Ob ich Interesse an einer Reise ins Ribera del Duero hätte, fragte die PR-Agentur. Pingus sei auch als Reisestation angefragt. Bei allem Interesse an spanischen Weinen, ausgerechnet Ribera del Duero? Also schrieb ich zurück: grundsätzlich ja, ob denn auch das Gegenteil von Pingus im Angebot wäre? Junge Wilde vielleicht?
Ich bin kein Nonkonformist, doch der in alternativen Kreisen zum guten Ton gehörende Spott über die ‚Plastikweine‘ aus Ribera del Duero ist mir verständlich. Man nehme viel Geld, baue eine imposante Bodega aufs platte Land, werbe einen renommierten Kellermeister bei einem alteingesessenen Gut ab (wenn der nicht sowieso der Gründer des neuen Ventures ist) und produziere pompöse Weine – fertig ist der nächste Welterfolg. Andererseits: die Rebfläche im Ribera hat sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht, trotzdem schmeckt alles immer intensiv nach alten Reben, das geht nur mit Önologie-Tricks – fertig ist das Vorurteil. Aber ist das wirklich so? Da hilft nur eines: hinfahren.
Ribera del Duero – eine Welt aus Plastik?
Im fertigen Programm war dann kein Pingus, stattdessen waren ein paar junge Wilde angekündigt. Doch der erste Junge war nicht wild, im Gegenteil, er war das pure Klischee. Wir fuhren zu Garmón Continental und fanden – eine Baustelle. Da baut jemand gerade eine imposante Bodega aufs platte Land. Es ist ein Wiederholungstäter. Mariano Garcia war jahrelang Kellermeister bei Vega Sicilia, bevor er mit einem Kompagnon die Bodegas Aalto gründete – extrem eindrucksvolle Bodega, aber hinreichend besungene ‚Heldentat‘, muss hier nicht vertieft werden. Im Alleingang, beziehungsweise mit der Familie, wiederholte er das dann noch bei den Bodegas Mauro und San Roman. Nun also Garmón Continental. Die ersten beiden Jahrgänge wurden noch bei Aalto vinifiziert, mit 2015 kommt der zweite Jahrgang dieser Tage auf den Markt.
Es führen uns die Kommunikationsleiterin und der Kellermeister durch ein Gebäude auf dem neuesten Stand der Technik. Garmón entsteht nach Bio-Richtlinien – für ein Zertifikat ist das Weingut noch zu jung – und verzichtet entsprechend auf ‚Mittelchen‘. Allerdings wird der Most bei Bedarf aufgesäuert, was hier gebräuchlich ist. Und dann die Weinwanderschaft: Umpumpen und Umziehen ist der populärste Kniff im Ribera: Vergärung bei niedriger Temperatur in Edelstahl, Abpressen und Umziehen in kleine Fässer extra für den biologischen Säureabbau (BSA), dann Umzug in neues Holz und – im Ribera keine Besonderheit – später noch ein Umzug in eine andere Holzherkunft, meist von amerikanischer in französische Eiche, dazwischen gerne aufrühren von Voll- oder Feinhefe. So ähnlich entsteht auch Garmón.
Im Ribera ist es heiß, dieses Jahr wurden in manchen Weinbergen 47 Grad gemessen. Die Weine haben wenig Säure und viel Alkohol. Wer das noch mit viel Holz vermählt, der kreiert entsprechende Powerweine. Doch oh Wunder: die Verkostung zweier verschiedener Fassmuster aus dem Jahrgang 2016 zeigt: auch hier gibt es Parzellen mit gehöriger Frische. Und dann sind da noch die Fässer: wenig oder mehr Toasting, Eiche aus Frankreich oder den USA: gute Kellermeister finden gute Kombinationen – mit Methoden, die ich nicht als Plastik bezeichnen würde. Und bei Garmón gelingt’s: in der finalen Verkostung bin ich wirklich geplättet.
Garmón Continental, Garmón, 2014 & 2015, D.O. Ribera del Duero, Spanien. Beide Weine haben viel gemeinsam: Beim 2015er wirkt die Nase leicht erdig, beim 2014er dann richtig nasser Waldboden. Beim neuen Jahrgang ist die Frucht etwas verwaschen, diffuse dunkle Beeren – der 2014er entwickelter, sortierter, mit Blau- und Brombeere. Beide fallen erst negativ mit einer sehr verhaltenen Säure auf, bevor einen dann im Mittelbau wie Kasper aus der Kiste eine Frische anspringt, die man sich kaum erklären kann. Sie muss von den bei beiden sehr feinen Gerbstoffen kommen. Beide Weine sind sehr lang und zeigen im Abgang etwas, was ich ‚Eleganz im Wartestand‘ nennen würde. Das Tannin muss noch etwas abschmelzen, dann werden sie groß, wobei die beiden schon eine unglaubliche Verwandschaft aufweisen – und die hat nichts mit Uniformität und Plastik zu tun. Auch Bombast sucht man vergeblich. Fantastisch.
Das Labor, das Labor – hat immer Recht?
Wir verabschieden uns auf der pompösen Baustelle und besuchen das nächste Weingut. Das ist Gegenteil: Tomás Postigo residiert in einer alten Fabrikhalle. Dort entstanden früher Edelstahltanks. ‚Mein Vater hat die Halle wegen des Krans gekauft, der hier schon eingebaut war‘, erklärt sein Sohn Gabriel, ‚So konnten wir den Weg der Traubenverarbeitung problemlos auf Schwerkraft umstellen.‘ Auch Postigo, studierter Chemiker, hat eine Vergangenheit als legendärer Önologe. In seinem Weingut herrscht Gewusel, denn es sind gerade Fässer angekommen, Barriques. ‚Die brauchen wir für den BSA‘ erklärt Gabriel. Fässer extra für den BSA? ‚Ja, 30 % des Weines durchlaufen den BSA in neuen Barriques und ziehen danach in neue Barriques für die Reifung um.‘ Postigo hat einen Leasingvertrag für Barriques, so viele braucht er – und so kurz. Die BSA-Barriques werden nach einem Monat als alt betrachtet. Für einen neuen, noch nie erschienenen Wein hat das Team gerade Trauben in neuen Barriques vergoren und anschließend in neue Barriques für die Lagerung umgezogen – 200 Prozent Neuholz. Der reguläre Wein hat 130% Neuholz. Zwei Mal im Jahr besuchen die Postigos ihre Küfer und nehmen Holzproben, die landen dann im Labor. Die Gärung leitet Postigo mit aus eigenem Bestand selektierten Hefen ein, den BSA ab nächstem Jahr mit aus eigenem Bestand selektierten Bakterien. Geholfen hat das Labor. Er zeigt uns Laborwerte für seine Hefen. Und den Kulturvermehrer, mit dem er nach Belieben seine – ehemals wilden, aber immer noch irgendwie weinbergseigenen – Hefen und Bakterien vermehren kann. Die Menschen sind sympathisch, das Gewusel angenehm chaotisch. Nichts ist gestylt, aber am Ende sind die Weine das, was mir Probleme bereitet: Pompös und extrem geholzt. Auch wenn ich hier zwanzig mal das Wort Labor höre, ist das kein Plastik, aber eben auch nicht meins – in der Welt der Ribera-Liebhaber jedoch ein großer Name. Ich dachte, es käme andersrum, aber deswegen fährt man da ja hin.
Ich habe eigentlich genug Eindrücke für einen Tag, doch es ist gerade mal halb eins. Es geht zum Mittagessen ins Hotel des Weingutes Tinto Pesquera. Ick freu mir – und weiß, ich werde jetzt alles großartig finden. Wer von sich behaupten kann, sein erster – Mövenpick sei Dank – gehaltvoller Spanier war KEIN Tinto Pesquera, der werfe den ersten Stein (oder meinetwegen die leere El Coto Flasche, die er stattdessen aufbewahrt hat, Faustino gildet nicht!). Ich verbinde mit Pesquera große Erinnerungen.
Der alte Mann und das Vielvielmehr
Was aus dem Reiseprogramm nicht hervorgeht, ist der zusätzliche Gastgeber, den wir zum Mittagessen bekommen: Alejandro Fernandez, 85, Inhaber, Weinlegende. Der fuhr einst mit frisch gefüllten Flaschen zur örtlichen Gastronomie um seinen Wein zu verkaufen, heute gehören ihm vier Weingüter und ein Hotel. Das interessiert ihn aber nicht weiter, er flirtet lieber mit unserer Reiseleitung. Er singt mit uns, also er singt vor und wir nach. Und er macht seltene Weine auf, notfalls mittags aus der Magnum, der Tag ist ja noch lang. Ich mache während des Essens keine Notizen, die Weine sind sowieso alle großartig. Ich kann kaum die Distanz wahren, erst recht nicht widerstehen, ihm Löcher in den Bauch zu fragen: Was denn sein Lieblingswein sei? ‚Meine Weine sind wie meine Kinder, ich liebe sie alle, aber am meisten, wenn sie zwischen acht und sechzehn Jahren alt sind‘. Und sein Lieblingsprojekt unter all den Weingütern? ‚Nicht ein einzelnes Weingut, sondern das Projekt jedes Weingut jeden Tag ein bisschen besser zu machen‘. In jeder anderen Interviewsituation klingt das nach Plastik, auswendig gelernter Floskelsprache, nicht aber bei diesem 85-jährigen mit dem Weinglas in der Hand und dem Lied auf den Lippen. Da klingt das nach Leidenschaft. Von der gibt es auch in Ribera del Duero eine Menge. Man muss halt mal hinfahren.
Tolle Reise, die sie da gemacht haben, da ist man leicht neidisch. Die Weine von Ismael Arroyo und Ortega Fournier sind auch eine Delikatesse und passen ebenso gar nicht in das Klischee vom Plastikwein, der eine (Arroyo) traditionell (insbsondere die formidable Reserva)und Fournier (der Spiga ein Genuss)ganz neuartig interpretiert.
Ich bin noch da. Mal sehen, vielleicht kriege ich die noch ins Glas.