Meine erste professionelle Weinprobe fand bei mir zuhause statt und hatte nur einen Teilnehmer: mich. Ich hatte erst ein paar Jahre Weinerfahrung auf dem Buckel und das half ganz enorm, wie ich heute weiß. Damals wusste ich das nicht, hatte aber keine Veranlassung mich davon nervös machen zu lassen. Es war schließlich niemand da, vor dem ich mich hätte blamieren können.
Die Geschichte meiner ersten professionellen Weinprobe begann mit einem Rundruf im Internet-Weinforum talk-about-wine des kürzlich verstorbenen Weinkritikers Mario Scheuermann. Dort schrieb der Weinreporter höchstselbst, dass man gerade die Finalprobe seiner erstmals ausgetragenen Sauvignon-Blanc-Trophy abgeschlossen habe und die noch zu einem Drittel gefüllten Flaschen des Wettbewerbs zu verschenken seien, wenn denn jemand zufällig in der Nähe wäre.
Scheuermanns Panelverkostungen fanden meist im Restaurant San Michele statt, das damals noch gegenüber dem Hamburger Michel beheimatet und damit 300 Meter Luftlinie von meinem Büro entfernt war. Scheuermann hatte quasi gerade erst die Entertaste betätigt, da stand ich schon in der Restauranttür und rief laut ‚Erster‘ (gut, ganz so war es vielleicht nicht, aber Sie können sich vorstellen, dass es sich für mich so angefühlt hat). Ich machte fette Beute und fuhr mit einem Kofferraum voller Deutscher Sauvignon Blancs zunächst wieder in meine Tiefgarage und etwas später (erheblich früher als geplant) nachhause, meiner ersten Profiprobe entgegen.
Ahnungslos statt blind
Profis probieren in solchen Panelproben blind, ich verkostete ganz offen, aber hier kam meine Ahnungslosigkeit ins Spiel. Ich hatte eh noch keine deutschen Sauvignon Blancs probiert (zumindest bewusst) und auch meine Kenntnis der besten deutschen Erzeuger war noch so lückenhaft (Schnaitmann, wer ist Schnaitmann?), dass mich die Etiketten nicht beeindrucken konnten. Also probierte ich in aller Ruhe hin und her und wieder hin und wieder her, peinlich genau auf das Ausspucken achtend, war ja schließlich eine Profiverkostung und kein Besäufnis.
Meine Ergebnisse durfte ich für mich behalten. Genau genommen musste ich sie für mich behalten, durfte sie nirgendwo veröffentlichen. Das war die Bedingung, unter der die Weine abgegeben wurden, was mir verständlich war, schließlich waren das von Winzern angestellte Kostflaschen und Scheuermann dafür verantwortlich, dass die Verlautbarungen zu diesen Flaschen professionelle Statements aus berufenem Munde waren und nicht die Ergebnisse der ersten ‚Profiverkostung‘ eines blutigen Anfängers. Aber ich erinnere noch zwei Dinge: Erstens die große Übereinstimmung und zweitens die Ausnahme. Als die Ergebnisse des Wettbewerbs erschienen, dachte ich das erste Mal, dass ich einen ziemlichen Durchschnittsgaumen habe, denn alles was dort vorne platziert war, hatte ich auch ganz vorne, mit einer Ausnahme: Knipsers nicht prämierter Sauvignon Blanc war mir so lieb, dass ich die leere Flasche noch heute besitze.
Die dort begründete Liebe zu Knipsers Sauvignon Blanc pflegte ich dann etliche Jahre, indem ich immer im Frühsommer am ersten schönen Tag auf der Terrasse den Sommer mit einem Glas des jeweils neuen Jahrgangs anknipserte. Das ging so bis zum Jahr 2010. 2011 gab ich den Brauch aus logistischen Gründen auf. Als es später wieder möglich gewesen wäre, führte ich das Ritual jedoch nicht wieder ein. Auch mein Geschmack unterliegt Moden und so habe ich mich irgendwann vom deutschen Sauvignon Blanc abgewandt. Der letzte Jahrgang, den ich mir gekauft habe, war 2009. Allerdings habe ich früher in solchen Mengen gekauft, dass mir dieser Tage beim Aufräumen eine Flasche von Knipsers Sauvignon Blanc 2007 in die Hände fiel. Meinem Hang zur Nostalgie geschuldet reifte in mir sofort der Plan damit etwas Besonderes anzustellen.
Punktlandung nach acht Jahren
Dieses Wochenende war es soweit. Liebe Menschen waren zu Besuch und es gab eine etwas spezielle Vorspeise: Ein Stück Lachs wird im ganzen pochiert, in einem Sud der viel zu essigsauer und zu pfeffrig ist. Dann nehme man es heraus, bevor es völlig durchgart, enthäute und -gräte es und lagere es über Nacht in einer Tupperdose im Kühlschrank, wo es alsbald geliert. Am nächsten Tag zerzutzele man den Lachs ein bisschen (sonst prallt die Soße spurlos am Gelee ab), richte es mit ein paar grünen Pfefferkörnern und gehäuteten Tomatenwürfeln an. Darüber gehört eine Vinaigrette aus Rotweinessig, Zucker, Salz und Olivenöl. Rezept-Urheber Wolfram Siebeck empfiehlt die Vinaigrette entgegen allen Usancen im Mixer schaumig aufzuschlagen, was ich auch tat, bevor ich das ganze zu Tisch brachte und Weißbrot dazu reichte.
Tomaten, Vinaigrette, eingelegter grüner Pfeffer – lauter Weinkiller. Profis würden dazu vermutlich einen Sherry empfehlen, oder aber einen etwas müden Wein. Und der 2007er Knipser hatte alles Recht etwas müde zu sein. Ein mit dem Prädikat Kabinett versehener deutscher Nicht-Riesling darf nach acht Jahren Ermüdungserscheinungen zeigen. Ich legte also vorsichtshalber einen Ersatzwein in den Kühlschrank und öffnete den Knipser mit dem Hinweis, dass er vielleicht erst zum Essen wirklich harmonisch wäre. Kam natürlich anders. Als das Essen den Tisch erreichte, war vom Wein kaum noch was übrig.
Knipser, Sauvignon Blanc (Kabinett) trocken, 2007, Pfalz. Ein auf merkwürdige Art großartiger Wein: In der Nase mit geringen Alterstönen, etwas grüne Paprika und Stachelbeere, jedoch nicht so viel, dass die geübten Mittrinker den Braten gerochen hätten. Insgesamt unspektakuläre Nase. Am Gaumen dann auf faszinierende Art rustikal, ‚holzig‘ meinte ein Gast, meinte aber nicht Eichenholzfassaromen, sondern eher echtes, weinfremdes Holz, ein ‚grobporiger‘ Wein (also das Gegenteil von seidig und saftig). Wenn es beim Wein nicht so fürchterliche Assoziationen wecken würde, möchte man sagen, der Wein ist irgendwie hingerotzt – also versuchen wir es mit ‚aus der Hüfte geschossen‘, was es nur halb so gut trifft. Feine Säure, dezente Frische, auch schon etwas rumpelige Altersnoten, Johannisbeere (jetzt kommen die ersten auf die Spur: ‚Moment, das ist gar kein Riesling‘) etwas grün-grasig, aber nicht genug, als das jemand auf Sauvignon Blanc getippt hätte. Trockener, mineralischer Abgang mit feinen Gerbstoffen, sehr lang, faszinierend und mit viel Trinkfluss – für die Herren, die Damen verlangen nach dem feinherben 2008er Molitor.
Kann mich auch noch gut an meine erste Weinprobe vor knapp 10Jahren erinnern. Ähnlich wie bei Ihnen, nur mit meiner Frau alleine zuhause. Da fällt es doch noch etwas leichter und man lernt ja bekannterweise erst aus Fehlern.
Seitdem bin ich ein absoluter Fan von Weinproben.
Schön geschrieben!
Mit freundlichen Grüßen.
Schöner Text! Muss direkt mal nachdenken, wann meine erste sogenannte professionelle Weinprobe war. ?