Ringelpietz mit Anfassen

Zu behaupten ich sei gestern zu einer Probe eingeladen gewesen, wäre die Untertreibung des Jahres. Ich war Gast bei einer Premiere und ich denke, das dargebotene Stück wird der Terroir-Diskussion neue Nahrung geben. ,Wurzelwerk‘ heißt es und die Einladung gab sich geheimnisvoll. Wer und was mich in der Berliner Weinbar Rutz erwarten würde, blieb unklar. 4 Winzer begrüßten schließlich die Gäste: Der aus meinem vorletzten Blogbeitrag bekannte Johannes Hasselbach (der mich über unser Wiedersehen im Argen gelassen hatte), seine Schwester Stefanie Jurtschitsch samt Gatte Alwin vom gleichnamigen Langenloiser Weingut aus dem Österreichischen Kamptal, sowie Max von Kunow, Saar-Star vom derzeit omnipräsenten Weingut von Hövel.

Die vier hatten Paul vom Weinblog ,drunkenmonday‘ als Moderator mitgebracht – ein Studienkollege von Ehepaar Jurtschitsch und Max von Kunow aus Geisenheimer Tagen. Dessen Lebenspartnerin Julia, Organisatorin der Veranstaltungsreihe Winevibes, hatte das Event auf die Beine gestellt. Sollte dem geneigten Leser der Verdacht kommen, im fünften Jahr meines Bloggerdaseins würde ich langsam von der Berliner Weinmafia adoptiert, ich wüsste kein Gegenargument …

So erfuhren wir erst einiges über die Protagonisten, den hartnäckigen Verfechter der Spontanvergärung von Kunow, der solange gegen Geisenheimer Windmühlen ritt, bis er den Spitznamen ,Sponti‘ verpasst bekam, die Hasselbach-Tochter, die das elterliche Weingut gegen das des Gatten tauschte, was ziemlich spontan den eigentlich branchenfremden Bruder ins Spiel brachte und über den Österreicher, der zwar wohlwollend aber unmissverständlich als das geschildert wurde, was Arbeitspsychologen eine ,Ideenschleuder‘ nennen.

Wurzelwerk Riesling Heiligenstein, Rothenberg und ScharzhofbergSodann wurde das Projekt vorgestellt: Die Winzer hatten Trauben getauscht und spontan vergorene Rieslinge produziert. Das klingt harmloser als es ist, denn die vier Winzer hatten im ständigen Kontakt Parzellen ausgesucht, von denen eine zeitgleiche Reife zu erwarten war, dann telefonisch den Lesetermin koordiniert – der mehrfach verschoben werden musste, weil es immer irgendwo regnete – und schließlich an einem Tag parallel gelesen, die Trauben nach Rheinhessen gefahren, je 500 Kilo getauscht und in die jeweiligen Keller verfrachtet – das alles während die Hauptlese in den Betrieben im vollen Gange war.

Wurzelwerk – Traubentausch und Terroir

Um vergleichbare Bedingungen zu erhalten wurde allen Trauben 13 Stunden Maischestandzeit verordnet, zwei Drittel der Ware verbrachte diese bei Tempo 150 auf der Autobahn. Ein Gäransatz für den Notfall war ebenfalls im Gepäck, kam aber nicht zum Einsatz (das ist ein Gebinde mit angegorenem Traubenmost aus Spontangärung, der als Starthilfe zum Most geschüttet worden wäre, hätte dieser die Spontangärung verweigert). In der Folge versuchten die Winzer den Wein möglichst allein zu lassen. Kühlung war nicht nötig, da 300 Liter sich im Stahltank nicht so erwärmen, dass die Kellerkühle sie nicht von allein im erträglichen Temperaturbereich hält (Most erwärmt sich bei der Gärung und wird er zu warm, verliert der Wein an Aroma). Im Keller der Jurtschitschs wurden die Tanks später in die wärmste Ecke gerollt um die Gärung am Laufen zu halten, denn trocken sollten sie werden, die neun Weine (und wird der Most zu kalt, stellen die Hefen die Arbeit ein).

Individuelle Entscheidungen trafen die Winzer hinsichtlich des Zeitpunktes der Schwefelzugabe, bezüglich der Menge hatten sie eine Obergrenze vereinbart. So präsentierten uns die Winzer ihre neun Weine mit der Anmerkung, sie hätten alles in ihrer Macht stehende getan, um persönliche Vorlieben und Stilistik auszuschließen. Der Weinberg, die Trauben und der Keller seien die Faktoren, die die Weine kennzeichneten, die wir nun zu verkosten bekämen. Dann schenkten sie endlich ein.

Wurzelwerk WeinScharzhofberg, Heiligenstein, Rothenberg, es gibt schlechtere Rieslinglagen – aber keine besseren. Dazu drei Betriebe, die mindestens als renommiert gelten: was würde uns erwarten? Wir erhielten alle neun Weine gleichzeitig und die Verkostung fand blind statt. Das erstaunliche: die Mehrzahl der Teilnehmer erkannte alle Weine korrekt. Dabei half, dass wir nur die Matrix erkennen mussten: waren die Weine zuerst nach Lage oder nach Keller sortiert und wie dann weiter? Mir erschienen Wein eins und vier sehr exotisch fruchtig zu duften, die Weine zwei, fünf und acht hatten eine Malz-Note im Abgang, die mir sehr vertraut erschien und die Weine sieben bis neun waren sehr verschlossen, würzig und andersartig. Wein fünf schmeckte für mich wie ein klassischer Rothenberg von Gunderloch – dieses mal allerdings diesseits meiner persönlichen Schmerzgrenze für ,erdige Noten‘ – und die ersten drei Weine zeigten die filigranste Mineralik. Daraus ließen sich Vermutungen ableiten: Die Aufstellung war nach Lagen sortiert, die erste war der Scharzhofberg, die letzte der Heiligenstein – für mich fremdartig – und die zweite der Rothenberg, weil er übrig blieb. Die Ordnung der Güter war jeweils zuerst der Saar-Keller (die exotische Frucht in der Nase), dann der Gunderloch (Malz und Karamell im Abgang) und dann der Kamptaler (weil er übrig war). So gelang mir die vollständige Zuordnung, obwohl ich nur einen einzigen der Weine kannte und erkannte.

Und was bedeutet das für die Theorie vom Terroir? Mindestens 50 Prozent der Indizien kamen aus dem Keller. Da waren offensichtlich nicht nur die importierten Hefen involviert. Wie sich die Aromen mit der Reife entwickeln, wie die Weine in ein paar Jahren schmecken und welchen Einfluss der Jahrgang auf die Balance von Keller und Berg hat – all das wollen die Winzer noch herausfinden. Deswegen geben sie nur 200 der 300 Liter in den Verkauf und werden das Projekt fortsetzen. So bunkern sie ausreichend Material um die nächsten zehn Jahre weitere Geschmackstests zu veranstalten.

Deklarationstechnisch bewegen sich die Wurzelwerk-Weine auf TetraPak-Niveau: ,Europäischer Wein‘ steht als Herkunftsangabe auf dem Etikett, die Lagennamen sind verfremdet und die Rebsorte fehlt, schließlich ist es nur so möglich Trauben über EU-Grenzen zu bewegen. Preislich bewegen sie sich hingegen auf oberstem GG-Niveau: 300 Euro kostet die dekorative Holzkiste mit neun 0,5l-Flaschen. Qualitativ liegen sie ziemlich weit vorn: von den neun probierten Weinen fand ich einen groß (Scharzhofberg aus dem Jurtschitsch-Keller), vier ausgesprochen gut und nur einen schwach (Rothenberg aus dem von-Hövel-Gewölbe). Aber aus der Konstellation geht schon hervor: das ist nur eine Momentaufnahme. Der Preis rechtfertigt sich eher über das zu erwartende Verkostungsspektakel im interessierten Kreis. Zum Wegsüppeln ist der Wein nicht gemacht, eher für Weinkreise, die zusammenlegen und sich Stoff für eine spannende Lehrprobe besorgen.

Ich füge jedem Artikel eine Weinbeschreibung an und schreibe nur über Weine, die ich in Ruhe getrunken habe. So ein Glück, denn das sicherte mir am Ende der Probe eine fast volle, angebrochene Flasche ,to-go‘. Es war Wein Nummer 8, einer von den ausgesprochen guten.

Gunderloch, ,Der Heilige Stein‘ Fass No 8/9, 2012, Europäischer Wein. In der Nase noch ganz jung – eine Woche nach der Füllung dominieren Hefe und Jungweinaromen wie Banane die Nase. Dazu riecht er duftig-blumig. Am Gaumen ist der Riesling mittelmäßig trocken, zeigt eine schöne Säure, ist aber auch etwas cremig und füllig wie es vom langen Hefelager zu erwarten ist. 12,5% Alkohol sind unauffällig. Klassische Rieslingaromen wie Aprikose und mürber Apfel dominieren, Sahnekaramell und eine schöne Würze bringen aber das gewisse Etwas. Der sehr lange Abgang ist leicht malzig, süß und sehr mineralisch.

Wer einmal die neun Wurzelwerk-Weine nebeneinander verkostet hat, wird nie wieder davon reden, dass Spontanvergärung die Vergärung mit ,weinbergseigenen‘ Hefen sei. Stattdessen wünscht er jedem Jungwinzer, der den elterlichen Betrieb auf Sponti umstellen will, eine wohlmeinende Kellerflora. Für das Wurzelwerk kann ich derweil resümieren: Jede Traube kriegt den Keller, den sie verdient.

Und das gab es zu trinken:

Der Scharzhofberg alias DER SCHATZ-BERG

1/9: Von Hövel 2012er “Der Schatz-Berg” (Scharzhofberg), Saar

2/9: Gunderloch 2012er “Der Schatz-Berg” (Scharzhofberg), Rheinhessen

3/9: Jurtschitsch 2012er “Der Schatz-Berg” (Scharzhofberg), Kamptal / Österreich

Der Rothenberg alias DER ROTE BERG

4/9: Von Hövel 2012er “Der Rote Berg” (Rothenberg), Saar

5/9: Gunderloch 2012er “Der Rote Berg” (Rothenberg), Rheinhessen

6/9: Jurtschitsch 2012er “Der Rote Berg” (Rothenberg), Kamptal / Österreich

Der Heiligenstein alias DER HEILIGE STEIN

7/9: Von Hövel 2012er “Der Heilige Stein” (Heiligenstein), Saar

8/9: Gunderloch 2012er “Der Heilige Stein” (Heiligenstein), Rheinhessen

9/9: Jurtschitsch 2012er “Der Heilige Stein” (Heiligenstein), Kamptal / Österreich

Süße Probe

Ich war zu einer Weinprobe eingeladen – einer besonderen Weinprobe. Martin aus Berlin veranstaltet regelmäßig epische Weinschlachten mit über 30 zueinander passenden Weinen. Die bekanntesten sind sein Berlin Riesling Cup der Grossen Gewächse und sein Berlin Gutsriesling Cup. Dieses Jahr gab es erstmals einen Berlin Kabinett Cup, der den feinherben und fruchtsüßen Leichtweinen gewidmet war, die ein bisschen PR dringend nötig haben, werden sie in ihrem Heimatland doch immer noch belächelt, obwohl sie ein seltenes Alleinstellungsmerkmal der hiesigen Weinkultur sind.

Ein gutes Dutzend Teilnehmer fanden sich zur Blindprobe ein, darunter überwiegend Profis vom Weinhändler bis zum Chefredakteur der Vinum. Das nötigte mir Respekt ab. Mit lauten Kommentaren hielt ich mich in dieser Runde zurück. Da ich zwischen zwei Teilnehmern aus der ebenfalls vertretenen Enthusiastenfraktion saß, hatte ich aber angenehme Tischgespräche und regen Austausch zum jeweiligen Glasinhalt.

Ich habe schon vielfach geschrieben, dass ich Proben für sehr eingeschränkt aussagekräftig halte. Fünf Minuten mit fünf Zentilitern sind bestenfalls eine Momentaufnahme. Deswegen veröffentliche ich auf meinem Blog auch keine Probenberichte. Dazu verkleben 33 restsüße Weine den Gaumen derart, dass die gleiche Probe zwei Tage später mit umgekehrter Reihenfolge vermutlich andere Ergebnisse hervorbringt. Die vielfach geäußerte Meinung, solche Wettstreite hätten keinerlei Aussagekraft mag ich aber nicht teilen. Es gibt Weine, da wird es still im Raum. Da wissen alle, das ist Klassestoff im Glas. Die würden auch bei einer Wiederholung strahlen. Diese Weine gewinnen zu Recht. Sie mögen in drei Monaten oder zwei Jahren zehn Plätze weiter hinten liegen – aber nicht, weil sie schlechter geworden sind, sondern weil andere Weine sie überholt haben. Denn es gibt auch Weine, die ich unruhig und unsauber fand, nur um nach dem Aufdecken zu wissen, dass nicht der Wein, sondern der Verkoster (ich) schwach war. Molitor hatte Fassproben zur Verfügung gestellt, die ich großteils schwierig fand. Nun kenne ich alle Molitorkabinette der letzten 8 Jahre und weiß, da kommt noch was. Und mit dem Wissen um die Herkunft, konnte ich mir sogar vorstellen, was da noch kommt. Nach dem Aufdecken dürfen aber die Bewertungen nicht mehr verändert werden. Dass Herr Molitor bei dieser Probe nicht besser abgeschnitten hat, ist meine Schuld.

Ich würde das Ergebnis der Verkostung so zusammenfassen: was dort gewonnen hat, war Spitzenwein, den zu besorgen sich lohnt. Was verloren hat, muss noch lange nicht schlecht sein. Wenn man diese Gebrauchsanweisung befolgt, sind Juryverkostungen ein sinnvolles Instrument der Sortimentsplanung für den eigenen Keller. Lustiges aus der Kategorie ,Blindproben machen demütig‘ gab es auch. Da war dieser Wein, der so herrlich strahlte und dessen noch bessere Bewertung vielleicht daran scheiterte, dass einer der Anwesenden laut die Meinung äußerte, dieser Wein sei auf frühe Fröhlichkeit getrimmt und in zwei Jahren spätestens am Ende. Nach dem Aufdecken stellte sich heraus, es war ein Scharzhofberger Kabinett von Egon Müller, dem Produzenten, der gar nichts trimmt und dessen Weine zu den langlebigsten der Weißweinwelt zählen. Oder die Diskussion um einen Petrolton, den jemand ins Reich der Unmöglichkeit verwies, weil so junge Weine keinen Petrolton haben könnten. Aufgedeckt wurde ein J.J. Prüm, der einzige 2009er im Feld. Es gab auch Momente, bei denen einige ihr Können aufblitzen ließen, blind den Schäfer-Fröhlich aus 33 Weinen erkannten oder treffend das Anbaugebiet bestimmten. Das wichtigste aber: es war kein Wettstreit der Verkoster, es ging nur um den Wein.

Als ich nach der Probe daheim ankam, stellte ich fest, dass meine Frau während meiner Abwesenheit etwas höchst vergnügliches getan hatte: einen fruchtsüßen Kabinett getrunken. Es war der Ockfener Bockstein 2011 vom St. Urbanshof, dessen 2012er Variante zu den Gewinnern des Abends gehört hatte. Sie hatte mir noch etwas übrig gelassen. Am nächsten Tag gönnte ich mir ein Glas davon.

St. Urbanshof, Ockfener Bockstein Riesling Kabinett, 2011, Mosel. In der Nase sehr sauber, blumig, mit Aloe Vera und Aprikose. Am Gaumen Melone, Pfirsich und Maracuja, dazu auch eine Spröde etwas gerbstoffige Note. Das Spiel ist nicht so faszinierend wie beim 2012er. Der Wein hat vermutlich weniger Säure. Er ist aber auch nich pappsüß, sondern zeigt schon, wohin die Reise geht: in wenigen Jahren ist das ein formidabler Essensbegleiter mit geschmacklich dezenter Restsüße, feiner Frucht und unerhörter Leichtigkeit.

Anders als für einige meiner Mitstreiter bei der Probe, sind Restsüße Kabinette für mich keine Weine für 30 Grad im Schatten, sondern der schnellste Weg zum perfekten Essensgebleiter. Wo ich bei der fruchtsüßen Spätlese zehn und mehr Jahre warten muss, bis sie diesen tollen Mix aus Würze, Frucht und Spiel bei nur dezenter Süße bringt, der sie so einzigartig macht, kriege ich das beim Kabinett schon nach der Hälfte der Zeit (und erfreulicherweise auch zum halben Preis).

Bleiben die zentralen Botschaften: ,Kauft mehr Kabinett‘ und ,Danke für die Einladung‘…