Harte Zahlen – weiche Zahlen

Die folgende Erläuterung hat nichts mit Wein zu tun. Sie bezieht sich auf Dirk Würtz’ Artikel über die aktuellen Auflagenzahlen der Weinpresse und eine lebhafte Diskussion, die sich darum auf den verschiedenen sozialen Kanälen entwickelt hat. Da ich beruflich mit Absatzförderung befasst bin, wurde ich gebeten, einige klärende Anmerkungen zum Thema, wie läuft der Entscheidungsprozess in der Anzeigenschaltung, welche Reichweitendaten sind relevant und wie werden sie erhoben und ausgewertet, zu liefern. Da Facebook mangelhafte Such- und Archivfunktionen bietet, publiziere ich hier, wo der Text auch später leicht gefunden wird. Wer den Schnutentunker liest, weil er sich für Wein interessiert, der komme bitte nächste Woche wieder.

Die Zahl der gedruckten, verkauften, abonnierten und verschenkten Hefte deutscher Print-Medien wird von der Interessengemeinschaft für die Verbreitung von Werbeträgern (kurz IVW) gemessen. Die Zahlen der Weinmedien sind seit Jahren rückläufig. Die tatsächlich verkaufte Auflage einiger Medien nähert sich dem vierstelligen Bereich. Daraus lässt sich auf einen Niedergang schließen, trotzdem sollte man die richtigen Zahlen für die Analyse heranziehen.

Anzeigenkampagnen werden in Deutschland meist von zwei Dienstleistern für den Werbetreibenden erarbeitet. Die Werbeagentur (auch Kreativagentur genannt) konzipiert den Inhalt und die Gestaltung, die Media-Agentur sucht die idealen Umfelder für die Schaltung der Motive, verhandelt die Preise und übernimmt die Auswertung der Ergebnisse. Media-Agenturen haben einige Parameter, mit denen sie planen: Reichweite, Relevanz und Preis. Gehen wir sie einmal der Reihe nach durch.

Die Reichweite ist die Zahl der Menschen, die ein Anzeigenmotiv tatsächlich zu sehen bekommen, beziehungsweise die beste Näherung daran. Sie wird aufgrund von Daten einer Media-Analyse, der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (AG MA, die Studie heißt MA) berechnet. Die AG MA führt jedes Quartal Interviews mit einer Zahl von Menschen, die mindestens den Anforderungen an einen Zensus entspricht. Dabei werden Fragen zur Mediennutzung gestellt. Tuen wir für die Sekunde mal so, als gehörte ich zu den Interviewten.

Ich habe keine Weinzeitschrift abonniert und kaufe auch keine. Meine letzte Vinum habe ich bei einer Messe geschenkt bekommen, einen Falstaff besitze ich nicht. Wenn ich aber Donnerstags einen Absacker im Rutz nehme, an ‚unserem‘ Tisch hinten in der Ecke, und meine Frau geht sich kurz die Nase pudern, dann drehe ich mich um und greife in die Obstschale auf dem Tresen – da liegt die Vinum. Und wenn ich zum Plausch bei Planet Wein am Gendarmenmarkt weile und die freundliche Inhaberin Anja muss einen Kunden verarzten, dann liegt in der rechten Ecke der mittleren Fensterbank der Falstaff.

Während meines MA-Interviews werden mir Kärtchen mit den Logos von Medien gezeigt und Fragen zu meinem Nutzungsverhalten gestellt. Also sehe ich die Karte mit dem Vinum Logo und erkläre wahrheitsgemäß, wann ich das letzte Mal in dieser Zeitschrift gelesen habe. Je nachdem wie es sich damit verhält, lande ich entweder im sogenannten Weitesten Leserkreis (WLK), der Zahl von Menschen, die mindestens einmal in den letzten zwölf Monaten das Magazin gelesen haben oder gar in den Lesern der letzten Ausgabe. Auf diese Art werden der LWK und die Leser pro Ausgabe (LpA) ermittelt und ergeben zusammen die Reichweite des Mediums. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Exemplar gekauft, geliehen oder geklaut war und das ist auch gut so. Ich nehme an, dass sowohl die Vinum im Rutz als auch der Falstaff bei Planet Wein entweder ein Freiabo oder ein sogenannter Sonderverkauf sind. Das ist für den Mediaplaner irrelevant.

Für die detaillierte Mediaplanung möchte die Agentur aber noch etwas über mich persönlich (abstrakt) wissen. Also gibt es drei sogenannte Markt-Media-Studien, die die MA-Zahlen in Bezug zu Leserprofilen setzen: die Typologie der Wünsche (TdW) von Burda, die Verbraucheranalyse (VA) von Springer und Bauer sowie die Allensbacher Werbeträger Analyse (AWA) vom gleichnamigen Institut. Sollte ich als Studienobjekt von einer dieser Organisationen ausgewählt werden, so stellen sie mir Fragen über meine Soziodemographie, meine Interessen und mein aktuelles und geplantes Konsumverhalten. So ergeben sich für die Leserschaft der einzelnen Medien Interessenwerte, der sogenannte Affinitätsindex. Dieser sagt aus, wie sich das Interesse der Leserschaft über alle Leser gemittelt im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung darstellt. Ein Affinitätsindex von 400 beim Thema Wein bedeutet also, dass die Leserschaft des untersuchten Mediums eine viermal so große Liebe zu Wein pflegt wie der Durchschnittsdeutsche.

Aus diesen Daten lassen sich die entscheidenden Reichweiten- und Preisinformationen ableiten. Machen wir mal eine Beispielrechnung. Alle Annahmen sind erfunden. Gesetzt den Fall, der Spiegel hat 2 Millionen LpA und eine ganzseitige Anzeige kostet 100.000 Euro. Dann beträgt die Kenngröße Tausend-Kontakt-Preis (TKP) 50 Euro (100 TEUR/2 MM Kontakte = 50 pro Tausend). nehmen wir ferner an, die Auto Motor & Sport (AMS) hat eine Leserzahl von 500.000, ruft für die Anzeige aber 50.000 Euro auf, so verlangt sie einen TKP von 100 Euro. Da wäre ja zu heiß gebadet, wer in der AMS eine Anzeige schaltet? Jein. Es kommt der Effektiv-TKP ins Spiel: Die Leser der AMS haben eine sehr viel höhere Affinität zu Autos. Angenommen, die AWA ergibt, jeder fünfte Spiegel-Leser plant in den nächsten 18 Monaten einen Autokauf, bei der AMS sei es jeder zweite. Dann beläuft sich der Effektiv-TKP in der Zielgruppe der ‚Auto-Kaufentscheider Zeithorizont 18 Monate‘ beim Spiegel auf 250 Euro (100 TEUR geteilt durch 500.000 autointeressierte Leser), bei der AMS nur auf 200 Euro, denn hier sind die sogenannten Streuverluste niedriger, also Kontakte mit Menschen, die sich nicht für das beworbene Produkt interessieren. Deswegen bewirbt man Nutella nicht in der Men’s Health und Chanel nicht im Kicker.

Die Markt-Media-Studien fördern übrigens nicht nur Offensichtliches zutage, sondern auch vieles auf den ersten Blick nicht selbstverständliche. Wer Single Highland Malt Whiskey bewerben will, der geht in die P.M. – warum weiß nur die Software. Denn eine solche nutzen die meisten Media-Agenturen. Sie bietet den Vorteil, dass sie auch komplexe Zusammenhänge berechnen kann und die Frage beantwortet, die noch offen ist: Wenn die AMS für Mercedes doch so viel günstiger ist, als der Spiegel, wieso buchen die nicht nur AMS? Und hier geht es um den Werbedruck, die Kontaktzahl insgesamt und die absolute Reichweite. In Deutschland sind zu jeder Zeit 5 Millionen Menschen mit der Frage beschäftigt, welches Auto sie sich denn in den nächsten 18 Monaten kaufen sollen. Da hilft die AMS mit 250.000 relevanten Lesern nur bedingt. Mercedes muss breiter streuen, um schnell in der gesamten Zielgruppe anzukommen. Dabei bildet die Software dann Rangreihen und berechnet auch die Überschneidungen in der Leserzahl einzelner Medien.

Online funktioniert das Ganze analog: Die MA heißt hier AGOF und ist Mitglied in der AG MA, der WLK heißt WNK (Weitester Nutzerkreis) und die Daten werden mit der technischen Messung verknüpft, die ebenfalls von der IVW kommen.

Aye Aye und Goodbye, Captain!

Anmerkung: Manfred Klimek beendet zum Ende des Monats die Chefredaktion der Plattform Captain Cork und hatte sich von allen Deutschen Weinbloggern zum Abschied Gastbeiträge gewünscht. Das Folgende hätte meiner sein sollen. Dass er nicht bei CC erscheint, liegt nicht daran, dass Klimek den Text nicht mochte, es hat mit den Modalitäten seines Abschieds zu tun. Also erscheint er jetzt hier. Aye Aye und Goodbye, Captain! weiterlesen

Schäumen mit einem N

‚Haben Sie irgendwas mit Wein zu tun?‘ lautet eine oft gestellte Frage, wenn ich mit mir unbekannten Menschen gemeinsam verkoste. Das mag daran liegen, dass ich immer öfter zu Veranstaltungen eingeladen werde, bei denen fast alle etwas mit Wein zu tun haben. Meine Antwort lautet wahrheitsgemäß ‚Nein‘. Doch unter meinen Weihnachtsgeschenken befand sich dieses Jahr eins, das mir erlaubt mich in Bezug zu Wein zu setzen, wenn ich einen ganz ganz großen Bogen Spanne. Und der geht so:

Meinen Nachnamen Bodmann verdanke ich der Tatsache, dass meine Vorfahren dereinst ihre Heimat verließen. Gemäß dem Prinzip ‚cuius regio, eius religio‘ standen sie vor der Wahl die Religion oder den Wohnort zu wechseln. Also zog es meine Ahnen vom badischen Dörfchen Bodman ins Niedersächsische Eichsfeld. Da einfache Menschen in ländlichen Regionen nicht zwingend Nachnamen hatten oder sich bei Umzug auch mal neue gaben, hießen meine Vorfahren fortan Bodmann. Das zweite ‚N‘ entstammt der Tatsache, dass auch Bodman bis 1884 mit zweien geschrieben wurde. Dann setzten die Grafen von und zu Bodman alle Hebel in Bewegung, um Bodman (Stammsitz ihres Geschlechts) in der Schreibweise ihrem eigenen Namen anzupassen – sie hatten das Doppel-N einige Jahrhunderte vorher abgelegt – und wir Exil-Bodmänner standen mit dem zweiten, dem Proleten-N, alleine da.

Dies wissend machte ich mich vor 15 Jahren auf meinen Ursprungsort zu erkunden. Bodman ist ein sterbenslangweiliges Dorf am Überlinger See, dem Nordzipfel des Bodensees. Ich fand kaum etwas Aufregendes vor, außer einer Gedenktafel, die anzeigte, dass im ‚Bodmaner Königsweingarten‘ Kaiser Karl der Dicke im Jahre 884 die ersten Burgunderreben anpflanzen ließ. Meine Vorfahren lebten also am Fuße des ersten dokumentierten Spätburgunderweinbergs Deutschlands. Da war sie, meine Verbindung zum Wein. Die Lage existiert immer noch, die Grafen von und zu Bodman gehören aber nicht gerade zu den hochdekorierten Betrieben deutschen Weinbaus. In jüngster Zeit produzieren sie nach Naturland-Regeln und die Weine sollen besser geworden sein. Ich werde im neuen Jahr einmal nachforschen.

Am Ortsausgang von Bodman fand ich ein Schild ‚Schlosskellerei‘. Das musste ich mir anschauen. Doch auch hier wurde ich enttäuscht. Die Schlosskellerei versprühte den Charme eines Getränkemarktes am Ortsausgang eines 1000-Seelen-Dorfes, was vorwiegend daran lag, dass sie genau das war: ein Getränkemarkt am Ortsausgang eines 1000-Seelen-Dorfes. (Der Fairness halber sei gesagt, dass ich nicht erfragte, ob sie eventuell umbaubedingt in diesem Zweckbau Unterschlupf gefunden hatte.) Im Sortiment fand ich aber etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte. Französischen Sekt der Marke ‚Baron de Bodman‘. Der stammte von einem Haus, das bei seiner Gründung Unterstützung eines französisch verheirateten von und zu Bodmans erfahren hatte und dessen mit einem Cremant gedachte.  Da griff ich zu, nahm ein paar Flaschen mit und verschenkte sie an Familienmitglieder.

Baron de BodmanEines dieser Familienmitglieder griff das Thema voller Begeisterung auf, und bestellt seitdem fleißig in Süddeutschland französischen Sekt, um ihn als Mitbringsel im Freundeskreis zu verteilen. Der Spieß ist längst umgedreht: ich gehöre regelmäßig zu den Beschenkten. Mein Anspruch stieg über die Jahre, die Qualität des Sektes nicht und so habe ich die üblicherweise verabreichten Halbflaschen weiterverschenkt. Dieses Jahr gab es zu Weihnachten wieder ein Pülleken und da ich zuletzt so viel Schönes mit Schäumern erlebt habe, beschloss ich mein Glück noch mal zu versuchen. Ich war überrascht und recherchierte. 2007 investierte Eigner Bollinger kräftig in seinen Loire-Ableger Langlois-Chateau, den Baron de Bodman-Produzenten und das mag der Grund für die gestiegene Qualität sein. Mir jedenfalls hat er sehr ordentlich geschmeckt.

Langlois-Chateau, Baron de Bodman brut, Cremant de Loir (AC), o. J., Frankreich. In der Nase eher flach aber angenehm mit Aromen von Brotkruste und Quitte. Am Gaumen mittelfeine Perlage und sehr schönes Spiel, ziemlich trocken und schwach würzig, mit Aromen von Zitrus und Birne sowie etwas Malz. Der Abgang ist recht lang und der Cremant alles in allem sehr ordentlich.

Ihnen, liebe Leser, einen guten Rutsch. Mögen Sie Silvester was Feines zum Anstoßen finden, mindestens so gut wie ‚mein‘ Cremant.

Ihr

Felix Bodmann (mit dem zweiten, dem Proleten-N)

Meine erste Ersatzflasche

Es gibt wenige Aspekte des Weingenusses, die ich so albern finde wie Korken – Diskussionen über Korken vielleicht. Im Zeitalter von Facebook werde ich regelmäßig Zeuge dieser Diskussion – merke: Einzahl, denn es ist immer die gleiche Diskussion. Ausgelöst wird sie zumeist durch die Statusmeldung eines verhinderten Genießers, der beklagt, dass sein gerade geöffneter edler Tropfen korkend als stinkende Brühe aus der Flasche läuft – Echtzeitjammern sozusagen – verbunden mit dem Ausruf: ,Dreckskork‘ (hier sind begrenzt Variationen möglich).

Im nächsten Schritt melden sich ein bis drei Unterstützer, die beifällig murmeln auch sie fänden es absurd, dass man ein Stück Baumrinde für die Genussmittelverwahrung verwende – in der Deluxe-Edition verbunden mit einem Hinweis auf die umweltfrevelhaften Dünge-, Pflanzenschutz- und Bleichmethoden der südeuropäischen Produzenten.

Mit der Präzision einer Sinuskurve folgt als nächstes die Gegenbewegung in Form eines Kommentars von einem Weinfreund, der bemerkt, er sei ja auch ein großer Fan des Schraubers, allerdings nur für die Basis bitte, denn Spitzenweine benötigten schließlich den  Sauerstoff zum reifen. Wie orbi auf urbi folgt darauf ein Hinweis, ein guter Korken sei absolut gasdicht, wie ,die Wissenschaft‘ hinlänglich belegt habe. Der ungebildete Gasdurchlasser trollt sich und macht Platz für einen kleinen Einwurf zu Glasverschlüssen, der mit dem Hinweis beiseite gewischt wird, dieser sei längst tot weil nicht in die USA exportierbar (,Ich sag nur: Produkthaftung! Ein Glassplitter in der Flasche und die Millionenklagen fliegen dem Produzenten nur so um die Ohren‘).

Auftritt der Plopper: Nun möchte jemand über die Romantik, das Ritual und sonstige positive Aspekte des ,Plopp‘ sprechen. Selbstredend ist dies nicht dem Vortragenden selbst wichtig, sondern dem ,Durchschnittskonsumenten‘. Er wird brutal umgegrätscht von einem Weinkellner in Ausbildung, der erklärt, ein guter Sommelier wisse das ,Plopp‘ zu vermeiden und in der gehobenen Gastronomie werde die Flasche eh nicht am Tisch geöffnet (was zugegeben am Thema vorbei geht, weil kaum jemand sich noch gehobene Gastronomie leisten kann).

Früher lief die Diskussion ab diesem Punkt langsam ins Leere, doch seit sich auf Facebook Konsumenten mit Produzenten verbrüdern, gewinnt die Diskussion an Komplexität: Auftritt eines Winzers, der ein Foaf-Tale zum besten gibt. Das ist eine Geschichte, die dem Freund eines Freundes passiert ist (friend of a friend, in der Forschung über ,urban legends‘ eben mit foaf abgekürzt, in meiner Generation auch als Spinne in der Yucca-Palme bekannt): Der Schrauber, falsch justierte Maschine, alles undicht, 60% Verlust, Riesenschaden, oje oje. Sollte der Foaferzähler gerade im Urlaub sein, springt ein freundlicher Kollege ein, der zu Protokoll gibt, er sei ja wieder zum Korken zurückgekehrt, weil sich Weine ,unter Schrauber einfach nicht so gut entwickeln‘. Kurzer Diskussionsstrang der Profis (und solcher, die sich dafür halten) unter sich. SO2-Spiegel dem Verschluss anpassen, Kohlensäure etc. pp – für mich heißt‘s hier immer Wecker stellen.

Dann kommt erneut ein Verbraucher und stellt die Frage, ob es denn überhaupt Erfahrungswerte mit Schraubern gebe, die zuverlässige Aussagen über das Reifeverhalten über Jahrzehnte…“PENFOLDS“ schreit die Gemeinde unisono. Das sollte mittlerweile jedes Kind wissen, dass dort noch Probeflaschen aus den 70ern auf die Verkostung warten, die mit Screwcap (jetzt wird‘s international) verschlossen sind. Aha, aber wie steht‘s mit Bordeaux? Ja, da wird jetzt auch schon verschraubt, meldet sich meist ein Händler zu Wort. Anschließend wieder ein Winzer: der bringt Egon Müller ins Spiel, denn es sei ja wohl vollkommen unvorstellbar, dass der seine TBAs verschraubt. Die Teilnehmer werden müde, man wird kompromissbereit, macht Vorschläge zur Güte: ,Wenn Du wirklich Pech mit dem Korken hast, dann bekommst Du die Flasche doch vom Händler oder Winzer ersetzt‘. Wenn noch Energie vorhanden ist, meldet sich einer der zahlreichen anwesenden Juristen und erklärt die mögliche Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses bei Korkfehlern. Es folgt nur noch halbherzig ein verächtliches Schnauben, dass man ja wohl kaum nach 5 Jahren zum Händler zurückkehren könne oder dass der Winzer 600 Kilometer weit weg ist und es höchstens möglich wäre – da der Wein längst ausverkauft und der aktuelle Jahrgang viel teurer ist – die Rücküberweisung von 13 Euro zu verlangen, was irgendwie albern klänge. Das halten alle Parteien für ein würdiges Schlusswort.

Es ist alles gesagt, von allen!

Naja, fast alles: Ich bin ein Mann und als solcher für Technik zu begeistern – mehr noch als für Romantik. Und deswegen muss ich einmal widersprechen: ,Plopp‘ ist nett, irgendwie retro, aber das Öffnen eines Glasverschlusses: das ist High-Tech-Revolution. Meine erste mit Glasstopfen verschlossene Weinflasche war so aufregend wie mein erster Mietwagen mit schlüssellosem Zugangssystem. Faszinierend! Habe den ganzen Abend diese Flasche auf und zu gemacht. Ich glaube ganz fest, wenn man 1000 männlichen Verbrauchern – und das sind in Punkto Wein die Kaufentscheider – die Wahl zwischen Glasverschluss und Korken gibt um eine Dame zu beeindrucken, 983 werden den Glasverschluss wählen (und traurig sein, dass sich die Dame nicht stundenlang über dieses Hightech-Präzisionsinstrument unterhalten mag).

Großer Cab aus AustriaUnd einmal muss ich zustimmen. Ich habe noch nie bei einem Händler oder Winzer eine korkende Flasche reklamiert. Trotzdem habe ich mal eine ersetzt bekommen. Der Winzer hatte gelesen, dass ich seinen Wein aufgrund Korkfehlers nicht genießen konnte. Er hat mir einen neuen geschickt, was mich enorm gefreut hat – ich wusste von einer Probe, wie gut der ist. Am Wochenende habe ich ihn getrunken.

Grenzhof Fiedler, Cabernet Sauvignon, 2003, Burgenland, Österreich. In der Nase fruchtig und süß mit typischer Johannisbeere, nur mäßigem Holz und einer leckeren Toffee-Note.  Am Gaumen zeigt der Wein ganz feines Tannin, spürbare Mineralik und eine schöne Struktur: er ist körperreich aber nicht fett, fruchtig mit Johannis- aber vor allem Brombeere, dazu Kaffee, helle Schokolade und feines Holz. Mit und nach dem Essen wirkt er noch eine Spur süßer aber auch auf animierende Art adstringierend. Trotz des heißen Jahres kam der Wein mit nur 13,5 Prozent Alkohol in die Flasche, das unterstützt die Eleganz – ebenso wie der enorm lange Abgang.

Der Winzer erzählte mir beim Vinocamp, Cabernet sei seine Lieblingsrebsorte. Kann ich verstehen. Wenn ich solche Drogen anbauen würde, wäre ich auch gefährdet.

Der Gipfel der Anmaßung

Seit ich ein Weinblog schreibe, bin ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, was wohl zum Schreiben eines Weinblogs befähigt. Eigentlich ist es ziemlich anmaßend, sich öffentlich zu Wein äußern zu wollen, bloß weil man gern und regelmäßig welchen trinkt. Diesem Prinzip folgend, könnte man auch beim ZDF anrufen und einen Platz im literarischen Quartett einfordern, bloß weil man gerne liest.

Da das mit dem Weinbloggen mittlerweile niemanden mehr aufregt, dachte ich mir im Dezember, ich könnte Spannung in mein Leben bringen und genau das tun: unter die Literaturkritiker gehen mit keinerlei Qualifikation als meiner Fähigkeit zu lesen. Um die Hybris ein wenig weiter zu treiben, tat ich etwas, was ich bei Wein noch niemals getan habe: ich bestellte mir ein kostenloses Rezensionsexemplar mit dem Hinweis auf eine Besprechung in diesem Blog (meine Reichweite habe ich verschwiegen, hätte nur die Chancen tatsächlicher Bemusterung ruiniert). Dass ich die Bestellung überhaupt aufgeben konnte, lag daran, dass das fragliche Buch entfernt mit Wein zu tun hat. Es handelt sich um Carsten Sebastian Henns neuen Roman ,Gran Reserva‘ – einen Weinkrimi. Er spielt, wie Experten schon erraten haben, in der Rioja, Heimat des Gran Reserva.

Ich hatte mir das alles ganz einfach vorgestellt. Ich hole mir einen Gran Reserva aus dem Keller, lese den Krimi, mache mir ein paar Notizen und schreibe dann eine beschwingte Kritik. Aber es kam natürlich anders. Mein Kellerbuch verzeichnet im Kapitel Spanien ganze vier Weine und keiner ist ein Gran Reserva. Es war auch nur einer aus der Rioja da und an einem Abend würde ich den Wälzer niemals durchlesen. Also galt es, die Lektüre mit einer Annäherung an einen Gran Reserva zu beginnen. Ich wählte einen ziemlich alten Cabernet aus Kalifornien – ist ja fast das gleiche. Ähnlich kompetent mutete an, was ich mir als Notizen zum Krimi machte. Aber aus der Nummer komm ich nicht mehr raus. Also teile ich meinen Bericht in zwei Hälften. Dieser erste Teil schildert die Entstehung und Begleitumstände meiner Literaturkritik. Er ist nur für Eingeweihte, Stammleser, quasi eine vorweg genommene Entschuldigung, also bitte nicht bei facebook teilen oder gar twittern. Zum zweiten Teil, den ich hochseriös verfassen werde, sobald ich meine nervösen Zuckungen in den Griff kriege, werde ich den Link dann auch an den Verlag schicken, in der Hoffnung, dass die Printheinis keine Ahnung haben, wie man durch ein Blog navigiert oder schlicht zu beschäftigt sind, mehr als die Headline zu lesen. Soviel sei aber schon an dieser Stelle verraten: Ich habe Henns Weinkrimi sehr genossen, genau wie den kalifornischen Gran Reserva.

Hätte man auch mal abstauben können, bevor man ihn fotografiertRobert Mondavi, Oakville, Cabernet Sauvignon 1999, Napa Valley, Kalifornien. In der Nase   dominieren schwarze Johannisbeere und Holz, es riecht aber auch ein wenig nach einem Spaziergang im Viehstall. Am Gaumen ist der Wein sehr von süßer Frucht dominiert: Johannisbeere oder Cassis, wie man in der Weinwelt lieber sagt (warum eigentlich?). Dazu ein Eindruck von Bleistiftspäne und sehr feines Tannin, das nur ein bisschen schmirgelt. Der Wein ist zwar enorm fruchtig aber nicht übertrieben dick oder gar marmeladig, eher mit kühler Aromatik und feiner Note von Menthol. 14% Alkohol sind nicht einmal zu erahnen. Ich finde den Oakville sehr elegant und das Tannin verleiht ihm eine sehr noble Struktur. Der Abgang ist sehr lang und leicht adstringierend. So mag sogar ich Cabernet – ein ausgesprochen guter Wein.