Gute Vorsätze (1)

Ich hoffe, alle, die diese Zeilen lesen, sind wunderbar ins neue Jahr gerutscht. Meine besten Wünsche allen Lesern und von Google irrtümlich hierher verwiesenen. Ich habe in letzter Zeit einige Jahresrückblicke gelesen und kann meinen ganz kurz fassen: schön war‘s.

Ich habe 2012 vor allem meine etwas zu großen Vorräte an Mittelklasse-Rieslingen aus dem Jahr 2007 vernichtet. Das hat erstaunlich viel Spaß gemacht. Ein typischer Vertreter dessen, was mein Glas in 2012 gefüllt hat, ist beispielsweise dieser hier.

Leitz, Rüdesheimer Bischofsberg Riesling Spätlese trocken 2007, Rheingau. In der Nase voll, dick und süß; reifer Pfirsich, etwas Aloe Vera – ein ziemlich üppiger Riesling halt. Im Mund grüßt die prägende Säure und etwas Kohlensäure. Der Riesling wirkt auch am Gaumen ziemlich dick und erstaunlich gereift (für einen Wein unter Schraubverschluss). Ein leicht cremiges Mundgefühl steht in Kontrast zur kalkigen Mineralik, die fast an Tannin erinnert. Das ist ein satter, fruchtiger Wein, der im Abgang etwas austrocknend wirkt, was einen schönen Gegensatz ergibt. Der Alkohol ist präsent, obwohl es nur 12,5 % sind. Sehr langer Abgang, sehr schöner Wein.

Für 2012 hatte ich keine guten Vorsätze gefasst, vor allem, weil mein Leben Anfang letzten Jahres gerade sehr im Fluss, der Weg mithin das Ziel war. Für 2013 hab ich mir aber viel vorgenommen. Zu viel, um es in einen Artikel zu quetschen. Der Januar ist ja noch lang.

Ein Vorsatz lautet, auf jeden Fall wieder zum Vinocamp nach Geisenheim zu fahren. Da werde ich dann eine Session initiieren zum Thema ,neid- und vorbehaltloses Verlinken unter Weinbloggern‘. Das mag für Nicht-Blogger jetzt langweilig klingen, aber eigentlich geht es um genau sie, die Leser, also lesen Sie ruhig noch ein bisschen weiter, selbst wenn Sie nicht bloggen und das Vinocamp Ihnen Schnuppe ist.

Ich gebe mir zwar Mühe, meine Leser zu unterhalten, jedoch vernachlässige ich sträflich, ihnen die gelungene Unterhaltung neuer und alter Kollegen nahe zu bringen. Dabei bin ich kein Einzelfall. Ein anderer Teilnehmer sagte beim letzten VinoCamp sinngemäß, dass wir Weinblogger ein fürchterlich misstrauisches Volk seien. Neuankömmlinge würden erstmal argwöhnisch beäugt, an eigenen Maßstäben gemessen und nur zurückhaltend eingemeindet. Recht hat er. Dabei sollte jeder neue Blogger eine, ich gestatte mir die direkte Sprache, willkommene Sau sein, die jeder alte für ein paar Stunden durchs digitale Dorf treibt. Die ersten Tausend Leser sollten die Morgengabe der Altvorderen sein. Das motiviert zum Weitermachen und wenn die Qualität nicht stimmt, dann ist das Blog eh schnell Geschichte.

Vorgestern bin ich über so einen Neublogger gestolpert. Max schreibt unter dem Titel ,Gustumas/Sinneswelten‘ über das Verkosten. Interessante Fakten mischt er mit fundierter Meinung. Das sollten Sie sich mal anschauen. Leider hat er keine Kommentarfunktion, denn auf seine gut begründete These, dass Verkostungsnotizen, die vorwiegend aus Aromen bestünden, sinnlos seien, hätte ich ihm gerne einen protestierenden Kommentar hinterlassen. Dann also hier (ohne dass ich das von ihm gesetzte Thema klauen will). Aber bevor Sie weiterlesen gehen Sie erst mal hier hin und lesen Sie, worauf ich mich überhaupt beziehe (Husch Husch, zu Tausenden bitte).

Neues Blog zum Thema SensorikIch halte Weinbeschreibungen mit Aneinanderreihungen von exotischen Aromen auch für Zeitverschwendung, doch gerade der Riesling ist zum Beispiel ein Wein, den man gut über ein paar Schlüssel-Aromen klassifizieren kann. Es gibt die molligen, siehe oben, die haben immer was von reifem Pfirsich und Dörraprikose, gern gepaart mit Malz, es gibt die strengeren, die oft duftig daher kommen, zum Beispiel dieser hier:

Jos. Rosch, Selection J.R., Riesling Spätlese trocken, 2007, Mosel. In der Nase leicht kräutrig, dazu Pistazie, Aloe Vera, verhalten fruchtig mit Aprikose, leicht blumig. Die obendrein mit einem kleinen Spontistinker aufwartende Nase empfinde ich zwar als typisch für einen Riesling aber eher auf der kargen Seite. Am Gaumen ist der Wein von mittlerem Volumen aber großer Intensität mit deutlicher Säure, ziemlich wenig Restzucker und viel Mineralik. Dabei glänzt der Selection J.R. mit unaufdringlichen 12,5% Alkohol und einem sehr langen Nachhall. Ich finde wiederum Pistazie, etwas Birne aber insgesamt wenig Frucht. Ein leicht cremiges Mundgefühl passt – sonst wäre mir das Spektakel am Gaumen zu fruchtlos. So ist es ein Wein von enormer mineralischer Dichte, den auch trinken kann, wer‘s nicht so mit den kratzigen Rieslingen hat. Für Liebhaber letzterer ist er jedoch großes Kino.

Es gibt auch noch ein oder zwei andere Typen trockenen Rieslings. Pistazie, Aloe Vera, Dörraprikose, blumig (meinetwegen auch Blüten oder Blumenwiese), reifer Pfirsich, Kemm‘sche Kuchen und zwei oder drei weitere reichen als Aromen vollkommen aus, um mir eine Ahnung zu verschaffen, ob ein Riesling vom Typ her eher auf den Punkt gelesen ist oder im April des übernächsten Jahres geerntet á la Molitor und Löwenstein, ob er vollreif oder strahlend ist oder wie immer man die Typisierung betreiben will. Deswegen freue ich mich über Aromen in Weinbeschreibungen. Dazu habe ich gelernt, dass Banane ein Jungweinaroma ist, Vorhandensein oder Abwesenheit sagt bei deutschen Weißweinen einiges über den Entwicklungsstand, Haselnuss und Vanille vermitteln einen Eindruck von der Wirkung eines möglichen Holzfassausbaus aus und und und. Max‘ Grundbedenken, dass ob unterschiedlicher Empfindlichkeiten Aromenbeschreibungen eingeschränkt aussagekräftig sind, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen.

Nachdem ich im vergangenen Jahr endgültig den Punkten abgeschworen habe, werde ich 2013 also versuchen, die Aromen in den Griff zu kriegen. Ab 2017 bin ich dann perfekt und nehme Eintritt von denjenigen, die mir beim Weintrinken zusehen wollen. Max bekommt Rabatt – aber nur, wenn er dann noch bloggt.

Punkteschleudern im Messlabor

Manchmal ist die Online-Weinszene ein schrulliger Haufen. Als dieses Jahr die Diskussion über die neuesten Ausgaben der gängigen Weinführer trotz mehrfacher Versuche nicht in Gang kommen wollte, versammelte man sich schließlich auf verschiedenen Webseiten, um episch darüber zu diskutieren, warum dieses Jahr denn nicht über den ,Gault Millau‘ diskutiert wurde. Wer da auf die Idee kommt, dem einen oder anderen fehlte es an sinnvollem Zeitvertreib, der liegt so falsch vermutlich nicht.
Ich hatte zu viel zu tun und muss mich deswegen wieder mit Verspätung äußern, dafür stellt mein Beitrag gleichzeitig eine Art Jahresrückblick dar – und da bin ich mal einer der ersten.
Die fehlende Reaktion auf die gedruckten Weinführer ist für mich die logische Konsequenz aus einem Trend, den ich seit einigen Jahren eher spüre als messe und dessen Manifestationen 2012 so vielfältig waren, dass ich vom Beginn eines Paradigmenwechsels sprechen will.
Punkte verlieren an Bedeutung. Und mit ihnen büßen diejenigen an Bedeutung ein, die sich vor allem über die Vergabe von Punkten definieren.
Punkte, wie sie Gault Millau, Eichelmann oder Wein Plus vergeben, sind viel mehr als Punkte. Sie sind Ausdruck einer Einstellung: Die Qualität von Wein ist messbar und wir haben die sensorischen Fähigkeiten dazu. Wir vom Weinführer haben keinen Gaumen, wir haben ein kleines Messlabor zwischen den Kiefern und 89 Punkte heißen nicht ,wir finden den Wein 89 Punkte‘, sondern ,der Wein ist 89 Punkte‘. Doch dieser Aussage schenken immer weniger Menschen Glauben. Nachdem sich alle bedeutenden Weinführer in den letzten Jahren teils massiv widersprochen haben und vor allem nachdem jetzt deutlich wird, dass kaum eine Prognose der optimalen Trinkreife aus den Führern richtig ist, wackeln die Throne.
Zugegeben: Punkte sind allgegenwärtig, kaum ein Mailing oder Prospekt kommt ohne aus. Ich könnte mir vorstellen, mindestens jede zweite Kaufentscheidung im gehobenen Segment ist irgendwie mit Punkten unterfüttert. Aber in der öffentlichen Diskussion spielen sie eine geringere Rolle. Es ist gängige Praxis guter Händler, alle Führer auszuwerten – irgendeine überdurchschnittliche Bewertung hat jeder Wein. Aber die Zahl der Konsumenten, die die Weinführer kaufen, um sie zu lesen, wird immer geringer, wenn ich den Stichproben im eigenen Freundeskreis vertrauen darf. Man braucht sie nicht mehr, denn der Handel bombardiert einen kostenlos mit den hohen Bewertungen.
Gleichzeitig war 2012 ein Jahr, in dem ich mehr und mehr Berichten begegnet bin, die sich nur der Begeisterung rund um Wein widmeten. Zum einen gibt es neue Formate wie Wein am Limit von Hendrik Thoma, in denen mit Begriffen wie ,Soulfaktor‘ für die Qualität eines Weines deutlich gemacht wird, dass diese eher empfunden als gemessen ist – Soulfaktor klingt nicht nach Labor. Stuart Piggot macht auch mit, turnt in seiner schon in die zweite Verlängerung gehenden Sendereihe Weinwunder Deutschland durch die Republik, um Subjektivität und Begeisterung zu versprühen. Seinen Weinführer hingegen hat er eingestellt. Jüngst veröffentlichte er in seinem Weinhier-Newsletter einen Bericht zu einer Silvanerprobe, bei dem er sich gewissermaßen entschuldigte, dass er in Probensituationen zur Differenzierung Punkte verwendet.
Carsten Henns Weinentdeckungsgesellschaft und das von ihm betriebene Vinum-Blog sprühen vor Liebe zum Wein und kommen ohne Punkte aus, in seinem Webprojekt ,Missionswerk Öxle‘ präsentiert er die Spassguerilla-Variante eines Wein-Kreuzzugs, ohne das Wort Punkte auch nur in den Mund zu nehmen – die Information, dass er als leitender Mitarbeiter auch eine Funktion bei der Punkteschleuder Gault Millau hat, muss man auf seiner Homepage lange suchen.
Stephan Reinhardt hat als Chefredaktor erst dem ,Weinwisser‘ (ein Einkaufsführer für besserverdienende Eidgenossen, die eine Anleitung zum Kauf von Weinen jenseits der 70 Franken benötigen) ein Social-Media-Event zum Thema Gewürztraminer angetan und ihn dann verlassen (ob es einen Zusammenhang gibt, weiss ich nicht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das Wort ,Missverständnis‘ zu dieser Liaison besser passte als ,Liebesheirat‘). Reinhardt übernimmt jetzt die Vinum und die Reaktionen der Weinwelt auf diese Personalie war vor allem die Formulierung von Hoffnungen, die Vinum könnte wieder zu einem sinnlichen Leitmedium für wahre Weinfreunde werden – eine Sehnsucht, der ich mich anschließe.
Die Reaktion des konservativen Teils der Weinwelt fällt wütend aus. Ein bekannter Verkoster eines Internetportals spricht beinahe wöchentlich Menschen (die er allerdings nie namentlich nennt) die Verkostungsbefugnis ab, weil sie ,Fruchtsüße nicht von Restzucker‘ oder ,Mineralik nicht von Phenolen‘ unterscheiden können, als käme es darauf an. Ein gelernter Journalist erklärte neulich auf Facebook, dass bloggende Weinhändler oder Sommeliers in etwa so problematisch seien, wie eine Nachrichtensendungen produzierende Bundesregierung – die Nerven scheinen blank zu liegen bei denen, die ihre Bedeutung schwinden sehen. Dazu zoffte sich die Weinwelt gleich mehrfach in diesem Jahr, ob die Verwendung des Begriffes ,lecker‘ dem Untergang der Weinkultur Vorschub leiste.
Die Demarkationslinie verläuft im Zickzack. Das präzise Messlabor findet sich im Mund von Profis wie Amateuren. Es gibt auch Hobby-Blogger die nicht müde werden zu erklären, wie ausgeprägt fein ihre Sensorik und unbestechlich ihre Punkteskala sei. Die von Dirk Würtz in seinem Blog und an anderer Stelle wiederholt ausgesprochene Einladung zu einer Blindverkostung zwecks Erbringung des Nachweises dieser herausragenden Fähigkeiten wird auch 2013 nicht angenommen werden, da wette ich eine der Flaschen Rüdesheimer Berg Rottland 2011, die der Würtz mir noch für meine zahlreichen Gastbeiträge auf seinem Blog schuldet (Achtung, Dirk: Zaunpfahl!).
Einer solchen öffentlichen Entzauberung bedarf es auch nicht mehr. Ich glaube, der Bann ist gebrochen. Gehört wird verstärkt derjenige, der auf ansteckende Art und Weise Gründe für seine Begeisterung liefert und nicht, wer am schneidigsten Verkosterfähigkeiten proklamiert oder Deutungshoheit beansprucht. Ich folge dem Weinzirkus jetzt gute sieben Jahre und es ist das erste Mal, dass ich den Eindruck gewinne, der Trend sei unumkehrbar. Darüber freue ich mich. Noch schöner wäre es, wenn die Entwicklung so von allen Teilnehmern aufgegriffen wird, dass alle Weinführer eine Zukunft haben und keine Arbeitsplätze verloren gehen. Aber damit das möglich wird, müsste der Gault Millau Markus Molitor erst mal die fünfte Traube verleihen…
Molitor_ZEltinger_SonnenuhrMarkus Molitor, Zeltinger Sonnenuhr, Riesling Kabinett trocken, 2007, Mosel. In der Nase mürber Apfel, etwas Aprikose, eine zarte Reifenote und Hefe, keine störenden Spontitöne. Am Gaumen zart, leicht aber nicht dünn, feine Säure, Apfel und Melone, ziemlich trocken, enorm mineralisch, leicht malzig, etwas kräutrig, mit viel Tiefe und sehr langen Abgang. 11,5% Alkohol sind völlig unauffällig.
Ich versuche mal, meine Begeisterung zu begründen: Dieser Wein ist leicht und verspielt aber dennoch von berauschender Intensität. Ihm mangels Konzentration die Größe abzusprechen, wäre wie Lionel Messi mangels Körpergewicht aus der Champions League auszuschließen. Vielleicht holen sich die Gault-Millau-Verkoster bei der nächsten Molitor-Probe Unterstützung aus der Redaktion des kicker. Dann klappt‘s auch mit der fünften Traube.

Der Ausflug war sehr schön

Ich hatte eine Affäre! Mit Dirk Würtz. Kurz war sie und heftig. Deswegen war hier so wenig zu lesen. Aber ich habe Schluss gemacht. Nun kann mein Leben weiter gehen. Ich habe den Kopf wieder frei.
Ich war ein paar Tage im Urlaub an der Mosel und habe unter anderem sechs Winzer besucht und ein paar Gastbeiträge für das Blog Würtz-Wein geschrieben. Gute und hervorragende Weine habe ich probiert. 2011 war ein sehr gutes Jahr an der Mosel, wenn auch kein ganz großes. Zwischendurch habe ich meine Eindrücke niedergeschrieben. Das war nervenaufreibend. Im Schnutentunker habe ich im Schnitt 50 Leser am Tag. Wer einen Rechstschreibfehler findet, darf ihn behalten. Mir ist hier nix peinlich. Bei Würtz-Wein verzeichneten meine Artikel mehr als 10.000 Seitenaufrufe am Tag. Da plagten mich Visionen von Heerscharen von Deutschlehrern, die die Kommentarspalten des Blogs mit Hinweisen auf fehlende Kommata füllen. Ich habe meine Ängste in Alkohol ertränkt, war zum Glück ein sehr guter Jahrgang, wenn auch kein ganz großer. Jetzt geht es hier wieder mit normaler Schlagzahl und in kleiner Auflage weiter. Auch wenn der Flirt mit der Reichweite ganz hübsch war, es hat Vorteile, vor sich hin zu werkeln.
Franzen, ,Der Sommer war sehr groß‘, Riesling trocken, 2011, Mosel. Die Lagencuvée ist vom Ausgangsmaterial eine Spätlese. Sie ist in der Nase herrlich fruchtig und absolut Rieslingtypisch mit Aprikose und Aloe Vera, überdeckt von ein bisschen Hefe. Am Gaumen wirkt der Wein ein bisschen mollig, weil die Säure dezent ist und er nur mittelmäßig trocken schmeckt. Schöne Frucht (Aprikose und Melone), ein bisschen Pistazie und eine sehr kräftige Mineralik – das ergibt einen wunderbaren Riesling. Der Abgang ist sehr lang.

Rufverwaltung

Seit einiger Zeit beginne ich meinen Arbeitstag mit immer dem gleichen Ritual. Ich werfe meinen Browser an und suche mit Tante Google das Web ab, was in den vergangenen 24 Stunden über unsere Firma geschrieben wurde. Desweiteren unterhalte ich offizielle Accounts bei den wichtigsten Internetforen, in denen regelmäßig unsere Dienstleistung besprochen wird. Dort logge ich mich ein und beantworte Fragen, kläre Missverständnisse und beziehe Stellung zu Kritik oder sage einfach einmal Danke für positive Meinungsäußerungen zu unserem Unternehmen. ,Reputation Management‘ ist der altdeutsche Fachbegriff für solcherlei Tun und es gehört als wiederkehrende Maßnahme mittlerweile zum kleinen Einmaleins des Marketing.

Wie hier schon verschiedentlich thematisiert, finden die meisten Winzer Marketing so hilfreich wie Zahnweh und so verwundert es nicht, dass in den dreieinhalb Jahren, die ich den Schnutentunker mit Inhalten befülle, nur ein einziger Winzer seinen Weg zu diesem Blog gefunden und einen Text in einem Kommentarfeld hinterlassen hat. Die Herren Würtz, Lippert oder Fiedler zähle ich nicht mit, die habe ich schließlich hinreichend provoziert, damit sie sich äußern.

Der Vollständigkeit halber: es war Stefan Steinmetz vom Weingut Günther Steinmetz, der seiner Freude darüber Ausdruck verlieh, dass neben ihm noch ein zweiter Mensch auf diesem Planeten seinen Schwarzriesling für unbedingt trinkenswert hält (und das sind hunderttausend zu wenig, wie ich nicht müde werde zu predigen).

Vorletzte Woche kam fast ein weiterer Fall dazu und die Parallelen sind bemerkenswert. Wieder geht es um einen Rotwein aus einem Riesling-lastigen Betrieb und der liegt Luftlinie gerade mal 900 Meter entfernt auf der anderen Seite des Flusses. Allerdings reichte es nur zu einer E-Mail. Frau Grumbach vom gleichnamigen Weingut meldete sich per Mail, um für die Besprechung des sehr schönen 2005er Spätburgunders zu danken. Parallel unterbreitete sie mir das Subskriptionsangebot für den 2011er aus ihrem Hause.

Wir hatten die Diskussion über ,Push-Angebote‘ (um bei den altdeutschen Begriffen zu bleiben) bereits hier und ich wiederhole mich: Ich empfinde Anrufe und Mails aus den Häusern Molitor, Emrich-Schönleber oder Heymann-Löwenstein als kundenfreundlich, auch wenn ich mir im Klaren bin, dass sie nicht nur aus altruistischen Motiven erfolgen. Auch beim Grumbachschen Spätburgunder ,R‘ aus 2011 vermute ich mehr als Gewinnmaximierungsintention. Das Gut hat massiv an der Selektion und Qualität gefeilt und füllt gerade einmal 900 Flaschen. Dazu hat Mario Scheuermann dem Wein 93 Punkte gegeben. Das dürfte reichen, um das bisschen Wein auch ohne aktive Ansprache von Kunden zu verkaufen. Ich unterstelle Frau Grumbach also, dass sie mich auch kontaktierte, weil sie denjenigen, die Verbundenheit mit diesem Produkt geäußert haben, die Gelegenheit zur Bevorratung geben will.

Ich habe trotzdem Nein gesagt. Aber nur, weil ich nicht mehr weiß, wie ich all den Wein in meinem Keller jemals trinken soll. Was da auch noch liegt, sind sechs Flaschen vom 2007er Spätburgunder ,R‘ aus – wer errät es? – dem Hause Grumbach. Womit habe ich da wohl dieses Jahr die Rotweinsaison eröffnet…

Ein toller Spätburgunder von der MoselGrumbach, Spätburgunder -R-, 2007, Mosel. In der Nase fruchtig, Kirsche, Himbeere und gekochte Erdbeere, viel Holz, das sich mit zunehmender Belüftung zum Glück verflüchtigt, etwas kräutrig und dezent fleischig – insgesamt würde ich die Nase durchaus als ,typisch deutsch‘ bezeichnen. Am Gaumen ist der Wein ein Schmeichler: süß, Himbeere, prägnante aber nicht dominante Säure, ein bisschen rohes Fleisch, ein bisschen Speck, dezent mineralisch, noch einiges an Holz. Ich und mein Mainstream-Gaumen finden den Wein großartig. Ich glaube aber, dass auch anspruchsvolle Weinfreunde hier auf ihre Kosten kommen. Langes Finale und der Wein zeigt Potential für weitere Jahre. Ich freue mich richtig darüber, dass ich noch ein paar Flaschen davon habe.

Männerabend oder: Kein Wein für Tucholsky

Neulich veranstaltete ich einen Männerabend. Das mag auf den ersten Blick banal klingen, doch ist das für mich etwas besonderes, setzt ein Männerabend doch zwingend die Abwesenheit von Frauen voraus. Als Vater einer dreijährigen Tochter begehe ich Männerabende daher meist auf fremdem Terrain. Doch dieses Mal waren meine beiden Frauen ausgeflogen und als Strohwitwer konnte ich unter die Veranstalter gehen. Ich lud mir meinen Bruder ein, veranstaltete also die Basisversion eines Männerabends – einen Schuss Deluxe brachten jedoch mein Grill, zwei abgehangene Rib-Eye-Steaks sowie ein paar vernünftige Weine.

Brüder sind was wunderbares, kann man doch sein ganzes Leben mit Ihnen teilen. Dabei entwickelt sich mit Glück eine gleichberechtigte Freundschaft. Während Männer für ihre Mutter nie älter als zwölf Jahre werden, lassen sich Väter bestenfalls zu einer ordentlichen Kumpanei herab, freilich ohne je ganz den Lehrstuhl zu verlassen. Bei meinem Bruder und mir spielen die jetzt weniger als 5% Altersunterschied kaum noch eine Rolle. Jeder macht sein Ding, interessiert sich für den anderen und muss kein Mütchen mehr kühlen.

Ein wenig habe ich meinen Bruder beeinflussen können, als ich ihm vor einigen Jahren auf einer gemeinsamen Moselreise Rest- und Edelsüße Rieslinge näher bringen konnte. Deswegen tranken wir einen sehr guten 2007er J.R. junior von Rosch zum Aperitif und eine phänomenale 2006er Beerenauslese von Kerpen zum Nachtisch. Zum Steak hatte ich ein paar meiner wenigen Spanischen und Französischen Rotweine zur Auswahl gestellt. Doch mein Bruder überraschte mich mit der Ankündigung, mittlerweile hätte ich ihn auch zum Deutschen Spätburgunder bekehrt und da es die nie irgendwo zu trinken gäbe, täte ich ihm einen großen Gefallen, wenn ich einen aufmachte.

Brüder sind ideale Trinkpartner für Angeberweine, kriegen sie es doch eher nicht in den falschen Hals, wenn man Weine mitsamt Preis oder Hinweisen auf ihr Renommee serviert. Es erschien mir also als gute Idee an der Mosel zu bleiben und etwas zu servieren, was man vermutlich als teuersten und besten Spätburgunder des Gebietes bezeichnen darf. Einen *** Spätburgunder von Molitor.

Männerabend DeluxeNach dem leckeren Essen, zu dem der Wein sehr mundete, saßen wir noch etwas auf der Veranda und philosophierten über Wein im Allgemeinen und die Stellung des Deutschen Spätburgunders im Besonderen, als meinem Bruder spontan folgendes einfiel: ,Erinnerst Du Dich noch an das Regal mit Deutscher Literatur in unserem Elternhaus?‘ sprach er, um sogleich fortzufahren: ,Da stand eine Taschenbuchausgabe von Tucholsky, deren Umschlag ein Zitat zierte: Liebe Herren Verleger, macht unsre Bücher billiger. Macht unsre Bücher billiger. Macht unsre Bücher billiger!‘ Herr Tucholsky griff damit die Klage eines seiner Leser auf, dass die neue Literatur sich so schwer einen Weg in die Herzen der Konsumenten bahnen könne, weil sie immer ungleich teurer als der althergebrachte Literaturkanon sei (tatsächlich schrieb ihm der Leser: Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel) aber hier stößt die Analogie zum Wein an ihre Grenzen).

Wenn es Deutschlands Winzern ernst sei mit dem Ansinnen, ihren Spätburgunder in der Weltspitze zu verankern, dann sollten sie vielleicht nicht gleich beim ersten Achtungserfolg Mondpreise einführen, die den interessierten Laien vom Erwerb selbiger abschrecken – meinte mein Bruder. Da hat er nicht ganz unrecht, finde ich. Der Molitor, der damals 65€ kostete, was ihn schon aus dem Beuteschema ambitionierter Spätburgunder-Liebhaber katapultiert, steht mittlerweile mit über 90€ in der Preisliste. Da steige auch ich aus. Da entsteht bei mir der Eindruck, der Preis sei Mittel der Selbstverwirklichung, und ich bin Weintrinker, kein Therapeut.

Markus Molitor, Braunerberger Klostergarten Spätburgunder *** tr., 2005, Mosel. In der Nase mit sortentypischen Himbeeren, dazu Bleistiftspäne, rohes Fleisch, ansonsten eher mild. Am Gaumen ist der Wein von kräftiger Säure geprägt, ist saftig und ausserordentlich mineralisch, speicheltreibend, von mittlerem Volumen, mit sehr feinem Tannin und Anklängen von schwarzem Tee und Fliederbeeren. 14% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Der Abgang ist sehr lang, harmonisch aber nicht unendlich. Das ist ein ganz besonders schöner Wein, der unschlagbar wäre, wenn er 35 und nicht 65 Euro kosten würde.

Diese Kostnotiz entstand mit freundlicher Unterstützung meines Bruders.