Höllisch gut

Frohes neues Jahr, allerseits.

Das abgelaufene Jahr war für mich als Blogger ein sehr aufregendes. Ich konnte viele Menschen treffen, die etwas über Wein zu erzählen haben und viele Weine trinken, die horrende Summen kosten oder nicht auf offiziellen Preislisten stehen. Das bot einerseits Stoff für pompöse Geschichten, die vielen Lesern gefallen haben, andererseits war es dem Alltag entrückt, dem Blog wesensfremd.

Im neuen Jahr will ich versuchen wieder häufiger über Weine zu schreiben, die ich mir aus dem Keller geholt und glücklich genossen habe. Zwar werde ich nicht zu kommentarlosen Verkostungsnotizen zurückkehren, aber es muss auch mal ein Anekdötchen reichen.

Den Anfang macht ein Wein, dessen Anekdötchen ich mir bisher verkniffen habe. Es handelt von meiner ersten Begegnung mit den Weinen von Chat Sauvage, jenem Rheingauer Gut, das vermutlich als einziges im Anbaugebiet keinen Riesling produziert, sondern ausschließlich auf Spätburgunder und Chardonnay setzt. Es war 2008 beim Hamburger Weinsalon, als mir schon beim Betreten des Gebäudes ein Fremdkörper auf dem Ausstellerparkplatz auffiel: zwischen all den Mercedes Sprintern und Kombis mit süddeutschem stand ein Ultraluxusgefährt (Bentley, Rolls Royce oder so) mit Hamburger Kennzeichen. Drinnen ließ sich dann sofort erkennen, wem der gehören musste. An allen Präsentationstischen standen Winzer und Weingutsverwalter, die genau so aussahen, wie man sich Winzer und Weingutsverwalter gemeinhin vorstellt. Nur hinter dem Tisch des erstmals ausstellenden Gutes Chat Sauvage saß ein in auffallend edlen Zwirn gekleideter offensichtlich branchenfremder Herr. Neben ihm stand ein junger Mann.

Berührungsängste sind mir fremd, also ließ ich meiner Neugier freien Lauf. Es stellte sich heraus, dass der jüngere, leicht nervös wirkende Mann der Gutsverwalter und der sitzende Herr der Besitzer des Weingutes war. Das Bild war gewöhnungsbedürftig. Chat-Besitzer Günter Schulz war mit allen Insignien finanzieller Potenz ausgestattet, von der brillantbesetzten Krawattennadel bis zur sehr großen und sehr goldenen Bulgari Uhr, saß schweigend da, ließ den jungen Mann seine Weine präsentieren und streute lediglich hier und da Bemerkungen der Art ein, man wolle das ,deutsche Romanée-Conti’ werden. Sein Weißwein trug den Namen ‚Clos de Schulz‘. Geschmäcker sind verschieden und manche Menschen verspüren einen stärkeren Drang als andere ihren Erfolg in der Welt zu präsentieren. Die Weine waren aber gut und ich bestellte mir ein paar.

Sollte dem geneigten Leser jetzt der Gedanke kommen, dass solcherlei Lästerei diesem Blog und seinem Autor schlecht zu Gesicht stehen, so will ich stante pede einlenken. Ich halte Häme als Stilmittel auch für deplatziert außer in einem Fall: in Verbindung mit sofortiger Abbitte. Und die will ich leisten. Denn dieser Tage machte ich mir nach längerer Pause einen der Chat. Sauvage Pinots auf und es war um mich geschehen.

Ein Bekannter sagte einmal, es gäbe Weine, die seien so gut, dass man sich das Hemd vom Leib reißen, auf die Knie sinken und erst dem Herrgott und dann dem Winzer danken möchte, dass es so was in Flaschen zu kaufen gibt. Solches spielte sich in meiner Küche ab – mit zwei Änderungen. Das Hemd ließ ich an und ich dankte als drittem noch Herrn Schulz, dass er dieses Weingut gegründet hat. Wer einen Teil seines Reichtums für so ein Projekt aufwendet, der kann sich für den Rest seiner Kohle meinetwegen den Koh-I-Noor-Diamanten auf seine Bulgari nieten lassen, das tut meinem Respekt keinen Abbruch.

Chat_Sauvage_HöllenberChat Sauvage, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. In der Nase ein Riesenpaket: Kirsche, Rauch, Thymian und Rosmarin, Brot, Blut und dann sagt das Hirn: hör auf zu suchen, schnuppere und sei glücklich. Am Gaumen die gleiche Prozedur: Pflaume, Kirsche, Himbeere, Speck, Rauch, Holz und rohes Fleisch, Bleistiftspäne und Schluss (vorzeitig). Das Mundgefühl ist voll aber saftig – und fest, ich will die Zähne zusammenbeißen um den Wein zu knacken, so stramm ist er. Der Abgang ist sehr lang und steht Nase und Gaumen in Nichts nach, der eigentlich moderate Alkohol (13%) entfacht ein tolles Feuer. Wahnsinn! Vor 18 Monaten hatte ich schon einmal eine positive Begegnung mit diesem Höllenberg. Damals notierte ich ‚Um groß zu sein mangelt es dem Spätburgunder an Tiefe‘ – die hat er jetzt und ich finde ihn groß. Zum Niederknien.