Kaum etwas erfreut das Herz des Weinfreundes so sehr, wie die Veranstaltung einer Probe, bei der dann der vor Jahren entdeckte Geheimtipp so richtig abräumt. Vor diesem Hintergrund war der letzte Samstag für mich ein Höhepunkt meines Weinlebens.
2009 wird ein großartiger Pinot-Jahrgang, davon waren bei Erscheinen der Weine 2011 die meisten Kritiker und interessierten Weintrinker überzeugt. Ob der positiven Aussichten deckte ich mich mit einer breiten Palette deutscher Spätburgunder ein und griff dieser Tage ein Set von 10 Flaschen, um mit ein paar Freunden und Kollegen die Probe aufs Exempel zu machen. Teilnehmer stellten fünf weitere Pinots und einen Schwarzrieslingpiraten dazu. Ich probierte alle Weine vorab auf Kork, stellte aus diesen Eindrücken eine Reihenfolge auf. Außer mir probierten also alle Teilnehmer blind.
Pinot 2009: höchstes Niveau
Was besonders erfreulich war: Der müde Pirat und zwei renommierte Vertreter präsentierten sich als Ausfall, das restliche Feld war extrem vergnüglich. 2009 ist tatsächlich ein großartiges Pinot-Jahr in Deutschland und viele Weine haben noch lange nicht ihre volle Trinkreife erreicht, werden noch ein paar Jahre zulegen können. In der Spitze ist das ganz großes Kino. Für die Probe hatte ich entschieden, nicht nur vermeintliche Granaten zu präsentieren, Kellers Frauenberg, Hubers Schlossberg, Meyer-Näkels Pfarrwingert blieben draußen, weil wir so in dieser Kombination mit zwölf Teilnehmern auch gelegentlich den Spucknapf auslassen und die besten Weine einfach trinken konnten. Am Ende des Abends war der würdige Stoff restlos geleert, die Juroren aber nicht restlos voll.
Den Anfang machte der Kirschgarten von Zelt, dem die Rolle des Pegelweins zukam. Ein Kraftpaket mit viel Frucht und schönem Holz, dem es an Komplexität fehlt. Letzter unter den Weinen, die allgemein als vergnüglich angesehen wurden. Der ziemlich müde Pirat, eine Schwarzriesling Spätlese 2009 von Reichsgraf und Marquis zu Hoensbroech kam als zweites und reihte sich bei den drei Ausfällen ein. Der dritte Kandidat ließ dann erstmals aufhorchen: von Winnings Pinot Noir I war so, wie man sich Pinot aus diesem Haus vielleicht vorstellt: Holzbombe, Schokoladentorte, viel robuste Struktur. Als Südafrikanische Pinotage/Syrah-Cuvée großartig, als deutscher Spätburgunder Thema verfehlt: zehnter Platz. Dann Johners Cru de Bois, ein Wein für die Wein-Entdeckungsgesellschaft: 200 Prozent Holz sind komplett verarbeitet, große Dichte, die aber nicht nur von Frucht und Holz lebt. Extrem lang und harmonisch, ein großer Wein und der geteilte zweite Platz (in den sozialen Medien firmiert er als vierter, was aber einem Vertipper bei der Auswertung zu verdanken ist).
Deutsche Erdbeermarmelade? Lecker!
Dass ausgerechnet R&C Schneiders einfacher *** danach überholzt wirkte, erscheint eher unwahrscheinlich, aber das war Schwartau Extra Erdbeere-Vanille, was zugegeben sehr lecker schmeckte und bei mir für einen neunten, insgesamt aber nur zum zwölften Platz reichte. Dann Becker, Pinot Noir: Der erste Schluck nach dem Öffnen gefiel mir am besten. Die Luft tat ihm mäßig gut, doch es herrschte Konsens, dass hier der erste Wein im Glas war, der entweder noch 12 Stunden mehr Luft, oder aber besser noch ein paar Jahre im Keller aushält. Sehr schönes Tannin, feine Säure, leicht animalisch, aber die Frucht wurde mit der Zeit eher diffus. Insgesamt der siebte Platz, ich sah ihn etwas besser. Adeneuers Gärkammer GG war Madeira. Der Korken zeigte jedoch keine Schwäche, im Gegenteil, gerade einen Millimeter durchnässt und fest und dicht im Flaschenhals. Mochte niemand, kassierte zwölf mal den letzten Platz. Knipsers Kirschgarten war ein typischer, in sich ruhender Knipser: versteckt den eher hohen Alkohol, zeigt Röstaromen, die jung nicht übertrieben und nach zehn Jahren nicht ermüdet sind, reife, volle Frucht, perfekte Säure, enormer Spaß bei viel Anspruch und ein tadelloser sechster Platz im hochkarätigen Feld. Der nächste gestrauchelte dann Chat Sauvages Fischerhölle – schnapsig, dropsig, trinkbar aber am Thema vorbei und somit auf dem vorletzten Platz.
Privatselection – WTF?
Auftritt Später-Veit. Zwei Fragen stellte ein halbes Dutzend Verkoster später beim Aufdecken: 1. Später-Wer? 2. Wie kommt der in diese Probe? Daher ein bisschen Hintergrund. Vor knapp zehn Jahren fing an sich herumzusprechen, dass das Weingut Später-Veit mit die besten Pinots der Mosel produziert. Also fuhr ich hin. Im Bericht von damals steht eigentlich alles, was man wissen muss. Irgendwie ist die Mundpropaganda über das Gut später zum erliegen gekommen, was seinen Grund aber nicht in einer Qualitätsverschlechterung hat. Ich fand die Privatselection damals fantastisch, kaufte sie, allein mit dem Ziel, den Wein irgendwann mal mit den großen Hunden bellen zu lassen. Und er bekam das Bein am höchsten: eine sehr reife, aber leise Frucht, Tabak in der Nase, feinstes Tannin am Gaumen und im Abgang schmirgelfeine Phenolik, die teils nach Tannin und teils nach ‚Stein‘ schmeckt. Das ist nicht der Versuch, möglichst burgundisch zu sein, sondern möglichst elegant. Und das gelingt so gut, dass es neun erste Plätze und einen Gesamtsieg mit dem größten Vorsprung gab, den ich je in einer von mir veranstalteten Probe erleben durfte. Kollege Max fand den Wein zu leise, der Rest war geplättet. Punkt. Aus.
Auf leise folgt laut, hatte ich nach dem Probeschluck entschieden und als nächstes Duijns SD angesetzt, der wie kein zweiter im Feld von der nunmehr neunzigminütigen Luftzufuhr profitierte. ‚Ich warte noch auf mein Duijn-Erweckungserlebnis‘ dachte ich, bevor ich die Nase ins Glas hielt. Und da war es: ‚Staubig in der Nase, staubig am Gaumen und staubig im Abgang‘ fasste Florian zusammen und das war als Kompliment gemeint. Kreide, Mineralik, Kargheit als Programm, aber dabei sehr kräftig und druckvoll, singulär im Stil, zweiter im Feld – für mich und im Schnitt. Ein Monument. Und es ging immer weiter. Keller erklomm mit dem Bürgel zwar nur Platz fünf, aber das ist in diesem Feld aller Ehren wert: die klassischste Nase, fantastische Reifearomen, lediglich in der Frucht ein bisschen belegt, was auf höchstem Niveau dann den Unterschied macht. Zwei Dinge will ich nicht verschweigen: einer hatte ihn auf dem ersten Platz und alle räumten ihm weiteres Entwicklungspotential ein.
Grüne Noten sind burgundisch, oder?
Endlich flogen die Fetzen – Molitors Brauneberger Klostergarten ***: ‚Grüne Noten und vierzehn Alk, früh gelesen, chaptalisiert und dann Holz bis der Arzt kommt, Halleluja!‘ Der da so lästerte war ausgerechnet ich, dabei hob ich dieses frische Monster doch auf den siebten Platz und attestierte ihm Weltklasse. Aber das ist ein Konzeptwein und ich finde, das darf man auch mal sagen. Wir einigten uns ja sowieso auf den insgesamt fünften bei einem ersten und einem elften Platz, ansonsten recht einstimmig. Dann endete die Glückssträhne. Zalwanders ‚Harte Erde‘ hatte den meisten zu viele grüne Noten; früh gelesen auf der Suche nach Frische. Ich fands gut, einer hatte es sogar auf dem fünften, eine andere aber auf dem fünfzehnten Platz. Der Polarisierer des Abends wird insgesamt neunter. Stoddens ‚Alte Reben‘ schmecken furchtbar süß, haben eine hitzige Karamellnote und viel Frucht. Die kräutrige Nase hilft. Der Wein schaffte insgesamt aber nur einen enttäuschenden elften Platz, wenngleich ich ihn vergnüglich trinkbar fand (Anmerkung I: vergiftetes Lob für einen der teuersten Deutschen Spätburgunder) (Anmerkung II: ich habe den Wein damals ganz normal gekauft, habe zwischenzeitlich Stoddens Weine für den GM verkostet, das aber schon letztes Jahr abgegeben).
Als Rausschmeißer vorgesehen war Sieners Kastanienbusch, doch der wollte sich nicht verheizen lassen: voll, schwer, kräftig. Ich fand ihn etwas einfach, die tatsächlich blinden Kollegen legten aber wert auf die Feststellung, dass kaum ein anderer Wein des Abends so kompakt im Glas stand und es eine reelle Chance gäbe, dass dieser Wein einfach noch wahnwitziges Potential hat. Der vielleicht meiner Voreingenommenheit zum Opfer gefallene Wein (ich gab ihm die schlechteste Platzierung) ist mit dem achten Platz eventuell unter Wert geschlagen.
Fazit 1: Was für eine schönes Spätburgunderjahr. Knapp die Hälfte des Feldes war von internationalem Format, bis Platz 13 waren die Weine höchst vergnüglich. Ich denke, wir müssen jetzt vier Jahre warten, um so etwas wieder zu erleben. 2013 wird uns dann ins Koma versetzen.
Fazit 2: Es gibt keinen ‚deutschen‘ Stil in der Spitze. Platz eins bis sieben hatten allesamt Sortentypizität, daneben aber kaum etwas gemein. Vielleicht ist der Sechstplazierte ‚deutsch‘. Knipsers Kirschgarten. Kein Wunder, dass der Rest der Welt kaum noch Vorbehalte gegenüber deutschem Spätburgunder hat.
Die Probenliste nach Platzierungen:
1. Später-Veit, Privatselektion
2. Johner (für Deutsche Weinentdeckungsgesellschaft), Cru de Bois
und Duijn, ‚SD‘
4. Markus Molitor, Brauneberger Klostergarten ***
5. K.P.Keller, Bürgel GG
6. Knipser, Kirschgarten GG
7. Becker, Pinot Noir
8. Siener, Kastanienbusch
9. Zallwander, ‚Harte Erde‘
10. von Winning, Pinot Noir I
11. Stodden, ‚Alte Reben‘
12. R&C Schneider, ***
13. Zelt, Kirschgarten
14. Reichsgraf und Marquis zu Hoensbroech, Schwarzriesling (Pirat)
15. Chat Sauvage, Fischerhölle
16. Adeneuer, Gärkammer GG