Die Entdeckung der Langsamkeit

Das Weingut Koehler-Ruprecht zeigt in vielerlei Hinsicht zwei Gesichter. Zum einen produziert es mit der Kallstadter Saumagen Auslese trocken ‚R‘ einen Wein, der gesucht und rar ist wie sonst nur Kellers G-Max, zum anderen sind die anderen Rieslinge des Hauses in der allgemeinen Wahrnehmung eher durchschnittlich. Markentechnisch fährt man zweigleisig: ‚normale‘ Weine segeln unter der Koehler-Ruprecht-Fahne und Barrique-Weine unter dem Label ‚Philippi‘. Bei letzterem werden die Weine mit einem oder auch mehreren R’s benamt, wenn sie besonders gut sind und besonders lange im Fass lagen. Das Weingut wird in Medien als Deutscher Pionier des Holzeinsatzes gefeiert, und in Internet-Weinforen artikulieren einzelne Kunden Zweifel an der Fasshygiene des Hauses. Ich kenne nicht genügend Weine des Gutes, um eine fundierte Meinung dazu zu entwickeln, finde aber, dass das eine bemerkenswerte Spanne von Lob und Tadel ist.

Eindeutig positiv zu bewerten ist in meinen Augen die Politik des Hauses, Weine solange reifen zu lassen, bis sie fertig sind. In der Hinsicht ist Kallstadt das Lynchburg des deutschen Weinbaus. Wer keinen Keller für die Lagerung hat, aber mal einen gereiften Spätburgunder oder Chardonnay trinken will, kann hier Weine ab Gut erwerben, die teilweise sieben Jahre gelagert sind – nicht, weil sie keiner kaufen wollte, sondern weil das Gut sie erst nach dieser Zeit zum Verkauf freigegeben hat. So wie dieser Wein, der (wenn ich es richtig erinnere) erst 2007 in den Handel kam.

Koehler-Ruprecht, Philippi Chardonnay ‚R‘, 1999, Deutscher Tafelwein Rhein (Pfalz). In der Nase erstaunlich frisch aber auch zurückhaltend. Chardonnay mit nicht zu intensivem Holzeinsatz ist die erste Assoziation, ohne dass einzelne Aromen besonders hervorträten. Am Gaumen setzt sich die Täuschung fort: 2007 hätte ich wohl in einer Blindprobe getippt. Der Wein ist nicht sehr fett und nicht sehr holzlastig. Stattdessen treten Säure und Mineralik in den Vordergrund. Das sonst so akzentuierte buttrige Aroma, die Haselnuss, das cremige Mundgefühl – alles Fehlanzeige. Man ist aber nie versucht, auf etwas anderes als Chardonnay zu tippen. Alkoholische Wärme fehlt ebenfalls, der Wein hat mit 13,5% Alkohol auch ein Prozent weniger als die meisten Vertreter dieser Kategorie. Der erste Wein, der sich mir vor allem darüber definiert, was er alles nicht ist – irgendwie surreal. Es ist in jedem Fall der mineralischste Chardonnay, den ich bisher getrunken habe.

Als Essensbegleiter zu Huhn mit Erdnusssoße macht der Wein eine exzellente Figur. Solo danach weitergenossen entwickelt sich ein schöner Trinkfluss. Das ist eine wundervolle Erfahrung um und bei 90 Punkten und ein Erkenntnisgewinn.

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