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Wie ist der Jahrgang denn nun? lautet meist die Frage, wenn man von einem Jahrgangstasting kommt. Ich will nicht die Platte auflegen, dass man die Güte eines deutschen Weißweinjahrgangs im zweiten Herbst nach der Ernte beurteilen sollte. Wofür fahr ich dahin, wenn nicht um den Jahrgang zu beurteilen?
Leider ist die Aussage trotzdem richtig. Also starte ich etwas allgemeiner: Nach der Mainzer Weinbörse habe ich gesagt oder geschrieben, dass 2024 ein gutes Jahr für die Burgundersorten und Silvaner zu seien scheint. Da lehne ich mich nach Wiesbaden gerne aus dem Fenster. Da brauche ich keine weiteren zwölf Monate. Das ist tatsächlich so. Es gibt viele sehr gute Weißburgunder, Grauburgunder und Chardonnay. Dass ich trotzdem bei der Hälfte abwinke, liegt an meiner Abneigung gegen zu viel Creme, kleine Joghurttörtchen und zu üppigen Grauburgunder.
Wie gut ein Jahrgang ist, kann ich auch ein wenig daran ablesen, wie schnell ich durch das Feld komme. Ich war eine Stunde vor Ausschankschluss fertig, wobei ich an zwei Nachmittagen vorzeitig das Mitschreiben einstellte, um das Tagespensum sicher zu schaffen. Zeitnot ist eher ein Zeichen für einen ganz guten Jahrgang, weil es entweder bedeutet, dass ich viele Weine erwähnenswert finde oder mich die erwähnenswerten Weine besonders faszinieren. Diesen Indikator sollten Sie allerdings nicht überbewerten, denn etwaige Redseligkeit kann an den Weinen, aber auch am Verkoster liegen. Insgesamt ist die Zahl der erwähnten Weine hoch, die Zahl der Gänsehautmomente lag allerdings eher im langjährigen Mittel.
Nicht ganz so gut wie erhofft
Beim Riesling war ich am Montag mit großen Erwartungen an den Start gegangen. Mehr als ein Winzer hatte angedeutet, dass sich die 24er in Tank und Fass extrem gut entwickelt hätten und die Front derer, die 2023 für den besseren Jahrgang hielten, bröckelte. Das hat sich nicht bewahrheitet. Die Stunde weniger, die ich am Dienstag benötigte, sparten mir die vielen mittelmäßigen Erlebnisse mit Weinen von der Nahe, aus Rheinhessen und der Pfalz. Beim Riesling war insgesamt viel Mittelmaß am Start. Womit wir bei einem wichtigen Thema sind: Was ist Mittelmaß? Es gibt eine Menge mittelmäßiger GGs (etwa aus dem Jahrgang 2015), die ich derzeit mit sehr großem Vergnügen trinke. Bei einigen kommt in Summe Enttäuschung auf ob des damals schon stolzen Preises und bei anderen Begeisterung, weil sie echte Schnäppchen sind. Allein einen Tod muss ich sterben: Entweder ich probiere blind oder offen und blind heißt eben auch ohne Preisinformationen. Blind verkosten und danach in ein Verhältnis zum Investment bringen, geht auch, aber nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit. Außerdem können Sie auch selber nachschauen, was ein Wein kostet und dann meine gefühlte Begeisterung ins Verhältnis setzen.
Ich betrachte mich als Botschafter des deutschen Weins und bin in Wiesbaden lieber einmal zu oft angetan als einmal zu selten. Außerdem erwähne ich Weine auch, wenn Sie mich nicht komplett wegblasen, sondern einfach nett zu mir sind. Wenn in einem eher langweiligen Flight voller grundehrlicher, akzeptabler GGs sich eines hervortut, wird es gelobt. Wenn ich nach dem Aufdecken feststelle, dass es der Falkenberg von Brüder Dr. Becker ist, dann wäre ihn kleinzureden und auszulassen genau der Snobismus, den ich von Herzen bekämpfe. Das sind keine 150 Kaufbefehle, die ich da erteile. Ein gelobtes GG vom Staatsweingut Freiburg (Doktorgarten Winklen) macht noch keinen Spitzenerzeuger.
Manche finden, Weinkritik solle sich nur auf den Inhalt des Glases beziehen. Finde ich nicht. Erkenntnis schmeckt gut und die Erkenntnis verdanken wir oft Informationen und Geschichten rund um das, was sich im Glas befindet. Also zählt für mich der Hintergrund. Und der Hintergrund ist in diesem Jahr oftmals der, dass den Winzern bescheidene Karten ausgeteilt wurden. Einige frostgeplagte Erzeuger an der Nahe haben anschließend Unvorstellbares geleistet, Blei in Gold verwandelt. Da fände ich es verfehlt zu meckern, dass es kein 999er ist. Das Gegenargument mancher Käufer, dass sie ebenso hart für das Geld gearbeitet haben, das diese GGs kosten, ist auch schlüssig. Also sagen wir: Wenn Sie nicht ganz so hart für Ihr Geld arbeiten oder für die harte Arbeit richtig viel kassieren, dann geben Sie sich ausnahmsweise mit 585er zufrieden und gehen Sie kräftig an der Nahe einkaufen. Selbst die hier nicht erwähnten GGs sind alle wunderbar zu trinken.
Jahrgang schlägt Machart?
Einkaufen gehen derzeit insgesamt zu wenige. Die Winzer haben reichlich Wein auf Lager. Das führt meiner Einschätzung nach dazu, dass dieser Jahrgang nicht immer er selbst sein darf. Bei den GGs erschaffen viele Winzer Weine, (1) die sie selber gerne trinken, (2) die Kritiker beeindrucken, (3) die die Tür in die Spitzengastronomie öffnen, (4) die die Aufmerksamkeit neuer Kundengruppen auf sich ziehen. Ab-Hof-Kunden sind häufig nicht die primäre Zielgruppe. GGs zahlen selten die Miete. Wenn aber die Weine, die die Miete zahlen, schwerer gehen und die Kunden, die die Miete zahlen, weniger trinken und so weiter (das haben Sie alles schon gehört), dann muss auch das GG seinen Teil zur Miete beisteuern. Dann muss es vor allem den Stammkunden schmecken, damit die ‚weniger, aber besser‘ trinken können. Bloß nicht zu sauer und aggressiv, war mein Eindruck bei vielen Weinen. Was geht, haben beispielsweise Weil und Max Müller I gezeigt. Ich hätte mir mehr Mut gewünscht, aber will ich mich wirklich auf das hohe Ross setzen?
Andererseits hat Stephan Reinhardt in einem Artikel in der FAS auf die Vielzahl der auf unbedingt wild gemachten Weine hingewiesen, die international mittlerweile für Kopfschütteln sorgen würden. Ich verstehe, was er meint (siehe Württemberg unten), denke aber, dass es so viele Weine gar nicht waren (vielleicht zu viele Leuchttürme). Viele Meister des kontrollierten Nichtstuns haben tolle Weine gemacht. Bei anderen habe ich aber auch gelegentlich da gesessen und gedacht: es sind ein paar bewusste Entscheidung bezüglich Erntezeitpunkt, Traubenverarbeitung/Mostvorbereitung und Hefelager (plus das immergrüne Thema Restzucker), die diesen Wein extrem prägen. Da hätte auch etwas draus werden können, was die Welt von unseren Rieslingen kennt: Säurespannung, Klarheit, Eleganz. Stattdesen kam entweder (zu) wildes Zeuch oder Limo mit ein bisschen Anspruch. Beides ist kein Jahrgangsmerkmal.
Namen und Listen
Sie wollen Bestenlisten und Kaufbefehle, ich weiß. Lassen Sie mich noch ein bisschen greinen, dass das nach zwei Probeschlucken doch gar nicht … – haben Sie jetzt verstanden? Gut, dann also Namen und Listen. Der Man of the Match heißt HO Spanier. Dem sind für die Weingüter Battenfeld-Spanier und Kühling-Gillot einige ganz große Weine gelungen, namentlich Hipping, Rothenberg und Frauenberg. Dass andere Weine von ihm es nicht in den Ticker geschafft haben, lag teils daran, dass sie unmittelbar nach ihren gigantischen Geschwisterkindern ins Glas kamen. Außerdem war ich – schnief – das erste Mal ganz allein in Wiesbaden. Paul hat den Job gewechselt, Sam hat ausgesetzt, Christoph musste einen Umzug stemmen. In der Vergangenheit wurden mir dann mal Stuart Pigott oder die Vinum-Boys zum Nachbarn gegeben. Dieses Mal war ich umzingelt von irgendwelchen Norwegern mit Kopfhörern in den Ohren. Das war misslich, denn es besteht die Gefahr, dass man sich irgendwann für unfehlbar hält. Bisher war da immer jemand, dem man seine Begeisterung zurufen konnte und der ‚Genau‘ oder ‚Wovon redest Du?‘ zurückfunkte, oder eben auch mal spontan flüsterte: Also wenn Du den Wein nicht gut findest, dann hast Du ihn schlicht nicht verstanden. Etwas in der Art erklärte mir beispielsweise Vinum-Matthias zum Kreuzberg von Battenfeld-Spanier, nur eben leider beim Abendessen. Da konnte ich nicht noch mal nachschmecken, war der Artikel schon veröffentlicht. Immerhin Max hat auch geschrieben, aber im anderen Saal. Seinen Bericht finden Sie hier.
Wenn Sie fünf Weine kaufen wollen, die neben den drei benannten von HO Spanier bestehen können, dann rate ich zu vier Rieslingen, zwei Silvanern und einem Spätburgunder und das wären
Silvaner
Himmelspfad von May
Spätburgunder
Kräuterberg von Burggarten
Riesling
Am Lumpen 1655 von Horst Sauer
Am Lumpen 1655 von Max Müller I
Gräfenberg von Weil
Heerkretz von Wagner-Stempel
Das sind nicht die einzigen großen Weine der Saison, aber es sind die, die ich sofort benennen kann, ohne in meine Liste schauen zu müssen. Und die hier gehen mir auch nicht aus dem Kopf:
Bester Late Release
Silvaner Schlossberg 2020 von Castell
Bester Weißwein aus Burgundersorte (und bester Störer)
Weißburgunder Odinstal von Odinstal
Bester aktueller Wein des Rahmenprogramms
Marcobrunn 2023 von von Oetinger (bei der Rheingauer Präsentation)
Bester gereifter Wein des Rahmenprogramms (2 Sieger)
Gaisböhl 2016 von Bürklin-Wolf (Magnum)
Schäwer 2014 von Messmer (Doppelmagnum)
Reden wir noch ein bisschen über Namen. Daniel Wagner vom Weingut Wagner-Stempel hat schon in Mainz so tolle Weine gezeigt und jetzt kräftig nachgelegt. Der ist schwerst verdächtig irgendwo ein Schleifchen für die Kollektion des Jahres umgehängt zu bekommen. Boris Kranz hat drei Kalmit (Weiß- und Spätburgunder, Riesling) gemacht, die es alle ins Blog geschafft haben, weil sie sehr gut und etwas wilder/mutiger als zuvor waren. Ich bin mir nicht sicher, ob da schon die nächste Generation Einfluss nimmt, werde dem aber mal nachspüren. Alles beim Alten ist definitiv bei Wöhrle. Die Tochter hat in Wiesbaden gearbeitet und mir versichert, den Keller macht der Papa noch alleine. Der hat alle fünf GGs ins Blog gebracht. Das ist noch ein bisschen erfolgreicher als Kranz (und auch als Bürklin-Wolf, die allerdings trotzdem in einer eigenen Liga spielen) und auch da werde ich noch nachforschen. Als ständiger Kritiker möchte ich zudem zu Protokoll geben, dass sowohl Schäfer-Fröhlich (weniger plüschig) als auch Philipp Kuhn (regelrecht karg) elegante Weine geliefert haben, auf die keine meiner ewigen Nörgeleien zutrifft. Ich neige mein Haupt in Demut.
Anbaugebiete bieten weniger Orientierung
Wo wir gerade bei Abbitte sind, auch Ernie Loosen hat zwei GGs hingestellt, die mich ganz still werden lassen. Allerdings auch etliche, die meine Vorurteile bestätigen und dass es dort an Können mangele, habe ich nie behauptet. Andere Winzer an der Mosel bestätigen eher die Vorurteile oder fallen gar in alte Muster zurück. Was Knebel angeht, bin ich tieftraurig: seine Weine vermitteln mir den Eindruck, dass er der einzige an der unteren Mosel ist, der pronto aufsteht, wenn der Wecker klingelt, richtig Lust auf Weinbergsarbeit und auch im Keller ein Gespür für Timing hat. Dass diese schmeckbare Präzision ihm nicht mehr Ruhm einbringt, ist eine Schande. Alles andere da unten schmeckt im Vergleich ein bisschen gewürfelt. Am anderen Ende des Anbaugebietes hat die Saar viele sehr feine Weine hervorgebracht.
Franken hat voll geliefert, der Rheingau und Rheinhessen nur halb. Die Pfalz war von vorne bis hinten solide. Mein Eindruck der letzten paar Jahre ist, dass der Klimawandel Trends verstärkt oder nivelliert und zwar dauerhaft, aber nicht so systematisch, dass man Faustregeln bilden könnte. Die Unterschiede zwischen Rüdesheim und Hochheim als warme und den Regionen dazwischen als kühlere Teile des Rheingaus scheinen sich zu verstärken, die Unterschiede zwischen Mittelhaardt und südlicher Weinstraße scheinen mir hingegen zu verschwimmen, jeweils geschmacklich. Die Unterschiede zwischen rotem Hang und Wonnegau waren schon immer groß. Das Zellertal gewinnt nicht so sehr an Profil, wie viele sagen. Das ist eher die HO-Show, wenngleich Kuhn dieses Jahr auch seinen Beitrag leistet. Aber das Dreieck Bingen, Appenheim, Siefersheim entpuppt sich als Hotspot, wo Bischel, Kruger-Rumpf, Wagner-Stempel und Knewitz richtig Alarm machen.
Während ich die Lemberger sehr mochte, hat mich bei den Riesling und Spätburgunder das Württemberger Wettstinken schwer irritiert. Der Osten lieferte sehr ordentlich, aber nicht riesig. Nur ein Flight vom Mittelrhein, aber der war stark. Die Ahr lief gut, wenngleich ich sagen muss, dass mich die Gesamtleistung der vorgestellten Spätburgunder nicht umgehauen hat. Hubers Schlossberg war groß, Fürsts Hundsrück auch, aber alles andere wäre auch merkwürdig.
Hochgradig merkwürdig war das 22er Ölberg-GG von Schätzel, oder anders: Die Entscheidung, es zu zeigen, fand ich schräg. Es mäuselt. So krass, dass ich das Glas zwei Mal mit Wasser ausspülte und danach mit Restweinen aus den anderen Gläsern avinierte, aber die Maus nicht loswurde. Ich musste früher in die Mittagspause und die ‚Bitte wechseln Sie meine Gläser‘-Karte auslegen. Ich werde immer wieder von Lesern gebeten, Bescheid zu geben, wenn mir Weine mit deutlichen Fehlern unterkommen, weil sie das gerne mal schmecken würden. Nun denn: Wer sich fragt, wie Mäuseln schmeckt, der hätte hier Anschauungsmaterial. Sein 17er Pettenthal fand ich nicht so verstörend, wie bei Stefan Reinhardt beschrieben, genervt hat es mich trotzdem.
Für Steady-Unterstützer geht es hier mit der Arbeitsmappe weiter. Ich habe dieses Jahr etwas mehr Sorgfalt auf die Bewertungen verwendet: Statt drei gibt es vier Abstufungen von positiven Urteilen, gut, sehr gut, stark und groß. mmm heißt immer noch müsste man mal (länger verkosten). Die Bemerkungen sind wie immer vertraulich und bitte nicht öffentlich zu zitieren oder weiterzuleiten. Rückfragen gerne per Mail oder DM an mich und nicht in den Kommentarspalten (soweit es Weine betrifft, die nicht im öffentlichen Teil bewertet wurden). Viel Spaß.