Mineralik

Mineralik (1): Stein im Wein?

Seit einiger Zeit reift in mir ein gewisses Unbehagen. Ich entwickle ein Problem mit der Mineralik in Wein. Für die Webweinschule recherchierte ich dieser Tage noch einmal zum Thema und mein Unbehagen nahm konkretere Formen an. Dann schrieb Markus Budai einen Artikel über Mineralik bei Captain Cork, der eine Diskussion bei Facebook auslöste. Das war der endgültige Anlass, mich tiefer in Literatur und Internet zu stürzen um eigene Erkenntnisse zu erlangen. Lang ist die Ausführung geworden und trocken im Vergleich zu sonstigen Geschichtchen im Schnutentunker. Also präsentiere ich sie hier in zwei Teilen und warne schon vorher: komplizierter Stoff.

Die gängige Fabel von der Mineralik geht so: Der Rebstock wurzelt tief im Boden auf dem er steht. Seine Wurzeln lösen aus dem Boden ‚Mineralik‘ und transportieren sie über den Rebstock in die Trauben. Je mineralischer der Boden, desto mehr gibt es zu transportieren, je älter der Rebstock und tiefer die Wurzel, desto besser gelingt ihm das. Also preist der Winzer seinen Boden als besonders mineralisch und seine Reben als besonders tief wurzelnd, denn all das führt zum Qualitätsmerkmal Mineralik. Zur Anreicherung kommen oft noch Geschichten von ‚Sedimentgesteinen‘ wie Schiefer oder Muschelkalk zum Einsatz. Da diese aus fossilen Überresten von Organismen entstanden sind, sollen sie besonders mineralisch sein, quasi als Stein gewordener Kompost.

So weit die Theorie. Leider wirft sie zwei Definitionen munter durcheinander, die weniger Übereinstimmungen kaum haben könnten: Minerale und Mineralstoffe sind grundverschiedene Dinge. Minerale (auch Mineralien genannt) sind kristalline Verbindungen, die durch geologische Prozesse entstehen. Mineralstoffe sind anorganische Nährstoffe, die der Organismus zum Überleben braucht aber nicht selber herstellen kann. Sie werden in Mengenelemente (beispielsweise Kalium) und Spurenelemente (etwa Zink) unterteilt. Ein mineralreicher Boden ist nicht zwangsweise mineralstoffreich. Sand, Marmor und Kiesel sind reine Minerale. Wir setzen sie im Garten dort hin, wo nichts wachsen soll. Umgekehrt ist Blumenerde – spätestens nach der Düngung – extrem mineralstoffreich aber kein Mineral.

Nun können die Mineralstoffe aus Mineralen kommen. Böden mit hohem Anteil an Tonmineralen sind beispielsweise sehr fruchtbar, weil diese besonders gut per Ionenaustausch Nährstoffe wie Kalium an die Pflanzenwurzel abgeben. Andererseits sind einige der beliebtesten Beispiel der Weinwelt eher belanglos, zum Beispiel Kalkstein. Dieser verwittert. Es bildet sich Calciumhydrogenkarbonat. Das ist extrem wasserlöslich. So löslich, dass wir es in allen Wasservorkommen der Erde finden. Es ist sogar da, wo wir es nicht haben wollen, auf den Heizstäben unserer Waschmaschinen. Der Härtegrad von Leitungswasser ist nichts anderes als die Angabe des Gehaltes an Calciumhydrogenkarbonat. In den meisten Ecken Deutschlands hat das Wasser davon deutlich mehr als der durchschnittliche Wein oder anders ausgedrückt: ohne Kalkstein kriegt die Rebe auch mehr als genug Calcium und sie kann es aus Wasser beziehen, benötigt keinen Stein dafür.

Und noch ein Problem ergibt sich aus der Unterscheidung von Mineralen und Mineralstoffen: Die meisten Böden bestehen aus einer Mischung von Mineralen, die auf Calcium oder Silizium basieren. Sie unterscheiden sich durch die Kristallstruktur, nicht die Inhaltsstoffe. Kalkstein besteht aus den Mineralen Calcit und Aragonit. Calcit heißt auch Kalkspat, haben Sie in der Weinwelt vermutlich schon gehört, gibt es an jeder Ecke – sowohl in Sedimentgesteinen wie auch im Vulkangestein des Kaiserstuhls (sagt Wikipedia). Vollkommen kalkfreie Minerale gibt es reichlich in der Erdkruste: die Silikate, allen voran Quarz – vollkommen kalkfreie Böden (auf denen was wächst) gibt es nicht. Anders gesagt: Wenn die Böden zersetzt sind, bleiben am Ende die ewig gleichen Elemente über, bei denen Calcium und Silizium dominieren.

Wenn also alle Böden Calcium und Co. an die Rebe abgeben, der Wein aber nach Boden schmecken soll und nicht nach den Atomen, aus denen dieser aufgebaut ist, müsste unverfälschter Boden im Wein stecken. Die Rebe transportiert Substanzen über Ionenaustausch und den Wasserhaushalt, wenn mich mein Schulwissen in Biologie nicht im Stich lässt. Leider sind die Gesteine weder wasserlöslich, sonst wären sie in den letzten paar Millionen Jahren schon aufgelöst, noch wandert beispielsweise Schiefer als ‚ganzes Ion‘ durch die Gegend, zumindest findet sich darauf kein Hinweis im Internet. Die Rebe müsste sie tatsächlich physisch abbauen und mechanisch in die Trauben verfrachten. Die Rebe ist aber kein Schaufelbagger. Sie hat keinen kleinen Lastenaufzug im Rebstock. Ohne Magie kommen die Steine nicht im ganzen in die Beerenhaut. Um es zusammenzufassen: Es ist kein Schiefer im Wein, kein Quarz, kein Feldspat und kein Marmor.

Viel Mineralik durch viele Minerale?

Bleibt die Frage, ob Weine die Mineralstoffe stärker anreichern, die im Boden vermehrt vorkommen? Das Netz ist voller Studien. Ich dachte immer, die Antwort all dieser Studien laute Nein, aber dem ist nicht so. Übermäßiges Vorhandensein von Magnesium beispielsweise führt zu einer vermehrten Aufnahme dieses Mineralstoffes durch die Pflanze. Allerdings steuert Magnesium den Flüssigkeitshaushalt der Rebe und eine Überdosis führt dazu, dass diese ohne Ende Wasser nachschiebt, obwohl sie eigentlich gerade keines braucht. Statt besonders mineralischem Wein verursacht zu viel Magnesium besonders hohe Erträge und dünne Weine. Die Nährstoffe in der Rebe übernehmen Funktionen und eine Überdosierung führt anscheinend nicht zu einer bloßen Anreicherung in der Traube, sondern zu Fehlfunktionen des Organismus.

Soweit Wikipedia und diverse wissenschaftliche Aufsätze im Netz. Ich bin klüger als vorher, das Rätsel ist aber nicht gelöst. Wenn mineralischer Geschmack nicht dadurch entsteht, dass Minerale aus den Böden im Wein sind (sondern Mineralstoffe, die aber auch aus Blumenerde stammen könnten), heißt das weder, dass Wein nicht mineralisch schmecken kann, noch dass der Boden keinen geschmacklichen Einfluss auf den Wein hat. Das ist ein Problem dieser Diskussion. Die einen erzählen die Mär vom Schaufelbagger und die anderen kontern, weil der nicht existiere, gäbe es auch keine Mineralik. Da haben beide vermutlich unrecht.

Thanisch_RivanerZu so komplizierten Recherchen musste ich unbedingt einen leichten Wein trinken. Einen, dem niemand Mineralik unterstellt, dann kann ich wenigstens ohne Kontroverse schließen.

Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Rivaner trocken, 2013, Mosel. In der Nase ein typischer Müller-Thurgau: duftig, blumig mit einem guten Schuss Muskatnuss, ein bisschen Drops und Litschi. Am Gaumen milde Säure und viel Frucht. Man möchte denken, da ist ein bisschen Zucker, er ist aber furztrocken (mit weniger als 4 Gramm Restzucker). Der Wein ist leicht, eher nicht mineralisch, trotzdem aromatisch und kontrastreich: einerseits knackig, andererseits mit leicht cremigen Mundgefühl. So etwas will nicht analysiert, sondern getrunken werden. Ich versuche beides. Prost.

4 Gedanken zu „Mineralik (1): Stein im Wein?“

  1. Ich hatte gedacht, Mineralik als Geschmacksausprägung würde primär durch die Bodenstruktur (Steine) und einen gleichzeitigigen relativen Mangel an oberflächennahen „Pflanzennährmitteln“ ausgelöst, der in den Reben bestimmte Kompensationsprozesse und -Strukturen (makroskopisch z.B. Form der Wurzeln) hervorruft, welche indirekt den Aufbau der Trauben beeinflussen.

    Die „Inhaltsstoffe“ der „Steine“ würden dann kaum eine Rolle spielen, sondern eher eben ihre Struktur (z.B. Körnigkeit) und ihr Einfluss auf den Boden und dessen Eigenschaften wie Wasseraufnahmevermögen, Temperaturreaktion (speichernd vs. isolierend) und Leichtigkeit, von Wurzeln durchdrungen zu werden.

    Dass letztere Dinge Faktoren sein können, die sich auf den Geschmack auswirken, kann man sich schon gut vorstellen, finde ich als Laie.

    1. Es sind in der Zwischenzeit etliche wissenschaftliche Studien veröffentlicht, die einige der offenen Fragen dieses in die Jahre gekommenen Artikels beantworten und sehr deutlich machen, dass der Boden nicht als mineralischer Geschmack im Wein ankommt.

  2. „Mineralität“ in aller Munde: Die Guild of Sommelliers beschäftigt sich auch gerade mit dem Thema Mineralität, ob es sie überhaupt gibt, wo sie herkommt usw, im aktuellen Podcast. Hier kann man reinhören: http://guildpodcast.com.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.