Käufliche Liebe (2)

Es gibt Geschichten, die sind so unwahrscheinlich, dass sie wahr sein müssen. Es war genau ein Tag vergangen seit dem Erscheinen meines Artikels über den ersten Wein, den ich je in einer Verlosung gewonnen hatte, da erhielt ich die Nachricht, die Glücksfee sei mir schon wieder gewogen gewesen. Gleich ein ganzes Weinpaket sollte den Postweg zu mir antreten. Das klingt, als habe da jemand die Verlosung manipuliert, um Weine an einen Blogger zu schicken, der tatsächlich drüber schreibt.

Das war auch dem Überbringer der Botschaft klar. Also schrieb mir Ralf Kaiser, der die facebook-Seite von ,Weine der Loire‘ betreut fast peinlich berührt, dies sei wirklich nur ein Gewinn und niemand erwarte, dass ich etwas darüber schriebe – und Zufall sei es sowieso. Wer das Vergnügen hatte, Ralf einmal kennenzulernen – so wie ich beim Vinocamp 2012 –, hat keine Veranlassung an der Wahrheit seiner Worte zu zweifeln.

Drei Flaschen von der Loire sollten es also sein und ich durfte sogar Wünsche äußern. Das tat ich nach kurzer Überlegung.

Denk ich an die Loire, fällt mir zuerst Sauvignon Blanc ein (habe ich schon erwähnt, dass ich ein ziemlich durchschnittlicher Weinkonsument bin?). Der gefällt mir manchmal gut und manchmal (wenn er richtig kratzt) nicht ganz so gut. Wollte ich also nicht. Dann fällt mir Muscadet-Sèvre et Maine ein, dem ich wünsche, die EU erlasse dereinst eine Verordnung, dass man zu Austern nichts anderes trinken darf. Den liebe ich, habe aber noch ein paar Flaschen – und Austernzeit war auch gerade nicht. Als nächstes denke ich an die Cabernet Francs, die Freaks die Tränen in die Augen treiben ob ihrer Finesse bei gleichzeitig kleinem Preis – bin kein Freak und trinke rot fast nur noch Pinot. Den wollte ich auch nicht. Natürlich habe ich auch schon Erfahrungen mit den Cremants aus der Gegend gemacht (wir erinnern uns: Durchschnittskonsument). Das wäre doch mal spannend. Und zu guter letzt fällt mir Vouvray ein. Davon habe ich genau einmal in meinem Leben eine Flasche getrunken und die war so spannend, dass ich immer mehr über diese Weine wissen wollte. Das sollte es auch sein. Also orderte ich ,Vouvray und Blubber bitte‘.

Es kam ein Paket, und schon das Auspacken geriet zur Fortbildung. Eine Flasche Vouvray sec und zwei Flaschen Blubber – aus Vouvray. Ich dachte, es gäbe schäumend nur den Cremant de Loire, es gibt tatsächlich aber eine Breite Palette an Sekten aus Vouvray.

Ich fing mit einem Sekt an.

Dom. Sylvain Goudron, Vouvray Brut, Appellation Vouvray Controlée, ohne Jahrgang, Loire/Frankreich. In der Nase viel Zitrusfrucht, wenig Hefe, etwas Quitte und Muskat. Am Gaumen ist das ein ganz gefährlicher Stoff, denn er strotzt von süßer Frucht: Birne, Quitte,  Orange, dazu Muskat. Die Perlage ist nicht besonders fein, der Wein sehr voll, 12,5% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Spritzige Säure, stoffige Konsistenz, leicht minerlischer, mittellanger Abgang – das ist ,easy drinking‘ mit Anspruch. Zum hineinlegen!

Mein erster Vouvray-Sekt war ein voller Erfolg. Also probierte ich es einige Zeit später mit dem Stillwein. Er ist – wie auch die Sekte – aus der Rebsorte Chenin Blanc. Hier an der Loire gibt es den trocken, nicht so trocken (demi-sec) und süß. Der erste Vouvray, den ich vor Jahren trank, war ein demi-sec mit vier oder fünf Jahren auf dem Buckel. Der Stoff kann reifen! Das fühlt sich ein bisschen an wie Weine von der Mosel, nur ganz anders.

Dieser Vertreter war ein junger Hüpfer aus der sec-Klasse.

Zwei von schicken drei...Benoit Gautier/Domaine de la Chataigneraie, Argilex de Gautier, Vouvray sec AOC, 2010, Loire/Frankreich. In der Nase Quitte, etwas Vanille, Zimt (alles zusammen erinnert an Bratapfel), leicht kräutrig, etwas Holz (obwohl er laut Internet nicht im Fass war). Am Gaumen ist der Wein ziemlich voll, süß (bei 2 Gramm Restzucker), schmeckt nach Birne, ist leicht alkoholisch (bei eigentlich vertretbaren 13% Alkohol), zeigt ordentliche Säure, ist aber auch etwas cremig. Er schmeckt rauchig, ist im Abgang mineralisch und lang. Das ist ein sehr guter Wein mit einem überragenden Preis-Leistungsverhältnis, der im Handel wohl um 6€ kostet.

Apropos PLV: das ist ein spannender Aspekt dieses Paketes, keiner der Weine kostet mehr als zehn Euro. Der andere spannende Aspekt ist die enorme Fruchtigkeit und Süße, die der Chenin Blanc zustande bringt, ohne dafür Restzucker zu brauchen. Darauf noch einen Blubber:

Ch. Moncontour, Vouvray Brut, Appellation Vouvray Controlée, ohne Jahrgang, Loire/Frankreich. In der Nase Zitrus, Quitte und Hefe, Am Gaumen ist der Sekt ziemlich trocken aber sehr fruchtig mit Birne und Mandarine. Er ist leicht cremig, gleichzeitig voll und frisch und sehr lang, besticht mit tollem Spiel und sammelt Minuspunkte mit der etwas groben Perlage. Insgesamt aber ein sehr guter Sekt für weniger als zehn Euro.

Nun habe ich also das zweite Mal über Weine geschrieben, die ein Händler oder Produzent mir geschenkt hat, obwohl ich das doch nie nie tun wollte. Das lag sicher auch am Engagement der Bloggerkollegen für die Veranstalter der Verlosung. Mein Fazit hat damit aber nichts zu tun, das ist allein der Qualität der Weine geschuldet:

Trinkt mehr Weine von der Loire!

Arroganter Sack

Stellen Sie sich vor, Sie laden einen Menschen, den Sie nur wenig kennen, zu sich nach Hause ein und dieser überreicht Ihnen sein Gastgeschenk mit den Worten ‚google mich, dann weißt Du, was das ist‘. Was würden Sie denken? ‚Arroganter Sack‘? Also ich würde denken: ‚Arroganter Sack‘!

Neulich ist mir genau das passiert, natürlich – Sie werden es erraten – in der Weinwelt. Aber ich dachte von meinem Gast nicht, dass er ein arroganter Sack wäre, dazu ist er nicht der Typ. Weinbegeistert, voller Wissen und Erfahrung und daher selbstbewusst – aber arrogant ist er nicht. Und dass er mir sein Geschenk, eine Flasche Sekt, so überreichte, hat auch damit zu tun, dass dieser nicht etikettiert war. Peter hieß  der Gast und der Sekt war von ihm, genauer gesagt vom Weingut Geschwister Bibo aber aus der Zeit, als er dort verantwortlich war.

Der Sekt ist etwas besonderes, denn wenn man Peter und seinen Sekt googlet, dann stößt man auf teils ekstatische Resonanz von Weinfreunden (und damit das so bleibt und nicht die Headline ‚Arroganter Sack‘ auf Platz eins der Suchergebnisse erscheint, habe ich seinen Nachnamen aus diesem Artikel entfernt). Insofern war die Ansage mit Google geradezu bescheiden, hätte er die Flasche doch auch mit den Worten überreichen können: Hier, der Blubber von dem der Würtz sagt, ‚…dieser Sekt ist der Wahnsinn! Ich will den trinken…JETZT!!!‘ oder dergleichen mehr. Hier findet man eine Auswahl begeisterter Statements.

Das nenne ich Farbe...Die meisten Weine, die ich hier beschreibe, habe ich über mehrere Tage getrunken, immer aber mindestens mehr als ein Glas. Dieses Prinzip kann ich dieses mal nicht einhalten, denn so schicke Sekte schenke ich doch lieber Gästen aus und dann bleibt halt nur ein Glas. Zum Glück sind die Gäste vom Fach und so ist die folgende Notiz mit Input von Julia von den Weinvibes, Paul von Drunkenmonday und Charlie von weinlagen.info entstanden.

Weingut Geschwister Bibo, ,Torheit‘ Rieslingsekt, degorgiert 2009, Rheingau. In der Nase erstaunlich fruchtig, es fehlen die typischen Hefe- oder Brioche-Noten und der Sekt riecht wie ein Stillwein, allerdings nicht unbedingt wie ein Riesling. Aprikose ist zwar da, aber er ist irgendwie zu mächtig für einen typischen Vertreter. Am Gaumen ist er sehr frisch, ausgesprochen mineralisch aber vor allem fruchtig und süß. ,Ziemlich viel Zucker‘ war ein Kommentar, der in die falsche Richtung lief (weil der Sekt ,zero dosage‘ mithin furztrocken ist) aber andererseits berechtigt scheint, denn dieser Sekt ist so voll, wie es gemeinhin nicht ganz trockene Vertreter sind. ,Der ist nicht aus Deutschland, das ist ein Chenin Blanc‘ war ein anderer Kommentar, der vollkommen richtig (aber leider total falsch) war, denn eigentlich kann nur Chenin so süß-fruchtig sein, während er doch gar keinen Restzucker aufweist. Ich fand ihn auch ein wenig rauchig, was zur üppigen Frucht passt. Feine Perlage, nussige Reife, man könnte so viel über diesen spektakulären Sekt sagen… Einer brachte es auf den Punkt: Der ist ausgesprochen gelungen – jep!

Stimmt also. Ist wahrhaft genialer Stoff  und ein tolles Geschenk. Vielen Dank dafür, aber Peter, solltest Du das hier lesen: Lass es Dir nicht zu Kopfe steigen, sonst wirst Du am Ende noch ein arroganter Sack.

Bruders Blubber

Wenn man im Freundeskreis erst einmal im Verdacht steht, ein Weinkenner zu sein, dann ist man regelmäßig auch Versuchskaninchen. Weniger sachkundige Freunde führen einem begeistert ihre superleckeren aber erstaunlich günstigen Entdeckungen vor und schauen einen mit großen Augen an: ‚Und, ist das nicht ein superTropfen?‘ lautet die gespannt Frage, der man sich gegenüber sieht, während der Probeschluck des derzeitigen Hausweins über den Gaumen rollt. Manchmal ist der gereichte Wein wirklich passabel, manchmal eine Katastrophe und selten gibt es richtig tollen Stoff. Ich bin ein höflicher Mensch und finde diese Weine immer ausnahmslos gut. Koste es, was es wolle.

Nicht nur aus diesem Grunde bin ich relativ gut darin, meiner Umwelt mit meinem Weinfimmel nicht auf die Nerven zu gehen. Mein unmittelbarer Freundeskreis ist nur teilweise über den Inhalt meines Kellers informiert. Über meine Bloggerei rede ich so gut wie gar nicht. Höchstens zwei oder drei private Kontakte lesen meinen Schnutentunker. Umso erstaunter war ich, als mir mein Bruder kürzlich erzählte, er lese hier gelegentlich mit.

Mein Bruder ist gemessen am Durchschnittsdeutschen ein Weinkenner: Er kauft seinen Wein im Fachhandel und gibt auch zweistellige Beträge für eine Flasche aus. Auf einer gemeinsamen Reise durch das Moseltal lernte er die Vorzüge nicht-trockenen Rieslings kennen, ansonsten bezeichnet er sich selbst als ‚Fruchtbomben-Trinker‘ mit einem Faible für Rotweine aus der neuen Welt. Gerne ruft er mich gelegentlich an, wenn er einen tollen Wein im Glas hat und fragt mich: ‚Kennst Du eigentlich XYZ?‘ und dann kommt ein spanischer oder englischer Weinname, der mich ratlos lässt, da das eher nicht meine Baustelle ist. Mit Probeschlucken bei den viel zu seltenen Besuchen hält er sich zurück.

Neulich allerdings rief er an, um mich nach einem Weingut zu fragen, von dem er gerade einen sensationellen Sekt im Glas habe. Und dann kam ein Name, der mir mehr sagen hätte sollen als bloß: ‚Hmm, Mosel, glaube ich.‘ Es war das Weingut F.J.Regnery und der Sekt hatte es ihm wahrhaft angetan. So sehr, dass er mir den unbedingt vorführen wollte. Er brachte eine Flasche zum Anstoßen zum 2. Weihnachtstag mit und war sich seiner Sache so sicher, dass eine weitere als Geschenk für mich bestimmt war. Glücklicherweise fand ich diesen Sekt nicht koste-es-was-es-wolle-gut sondern ganz ohne Bruderbonus großartig. So großartig, dass ich meine als Geschenk erhaltene Flasche zu Silvester aufziehen werde.

Da alle Anwesenden von meinem Fimmel wussten, hatte ich keine Scheu, mir Notizen zu machen.

F.J.Regnery, Spätburgunder Sekt ‚Blanc de Noir‘ brut (Klüsserather Bruderschaft), 2008, Mosel. In der Nase die typische Brioche-Note von der Flaschengärung, dazu Himbeere und eine angenehm würzige Note (Liebstöckel etc.). Am Gaumen feine Perlage, relativ cremiges Mundgefühl, voll aber auch sehr saftig mit schönem Spiel. Neben fruchtigen Noten von Erd- und Himbeere punktet der Sekt mit einem feinen würzigen Ton: leicht malzig, leicht toastig (mir drängt sich das Bild einer schönen Brotkruste auf), der auch im sehr langen Abgang mitklingt. Ein ganz toller Sekt.

 

Guten Rutsch ins neue Jahr.

Pretty in Pink

Ein Freund von mir stellte vor einigen Jahren eine denkwürdige Frage in den Raum: ‚Gibt es überhaupt herausragende Rosé-Champagner oder -Sekte?‘

Nun kann man reflexartig antworten: ‚Klar! Die sind doch oft viel teurer als die einfachen Prickler‘ – aber reicht das? Die Frage kam im Laufe einer Verkostung, bei der ein Blanc de Noir und ein Rosé eines Erzeugers zwar sehr ‚lecker‘ waren, aber eben nicht im Mindesten die Komplexität der angestellten Blanc de Blancs und Cuvées brachten. Und der Fragesteller blickte auf schlappe 40 Jahre Champagner-Erfahrungen mitsamt Degustationsreisen ins Ursprungsland zurück.

Seit diesem Tag muss ich immer an diese Frage denken, wenn ich einen Rosé-Sekt oder Schampus trinke. Leider komme ich kaum je dazu, die Weine zu verkosten. Ich trinke Prickler fast nur in größerer Runde zu gegebenem Anlass und dabei ist es erstens unpassend, Zettel und Stift zu zücken und zweitens bleibt seltenst ein Schluck über, mit dem man später eine Verkostung vornehmen könnte. Und ‚lecker‘ sind sie ja, die lachsfarbenen. Also bleiben sie in guter Erinnerung.

Bei den wenigen Gelegenheiten, eine Verkostungsnotiz anzufertigen, begegne ich aber tatsächlich einem Phänomen: Je weniger der Wein im Mittelpunkt steht, desto besser schmeckt er. Bei voller Konzentration auf den Stoff, reduziert der sich oft auf süße Frucht.

Raumland, Rosé Prestige Brut (degorgiert 02/09), Deutscher Sekt, Rheinhessen. In der Nase neben den obligatorischen Brioche-Noten vor allem rotbeerig mit einer deutlichen Johannisbeer-Note. Am Gaumen zeigt der Wein ordentliches Spiel: mäßiger Säure steht ein Restzucker gegenüber, der gefühlt am oberen Ende von brut liegt. Aromen von Himbeere und Erdbeere treffen auf eine feine Perlage, der Sekt wirkt cremig und etwas molliger als vergleichbare Champagner. Der Abgang ist lang. Ein Winzersekt mit extrem hohen Suchtfaktor – und viel süßer Frucht.

Demokratische Weinkritik

Dass das Web (wahlweise spezieller das Web 2.0 oder genereller das Internet) dieses oder jenes ‚demokratischer‘ mache, ist eine oft gelesene Worthülse – meist gefolgt von einem Loblied auf irgendeinen neuen Dienst oder eine neue Website, die der Autor eben entdeckt

Die Startseite von Bottle Buzz
Derzeit noch recht unscheinbar: Bottle Buzz

aber vielleicht noch gar nicht verstanden hat. Oft dauert es eine gefühlte Millisekunde, bis sich eine Gegenstimme vernehmen lässt (per Pingback oder Kommentar), die kontert, der vereinfachte Zugang führe keineswegs zu einer Demokratisierung, sondern allenfalls zu einer Banalisierung. Klingt vertraut?

Das Spielchen spielen wir heute für die Weinkritik und weil es so viel Spaß bringt, übernehme ich gleich beide Positionen. Allerdings habe ich den folgenden Dienst schon vor einer ganzen Weile entdeckt und behaupte, ihn verstanden zu haben.

Es geht um Weinkritik a la Web 2.0: Bottle Buzz, eine Facebook Applikation von Digital Dandelion, einer kleinen Softwarefirma aus Los Angeles, die sich auf Social und Mobile Apps

Dynamische Echtzeit-Suche
Die Suche nach Riesling ergibt schon einige Treffer

spezialisiert hat. Bottle Buzz soll demnächst auch als Applikation für Android und iPhone erscheinen. Das Ziel ist einfach: Millionen Facebook-Nutzer bewerten Weine, die sie gerade trinken. Bottle Buzz unterstützt das Ganze mit einer grafischen Eingabemaske. Und aus dem Vergleich der Einschätzung identischer Weine kreiert das System Empfehlungen und Vorhersagen. Empfohlen werden Weine, die dem Geschmack des Nutzers entsprechen; vorhergesagt wird die Einschätzung eines bestimmten Weines basierend auf anderer Nutzer Einschätzungen in Verbindung mit den zu Protokoll gegebenen eigenen Vorlieben und Abneigungen. Das Amazon-Prinzip von Empfehlungen basierend auf gleichen Interessen führt Bottle Buzz also eine Stufe weiter, da das Programm auch abraten wird. Als Mobile- App kann das Helferlein dann direkt im Supermarkt zum Einsatz kommen.

Weinbewertung mit Schiebereglern
Bewerte vier Eigenschaften und den Gesamteindruck

Das Potential ist riesig, denn dadurch, dass Bottle Buzz ohne Sprache auskommt, kann sich niemand durch ‚falsche‘ oder mangelnde Weinsprache blamieren. Die Weineinschätzung verrät nicht, ob der Tester Ahnung hat. Das senkt die Eintrittsschwelle enorm. So könnten Tausende Kritiken zu den Standard-Weinen dieser Welt ins System gelangen, und das wäre schon ein sehr guter Anfang.

Bottle Buzz bildet zwar teilweise Durchschnittswerte (was prinzipiell tödlich ist, weil polarisierende Weine dann schnell mittelmäßig gewertet erscheinen obwohl sie genau das nicht sind) aber die Geschmacksprofile weist es einzeln als separate Linien in einer Abbildung aus, so dass nicht alles verloren ist.

Die Befreiung vom Ballast der schwülstigen Sprache und Rückführung auf einige wesentliche Parameter könnte die Weinkritik wirklich demokratisieren und eine breitere Öffentlichkeit

Die Bewertungen im Überblick
Die Bewertungen im Überblick: links die eigene und rechts die Drchschnittsnote des Weines

für das Thema begeistern. Zumal durch die Verknüpfung mit Social Media Profilen noch etliche weitere Anwendungsmöglichkeiten entstehen (Online-Weinclubs nach Regionen oder Vorlieben wären ein Beispiel). Facebook hat offensichtlich einige Hoffnungen und die Entwicklung mit einem Förderpreis von 25.000 US$ ausgezeichnet.

Oder ist das wieder alles zu banal? Wein in vier Parameter zu quetschen, die dann noch nicht mal eindeutig Qualitätskriterien oder neutrale Eigenschaften sind bringt niemandem etwas – für den einen ist ein schlanker Wein ein schlechter Wein, für den anderen ist ein fetter Wein ein schlechter Wein, für den dritten ist es schlicht ein schlanker oder fetter Wein. Bottle Buzz lässt außerdem vollkommen außer Acht, dass Weine sich entwickeln und eine 12 Monate alte Kritik eines Bordeaux mir heute wenig hilft. Das System funktioniert höchstens bei Massenware, die immer gleich schmeckt. Falsch geschriebene Weine gelten dem Programm als neue Weine. Prognosen zur Entwicklungsfähigkeit sieht die Software ebenso wenig vor wie Trinkfensterempfehlungen und und und…

Aber es ist schon ganz interessant, einmal eine VKN in dieses Schema zu pressen. Hier ein eher einfacher Champagner, den ich dieser Tage trinken durfte:

A. Charbaut et Fils, Cuvée de Reserve, ohne Jahrgang, Champagne. Diese ist die letzte von 5 Flaschen und sie lag knapp 2 Jahre in meinem Keller. In der Nase etwas Nuss, ansonsten die typische Hefenote. Am Gaumen zeigt der Wein etwas Reife, ganz viel Bratapfel, fast cremig und mittlere Perlage. Vor zwei Jahren war der Wein etwas frischer, aber die mürbe Note steht ihm jetzt gut. Langer, ‚warmer Abgang‘. Sehr ordentlich (für einen Getränkemarkt-Champagner sogar überraschend gut).

Bei Bottle Buzz wäre das dann:

A. Charbaut et Fils, Cuvée de Reserve, 0, Champagne. Dry, medium body, crisp acidity, moderate flavor intensity. I’d buy it.

Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte.