Lagen Vertikalen Rheingau

Lagen lernen

Am Samstag vor Wiesbaden machte ich traditionell Halt im Rheingau. Es hat sich wieder einmal gelohnt, auch wenn die Wirklichkeit dem Wunschdenken in die Quere kam. 

Es war ganz ungewohnt, als letztes Jahr die traditionelle Veranstaltung im Rheingau ausfiel. Allerdings wurde das Loch im Kalender mehr als würdevoll gefüllt. Das Jahr Pause nutzte der VDP-Rheingau, um über das künftige Format des Samstages zu beraten. Das Ergebnis fasste Wilhelm Weil in einem sehr einfachen Satz zusammen: ‚Man kann ein Terroir und eine Lage nur über eine Vertikale verstehen.‘ Also haben sich die Rheingauer vorgenommen, ihre wichtigsten Lagen flüssig zu erklären und machten den Anfang mit drei Vertikalen im Weingut Robert Weil: 12 Jahrgänge (2012 bis 2023) der GGs von Weils Gräfenberg, Schloss Johannisberg und dem Rüdesheimer Berg Schlossberg der Weingüter Wegeler. Den Anfang machte der Hausherr.

Kiedricher Gräfenberg

Robert Weil Aquarium
Tatort: Der Verkostungspavillon im Weingut Weil mit Panoramablick auf den Gräfenberg

Der Gräfenberg ist nach Rheingauer Maßstäben eine Höhenlage. Bis auf 300 Höhenmeter reicht die Lage und Wilhelm Weil legt Wert auf die Feststellung, dass er ‚noch lange nicht die Sonnenschirme aufspannen‘ müsse, um Überreife zu vermeiden. Im aktuellen Stadium der Erderwärmung sieht er den Gräfenberg eher aufgewertet, denn für Wein gelte letztlich die gleiche Regel wie für Erdbeeren, Äpfel und viele andere Obstsorten: Der kühlste Standort, an dem Jahr für Jahr die Vollausreifung garantiert erreichbar ist, ist der beste.

Der Vorteil bei dieser Vertikale ist die Konstanz in der Weinbereitung. Die Weine sind innerhalb des vorgestellten Zeitraumes weitgehend unverändert in der Machart. Weil ist zwar mit dem Jahrgang 2024 biozertifiziert, die Umstellung begann aber bereits 2012.

Gräfenberg GG, Robert Weil

2023
sehr schöne Nase, typischer Riesling, intensiv fruchtig, auch am Gaumen, sehr klare Frucht, Aprikose und Apfel, etwas Hefewürze, tolle Säure, balanciert, leicht verschlossen, trotzdem extrem elegant. Verbreitet allgemein gute Laune zum Start und ich lasse mich sehr gerne anstecken.

2022
Deutlich dunkelwürziger in der Nase, auch schon überraschend fortgeschrittene Reifetöne und etwas mürber Apfel. Sehr süßer Antrunk mit mürbem Apfel, dann kommt viel Würze, erstaunlich fortgeschrittene Reife, aber die feste Säure hält den Wein gut in der Spur. Erscheint gerade sehr trinkreif. Auf hohem Niveau einfach.

Gräfenberg Vertikale

2021
Wieder etwas frischer in der Nase, obwohl da ein honigsüßer Ton dabei ist. Zitrusfrischer Antrunk, dann sehr kristallin, knackig, frisch, ein bisschen Ahoi-Brause (aber kein CO2), verschließt sich nach hinten mit einer grandiosen Phenolik, die noch sehr geizig wirkt. Die Runde findet den einhellig extrem vielversprechend, auch wenn der Winzer auf die Bremse tritt: Laut Wilhelm Weil fehlt die letzte Finesse, die aus einem großartigen Wein einen Wein für die Geschichtsbücher macht. Ich brauche den Wein nicht in irgendwelchen Büchern, in meinem Glas reicht vollkommen. Wunderbar.

2020
Deutlicher Reifeton in der Nase, aber lange nicht so warm wie 2022, darunter klassische Rieslingfrucht. Am Gaumen strahlt der Wein große Harmonie aus, schöne Säure, gutes Spiel, innere Balance und auch Eleganz. Aber er ist vereinfacht gesagt etwas wärmer als ideal. In diesem Vierer-Feld zeigt sich die Empfindlichkeit gegenüber Hitze, die die Cool-Climate-Rebsorte Riesling an den Tag legt besonders gut.

2019
Würzig-reife Nase mit einer reifen Frucht darunter, im Antrunk kickt sofort eine schöne Säure rein. Ich finde aber, dass nach hinten raus ein bisschen Substanz fehlt oder ‚wenig passiert‘. Etliche am Tisch sehen das Potenzial zu einem grandiosen Wein. Ich bräuchte etwas mehr Zeit, um einzustimmen oder zu widersprechen.

2018
Die Nase ist 2018 light, die Frucht am Gaumen mürbe, nicht zu kräftig. Sehr ordentliches Ergebnis, aber 2018 ist halt 2018. Wunderbar trinkbar, aber im Kontext nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie der Rest des Flights.

2017
Die Nase ist ziemlich hell, klar und lebendig, die Frucht am Gaumen wirkt dagegen leicht gekocht, die Textur ist eine Mischung aus ölig und saftig. Nach hinten raus dann viel Spiel und Klarheit auch durch die feine Phenolik. Das baut im Abgang Spannung auf und will gar nicht damit aufhören. Grandios.

2016
Gefällt mir heute nicht so gut wie zuletzt aus der Magnum, weil ich ihn etwas brotig finde. Sehr schöne Säure, reife Frucht, die Reifetöne sind nicht dominant, da ist noch weiteres Potenzial. Aber diese Flasche strahlt nicht. In Bestform ist das ein großer Wein und dieser hier ist nur sehr angenehm.

2015
Schon die Nase legt eine Spur in Richtung Wucht. Am Gaumen kompakt, leicht wachsig, satt in der Frucht, reifer Apfel, schöne Säure (die auch gebraucht wird). Nach hinten raus nicht so komplex wie die besten Gräfenbergs. Sehr schön.

2014
Das ist ein ziemliches Träumchen! Sehr klare, hellfruchtige Nase, am Gaumen nach einem säurebetonten, fruchtigen Antrunk sehr schnell eine angenehm würzige Reife, dabei aber nicht so kräftig wie 2017, sondern leise, elegant und wahnsinnig beschwingt. Der singt! Endstufe. Anekdote am Rande: Wilhelm Weil war dem Vernehmen nach leicht angefasst, dass die versammelte Wiesbadener Kritikergemeinde (mich eingeschlossen) diesen Wein 2015 sehr zurückhaltend aufgenommen hat. Er war sich sicher, das sei einer der besten aus seiner Ära. Leisten wir also Abbitte und nehmen zur Kenntnis, dass seine Einschätzung des 2024ers als großem Wurf eine ernst zu nehmende Empfehlung ist. Der Mann ist zurückhaltend mit solchen Ansagen.

2013
Die Nase ist erstaunlich (Honig-)süß, am Gaumen saftiges Spiel. Das ist etwas lauter als der 14er, der ihm hier die Show stiehlt. Eigentlich auch sehr gut, aber chancenlos.

2012
Jau, der hat von allem ein bisschen mehr und auch gar nicht so wenig Karamell dabei, aber weil die Säure stimmt und der Wein schön trocken ist, macht das sehr viel Spaß. Bis in die 90er-Jahre hatten wir in Deutschland ein bis zwei hart-grüne und zwei bis drei fies saure Jahrgänge pro Dekade, jetzt haben wir ein bis zwei gekochte und zwei bis drei superleckere, die in der Reife in die Beliebigkeit abzurutschen drohen. Im letzten Jahrzehnt waren es in der zweiten Kategorie 11, 12 und 15, wobei 11 für mich das schlechtere und 15 das bessere Ende der Skala markieren.

Fazit: Der Gräfenberg ist pur, feinfruchtig und elegant und das hat sicher nicht nur mit der Machart zu tun, die jede Übertreibung zu vermeiden versucht. Die Weine haben genügend Restzucker, um Säure und Phenolik so zu puffern, damit die Weine weder sauer noch bitter wirken, nicht an Zunge und Rachen zerren – dazu reicht manchmal ein einziges Gramm. Neues Holz oder extreme Gärtemperaturen sind genau so ein Fremdwort wie übermäßiger Schwefeleinsatz.

Schloss Johannisberg

Das GG entsteht in einem eigenen Gewann, dem Langenberg, was aber nicht öffentlich betont wird. Dieser zeichnet sich durch einen hohen Eisenanteil in der Lehmauflage aus, weswegen hier der Lehm rötlich erscheint. Im restlichen Johannisberg hat der Lehm eine braune Färbung dank hohem Mangangehalt. Unter dem Lehm liegt Taunusquarzit. Mit der Übernahme der Gesamtverantwortung durch Stefan Doktor 2016 änderte sich der Weinstil. Die Weine werden jetzt sehr lange auf der Vollhefe ausgebaut.

Schloss Johannisberg Silberlack (GG)

2023
Bonbonbunte Nase, kräftige Säure, recht stoffig, Mango und Aprikose, leicht tropische Aromen, aber keine Überreife. Enorme Substanz, aber kein Brecher. Finde ich ausgesprochen gut, auch wenn das kein Balletttänzer ist.

2022
Recht klassische Rieslingnase, Aprikose und Apfel, am Gaumen vor allem grüner Apfel, gepaart mit kräftiger Säure. Nach dem Regen gelesen und dadurch Öchsle verloren, aber Finesse gewonnen. Am Gaumen daher nicht so kräftig. Ich finde den Wein stark. Ob die Substanz für die Strecke reicht, vermag ich noch nicht zu beurteilen.

2021
Sehr würzige Nase, am Gaumen auch sehr würzig. Das ist dieser (für mich etwas zu) fleischige Stil, der durch das lange Hefelager entsteht. Die sehr kräftige Säure räumt davon einiges weg, aber ich hadere ein bisschen.

2020
Hat eine interessante Mischung aus Karamell und Schießpulver in der Nase, auch am Gaumen etwas Karamell. Satt, kräftig und auch ein bisschen fleischig. Etwas zu stoffig. Die kräftige Säure hält den Wein in der Balance, aber 2020 ist auch hier der Jahrgang, den ich nicht zu lange liegen lassen würde.

Schloss Johannisberg Vertikale

2019
Angenehm parfümierte Aloe-Vera-Nase mit etwas Apfel, am Gaumen deutlich trockener als die Vorgänger, ich wundere mich gerade, warum hier die Fleischextraktnote fehlt, da sagt der Winzer: ‚Wir haben hier 9 Monate weniger Hefelager‘. Dazu ist der Wein sehr trocken. Die 2,7 Gramm Restzucker hat der 21er auch, aber da wirken sie süßer. Ganz besonders guter Wein!

2018
Der Wein hat viel Karamell und wenig Säure. Das ist ausgesprochen lecker.

2017
Hat erstaunlich warme Noten, wenn man den Weil im Vergleich betrachtet. Da ist ein Hauch Karamell und sehr reife Aprikose, die Säure ist sehr kräftig und ordnet das Vergnügen. Aber dabei ist der Wein auch noch verschlossen und hat einen festen Kern. Komplex und ein Wein, der noch einige Zeit brauchen wird. Sehr interessant und vielleicht auch groß.

2016
Ein bisschen verbranntes Gummi und Karamell in der Nase, auch am Gaumen recht viel Sahnekaramell, kräftige Säure, knackige Aprikose, harmonischer Reifezustand. Jetzt sehr schön zu trinken. Ich habe hier aber Noten im Glas, die ich bisher nicht mit 2016 assoziiere. Im Rheingau war es vielleicht wärmer, als ich es abgespeichert habe.

Ab jetzt stammen die Weine aus der Ära Christian Witte:

2015
Sattfruchtig, leicht malzig, auch etwas kräutrig, brotig und medizinal. Am Gaumen mehr Säure als die ‚warme Nase‘ vermuten ließ, aber ich finde ihn etwas simpel.

2014
Verhaltene Nase mit einem Hauch Karamell und reifer Frucht (trotz des kühlen Jahres). Am Gaumen ein Wohlfühlwein, der nicht unbedingt die Substanz hat, die ich von einem GG erwarten würde, aber sehr viel Trinkspaß bietet.

2013
Erstaunlich wenig Säure für das Jahr und dadurch wirkt er etwas süß. Wieder fehlt mir Substanz, was sich auch in einer eher kurzen Beschreibung widerspiegelt.

2012
Hat eine recht klare und fast jugendliche Nase und ist am Gaumen schlanker als die meisten 2012er. Hat nur minimale Spuren von Karamell. Trinkt sich sehr schön, ist aber auch kein Ausbund an Komplexität.

Schloss Johannisberg Spätlesereiter

Fazit: Ich habe es im Podcast schon einmal etwas ausführlicher erläutert. Ich halte zweijähriges Hefelager bei einem Riesling-GG für einen Irrweg. Ich mag diese Noten von Fleischextrakt nicht. Anhand von historischen Weinen aus der Weil’schen Schatzkammer, die teilweise noch viel länger auf der Hefe lagen, konnte ich allerdings lernen, dass diese Noten mit langer Reife verschwinden. Was dann kommt, kann grandios sein. Vielleicht setzt eine künftige Generation dereinst ein Stefan-Doktor-Denkmal direkt neben den Spätlesereiter in den Innenhof des Weinguts, weil die Weine der Doktor-Ära in 50 Jahren als der reinste Ausdruck der Lage Schloss Johannisberg verehrt werden. Sie stellen schon jetzt für jeden ersichtlich einen Qualitätssprung dar. Anhand dieser Vertikale konnte ich der Lage allerdings noch nicht auf den Grund gehen. 2035 bei der 20 Jahresvertikale versuche ich es das nächste Mal. Damit ich wieder eingeladen werde, schmeichele ich mich vorsichtshalber ein: Der 2019er ist schon jetzt ein Monument!

Rüdesheimer Berg Schlossberg

Die Parzellen der Weingüter Wegeler liegen im steilsten Teil des Schlossbergs mit 40 bis 65 Prozent Steigung. Die Unterlage besteht aus Taunusquarzit und Phyllitschiefer. Die (viel zu) engen Zeilenabstände lassen keinen Maschineneinsatz zu. Das Weingut beziffert den Aufwand auf 2000 Arbeitsstunden pro Hektar.

Weingüter Wegeler Berg Schlossberg GG

2023
Ebenfalls bonbonbunte Nase (wie der Johannisberg), kräftige Säure, leicht ölige Textur, leicht exotische Frucht, schönes Spiel. Ist aber auch ein bisschen geizig, wobei ich eher denke, dass er verschlossen ist. Müsste man länger verkosten, aber ich bin sehr optimistisch. 

2022
Eher würzige Nase mit mürbem Apfel und etwas Tabak. Am Gaumen zackige Säure, die auf viel Substanz trifft, angenehm trocken, saftig, dann kommt sehr feine Phenolik. Ich halte das für einen sehr vielversprechenden Wein, auch wenn er aktuell ein wenig geizig ist. 

2021
Viel Karamell und auf eine Art vom biologischen Säureabbau geprägt, mit der ich nichts anfangen kann. Das wird bei anderen Verkostern sicher besser ankommen.

2020
Leicht flintige Nase, am Gaumen würzig, reife Aprikose und etwas Kernobst, druckvoller Gaumen mit passender Säure, erste Reifenoten. Kräftig und sehr gut.

2019
Auch dieser 19er ist verdammt stark, sodass ich zu Beginn der Verkostung beim Weil’schen vermutlich wirklich auf dem Schlauch stand. Reife Aprikose, aber auch etwas Minze in der Nase, satter, fast überreifer Pfirsich am Gaumen, aber schöne Säure und furztrocken und nach hinten raus sehr fest. Ganz großartig.

2018
Ist in der Nase sehr zurückhaltend, outet sich erst am Gaumen als 18er. Anständige Säure und saftige Frucht, nicht ganz so üppig und druckvoll wie die meisten anderen 18er. Hübsch.

Wegeler Schlossberg Vertikale

2017
Das ist ganz stark! Die Nase erinnert an Champagner (Brioche!), aber sowas von! Am Gaumen leicht ölig, gepaart mit schöner Säure, die nicht besonders kräftig wirkt, aber die Phenolik hilft aus und sorgt für Spannung. Auch am Gaumen kommt die Brioche-Aromatik durch, dazu süße, leicht exotische Frucht. Kein Tänzer, aber trotzdem elegant. Mag ich wahnsinnig gerne.

2016
In der Nase und am Gaumen recht viel Karamell, dazu ist er nicht so wahnsinnig trocken. Sehr lecker, aber etwas einfach.

2015
Etwas überreifes Steinobst in der Nase, dazu etwas Karamell, am Gaumen mehr davon und bei schöner Säure und ansprechender Phenolik leider ein oder zwei Gramm mehr Zucker, als gut wäre. Das macht den Wein zwar sehr angenehm zu trinken, aber macht auch ein bisschen satt.

2014
Hier bin ich mir nicht sicher, ob da nicht Reste eines BSA zu schmecken sind, vielleicht sind es auch nicht so gelungene Reifearomen. Ich finde den Wein ziemlich lätschert.

2013
Sehr stark gereift, der Wein zeigt schon etwas Müdigkeit, aber das Süße-Säure-Spiel gefällt mir sehr. Etwas Karamell, etwas kandierter Apfel. Feine Phenolik, aber auch etwas zu vollmundig.

2012
Das ist ein Spiegelbild des 15ers und noch ein bisschen süßer. Ein Gläschen in Ehren …

Fazit: Wie auch bei SchloJo stammten die Weine der Vertikale aus unterschiedlichen stilistischen Phasen. Das macht sie schwerer zu vergleichen. In der Zwischenzeit wurde bekannt, dass die Ära von Richard Grosche bei Wegeler endet. Es könnte also zu einem weiteren Wechsel in der Kellerstrategie kommen. Daher glaube ich, es wird noch eine ganze Weile dauern, biss die Weingüter Wegeler ein Feld von Schlossberg-GGs zeigen können, die mir erlauben, die Lage zu lernen. Aber wie weiter oben angedeutet: Ich stehe sehr gerne für weitere Versuche zur Verfügung und bedanke mich für die Einladung zur ersten Auflage des Kursprogramms.

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