Weinentdeckungsgesellschaft: Liebesheirat

Der neue Entdeckerwein ist da. Carsten Henn veröffentlicht einmal im Jahr einen Wein, der neue Erkenntnisse bringen soll. Diese Nochniedagewesenen sind immer ein besonderes Vergnügen. Wer mehr zum Projekt wissen will, der findet hier eine Erklärung, in der Weinliste finden sich unter W (wie Weinentdeckungsgesellschaft) alle bisherigen Entdeckerweine.

Dieses Jahr geht es um den Müller-Thurgau und den Versuch, den besten je produzierten auf die Flasche zu bringen. Wenn man Erbsen zählt, kann man bemängeln, dass es diese Idee schon gab. Der Weinkritiker Stuart Pigott hat bereits einen Müller-Thurgau (auch Rivaner genannt) mit der Sorgfalt eines Großen Gewächses ausgebaut. Den gab es nicht zu kaufen und ich habe ihn nie getrunken. Die ihn getrunken haben und mir davon berichten mochten, haben alle die Worte ‚Monster‘ und ‚Frankenstein‘ in den Mund genommen, wenn sie von Pigotts Rivaner sprachen. Das Experiment ist wohl nicht so erfolgreich gewesen.

Jetzt also die Entdeckungsgesellschaft in Kollaboration mit dem Weingut Huber: Viel Mühe haben sie sich gegeben aber den Rivaner Rivaner sein lassen – also keine extrem späte Ernte und Überreife. 40 Jahre alte Reben, im Ertrag reduziert und durch Traubenteilung noch ein paar Grad Öchsle mehr raus gekitzelt aber nicht in Rieslingdimensionen gepeitscht. Im September gelesen und in drei Partien ausgebaut. Ein neues Barrique war mit im Spiel, dazu ein gebrauchtes und ein Stahltank. Im Holz wurde der Müller-Thurgau wie ein dicker Chardonnay behandelt, mit Hefe aufrühren und allem, was dazu gehört. Im Stahltank durfte der Rivaner er selber sein, mit Säure und Kohlensäure. Huber und Henn haben auf Zucker verzichtet, sowohl beim Most wie auch beim Wein: nicht angereichert und durchgegoren auf vier Gramm Restzucker. Dann wurde vermählt und ein bisschen gedopt, mit einem Schuss Chardonnay und Muskateller.

Der Wein besitzt die Textur eines großen Weines aber nicht seine aromatische Tiefe. Landauf landab wird in den nächsten Wochen der Ruf erschallen: ‚Das ist Müller-Thurgau? So viel kann man aus dieser Rebsorte rausholen?‘ Doch ich vermute, keiner wird sagen: was für ein Schnäppchen. Oder anders gesagt: für einen Müller-Thurgau ist das ein Hammer, für einen 24-Euro-Wein nicht unbedingt. Dazu fehlt die Vielschichtigkeit. Da stößt das Experiment an seine Grenzen. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel für den Müller-Thurgau. Wie weit sie wachsen können, das wollte ich schon immer wissen und jetzt durfte ich es entdecken. Dafür ist die Weinentdeckungsgesellschaft da. Mission accomplished.

Weinentdeckungsgesellschaft_LiebesheiratWeingut Huber & Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft, ‚Liebesheirat’, Müller-Thurgau, 2012, Baden. Farbe ist für mich kein Qualitätskriterium, trotzdem finde ich die Farbe des Weines erwähnenswert, er ist fast farblos. Die Nase ist sehr angenehm: die duftige Blumigkeit des Müller-Thurgau ist da, die Muskatnote eher nicht, da ist das Holz vor, das aber auch nur dezent durchscheint., Frucht ist da aber nicht leicht zu benennen, Apfel, Birne, sucht Euch was aus, Kräuter tauchen auch noch auf. Am Gaumen unmittelbar nach dem Öffnen ein echter Rivaner, Leichtwein, süffig, schlotzig. Mit zwei Stunden Luft wird es sehr viel spannender, da kommt eine starke, süße Frucht durch, dazu Nuss, etwas Holz, Nougat. Schöne Textur und Mineralik/Phenolik, plus Gärkohlensäure, plus Frische, plus etwas Gerbstoff – das ergibt enorm viel Volumen im Mund, das weder von Alkohol, noch von Zucker stammt. Das ist hochspannend und gleichzeitig einfach zu trinken. Was auffällt ist der extrem lange Abgang.

Und weil in den letzten Jahren in den Kommentaren zu den WEG-Artikeln immer Fragen kamen, hier die Gebrauchsanweisung: Wer jetzt einen aufmachen will, sollte ihm zwei Stunden Luft gönnen, einfach ein kleines Glas nach dem Öffnen einschenken und probieren, den Rest für zwei Stunden zurück in den Kühlschrank. Ich habe die angebrochene Flasche mit auf Reisen genommen. Dabei wurde die gesamte Kohlensäure aus dem Wein geschüttelt. Das hat ihm gar nicht gut getan. Also verzichten Sie auf die Karaffe. Der Wein benötigt keine weitere Flaschenreife, sondern präsentiert sich jetzt so, wie er vermutlich gedacht ist. Wer nur eine Flasche hat, sollte sie nicht ewig liegen lassen.

4 Gedanken zu „Weinentdeckungsgesellschaft: Liebesheirat“

  1. Habe nun auch meine erste Flasche verkostet, mir gefällt der Wein ganz gut, letztlich stört mich aber das gepimpte, das Tuning. Schön kühl und frisch geöffnet kommt der Wein mit satten Blütenaromen, reifen Birnen und grünen Bananen daher. Am Gaumen recht dicht, saftig, aromatisch, aber auch mit mineralischen Anklängen und eine frische Brise Nordseeluft zieht sich durch – in der Form mehr als nur lecker und schlotzig. Mit Luft und etwas mehr Wärme schlägt dann jedoch der Muskateller-Hammer zu, die Nase wird schwerer und breiter, mich erinnert es an ein schweres Damenparfum al la Lou Lou (fand ich immer grausig), und auch am Gaumen zieht sich die Mineralik zurück und der Wein wird breiter und aromatischer, aber leider nicht besser, er verliert an Spiel, Frische und Eleganz. Insgesamt ein sehr interessanter MT, der zeigt, dass mehr geht als reiner Zechwein, aber letztlich ist mir die Liebesheirat etwas zu überdreht und mich würde sehr interessieren, warum er mit Muskateller verschlimmbessert wurde, welche Idee steckt dahinter?
    Meine Erfahrung ist, dass der Wein frisch aufgezogen und kühl getrunken werden sollte. Verpasst man diesen Augenblick, so kann er dann später in etwas wärmeren und belüfteten Zustand gerne mit frischem Brot, geschmiert mit Leberwurst getrunken werden – es gibt bestimmt eine Menge schlechterer Kombinationen 😉

    Ein mehr als nur gelungenes Projekt MT ist für mich der Feldmarschall von Tiefenbrunner aus einer Südtiroler Lage. Die Reben dazu stehen auf über 1000 Meter Höhe, mit einer starken Temperatur-Tages-Nachtabsenkung. Dieser MT ist für mich jedoch die Blaupause dieser Rebsorte.

    Gruß Michael

  2. Bin absolut deiner Meinung Felix. Netter Wein, feiner Müller, aber immer noch selbiger. Für 24€ deutlich zu teuer. Zudem fehlt im der „Freak-Faktor“ um irgendwo blind damit für Aufsehen zu sorgen.

    1. Ach naja, Freakfaktor für Blindprobenboohay brauch ich nicht unbedingt. Ich zahl gerne 24 Euro für die Erfahrung. Merke nur, dass ich zukünftig mal das Abo von 6 auf 3 Flaschen reduzieren sollte, dann stimmt wieder alles.

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