Termin zu präsentieren, weil diese dann noch nicht gefüllt sind.

Die andere Fraktion baut ihre Weine ohne längeres Hefelager aus (wobei ein Hefelager bis in den Mai des Folgejahres eigentlich schon als lang gilt) und füllen den Wein im Sommer. Sie halten die Weine zurück, weil sie ihnen etwas Flaschenreife gönnen wollen und den Verkostern, auch den Profis, nicht zutrauen, die jungen Weine sachgemäß zu beurteilen. Daneben gibt es vereinzelte Sonderfälle, wie etwa Achim von Oetinger. Der zeigt seine Weine zwar in Wiesbaden, liefert sie dem Endverbraucher aber erst ein halbes Jahr später aus.

Eine pauschale Meinung zum Thema wäre also Quatsch, die Fälle sind gesondert zu betrachten. Fangen wir mit den Länger-Liegern an. Ich kann das sehr gut verstehen. Ich finde Rieslinge wie die von Peter Jakob Kühn auch großartig. Aber nur ganz wenige können das wie die Kühns. Für viele andere gilt: ein langes Hefelager ist auch eine prima Möglichkeit dem Riesling die Zähne zu ziehen. Rauchig, geheimnisvoll und im positiven Sinne ‚unruhig‘ werden die wenigsten Langlagerer, die meisten werden einfach auf für Riesling sehr untypische Weise cremig.

Die Ungnade der späten Geburt

Winzer wie Daniel Wagner (Wagner-Stempel) oder Tim Fröhlich (Schäfer-Fröhlich) zeigen, dass wildwürzige Geheimnisweine auch schon im Juli füllfertig sein können. Wobei ‚schon’ eigentlich unsinnig ist – die Weine liegen mehr als 6 Monate nach Abschluss der Gärung im Tank/Fass, das ist länger als so mancher Naturwein. Andererseits zeigt Caroline Diel, dass der Winzer es im Zweifel am besten weiß: sie demonstriert bei allen drei GGs des Hauses eine stringente Handschrift, braucht dafür aber beim Burgberg immer etwas länger als beim Goldloch und Pittermännchen, weswegen ersterer 6 Monate später gefüllt und gezeigt wird. Wenn jedoch alle wie Frau Diel arbeiten würden, also nur die Weine später zeigen, die auch wirklich länger im Fass liegen, wäre die Zahl der Late-Releases so überschaubar, dass das Thema keines wäre.

Bleiben diejenigen, die der Meinung sind, ihre Weine würden besser ‚wegkommen‘, wenn sie sie nicht als Babys nach Wiesbaden schickten. Das halte ich für ein kolossales Fehlurteil. Machen wir uns doch den Spaß und schauen auf die letzten zehn Jahrgänge. 2009, 2011 und 2018 sind sämtlichst extrem opulent. Diese Weine, das hat 2018 gerade wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, haben in jungen Jahren erstaunlich straff und gut proportioniert gewirkt, um im Folgejahr als fette Schnecken ins Glas zu kriechen. Ausnahmen gibt es immer (dieses Jahr zum Beispiel Schnaitmann), in 2009 sogar ziemlich viele, in 2011 dafür kaum welche. Bis auf 2009, das neben 2010 ziemlich gut dastand, wirkten diese Weine ein Jahr später nicht nur weniger elegant, sondern neben dem Nachfolger wie die bucklige Verwandtschaft vom Lande.

Miese Quote: eins zu neun

Der Jahrgang 2010 hatte im Premierenjahr 2011 noch eine Chance, 2012 seinen Ruf als ‚Arschjahr‘ endgültig weg. Mag ich nicht mehr drüber streiten, reden wir lieber über 2012 und 2015. Diese beiden Jahrgänge starteten als Jahrhundertjahrgänge, um dann im Jahr drauf auch erstaunlich in die Breite zu gehen und zu demonstrieren: der Klimawandel ist gekommen um zu bleiben. 2014 war sehr heterogen, weil im Rheingau tatsächlich das kälteste Jahr des Jahrzehnts, im nicht weit entfernten Wonnegau aber ein quasi warmer Jahrgang. Ich möchte behaupten, dass eine spätere Präsentation in diesem Jahrgang gleich viele positive wie negative Auswirkungen hatte. Ähnlich denke ich über 2017, das ein gleichbleibend gutes Bild abgab.

Bleiben die beiden Jahrgänge für die Gegenmeinung: 2013 habe ich auch 2014 schon gemocht, aber der war 2015 noch besser. Ich erlaube mir aber den Hinweis, dass es bis 2016 dauerte, bis die Weine richtig zu singen anfingen. Und 2016 zeigte 2018, wie gut der Jahrgang stellenweise ist, war aber auch 2017 schon nicht von schlechten Eltern. Also: einer von zehn Jahrgängen präsentierte sich im zweiten Jahr nach der Ernte ohne Wenn und Aber besser als im Jahr davor. Was für eine vernichtende Bilanz. Sie müssen übrigens nicht mit mir über mein Jahrgangsurteil diskutieren, denn darum geht es nicht. Es geht um die Zusammenfassung der Kritikermeinungen, die ja angeblich alle erst nach zwei Jahren die Weine verstehen. Wenn das stimmt, so waren die Missverständnisse zumindest sehr vorteilhaft für die Winzer – wenn diese ihre Weine denn rechtzeitig anstellten.

Was wird aus dem Babymord?

So weit die akademische Diskussion, kratzen wir mal die Kurve zu dem, was wirklich zählt: das Trinken. In diesem Blog finden sich seit elf Jahren Geschichten über im Jahr des Erscheinens aufgerissene GGs. In diesem Artikel befahl ich sogar, bis Weihnachten mindestens drei GGs aus dem damals aktuellen Jahr 2017 getrunken zu haben. Junge GGs können unfassbar gut sein – auch solche, die eigentlich langes Lager danken. Stammleser kennen die Geschichten zu Wittmanns Morstein 2008.

Im zweiten Jahr nach der Ernte ist dieses Trinkfenster nach meiner Erfahrung zu. Ausnahmen bestätigen die Regel, zuletzt flächendeckend 2016, sonst aber immer nur einzelne Weine. Diese Art Genuss würde ich sehr vermissen. Dieses Jahr ist es also nur logisch, dass die erste vollständig im privaten Rahmen zum Vergnügen getrunkene Flasche Riesling GG eine aus dem Rheingau ist. Abschied vom blutjungen Gräfenberg sozusagen. Den wird es künftig so jung nicht mehr geben.

Kiedricher Gräfenberg Riesling GG 2019

Robert Weil, Kiedricher Gräfenberg, Riesling Großes Gewächs, 2019, Rheingau. In der Nase direkt nach dem Öffnen sehr blumig, bei der opulenten Frucht denke ich an Limette, denn der Wein hat reichlich Zug. Wilhelm Weil erwähnte die Analysewerte, die Säure lag irgendwo bei fast 8 und der Zucker nur eben über 2 Gramm pro Liter bei etwas über den für‘s Etikett gerundeten 12,5 Prozent Alkohol. Am zweiten Tag fängt der Wein an zu singen: Die Frucht ist reif, wird jetzt saftig und schmelzig, man möchte sie lutschen; die Säure ist schnittig, aber nicht bissig und im Abgang fängt kreidiger Grip alles wieder ein und sorgt für Fokus, für Eleganz, Swing und Lust auf den nächsten Schluck. Mächtig Lust! Monumentaler Riesling! Einen dritten Tag erlebt die Flasche nicht.

Je länger ich den blutjungen Gräfenberg trinke, desto klarer bildet sich bei mir doch noch eine Meinung zum Thema heraus. Nach dem letzten Schluck kann ich sie griffig formulieren: Late-Release? Find‘ ich scheiße, Hicks!

Offenlegung: Es handelte sich um ein Kostmuster des Weingutes

8 Gedanken zu „Wann ist ein GG ein GG? (1)“

  1. Darf ich die Aussage „Im zweiten Jahr nach der Ernte ist dieses Trinkfenster nach meiner Erfahrung zu. Ausnahmen bestätigen die Regel, zuletzt flächendeckend 2016, sonst aber immer nur einzelne Weine.“ dahingehend verstehen dass es jetzt (Juli 2021) keine gute Entscheidung wäre ein 19er GG zu öffnen?

  2. Hallo! Mal eine Frage zu den GGs: Was unterscheidet ein GG von heute von einer trockenen Spätlese von damals. Oder konkreter: worin liegt der Unterschied zwischen meiner Spätlese trocken 1990 Forster Kirchenstück Bürklin-Wolf für 20 Mark von damals und dem GG für 200 Euro von heute, das bei der Bepreisung keinen Eingang in meinen Keller finden kann? Tun sie es, weil sie es können oder steckt da mehr dahinter? Herzlicher Gruß

  3. Hallo Felix, habe drei Wittmann Morsteine bekommen und du hattest ja an anderer Stelle befohlen eins vor Weihnachten zu trinken. Dekaraffierst du dann so was oder ist das eher rein ins glas und weg. Oder einfach über mehrere Tage testen. Hab mit solchen Weinen noch nicht so viel Erfahrung, und wills halt richtig machen. Über ne grobe Speiseempfehlung würde ich mich auch freuen. Grüße Timo

    1. Über mehrere Tage trinken. Wenn es richtig Spass macht, einfach austrinken. Ich trink die ganz jungen eigentlich nie zum Essen

  4. Hallo Felix ,
    ich lese deine Kommentare zum Reifeverhalten der GGs zum wiederholten Male sehr interessiert. Wo bekommt man sonst solche Infos?? Als Laie zumindest.
    Herzliche Grüße
    Andreas

Schreibe eine Antwort zu Timo KürzederAntwort abbrechen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.