Blindflug 66: Die Gentrifizierung der Weinwelt

Bassermann-Jordans 100-Punkte-Riesling misst sich mit einem Newcomer. Dazu reden wir über Fine Wine und die Zukunft der Ikonen.

Die RAF hat heute Pause, denn wir müssen kurz mal über den Unterschied zwischen echten Kultweinen und Pseudo-Kultweinen sprechen. Niemand sagt, dass man dazu nicht eine Granate verkosten darf – auch wenn die Detonation etwas kleiner ausfällt. Die Spanier wissen derweil mit einer neuen Verordnung zu beeindrucken.

Kirchenstück – 100 Punkte trocken

Bassermann-Jordan, Riesling ‚Kirchenstück‘ GG, 2016

Sascha will es wissen: Bassermann-Jordan, Riesling ‚Kirchenstück‘ GG, 2016 aus der Pfalz. Das ist der Wein, der als erster trockener Riesling 100 Punkte vom Gault & Millau erhalten hatte. Felix verkostete in dem Jahr die Nahe für den Guide, hatte den Wein aber nie im Glas, denn es gab keine Finalverkostung. Blind tippt Felix zwar auf Riesling, allerdings auf einen (sehr guten) Ortswein aus 2013. Weiter kann man kaum daneben liegen. Nach dem Aufdecken beschließen die beiden, dem Wein noch etwas Zeit zu geben. Wie das ausging, erfahrt Ihr dann in der nächsten Folge.

Viñedo Singular – die Entdeckung der Einzellage

Finca Alto Cantabria, Rioja Viñedo Singular, 2019 Conde Valdemar

Da liegt Sascha mit seinem Tipp auf Chablis Grand Cru erheblich näher, obwohl nicht einmal das Land stimmt. Denn der Finca Alto Cantabria, Rioja Viñedo Singular, 2019 von Conde Valdemar schielt ziemlich sicher genau dorthin. Als hundertprozentiger Macabeo, die in der Rioja Viura heißt, zeigt der Wein einen tollen Holzeinsatz, schöne Struktur und viel Potential. Den Wein gibt es schon länger, doch erstmals folgt er den neuen Richtlinien für Einzellagenweine der Rioja. Der Start in diesen neuen Abschnitt spanischer Weingeschichte ist gelungen.

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11 Gedanken zu „Blindflug 66: Die Gentrifizierung der Weinwelt“

  1. Zunächst mal ein dickes Lob für die immer informations-lastigeren Segmente des Podcasts. Das fügt dem fröhlichen sozialen Geplänkel zwischen euch beiden und den unterhaltsamen Verkostungsteilen noch eine „gehaltvolle“ Komponente hinzu, die (zumindest bei mir) länger nachklingt und ob ihrer Dichte und Fülle auch gerne mal ein Zweithören provoziert.
    Und auch wenn das „Faktensegment“ diesmal wieder viele Neues und Spannendes enthielt, so fand ich es doch ein wenig unklar in seiner Ausrichtung. Was war die Kernfrage oder vielleicht besser: Kernthese, der du nachgehen wolltest? Ob und wenn ja wie sich euer Podcast zum Thema Preis/Qualitätsverhältnis positionieren sollte? Im Einzelnen tut ihr das ja, weil man euch bei der Diskussion der Probeweine (und deren Preise) schon anhört, ob ihr das ein Schnäppchen findet, angemessen oder eher übertrieben.
    Aber das reicht ja scheinbar nicht, dafür hätte man ja keine Dreiviertelstunde um das Thema kreisen müssen, die Frage war ja generellerer Natur. Und diese finde ich ehrlich gesagt schwierig. Qualität einerseits vergleichbar zu machen — das ist ja die Frage, die uns Parker, Suckling und GM Punkte beschwert hat. Eigentlich wäre es damit ja nun ganz einfach: Such dir dein Qualitätsniveau (sagen wir mal 91) und nimm den billigsten, den du darin finden kannst.
    Klappt natürlich nicht und würden Punkte alles sagen, würde ich mich ja nicht so sehr über euer individuelles Erleben von Einzelweinen freuen. Und bei der anderen Seite der Medaille, dem Preis, da war Sascha schon auf der rechten Spur: Dafür gibt es einen Markt. Der regelt (im Generellen) schon, was wofür geht (Gegenbeispiele hast du ja gebracht und auch dazugesagt, wie der Markt das eigentlich regeln würde).
    Da im Allgemeinen jedoch über richtig und falsch, über „zu teuer für seine Qualität“, „Etikettentrinkerwein“ und andere Effekte richten zu wollen — und das im Angesicht der eigenen „Fehlbarkeit“ (besser: dem individuellen Erleben) bei der Blindverkostung fänd‘ ich vermessen. Man konnte dir ja die Enttäuschung über das Kirchenstück anhören. Also wäre der dir nicht die hundert uppes Euro wert gewesen. Ist ja eine faire Aussage (und wer deinen Geschmack bei Rieslingen teilt, wird der vielleicht folgen). Schon anderthalb Meter weiter war jedoch Sascha schon anderer Meinung.
    Und das finde ich das Schöne an eurer Sendung: Zwei unterschiedliche Weinliebhaber, die kenntnisreich und begeistert über ihr Thema sprechen, ohne den Druck, absolute Urteile abgeben zu müssen – ja nicht mal mit dem Druck, sich einig sein zu müssen. Und der Freiheit, herzhaft über den Versuch zu lachen, die „1000 besten Weine“ in einem Buch zusammenzustellen. Warum also der verbale Anlauf, die „100 überteuersten“ Weine zu finden?
    Also zumindest mein klares Hörer-Feedback: nein, ihr müsst euch nicht zu Preisentwicklungen und ggf. -übertreibungen auf dem Weinmarkt positionieren – schaut lieber ins schwarze Glas, da habe ich mehr von.

    1. Ja, um Minute 49, als ich eigentlich den Sack zumachen wollte, hat Sascha mich ein bisschen überrumpelt und erklärt, dass die Fine Wine Welt total in Ordnung ist und sein Lieblingsthema Klaus-Peter Keller angeschnitten. Da habe ich den Weg zurück in die Spur nicht mehr gefunden. Ich werde an der Stelle den Faden in einer späteren Folge wieder aufnehmen.
      Es gibt keinen Anlauf, die 100 überteuertsten Weine zu finden, und richten werden wir sowieso nicht. Wir werden auch nicht unsere Herangehensweise an Wein oder den Umfang unserer Blindverkostungsbemühungen ändern. Und doch müssen wir uns positionieren. Ich kann mich gar nicht nicht positionieren. Ich habe im vergangenen Jahr mit meinen selbst publizierten Inhalten 250.000 Weininteressierte aus dem deutschen Sprachraum erreicht und die mir meist gestellten Fragen drehen sich um gehobene Weine, weil der Fine-Wine-Welt die Medien abhanden gekommen sind, die noch kritische Distanz wahren. Zehn Minuten nachdem ich diese Geschichte veröffentlicht hatte, klingelte mein Telefon und ein Regional-Vorsitzender des VDP meldete Gesprächsbedarf an, ein paar Tage später ließ der Präsident des Bundesverbandes mir über die Kommunikationsabteilung eine kleine Stellungnahme zukommen. Das Podcast war anfangs nur ein exotisches Anhängsel, steuert aber mittlerweile stramm auf die 5.000 Hörer zu und fällt damit unter die gleichen Zwänge wie Blog und Webweinschule, oder anders: zum von Sascha erwähnten Markt gehören als Teilnehmer auch Medien und wir sind jetzt eines davon. Es soll sich so anhören, als würden sich zwei Weinfreunde nett über ihr Hobby unterhalten. Zumindest das – von Dir ja eingangs so gelobte – informationslastigere Segment muss aber sauber recherchiert und stringent argumentiert sein. Dir ist ja auch sofort aufgefallen, dass das in dieser Folge nicht der Fall war. Das ist ein Paradox mit dem ich schon eine Weile lebe. Schnutentunker klingt halt als Blogtitel sehr viel bescheidener als ‚Weinpapst‘ und es ist ja auch mein Selbstverständnis, keine Deutungshoheit zu reklamieren. Als Ausrede für Schludrigkeiten taugt die selbstironische Herangehensweise aber nicht. Dann wären die Hörer und Leser ganz schnell weg.

      1. Eben vor dem Hintergrund dieser selbstkritischen Reflexionen wollte ich euch auch das Feedback zu (den verwendeten Daten in) der Sexismus-Debatte geben. (An die ich dann, weil ich nicht anders konnte, meine verletzte griechische Seele mit anhängen musste.)
        Zu der Folge: Ich denke, ich habe gut nachvollziehen können, worauf Du hinaus willst, auch wenn Du das jetzt hier etwas kritisch siehst. Und ich wollte noch schreiben, dass ich die Recherche und die Argumentation grandios fand. Ich habe unglaublich viel gelernt und fand das absolut faszinierend. Meine liebste „Geschichte“ bisher.

  2. Lieber Felix, dein Beispiel mit den Rieslingproben trifft den Nagel für mich auf den Kopf. Ich kaufe aus überwiegend irrationalen Gründen keine Zweitweine aus Bordeaux, aber dabei geht es auch um das Gefühl, den Wein zu bekommen, dem der Winzer die größte Aufmerksamkeit geschenkt hat. Wie gesagt Gefühl, also schon klar, dass das nicht immer stimmen muss, aber welche Kaufentscheidung bei Luxusgütern ist rational. Bei deutschem Riesling war es bisher leicht, mit einem Budget bis 50 Euro für eine schöne Probe die trockenen Topweine von vielen namhaften Produzenten einzusammeln – natürlich nicht von allen. Wenn jetzt aber über dem Premiumbereich immer öfter ein Ultrapremiumwein angesiedelt wird, gelingt das nicht mehr und führt zumindest mich von diesen Winzern weg. So geschehen bei Peter Jakob Kühn und es war auch das Schöne am Gräfenberg GG, dass es das Spitzenprodukt eines sehr renommierten Produzenten war. Wilhelm Weil hat mal schön gesagt, man will sein Geld nicht für Knappheit zahlen, sondern für Qualität. Was das Wollen betrifft, ist das richtig, aber nichts treibt den Preis so wie Knappheit. Daher lassen sich teilweise auch enorme Preise für diese Ultrapremiumweine erzielen. Für die Mehrheit der sehr guten Betriebe scheint mir das aber nicht zu gelten, sondern deren Versuche in diesem Segment sind angesichts der Kleinstproduktionen verdächtig lange verfügbar. Das ist in Deutschland nicht anders als bei Artadi. Daher sehe ich eher keine Gentrifizierung, denn die folgt ja der tatsächlichen Nachfrage, viele Ultrapremiumweine entstehen nach meiner Wahrnehmung aber weniger, weil die Kunden danach lechzen, sondern die Produzenten meinen, damit das Renommee ihres Betriebs steigern zu können. Teilweise funktioniert das auch. Ich hätte ohne L`Ermita wahrscheinlich nie einen Terrasses und Finca Dofi getrunken und er war wohl für das ganze Priorat ein Segen, aber das ist nicht die gleiche Ausgangsposition gewesen wie in der Rioja und wie in Deutschland. Hier kann man durch derartige Versuche auch das bisherige und gut eingeführte Spitzensegment schädigen und, wenn sich das neue Produkt dann nicht einmal gut verkauft, ist der Imagegewinn zweifelhaft. Ab einem gewissen Preis sind die Zielgruppe fast nur noch Etikettentrinker und so schnell etabliert man dort eben keine neue Luxusmarke. Wie sich Meinungsmacher wie du dazu positionieren sollten, weiß ich nicht. Mir scheinen die Marktmechanismen dafür auch zu eingespielt und daher werden sicher bald Bewertungen über 100 Punkte erforderlich, um die Ultrapremiumweine ausreichend zu würdigen, ohne die Zweitweine gegenüber der Vergangenheit abzuwerten. Schauen wir mal, wie lange das noch dauert oder ob sich mal jemand traut, die Qualitätspyramide auf den Kopf zu stellen. Viele Grüße Tobias

    1. Hallo Tobias, Bist Du Dir beim Priorat sicher? 30 Jahre später findet in meinen Augen gerade eine merkwürdige Neuschreibung der Geschichte statt. Eigentlich war es René Barbier, der das Priorat wachgeküsst hat. Als L’Ermita kam, erschien gerade der 15. Jahrgang Clos Mogador, das ist also auch nicht mal ansatzweise gleichzeitig passiert. Der Hippie hatte nur kein Bock auf die Tausend-Dollar-Freier 😉 und hat deswegen seinen Wein nie in die Preis-Sphären des Wahnsinns geführt. Der zweite Kracher war Cims de Porrera. L‘Ermita hat sich ins gemachte Nest gelegt. Es sind mE die Händler, die gerade auf dem Zeug sitzen bleiben, die jetzt die Nummer noch mehr aufblasen, um endlich mit dem Argument ‚Müssen Sie getrunken haben, ist flüssige Geschichte‘ ihre Bestände loszuschlagen. Damit will ich natürlich nicht in Abrede stellen, dass Du persönlich über L‘Ermita ins Priorat gekommen bist. Das kannst schließlich nur Du beurteilen. Aber beim Ribera passiert gerade Ähnliches. Den Boom der Neuzeit hat mW vor allem Bodegas Aalto ausgelöst. Da tun auch alle (Händler) gerade so, als hätte Sisseks Pingus das Ribera neu belebt. (Vergleich hinkt etwas, weil es da schon immer Vega Sicilia gab, aber Du weißt, was ich meine)
      Ich werde das Thema noch mal fortsetzen, da schwirren mir noch sehr viele Gedanken im Kopf rum. Cheers. Felix

      1. Ich bin in den 90er Jahren über einen Bekannten, der mit Palacios befreundet war, erstmals mit dem Priorat in Berührung geraten. Davor hatte ich davon nie gehört. Das mag eine sehr subjektive Perspektive eröffnet haben, aber eigentlich ist es ja normal, dass die wirklichen Wegbereiter nicht die sind, die den Ruhm ernten. Außerdem weiß ich nicht, was der Clos Mogador damals gekostet hat, aber für eine eher unbekannte Region Spaniens war es wahrscheinlich schon hilfreich, dass der L`Ermita nicht nur von Anfang an im dreistelligen Bereich lag, wenn ich mich recht erinnere, sondern sich damals auch super verkaufte – da reden wir aber natürlich nicht annähernd über die Beträge, die heute aufgerufen werden. Der Pingus ist auch ein gutes Beispiel. Vega Sicilia sah ich immer als Unikat und die Region wurde als solche für mich erst interessant, als der Container mit dem Pingus untergegangen ist, sofern das überhaupt stimmte. Meine Wahrnehmung fiel also offensichtlich jeweils einem guten Marketing zum Opfer, das wahrscheinlich umso besser funktioniert, je weniger man vorher weiß. Danach sollten die deutschen Winzer ihre Ultrapremiumweine vor allem im Ausland anbieten.

        1. Oh, das sollte das gar nicht heißen. Barbier ist als Wachküsser des Priorat sicher ausreichend gewürdigt und präsentiert worden. Als ich damals hier meinen ersten Clos Mogador feierte, schrieben wir ja auch schon das Jahr 2010 oder so und die damals von mir zitierte Geschichte hob noch komplett auf die tatsächlichen Verursacher ab. Joel Payne hatte ihn in den Nullern für seine Fernsehreihe besucht, erinnerst Du vielleicht noch. Die ‚L‘Ermita hat‘s erfunden‘ Geschichte begegnet mir eigentlich erst in jüngerer Zeit.

        2. ‚Ich bin in den 90er Jahren über einen Bekannten, der mit Palacios befreundet war, erstmals mit dem Priorat in Berührung geraten.‘
          und
          ‚Ich hätte ohne L`Ermita wahrscheinlich nie einen Terrasses und Finca Dofi getrunken.‘
          Also durch einen Bekannten oder aufgrund des Rufes des L‘Ermita? Deine Geschichten ändern sich gelegentlich, kann das sein? Ich war auf jeden Fall deutlich weiter weg als Du und erst 15 Jahre später am Thema, deswegen weiß ich auch nicht, ob es eigentlich stimmt, dass 93 (erschienen irgendwann Ende 95) der erste L‘Ermita gewesen ist und der Hype da schon voll im Gange war. Angeblich redete ganz Deutschland Ende 1995 schon über das Priorat, behauptet jedenfalls die Vinum . Da kannst Du ja vielleicht etwas Licht ins Dunkel bringen.

  3. Lieber Felix,
    Du scheinst mich (mit Tobias) zu verwechseln.
    Ich sympathisiere noch mit dem Gedankengut der RAF (genug ist mittlerweile im Keller), aber zur endgültigen, unbekehrbaren Radikalisierung wird es wohl nicht kommen, da haben in der letzten Zeit doch zu viele andere spannende Rebsorten den Weg ins Glas gefunden.
    Ich werde wohl erstmal kritischer Sympathisant bleiben 😉
    Wiedermal eine sehr schöne Folge, dazu gabs von Buhl Forster Riesling ’18 (aber nur, weil er schon offen war!!!)
    Viele Grüße
    Joachim

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