Klassifikationen helfen dem Kunden, den sehr guten vom guten Wein zu unterscheiden. Doch manchmal bewirken Sie auch das Gegenteil. Dann schlägt die Stunde der Trüffelschweine. Ich habe mir ein bisschen die Nase schmutzig gemacht…
Stellen Sie sich einen Fussballspieler mit nahezu unbegrenztem Talent vor, der leider die heimische Scholle höchstens zu einem sonntäglichen Abstecher ins Nachbardorf verlassen mag, weil er den Eltern auf dem Hof helfen muss und will. Also kickt der gute Sohn im Dorfverein, den er mit seinen Toren drei mal hintereinander zum Aufstieg schießt. Schließlich spielt er in einer Liga, wo seine regelmäßigen drei Treffer pro Spiel noch zu einem Mittelfeldplatz reichen. Denn außer ihm gibt es im Team nur noch einen talentierten Rechtsaußen und einen fähigen linken Innenverteidiger. Die Zuschauer haben riesigen Spaß, denn für kleines Eintrittsgeld können sie die Genialität dieser Achse bestaunen, unterbrochen von Rumpelfußball und Gegentoren verschuldet durch andere Mannschaftsteile. Dem Vernehmen nach gab es sowas früher gelegentlich. Heute ist der Sport flächendeckend professionalisiert und kein Talent fällt mehr durch das Scouting-Raster. In der Weinwelt allerdings gibt es sie noch reichlich: die Kreisklassen-Ronaldos und Bezirksliga-Lewandowskis. Und ich wage die Behauptung, nirgendwo gibt es so viele davon wie an der Rhone. Zweien bin ich jüngst begegnet und muss davon Berichten.
Dass die Rhone so viele Top-Winzer beherbergt, die sich unter Wert verkaufen müssen, hat mit dem örtlichen Klassifikationssystem einerseits und der geringen Flexibilität des Verbrauchers andererseits zu tun. Das bedarf vermutlich einiger Erläuterungen: Den Unterschied zwischen einem leckeren Weinchen und einem Spitzengewächs bedingen – bei Weinen aus edlen Rebsorten – hauptsächlich drei Faktoren: Die Lage, das Talent/der Fleiß des Winzers und Geld. Geld kann einerseits fehlendes Know-how einkaufen, andererseits erlaubt es Ertragsreduktion und strenge Selektion bei der Lese. Mit dem Flaschenpreis bezahlt der Konsument auch die Trauben, die auf den Boden geworfen oder gar nicht erst zur Reife gebracht werden. Eigentlich ist (meiner Erfahrung nach) die Güte einer Lage der kleinste der drei Faktoren, doch hier kommt die mangelnde Flexibilität des Verbrauchers ins Spiel. Der für die Flasche zu erzielende Preis ist immer noch sehr stark an den Leumund der Herkunft geknüpft, obwohl wir es doch eigentlich besser wissen müssten.
Villages plus Name – Trüffelzone
Wenden wir diese Faktoren also auf die Rhone an. Ihr Herkunftssystem ist quasi vierstufig. Der einfachste Wein mit Herkunft heißt hier nicht Rhône blanc/rouge/rosé wie beim Bordeaux Blanc oder Bourgogne Rouge, sondern er heißt Côtes du Rhône (blanc/rouge/rosé). Die nächst bessere Kategorie sind – wie fast überall, wo das romanische Herkunftssystem wirkt – die Ortsweine. Diese sind allerdings zweistufig unterteilt. Der einfache Ortswein ist der Côtes du Rhône Villages ohne jede Angabe des Dorfnamens. Hier bedeutet der Zusatz tatsächlich nur so viel wie ‚Deluxe‘ oder ‚Supidupi‘. Das erinnert ein bisschen an die Rheinhessischen ‚Weine aus Ersten Lagen‘, bei denen die Lagen dann aber nicht genannt werden. Die besseren Dorfweine sind solche, die das Dorf dann auch beim Namen nennen. 95 Gemeinden befinden sich in der Villages-Zone, 21 von ihnen erbringen so guten Wein, dass ihr Name auch aufs Etikett darf. Der Status als Premiumdorf ist dabei ein Durchlauferhitzer. Nach einigen Jahren erfolgreicher Village-Produktion kommt es regelmäßig zur Beförderung der Gemeinde zum ‚Cru’ also zur eigenständigen Appellation. Allerdings ist die Fließgeschwindigkeit quälend langsam. Den Anfang machte 1971 Gigondas. Vacqueyras (1990), Beaumes-de-Venise (2005) und Vinsobres (2006), Rasteau (2010) und Cairanne (2016) folgten. Laudun steht als nächstes Cru bereits fest und wird vorraussichtlich den 2022er Jahrgang als solches deklarieren, schlanke zehn Jahre nach der Antragstellung.
Die Moral von der Geschicht? Steht neben dem Villages noch ein Gemeindename auf dem Etikett befinden wir uns in einer Region überdurchschnittlicher Qualität. Damit der Durchschnitt der Weingüter aber überdurchschnittlich ist, müssen die besseren grandios sein. Die wahren Meister sind die, die sich zum Ziel setzen ihre Gemeinde zum Status eines Cru zu führen. Sagen tun das natürlich alle, doch Weine lügen nicht. Die Unterschiede zwischen ordentlichen und großartigen Villages-Weinen aus beispielsweise Seguret oder Visan sind dramatisch – die erkennt ein Blinder mit Long-Covid. Die Besten bewegen sich jetzt schon auf dem Niveau guter Crus. Solange der Status aber nicht da ist, liegen die erzielbaren Preise in einem bescheidenen Rahmen. Es herrscht Schnäppchenalarm. Zwei Weingüter standen auf der Agenda meines Rhone-Trips, von denen ich schon in Deutschland Weine im Glas hatte, die mit ‚herausragend‘ ganz gut beschrieben sind. Einer war weiß, einer war rot, Winzer eins traf ich zum Mittag-, Winzer zwei zum Abendessen. Es wirkte eine gewisse Vorfreude in mir.
Der Notar, der aus dem Fenster stieg um Winzer zu werden
Beim mittäglichen Besuch im Weingut Coste Chaude auf dem Plateau von Visan empfängt uns ein tiefenentspannter Vincent Tramier. Er hat das Weingut samt 37 Hektar Rebflächen 2018 vom Schweizer Ehepaar Marianne und Marc Fues übernommen. Die Vorbesitzer hatten keine Angehörigen, die weitermachen wollten. Doch das hatte die Fues‘ nicht davon abgehalten, bis zum Ende Vollgas zu geben. Noch in den letzten Jahren vor dem Ruhestand hatten sie Großes in Angriff genommen: die Anpflanzung weißer Rebsorten und die Umstellung auf ökolgische Wirtschaftsweise. Tramier konnte ein gut bestelltes Haus übernehmen. Lediglich den Vertrieb organisierte er komplett neu. Die Fues’ hatten vollständig auf Export gesetzt, Vincent Tramier versucht einen Teil der Weine auf dem inländischen Markt zu platzieren, inklusive Ab-Hof-Verkauf und Onlineshop.
Auch wenn er erst ziemlich spät seine Berufung gefunden hat, will Tramier noch das ganze Paket. Weingutsbesitzer reicht ihm nicht, der Mann will Winzer werden. Er hat einen Kellermeister, arbeitet aber intensiv an der Weinbereitung mit. Den Außenbetrieb leitet er schon selbst. Er nennt das einen Atavismus: Seine Großeltern waren noch im Weinbau aktiv, den seine Eltern dann nicht fortgeführt hatten. Und so studierte der urban sozialisierte Vincent Jura und wurde erfolgreicher Notar, bis ihn die wiedererwachten Instinkte in die Weinberge riefen. An seinen Erfolgsaussichten kommt bei uns kein Zweifel auf. Der Mann kann ja auch kochen wie ein Profi, obwohl er sich das selbst beigebracht hat. Denn als wir ins Haus zurückkehren, stellen wir fest, dass der Mann das von InterRhone gestellte Budget nicht für einen Catering-Service einsetzt – sowas machen nur Weingutsbesitzer. Vincent Tramier, der Fastschonvollblutwinzer war stattdessen einkaufen. Während er uns seine Weine zeigt, bekocht er uns auf höchstem Niveau mit dazu passenden regionalen Spezialitäten. Das verstärkt meinen ohnehin positiven Eindruck sicher noch, aber unkritisch werde ich dadurch nicht.
Weine aus 370 Metern Höhe
Alle Weine von Coste Chaude sind als Côtes du Rhône Villages Visan gefüllt. Wir starten mit der weißen Basis L’Octave 2020, 95 Prozent Grenache blanc. Apfelringe in der Nase, satte Frucht am Gaumen, dann wird es kreidig und auch würzig, getragen von ordentlicher Säure und nicht von zu viel Alkohol gestört. Wunderbare Spannung und Tiefe. Kein easy-drinking, sondern anspruchsvoll, strukturiert und ein klassischer Speisenbegleiter. Trilogy 2019 ist der Weißwein, den ich schon aus Deutschland kenne, ein großartiger komplexer Weißwein aus Grenache blanc, Roussanne und Viognier, mit schöner Frucht und Schmelz, würzig-phenolischem Grip, guter Frische, passendem Alkohol. Druckvoll und enorm spannend – das kann vermutlich lang und toll reifen. Rosé L’Entracte 2020: 100% Grenache, sehr beerige Frucht, zackige Säure trotz eines (spurlosen) BSA. Früher geerntet als in der Vergangenheit, trotzdem kein dünner Wein. Die 14% Alkohol überleben am längsten im langen Abgang, was vielleicht nach dem zweiten Glas zum Problem wird. Bis dahin ist das sehr gut.
Weiter mit den Rotweinen: Florilege 2019, 70/30 Grenache/Syrah, in der Nase etwas Lavendel, aber auch viel Frucht, schöne Struktur, aber eher eine Einstiegsqualität. 2019 Madrigal 80/20 G/S, ohne Holz, sondern komplett im Zement-Tank entstanden: fruchtiger Antrunk, dann wird es etwas blumig-kräutrig und dann kommt schönes Tannin. Gute Länge, anspruchsvolles Vergnügen, die 15% Alkohol sind perfekt versteckt. 2019 La Rocaille (80/20 G/S, frei ablaufender Wein, keine Pressung, ganz bisschen Holz im Syrah) Das strahlt und hat eine wunderbare, dunkle Frucht, Kirschen und Beeren, würzig, röstig, passende Säure. Das hat eine Lebendigkeit und Vielschichtigkeit, wie sie nur wenige CdR erreichen. 16 Euro! Idealer Pirat für eine Gigondas-Probe. L‘Argentiere 2017, 80/20 S/G, teilweise Holz beim Syrah, Nase mit etwas Cassis und Brombeere, etwas Holz und Lavendel, am Gaumen sehr weich, fast cremig, ich meine Reste eines BSAs zu schmecken und finde den Wein nur ganz gut. Frisch geöffnete Flasche, ich probiere ihn gleich zum Hauptgang noch mal. Und zum Cote de Boeuf dreht der Wein den Frucht-Hahn auf und überschüttet mich mit passenden Aromen zur provenzalischen Küche. Alles gut, auch wieder nur 16 Euro.
Zum Abschluss probieren wir noch zwei besondere, weil koschere Weine. La Source D‘Elie 2020, 80/20 S/G, Edelstahl. Nase ist ziemlich stallig, am Gaumen einerseits etwas röstig, andererseits fruchtig, insgesamt eher einfach (soll er auch sein). La Source De L’Argentiere 2020, 60/40 Syrah/Grenache, Beton. Das ist dann wieder deutlich feiner, eher blumig, mit leicht gekochter Frucht und sehr feinem, aber gut zupackendem Tannin. Der Aufpreis für die enorm kostenintensive Überwachung durch einen Rabbiner macht die Weine nur für Kunden interessant, die sie tatsächlich für religiöse Feste einkaufen wollen.
Die Weine kosten in Deutschland weniger als die von mir genannten Ab-Hof-Preise. Sie sind unter anderem bei Nobis Weine und weingood online erhältlich.
Aus der Schweiz verpflanzt
Nicolas Haeni ist ein weiterer dieser Überperformer im Villages-Korsett. Seine Geschichte könnte aber kaum verschiedener sein als die von Vincent Tramier. 16 Jahre alt war Haeni, als seine Eltern ihm mitteilten, sie hätten jetzt den Weg gefunden, ihren Traum zu leben. Die Familie zog ins Rhone-Tal und bauten ein Hotel samt Weingut auf. Für Sohn Nicolas bedeutete das den Kulturschock. Aus der Deutschsprachigen Schweiz ging es nach gerade einmal zwei Jahren gymnasialen Französischunterrichts direkt auf eine französische Schule. Er lernte in Rekordzeit, bestand das Abitur und nahm es als Wink des Schicksals: Sprachen studieren war die logische Konsequenz. Doch nach ein paar Irrungen und Wirrungen sattelte er doch auf Weinbau um. Nach einer fundierten Ausbildung kehrte er nach hause zurück und arbeitete im elterlichen Betrieb. Die Investoren signalisierten Freude, dass die Nachfolge geregelt war, nur um kurze Zeit später auf Auszahlung zu bestehen. Das Projekt implodierte.
‚Es lief eigentlich sehr ordentlich‘ erklärt mir Nicolas bei unserem Abendessen im Restaurant Avenio in Avignon. ‚Aber andererseits hatte meine Mutter das Rentenalter erreicht und eine Nachfolge für die Leitung des Hotels war nicht in Sicht.‘ Das Weingut wiederum hatte seinen Keller im Hotel. Eine Auftrennung war unmöglich. Also verkaufte die Familie das Hotel samt Weingut. Nur einen Weinberg lösten sie aus dem Konstrukt heraus. Der ‚Malmont‘ sollte die Keimzelle des Neustarts für Sohn Nicolas sein. Er benannte sein Weingut nach ihm, und wer die Bilder des Weinberges sieht, der will sofort die dort gewachsenen Weine probieren. Die Weinbergsterassen hat Nicolas komplett neu angelegt. Sie verlaufen so, dass bei ausgiebigen Regenfällen das Wasser den gesamten Weingarten entlangfließt, bevor es am Fuße des Berges abläuft. Haeni arbeitet biologisch zertifiziert und biodynamisch ergänzt. Der deutsche Winzer Frank John berät ihn.
Großer Rouge ganz groß
Nicolas Haeni füllt seine Weine alle als Côtes du Rhône Villages Séguret. Minimalintervention in einem Keller von 20 Quadratmetern Größe ist Trumpf, dazu wenig Holz – es gibt ja auch kaum Platz für Fässer. Was die Weine zusätzlich zu ihrer inneren Güte auszeichnet sind moderate Alkoholwerte. Wir starten mit dem Petit Blanc 2021. Dieser Weiße aus jungen Reben besteht zu 67 Prozent aus Marsanne sowie aus Roussanne und Viognier. In der Nase warme Frucht, reifer Apfel und Orange plus etwas Thymian, am Gaumen geht die Frucht in Richtung Bratapfel, ordentliche Frische, aber das dürfte beim zweiten Glas mit der üppigen Frucht ermüden (außer man steht auf üppige Frucht). Sehr ordentlich. Der große Bruder ist der Blanc 2021. 100% Roussanne, 1/3 dreijähriges Barrique, 2/3 Tank. Sehr saftig-klare Frucht, Apfel, Birne und leichte Exotik paaren sich mit hellen Blumen und etwas mediterranen Kräutern, dann wird es kreidig, wenn nicht gar salzig. Der Alkohol (13%) sorgt für schöne Wärme und im langen Abgang taucht dann wieder die Frucht auf. Das finde ich wirklich wunderbar.
Der Rosé 2021 riecht ein bisschen nach Pfirsich-Eistee, hat dann aber eine ernsthaftere Frucht am Gaumen, sehr schöne Säure. Der Wein zieht – für die Herkunft etwas verwirrend – seine Struktur komplett aus dem Frucht-Säure-Spiel. Käme das von der Mosel, fände ich es vermutlich großartig. Hier fühlt sich das etwas deplatziert an (was natürlich niemanden interessiert, wenn der Wein dann in Wanne-Eickel am Samstagnachmittag zum Vorglühen im Glas landet). Eigentlich guter Wein. Der Petit Rouge 2020, ist dann einfach lecker: schöne Frucht, feiner Gerbstoff, braucht vermutlich noch etwas. Auch wenn es der ‚Kleine‘ ist, ist das kein simpler Schoppen. Und dann der Rouge 2020, bei dem ich dem Jahrgang 2018 in meiner Berliner Blindverkostung 91 Punkte gegeben hatte. Die Nase ist ziemlich edel, etwas Leder, dunkle Früchte, der Syrah dominiert, der Lavendel vom Grenache nur als Spur – das hat wirklich was Betörendes. Am Gaumen ist das wahnsinnig gut. Edelste Frucht, straffe Säure, 13,5 Prozent Alkohol passen perfekt, ein bisschen Stall, ein bisschen Lakritze, beides aber im Wohlfühlbereich, sehr feines Tannin, ungemein harmonisch, aber die Spannung holt auch den anspruchsvollen Freak ab. Das kann und sollte man noch besser finden als den damals tollen 2018er. Als Garagenwinzer muss Haeni immerhin 23,50 Euro für seinen Wein aufrufen, das ist oberstes Niveau für Côtes du Rhône Villages. Andererseits kann er es mit etlichen Schwergewichten der Region aus den bekannten Crus aufnehmen. Manchmal sind die höchstpreisigen Weine die wahren Schnäppchen.
Die Weine von Malmont gibt es (leider mit Ausnahme des Blanc) in der Weinlade am Gutenbergplatz (auch online).
Mega Tipp! Werde von den genannten Weinen definitiv mal ein paar probieren. Wer sich noch nicht mit der Rohne beschäftigt hat, dem kann ich es nur empfehlen, man wird ausgiebig belohnt.